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XVIII. Die Selige macht Kehraus

In einer der folgenden Nächte wachte Frau Lemke plötzlich jäh auf, war sofort ganz klar und munter im Kopf und dachte – seltsam berührt: »Wat war denn det eben – hia war doch wat?«

Sie lauschte, im Bett halb aufgerichtet, hörte aber nichts weiter als das Ticken der Uhren und das Schnarchen ihres Mannes. Da sank sie schließlich wieder in die Kissen zurück: »Det is ja komisch – wenn det man bloß nischt zu bedeiten hat!« Und dann fragte sie halblaut: »Willem – Willem?!«

Aber Herr Lemke schnarchte friedlich weiter und hörte nicht. Da überkam sie schließlich wieder die Müdigkeit, und die Augen fielen ihr wieder zu.

Ihr gesunder, fester Schlaf aber war vorüber – sie lag jetzt in unruhigem Halbschlummer, aus dem sie immer wieder jäh und unvermittelt emporfuhr. Und jedesmal lauschte sie dann angestrengt aufs neue, ob sie nicht doch etwas Verdächtiges hören könne, vernahm aber nichts. Trotzdem konnte sie die Empfindung nicht los werden, daß irgend etwas nicht in Ordnung sei. »Mia is so, a's wenn hia jemand sein mißte – ick werd' mia doch ma' 'n bißken vastellen!«

Und so begann sie – genau nach dem Muster ihres Mannes – leise zu schnarchen, lauschte dabei aber gespannt. Wie lange sie so gelegen, wußte sie später nicht mehr anzugeben – aber jetzt hörte sie ganz deutlich ein sonderbares Geräusch, das langsam näher und näher kam. Es war, als wenn jemand fegte. Zuerst schien es draußen auf der Straße zu sein, dann aber wurde es Frau Lemke zur Gewißheit, daß dieses unheimliche Geräusch nebenan aus dem Zimmer komme.

Und plötzlich ging – leise und langsam – die Tür auf, das Fegen wurde stärker, und jetzt erschien auf der Schwelle – in ein Umschlagetuch gehüllt – die Gestalt einer alten Frau. In den zitternden Händen, auf denen die Adern stark hervortraten, hielt sie einen Besen, der ganz kurz zu sein schien, der aber immer, wenn sie damit ausholte – sofort ganz lang wurde und außerdem die Eigenschaft besaß, mit seinem Haarschopf wie ein lebendes Wesen unter die Möbelstücke zu kriechen und allen Staub hervorzuholen.

Mit einem Gemisch von Grauen und Unwillen sah Frau Lemke, wie das alte Wesen in einem großen Haufen Müll auch die ganze Saloneinrichtung – die Jugendstühle und den umgestürzten Jugendtisch – vor sich hertrieb.

»Wat machen S'en da?« fragte Frau Lemke.

Trotzdem die Alte nicht antwortete, war es doch, als habe jemand etwas erwidert. Frau Lemke hatte ganz deutlich das Wort »Kehraus« verstanden.

»Nanu – is denn schon so weit?« erkundigte sie sich weiter.

»Schon lange!« antwortete die geheimnisvolle Stimme.

»Aba denn lassen Se jefälligst meen Eijenkleid liejen – det können Se doch nich ooch noch mit ausfejen« – sagte Frau Lemke, als sie sah, wie die Alte mit ihrem Besen das neue Kostüm vom Stuhl kehrte.

Unbeirrt jedoch fuhr der Besen überall hin und erfaßte, was er konnte.

»Wer hat Ihn'n denn damit beufftragt, hia so spät in die Nacht auszufejen?«

Die Alte wandte sich um, und jetzt erkannte Frau Lemke, wen sie vor sich hatte: »Ach so – Se sind ja die Selje!«

Nun fand es Frau Lemke ganz in Ordnung, daß – wenn auch etwas spät – einmal gründlich ausgefegt würde. »Ick werde die Millschippe holen, det Se 'n bißken zusammenkehren können, an die Schwelle bleibt ja sonst allst hacken!«

Aber auf einmal sah sie, wie aus dem Müll Onkel Karls Kopf heraussah. »Du mußt woll ibaall bei sind – so wat macht dia woll mechtjen Spaß?«

Und Onkel Karl nickte, nahm eine Flasche seines Patentkittes und besprengte damit den Müll. »Nu hackt et bessa und jeht jlatt iba die Schwelle!« erklärte er triumphierend.

»Det hätt'ste jleich machen sollen«, sagte Frau Lemke, wurde dann aber sehr ärgerlich, als sie plötzlich ihren Mann neben Onkel Karl liegen sah. »Nich doch, nich doch in den juten schwazzen Rock, Willem –« mahnte sie. Aber Herr Lemke zog sich nur die Stiefel aus und knöpfte den Kragen ab. »Nu jeht's, Mutta, janz scheen,« sagte er, »komm man ooch mit!«

»Wo jeht's denn lang?« erkundigte sich Frau Lemke vorsichtig.

»Na – nach unsa ollet Haus – in die Potsdama Straße – weeßte det noch nich?« sagte Herr Lemke, und Onkel Karl setzte erklärend hinzu: »Is doch hia nischt los uff'n Kurfirstendamm – schoon alleene der Jestank von die Automoppels!«

»Ick kann mia doch aba nich in't Hemde an die Jedächtniskirche vorbeifejen lassen – det schickt sich doch nich« – lehnte Frau Lemke ab.

