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X. Jour bei Lemkes

Onkel Karls Vorschlag hatte schließlich allen eingeleuchtet, wenn sich Lemkes auch nicht ganz des Gefühls erwehren konnten, daß dieses Arrangement für sie selbst nicht gerade von Vorteil sei.

»Et sieht doch 'n bißken komisch aus« – hatte Frau Lemke immer wieder gesagt.

»Ick weeß nich – det is doch det Allavaninftijste« – meinte Onkel Karl eigensinnig – »wenn ick die Leite, die hungrij von eiern Schuhrfix wejjehen wollen, bei mia jleich zu det Herrendinehr riebafiehre.«

»Aba – denn werden se denken, det wir sie nischt vorsetzen können« – hatte auch Herr Lemke noch einmal zu protestieren versucht. »Mach's doch lieba 'n andern Taj!«

»Denn sollen se't denken – sonne Leite, die een'n Schuhrfix nich von eene Fehte untascheiden können und übaall essen wollen, jehören ibahaupt nich bei uns. Ick findet sehr praktisch, det sich die Herren nich erst extra jroß anzuziehen brauchen, wenn sie bei mia kommen, sonnern jleich zwee Fliejen mit een reenet Obahemde schlajen können.«

»Na denn seh zu, wieste se beisammen kriejst, ick jloobe ja, die Sache wird schief jehen. Die meisten werden dia 'n Korb jeben und et unschicklich finden!«

»Dafor is mia nich bange«, sagte Onkel Karl, »et sind lauta dauerhafte Sachen, die ick jekooft habe, und wat diesmal nich uffjejessen wird, is for nächstet Mal!«

So sah man ihn heute, am Empfangstage der Frau Lemke, in Frack und weißer Binde nahe der Salontür stehen, um bequem seine Auswahl treffen zu können.

Aber die erste Stunde der angesetzten Zeit war schon vorüber, ohne daß ein einziger Besucher erschienen wäre.

»Ick jloobe, wia sind allesamt uffjeschmissen«, meinte Onkel Karl zu Frau Lemke, die in ihrem grünen Eigenkleid vor dem großen Spiegel stand und sich mit ihrer Frisur zu schaffen machte.

»Ick jloobe ooch« – sagte Herr Lemke, der mit schmerzverzogenem Gesicht am Kamine saß. »Wenn ick mia vorher bloß det Hiehnaooje abjeschnitten hätte – aba wenn ick mia jetz den Lackstiebel auszieh, denn klingelt's – denn kommen se jewiß!«

»Zieh'n dia man janz ruhij aus« – ermunterte Onkel Karl, »vielleicht lockste uff die Weise die Bande an!«

»Du behälst dein'n Stiebel an« – sagte Frau Lemke streng – »det wär' ja noch schöna, hia in Strimpe rumzuloofen, wenn ick meen'n Schuhrfix habe – wozu schmeißte denn det ville Jeld for die Pediküre raus, wenn se nischt bei dia nutzt.«

»Weil det mia zu sehr kitzelt« – fuhr Herr Lemke auf – »ick hab't dia ja schon neilich jesajt!«

»Kinda – zankt eich nich«, ermahnte Onkel Karl, und triumphierend setzte er hinzu: »Ick bin bloß froh, det ick meene Konservenbicksen nich uffjemacht habe, denn det wirde nu allst vakommen, alleene kriej ick's doch nich uff!«

»Det aba ooch nich een eenzja kommt« – sagte Frau Lemke niedergeschlagen, »ick hab' doch an so ville Karten jeschickt!«

»Haste denn nich druffjeschrieben, dette eene besonnere Attraksjohn hast?« erkundigte sich Onkel Karl.

»Wat is denn det nu wieda?« fragte Frau Lemke mißtrauisch.

»Attraksjohn is, wenn man eenen vorfiehren kann, der 'n bißken Fez macht« – sagte Onkel.

»Det bist du woll? Dette wieda die Leite ihre juten Sachen mit deene Zaubakunststücker vaderbst – wie vorijet Jahr!«

»Ick jeb mia zu sowat nich mehr her«, sagte Onkel Karl verschnupft – »aba an deene Stelle wirde ick doch Tante Marie abjerichtet haben, det se als Medjum ufftritt und die Zukunft wahrsajt. Ibahaupt – Jeistasitzungen mit Lemkes selje Witwe – denn sollteste mal sehen, denn wär' det hia wie in eenen Ameesenhoofen!«

»Tante hört ja zu schwer«, sagte Frau Lemke, »und die Selje wollen wia man lieba zu sowat nich mißbrauchen, det könnten wia sehre bereuen!«

»Wenn wenijstens deene varrickte Thomson käme« – sagte Herr Lemke.

»Die is ebensowenij varrickt wie du, davon kannste dia heite abend noch ibazeigen, denn die kommt, da kannste Jift druff nehmen« – sagte Onkel Karl.

In diesem Augenblick klingelte es: Frau Lemke setzte sich rasch auf das Sofa, Herr Lemke preßte schleunigst den schmerzenden Fuß in den halbheruntergezogenen Stiefel, und Onkel Karl lehnte sich an den Türpfosten, kreuzte die Beine und streckte die Fingerspitzen der rechten Hand in die tief ausgeschnittene Weste.

Minna, das Dienstmädchen, hatte geöffnet – es war aber nur Tante Marie, die da kam. »Wer is denn schon allet da?« fragte das alte Frauchen, während es wie ein Huhn scharrte, um die Gummischuhe abzustreifen.

