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Fünfundzwanzigstes Capitel.
Von dem Vergessen der Wohlthaten und der Undankbarkeit.

Eine gewisse adlige Dame erduldete viele Unbilden von einem Tyrannen, der ihr Land verwüstete. Wenn sie das hörte, vergoß sie täglich Thränen und ihre Seele lag in Trübsal. Nun begab es sich aber zufällig, daß ein gewisser Fremder in ihre Nähe kam, und weil er ihre Angst und Noch sah, von Mitleid bewogen, Krieg für sie unternahm unter der Bedingung, daß, wenn er in demselben fiele, sie seinen Stab und Reisebündel bei sich in ihrem Gemach verwahren sollte, auf daß sie ein Andenken von ihm hätte und ihm dankbar wäre. Sie aber gestand ihm das getreulich zu und der Fremde, der nun den Krieg begann, besiegte zwar den Tyrannen, wurde aber selbst im Kampfe bis auf den Tod verwundet. Als nun das Mägdlein von seinem Tode gehört hatte, that sie, was sie ihm versprochen hatte; den Stab und sein Reisebündel hing sie in ihrem Gemache vor ihrem Bette auf. Nun begab es sich aber, daß die Länder und Kriegsheere das Gerücht durchflog, wie diese edle Frau alle ihre verlorenen Reiche wiedergewonnen hätte. Als dieses auch drei Könige gehört hatten, kamen sie mit großem Gepränge zu ihr, um sie zu besuchen und sie zur Ehe zu begehren. Jene aber putzte sich sogleich und ging ihnen entgegen und nahm sie mit großen Ehren auf. Sie aber dachte bei sich: vielleicht werden diese Könige mein Gemach zu betreten verlangen und es wird mir eine Schande seyn, wenn sie vor meinem Bette den Reisesack und den Stab eines Fremden finden, und so befahl sie, dieselben wegzuschaffen und nicht mehr da sehen zu lassen. So vergaß sie ihren Vertrag und wurde undankbar erfunden.


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