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XIV. Der Verein gegen die Seekrankheit

»Ihr derft nich int Wassa kieken,« warnte Onkel Karl, »sonst wird's imma schlimma ...«

Frau Lemke sah ihn verwundert an: »Ick weeß nich, watte willst, wen is denn schon schlimm, det Schiff fährt doch so scheen wie'n Omnibus.«

Auch die andern waren dieser Ansicht. Die frische Luft und der Wind tat allen wohl nach der langen Eisenbahnfahrt.

»Wi'ste dia nich wieda 'n bisken mit den Kaptän untahalten jehen«, ermunterte Frau Lemke und stieß Onkel Karl sanft an.

»Na – ja« – sagte er. Und als er sich dann, ein wenig schwankend, entfernte, schüttelte sie mißbilligend den Kopf. »Et is 'n bisken schenierlich mit Onkel – er zieht mit seenen Ölpaletöter und die varrickte Schweinsblasenmitze die alljemeine Uffmerksamkeit uff sich. Keen Mensch hat sich so ausstaffiert. Wenn er wieda hia vorbeikommt, wollen wia man wejkieken und so tun, als wenn wia'n janich kennen.«

Auch Onkel Karl schien die staunende Bewunderung, die er – nach seiner Kostümierung an einem stillen Ort des Schiffes – bei den Fahrgästen erregte, allmählich etwas unbehaglich zu werden. Die Genugtuung, die er zuerst empfunden, war gewichen, als er gemerkt hatte, daß dem Kapitän an einer »nautischen Unterhaltung«, die er ihm vorgeschlagen, nicht besonders viel gelegen zu sein schien. Und auch die beiden Matrosen gaben ihm, trotz der Zigarren- und Kautabakspenden, etwas unbefriedigende Auskünfte, als er sich bei ihnen nach den Seehundsbänken erkundigte.

Nun, nach dem mißglückten Versuch, seine Zugehörigkeit zu den Lemkes zu zeigen, irrte er auf Deck umher und stärkte sich ab und zu durch einen Schluck aus der Kognakflasche. Und allmählich kehrte das Selbstvertrauen wieder, er begann den Dampfer einer sorgfältigen Untersuchung zu unterziehen.

Als er gerade damit beschäftigt war, ein Senkblei vom Deck in den unteren Schiffsraum zu lassen, wurde er etwas unsanft beiseite gestoßen.

»Donnawetta, wat soll denn det heeßen«, sagte er ärgerlich, aber man kümmerte sich gar nicht um ihn. Einer der Matrosen und ein Steward stützten eine junge Dame, die – den Kopf zurückgelegt, mit stieren Augen aus käseblassem Gesicht gen Himmel blickend – einem einsamen Platz auf Deck zugeführt wurde, wobei ihre Füße zeitweilig in der Luft marschierten.

Onkel Karl, der wegen des unsanften Puffes den Matrosen zur Rede stellen wollte, wurde plötzlich kleinlaut. Er rollte sein Senkblei zusammen, und als er dann sah, daß man die junge Dame ihrem Schicksal am Schiffsrande überließ, umkreiste er sie ein paarmal und ließ sich in einiger Entfernung von ihr nieder.

Ein Blick aus verzweifelten, ganz verstörten Augen traf ihn, dann wandte sich die junge Dame mit einem jähen Ruck ab und ließ ihren Kopf über das Geländer hängen.

»Wat machen Se denn da« – sagte Onkel Karl, näher herangehend und neugierig über Bord sehend. Und dann wich er etwas zurück und fragte interessiert: »Sind Sie bloß so ibel jeworden oda haben Sie die richtje Seekrankheet?«

Die junge Dame bedeutete ihm durch schwache Handbewegungen, ohne den Kopf zu erheben, daß Onkel Karl ihr den größten Gefallen täte, wenn er sich schleunigst entfernen wollte. Aber er blieb – wartete gespannt, bis die Leidende von einem neuen Ruck erschüttert wurde und sah dann jedesmal mit großem Interesse über das eiserne Geländer.

Und dann stellte er die Diagnose: »Se haben janz entschieden die rejuläre Seekrankheit – denn derfen Se aba nich dran denken, sonnern müssen irjendwo uff eenen festen Punkt kieken – am besten nach'n Himmel! Villeicht trinken Se ooch'n Konjak – aba erst werde ick noch eenen nehmen, denn können Se sich die Pulle behalten, ick will se janich wiedahaben!«

Doch – auch dieses freundliche Angebot fand keine Beachtung. »Denn nich – umso bessa,« sagte Onkel Karl, »det bisken, wat drinne is, brooche ick schließlich alleene! Denn nu wird mia ooch schon janz kodderig – man kann det ja janich mit ansehen!«

Die junge Dame hob plötzlich den Kopf und sagte mit dem letzten Aufgebot ihrer Kraft: »Bitte – gehen Sie doch fort!«

»Nee« – sagte Onkel Karl – »nu, wo Sie mia schon halb und halb anjestochen haben – nu bleibe ick ooch schon! Passen Se uff, jetzt können wia beede bald een'n Vaein der Seekranken jrinden – – –«

Das war das letzte, was er – noch anscheinend heiter und wohlgemut – gesagt, im nächsten Augenblick hob er die Arme, als wolle er fliegen und hing mit dem Oberkörper über dem Geländer.

