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X. »Das kommt in den besten Familien vor!«

In den nächsten Tagen bekamen die Hausbewohner Onkel Karl selten zu sehen. Er ging schon früh morgens weg und kehrte gewöhnlich erst gegen Toresschluß wieder heim.

»Ick rescherschiere,« sagte er, kurz abweisend, wenn er gefragt wurde.

»Denn rescherschiere –« sagte Herr Lemke ärgerlich, »ihr habt jetzt alle een jeheimnisvollet Jemache und Jetue, det's schaualich is.«

»Laß mia man, Willem, ick werde dia späta allet haarkleen azehlen, vorleifij muß ick dadrieba det strengste Stillschweigen bewahren.«

Und eines Nachmittags – etwa eine Woche später – zog sich Onkel wieder seinen schwarzen Rock an, setzte den Zylinderhut auf, bestieg in der Bülowstraße eine Droschke und hieß den Kutscher im schärfsten Trab nach dem Fischerviertel fahren.

Als der Wagen vor dem kleinen Hause dort hielt, steckte Onkel August seinen roten Kopf zum Fenster hinaus. »Wat is denn los, Karrel?« fragte er.

Aber Onkel Karl nahm vorläufig keine Notiz von ihm, sondern erteilte dem Kutscher so eingehende Instruktionen, daß der Mann schließlich ganz verwirrt wurde. »Also – ick soll jetz hia warten?« fragte er.

»Sie warten hia, det an'nere werd' ick Sie nachher noch 'mal sagen!«

Dann stieg Onkel Karl die Treppe hinauf, begrüßte mit steifem, ernsten Kopfnicken den auf dem Flur wartenden August und ging in die Stube.

»Setz dia, Aujust – ick hab' mit dia zu sprechen.«

»Jott, saje doch bloß schon, wat los is, mia rihrt sonst der Schlaj –« jammerte August.

»Denn laß ihn dia riehren, ick warte so lange. Denn wat ick dia jetz zu sajen habe – det mußte mit deene sämtliche Sinne bejreifen, du wirst so astaunen, det ick die jrößte Mihe haben werde, dia wieda zurückzuschrauben. Aba zum Trost saje ick dia: det kommt in die besten Familjen vor.«

Onkel August setzte sich, zog – für alle Fälle – sein rotes Schnupftuch aus der Tasche und breitete es auf den Knien aus. Dann schloß er die Augen, klatschte sich mit der Hand ein paarmal an die Stirn und sagte: »Ick höre!«

»Also – ick werde dia nu frajen und du hast zu antworten. Wie lange is det her, det der Herr Hahn mit den Klaviaunterricht anjefangt hat?«

»Vorichtes Jahr, so um diese Zeit –« sagte August nach sorgfältiger Überlegung.

»Det halte fest, det is sehr wichtij, achte besonners uff den Zeitraum. Zweetens: Is dia janischt an deene Jattin uffjefallen, eh' se vaschwand?«

»Nee!«

»Aujust, besinn dia doch – du wirstet sonst nich fassen. Is dia also janischt an deene Jattin uffjefallen – Mensch, haste denn keene Oojen in'n Kopp jehabt!«

Onkel August sprang auf: »Ick atraje det nich, Karrel, ick werde varrickt, wennste mia noch länga so fragst. Saje mia also bloß det eene: Haste ihr oda haste ihr nich – is sie tot oda labundij?«

»Det is doch zweealei –« sagte Onkel Karl ärgerlich, »aba ick sehe, mit dia muß man an'ners vafahren – jeschäftlich, reen jeschäftlich. Also, jieb die hundert Tala 'raus, die Quittung drieba ha' ick schon ausjestellt.« Er faßte in die Brusttasche und zeigte ein Stück Papier vor.

»Wat denn for hundert Tala?« fragte August und riß erstaunt seine kleinen, schwarzen Augen auf.

»Die du mia for die Uffindung von deene liebe Jattin ausjesetzt und vasprochen hattest –« sagte Onkel Karl ernst und feierlich.

»I – is mia doch janich in'n Traum injefallen, ick weeß von nischt –« wehrte August ab.

»So – –?« Karl sah ihn von oben bis unten und dann recht ostentativ nochmal von unten bis oben an, dann machte er langsam Kehrt und stülpte den Hut auf.

Als er an der Schwelle war, sagte August: »Seh mal, Karrel, wenn ick fimf Tala saje, denn is det doch reichlich jenuj!«

»Wofor?« schrie Onkel Karl, machte mit einem jähen Ruck kehrt und ging drohend auf den zurückweichenden August los: »Wofor sind fimf Tala jenuj? For meene Bemühungen Taj und Nacht, for meenen Spürsinn, for den Eifa, den ick jezeijt habe? Aba, watte mal, Aujust; nu ahöhe ick den Preis, nu sollste mia kennen lernen for deene abärmliche Schäbigkeet – – –«

Onkel Karl hatte den Zylinder vom Kopf genommen und fuchtelte damit so erregt, daß man erwarten konnte, er werde den Hut an der Tischkante kurz und klein schlagen.