»Wennste deen kinstlichet Jebiß anhast« – sagte Onkel Karl.

»Aba det liejt doch in den Strandkorb« – und Frau Lemke schüttelte ärgerlich den Kopf über diese ungeheuere Gedächtnisschwäche, die Onkel Karl bekundete.

»Denn soll Lieskin mit'n blauen Amtsrichter 'runtafahren und et holen« – sagte Herr Lemke.

»Edwin looft schnella« – mischte sich Onkel Karl wieder ein.

»Wo kann er denn – der bleibt hia uff'n Kurfirstendamm und kriejt Nachhilfestunden« – fuhr ihn Frau Lemke an, aber in diesem Augenblick streckte die Selige ihren Besen aus, und Frau Lemke saß neben den andern im Müll.

»Sehste – die Sache macht sich« – sagte Onkel Karl, »hia tropp dia 'n bißken Kitt uff'n Kopp, det is bessa wie Hodekolonje – wenn dia etwan schwach werden sollte!«

»Mia wird nich schwach« – sagte Frau Lemke – »wenn ick bloß wißte, wodruff ick hia sitze, et is so weich!«

»Det is Liesken« – sagte Herr Lemke und zog seine Tochter vor.

»Nu is se janz platt – wie so 'ne Flunda,« sagte Onkel Karl, »jib ma' her, ick werde ihr uffpusten!«

»Aba nich zu sehre, sonst platzt se« – meinte Frau Lemke.

Aber Onkel Karl konnte wieder einmal nicht hören, er nahm seinen Blasebalg und pumpte Lieschen so viel Luft ein, daß sie rund wie ein Gummiball wurde.

»Hör' uff, Karrel«, rief Frau Lemke warnend, aber es war schon zu spät – mit einem furchtbaren Knall ging Lieschen auseinander.

»Sehste – det haste von,« sagte Herr Lemke wehmütig, »nu is se jeplatzt!«

»Det is doch man bloß simbolisch« – sagte Onkel Karl noch, das war das letzte, was Frau Lemke verstand. Im nächsten Augenblick fing die Selige, die während der ganzen Zeit verwundert den Kopf geschüttelt hatte, an zu kehren, daß der Staub hoch aufwirbelte und Frau Lemke mit dem Kopf hart an das Haus in der Potsdamer Straße anschlug.

»Jott – wat is dia denn, Mutta« – fragte Herr Lemke. Er stand – so wie er aus dem Bett gestiegen – mit einem Licht neben ihrem Lager und starrte sie ängstlich an. »Wat stöhnste denn so jammerbar?«

»Liesken is jeplatzt,« brachte sie mühsam hervor, »und denn ha'ick mia eben so furchtbar an'n Kopp jeschlajen ...«

Und dann kam sie ganz zur Besinnung, richtete sich im Bett auf und blickte um sich. Ein tiefer Atemzug entrang sich ihr, als sie sah, daß alles noch so war wie vorher. »Willem« – sagte sie und faßte nach seiner Hand – »Willem, du hast ja keene Ahnung nich, wat ick for jräßlichet Zeich eben jetreimt hab'. Aba jeh' man erst wieda ins Bette, sonst akält'ste dia, ick azehlet dia jleich allst, erst muß ick mia noch 'n bißken aholen, ick bin ja janz naß jeschwitzt!«

»Mutta – du hast in'n Schlaf jestöhnt, a's wenn dia eena die Neese abklemmt« – sagte Herr Lemke. Als er dann aber hörte, was seine Frau durchgemacht, war er vom größten Mitleid erfüllt.

Und noch lange nachher lagen sie beide wach da und überdachten den sonderbaren Traum.

»Wat hat Onkel Karrel zuletz jesajt – et is simbolisch?« fragte Herr Lemke. »Denn hat er ooch janz recht, det is ooch simbolisch!«

»Uff Karreln lej ick janich son Jewicht,« sagte Frau Lemke, »die Hauptsache vor mia is die Selje. wenn die mia in'n Traum erschienen is, denn hatte det imma wat zu bedeiten!«

»Hat's ooch – und wat's diesmal bedeitet, is ja janz klar. Frieha hat se bloß imma jewunken oda wat jeruppt, aba so deitlich is se noch nie nich jewesen, wenn se uns von'n Kurfirstendamm runtafejt, denn haben wia hia ooch nischt zu suchen. Denn missen wia uff ihr hören und abziehen, wia jehören ja ooch janich nach WW. – in det bloße W. sind wia ville jlicklicher jewesen. Man jut, det ick det Haus in die Potsdamer Straße dunnemals nich vakooft habe – nu können wia ja imma wieda zurück.«

Frau Lemke antwortete nicht, gab ihrem Mann aber recht. Erst eine ganze Weile später sagte sie: »Na – ick bin ja jespannt, wat Onkel Karrel zu meent, den wird det woll doch 'n bißken schmerzlich ankommen.«

Als Onkel Karl am nächsten Morgen hörte, welche Entscheidung über Nacht gefallen war, zog er allerdings die Augenbrauen hoch. »Mia kann't recht sind,« sagte er schließlich, »det is hia 'ne jefährliche Jejend. Um een Haar hätte ick mia beinah mit eene Engländerin oder Amerikanerin vaheiratet – und det wär' doch recht schade um mia jewesen!«

Vier Wochen später siedelten Lemkes in ihr altes Heim über, zur Freude aller, die sie in der Gegend dort gekannt.


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