Als er – mit grünlich schimmerndem Gesicht – sich wieder nach der jungen Dame umzuwenden vermochte, sagte er, ein wenig mühsam, aber mit einer gewissen Befriedigung: »Sehen Se – nu ha'ick se ooch! Is doch ville bessa, man aleichtert sich – schade man bloß um den scheenen Konjak! Et wird ibrigens jleich noch mal losjehen ...«

Als er so dastand, als wolle er niesen, bemerkte er Edwin, der ihn offenbar suchte.

»Ohio – ohio –« brachte Onkel Karl mühsam hervor und winkte ihm näher. »Hia bin ick ja – komm' ma her – ick hab' die Seekrankheet«, erklärte er triumphierend. »Bleib hia, nich wieda wejloofen! Eenmal ha'ick meenen Tribut schon bezahlt – paß uff, jetz kommt det zweetemal, da kannste sehen, wie man sich bei benehmen muß!«

»Ick will bloß die andern holen,« sagte Edwin eifrig, »warte doch noch n' bißchen, Onkel ...«

Als aber die Familie Lemke und Herr Fiedler erschienen, fanden sie Onkel Karl zusammengesunken auf einer Bank, und ein Matrose sprengte aus einem Schlauch einen kräftigen Wasserstrahl gegen die Kanalisationsarbeiterstiefel und den schönen Ölrock.

»Nanu – Karrel –« sagte Herr Lemke mitleidig.

»Jetzt – wej –« brachte Onkel mühsam hervor, »jetzt – man – alle wieda – wej! Ihr hättet frieha kommen missen – denn hättet ihr's jroßartij sehen können, wie't is. Nu – kann ick nich mehr – nu bin ick wie eene ausjenommene Jans.«

»Ach, du lieba Jott,« sagte Frau Lemke verächtlich – »und sowat hat sich imma uffjespielt als Seemann. Ick denke, du warst frieha Matrose und bist sojar aus'n Mastkorb jefallen?«

Mit gebrochenen Augen sah Onkel Karl erst sie und dann die andern an. »Det is ja keen Beweis nich,« sagte er, »det is wie mit Milchreis. Frieha, als Kind, hat man ihn sehr jerne mit Streizucka und Zimmt jejessen, aba jetz wird een schlecht nach. Frieha bin ick jahrlang uff die jrößten Ozeane jefahren und hab' keene Seekrankheet jekriejt, aba dafor ibafällt se mia jetz janz heimtickisch. Und nu seht alle wej und laßt mia ruhij sterben!«

»Denn kommt und laßt ihn man,« sagte Frau Lemke, »ick könnte sowieso den Anblick nich länga atrajen. Liesken, jeh nich so nahe an Onkel ran!«

»Wenn du die ersten Anzeichen merkst,« sagte Onkel Karl zu Frau Lemke, »denn nimm noch rasch deen Jebiß 'raus, sonst is et for imma futsch!«

Frau Lemke schüttelte mitleidig den Kopf: »Karrel – Karrel, wat da bei dia vorhin 'rausjekommen, det wird Jalle jewesen sind. Denn sonst kann ick's nich vastehen, wie du in sonne hundsmiserable Vafassung noch so bissig sind kannst – wat haste denn jejen meen Jebiß!«

Herr Lemke suchte zu vermitteln: »Nu zankt eich doch bloß nich hia vor die Leite – se kieken uns sowieso alle schon so merkwirdij an! Außadem sind wia jleich da!«

»Ach – du lieba Jott – denn missen wia doch unse Sachen zusammenpacken,« sagte Frau Lemke erregt. »Und denn wollen wia uffpassen, det wia uns nicht valieren, haltet eich alle hibsch 'ran an mia!«

Auch der andern Fahrgäste hatte sich eine gewisse Erregung bemächtigt – man drängte sich an einer Stelle des Decks neugierig zusammen und spähte mit Krimstechern und Fernrohren nach dem Lande aus.

»Edwin,« sagte Frau Lemke, »jieb mia ooch ma meenen Opankieka!« Und als sie dann durchgeblickt, setzte sie ihn enttäuscht wieder ab: »Det soll 'ne Insel sind – jloob ick nich – 'ne Insel is doch rund!«


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