»Jehen Se man rin« – sagte Minna – »denn werden Se ja sehen!«

Tante rückte aber erst ihren falschen Scheitel vor dem Spiegel grade, zog sich die Handschuhe aus und trippelte ängstlich näher.

»Wia sind noch unta uns«, sagte Onkel Karl, »hab man also keene Bange nich! Wie jeht's denn heite mit deene Trommelfelle?«

Tante nickte ihm freundlich zu: »Ja – janz neie Pelle« – sagte sie, an ihrem lila Seidenkleid zupfend und tuschelte ihm dann zu: »Karrel, wer is denn schon allet da?«

»Ick« – sagte er, auf sich deutend. Als Tante dann aber über die Schwelle trat und nur Herrn und Frau Lemke in verschiedenen Ecken sitzen sah, riß sie erstaunt die Augen auf: »Hat woll noch nich anjefangt?« Sie zog ihr Hörrohr hervor, steckte es ins Ohr und hielt die Öffnung Frau Lemke hin.

»Nu wird se mia gleich wieda det Jebiß schief hauen«, sagte Frau Lemke, und dann schrie sie: »Seh dia 'n bißken mit det Rohr vor – setz' dia in die Mitte an den kleenen Tisch, det's 'n bißken volla aussieht!«

»Det scheint heite wieda janz schlimm mit ihre Ohren zu sind« – sagte Herr Lemke, gleichsam die Probe machend und ganz laut und ungeniert sprechend.

»Kiek ma', wie se de Schallwellen uffangen will«, sagte Onkel Karl, »aba et nutzt se nischt, imma, wenn draußen feichtet Wetta is, is se janz toob!«

Und dann lauschten alle gespannt – es hatte wieder geklingelt. Der Ankömmling war ein bieder und rechtschaffen aussehender Mann, der sich vor dem Spiegel im Korridor Bart und Haare kämmte.

»Der wird sich ooch noch hia die Zehne putzen«, sagte Onkel Karl, von seinem Lauscherposten dem Ehepaar Lemke berichtend. »Den ha' ick injeladen, det is det neie Mitjlied von den Vaein ›Blaue Kaffeetiete‹, seid man recht freindlich zu ihn, sonst stottert er, und denn fängt er in seene Angst an zu singen!«

»Wie kannste denn sowat inladen«, sagte Frau Lemke wütend.

»Laß jut sind, der kann sich mit Tante Marie untahalten!« Und dann winkte er dem Verlegenen: »Kommen Se man näha, Ha Bartusch, jestatten Se, det ick Ihn'n vorstelle!« Und nachdem Onkel das getan, dirigierte er ihn zu Tante Marie: »Hia – setzen Se sich – jottseidank, nu sind wia schon fimfe, det Lokal wird allmählich voll werden!«

»W–w–wird ooch jesungen? Ick hab' meene Noten mitjebracht«, sagte Herr Bartusch.

»Nee« – sagte Onkel, »jesungen wird nich, dazu sind Schuhrfixe zu fein, aba Sie werden ja selbst sehen!«

Wieder ging die Klingel. Diesmal aber geriet Onkel etwas mehr in Aufregung: »Et is die Thomson« – benachrichtigte er Lemkes, und zu Herrn Bartusch gewandt, fügte er als Erklärung hinzu: »Unse Schuhrfixe sind intanatzjonal – aus alle Lända kommen se bei uns!«

Miß Thomson, in ihrem langen, schwarzen Schleppkleide, machte einen sehr distinguierten Eindruck. Onkel Karl hielt es für nötig, ihr im Korridor entgegenzugehen, sie zu begrüßen und ihr den Arm zu bieten, was sie ein wenig verwundert annahm.

»Jestatten Se, det ick die Anwesenden miteenander bekannt mache«, sagte er. »Mißtreß Thomson aus Ämerrikä – Herr und Frau Lemke, det is Herr Bartusch und det hia unse Tante Marie, die 'n bißken toob is, wie Sie jleich an det Höhrrohr akennen können!«

Man setzte sich und alle starrten Miß Thomson erwartungsvoll an.

»Schlechtet Wetta heite«, suchte Herr Lemke die Konversation zu eröffnen, aber Onkel Karl winkte ihm ab.

»Bist woll varrickt, Willem« – sagte er vorwurfsvoll, »die kann doch bloß jebrochen deitsch und et is sehr unhöflich, wennste da nich in ihre Muttasprache mit sie redst!«

»Na« – sagte Herr Lemke – »det scheint ja hia heite 'ne scheene Schuhrfixerei zu werden: Eene is toob, der annere stottert und die sprecht nu wieda bloß jebrochen, hoffentlich kommt jetz noch 'n Taubstumma!«

»Wenn't dia nich paßt«, sagte Onkel Karl gereizt, »denn werd' ick sie sajen, se soll wieda nach Hause jehen!«

»Nimm doch nich jleich allet so krumm«, beschwichtigte ihn Herr Lemke, »ick find et nua vakehrt, det se so alleene dasitzt und keena wat mit sie red't!«

»Lasse man janz ruhig sitzen«, sagte Onkel, »wenn se't zu langweilij wird, denn wird se schon wat anneret machen.«

Im Korridor ertönte jetzt die Klingel ein paarmal rasch hintereinander – gruppenweise kamen die Besucher: Das Ehepaar Zillmann, die jungen Lemkes, ein paar andere Mitglieder des Vereins »Blaue Kaffeetiete«, Tante Liese mit ihrer Tochter Gertrud und zum Schluß ein Gast – den Onkel Karl am wenigsten erwartet: Jener elegante Herr, den er kürzlich mit der jungen Frau Zillmann in der Teestube des Warenhauses gesehen hatte.


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