Und dann mäßigte er sich wieder, seine Stimme nahm einen eisigen verächtlichen Klang an. »So seid ihr aba imma jewesen – du und deene Frau – sonne Knickers, sonne Jeizknippel, sonne Nassauers! Eena hat's imma uff'n an'nern jeschoben – aba nu zeijt ihr eich ja in volle Jlorie – in benjalische Beleichtung, puih – Deibel!«

»Spuck bloß nich in die Stube – der Nappen steht da in die Ecke –« sagte August. »Ick for meenen Teil finde et janich scheen, det du dia nich aus Vawandtschaftsjefiehle, son'nern aus Jeldjier hintaher jemacht hast. Ick, an deene Stelle, wirde mia scheniert haben, ooch nua eenen Dreia for anzunehmen!«

»Habt ihr mia jemals jezeijt, det ihr Verwandte von mia seid?« fragte Karl verächtlich. »Habt ihr mia dunnemals untastützt, als ick durch den Bau in sonne Not war, als ick meenen treien Nulpe vakoofen wollte und ick in meene Angst und Vazweiflung nich wußte, wo ick mia vor die Jläubija vakroochen sollte! Und da valangste nu, det ick mia for dia jratis totmache?«

»Wer hat denn det valangt, da wären doch Bejräbniskosten entstanden und wie ick dia mit deene Ansprüche an Leichenfeiern kenne, hätten da keene hundat Tala jelangt, det wär' mia bloß noch teirerer jekommen!« sagte August höhnisch.

»Jenuj – is jut – hör uff –« lehnte Onkel Karl die weitere Verhandlung ab. »Ick könnte ja nu jehen und dia wieda in völlije Unjewißheet lassen, aba ick bin een zu jutmütija Mensch. Also merke dia foljendes: In die Schossehstraße, in det Eckhaus an die Weidendammerbricke, uff die rechte Seite, wennste von hia kommst, wohnt eene Hebeamme Neimann. Bei die klingelste und sajst, du wollst dia bloß ma' nach det Befinden von Mutta und Kind akundjen kommen!«

August kniff die Augen zusammen: »Woso – Mutta und Kind?« fragte er.

»Det wird sich schon uffklären –« sagte Karl, »jedet weitere Wort kost't zehn Tala – und det is dia zu teia, wahr, meen lieba Aujust? Na, also nu adje, mach's jut, meene Zeit is mia zu kostbar, a's det ick mit dia noch länger verschwenden sollte.«

Ohne sich weiter um das aufgeregte Gebahren Augusts zu kümmern, ging Onkel Karl hinaus und gab dem Kutscher Anweisung, in die Gegend der Landsberger Straße zu fahren.

»Det is dann een Uffwaschen,« sagte er sich, »die vaflixte Geschichte mit Aujust bin ick nu los – nu will ick noch 'mal bei Tante Marie sehen und denn komme ick endlich wieda zu meene Ruhe!«

Herr Krause, der Zigarrenhändler, empfing ihn diesmal sehr freundlich. »Meine Frau is wieder auf'n Posten,« sagte er, »nehmen Sie, bitte, Platz, se wird jleich da sind.«

Und dann kam Tante Marie auch wirklich zum Vorschein, ein bißchen schief und krummgezogen, aber immerhin – sie hatte doch schon etwas von ihrem alten Wesen wieder.

»Na – sehste woll,« sagte Onkel Karl, »wenijstens eene kleene Freude uff all den Ärjer und die Uffrejung, die ick in die letzte Zeit habe durchmachen missen. Wie is denn nu, Marie, Frau Lemken läßt dia durch mia frajen, obste nich mit varreisen willst, um dia jrindlich zu aholen?«

Herr Krause schüttelte den Kopf: »Wia haben nich det Jeld zu Badereisen,« sagte er.

»Wa'm sajen Se denn ›wir‹, von Sie sprecht doch keena –« fertigte ihn Onkel ab. »Also – wie is, Marie? Et jeht natirlich uff unse Kosten, wenn wia dia son Vorschlag machen. Ick wollte dia heite schon hundert Tala Zuschuß bringen, aba det Jeschäft hat sich leida zaschlajen!«

»Ick findet sehr riehrend, wie du dia um mia sorjst, aba reisen is nischt for mia. Ick kann det Jestuckere uff die Eiserbahn nich vatrajen.«

»Also – wenn det nich is, denn läßt dia Jroßvata frajen, obste so lange, wie Willem mit seene Frau und die Kinna wej is, bei ihn kommen willst. Du sollst bloß die Minna 'n bisken beuffsichtijen und den janzen ibrijen Tag könnste hinten in'n Jarten in die Sonne sitzen und dia den Puckel wärmen.«

Tante Marie sah ihren Mann fragend an.

»Von meenswejen,« sagte Herr Krause, »immazu. Det bisken Fraß hab' ick mia ja schon seit Wochen alleene jekocht, also – ick hätte nischt jejen!«

»Denn is det abjemacht,« sagte Onkel Karl. »Mia is det eene jroße Beruhjung, denn weeß ick doch det Haus in jute Hände und brooch' mia keene Sorjen zu machen.«

Da sie ihn beide erstaunt ansahen, sagte er: »Ick reise natierlich ooch wej, ick muß mia den Wind 'mal wieda orntlich um die Neese jehen lassen, sonst vasaure ick hia noch. Und denn – ihr könnt eich doch denken, wenn eena so lange uff See jewesen is, denn kriejt er Heimweh nach!«

»Wenn soll denn die Jeschichte losjehen?« erkundigte sich Herr Krause.

»Nächste Woche,« sagte Onkel und stand auf, »ick schreibe dia vorher, Marie, oda komme villeicht ooch noch mal her. Also seh zu, dette dia for die Ibasiedlung instand setzt. Und nu will ick den Kutscha nich länga warten lassen, die Jeschichte kost mia heite schon 'n Vamejen!«


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