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IX. Im Teezimmer des Warenhauses

Die junge Frau hatte nichts mehr darauf erwidert – es erschien ihr so aussichtslos, der Mutter überhaupt auch nur klarmachen zu können, was sie bedrückte.

Die andern – sie standen alle in einem festen Verhältnis zueinander, da gab es nichts zu rütteln und zu deuteln, die Beziehungen, Gefühle und Empfindungen waren vom Tage der Geburt an gegenseitig festgelegt, und jeder von ihnen bestand darauf mit der Beharrlichkeit des Selbstverständlichen ...

Sie allein fühlte sich entwurzelt – losgerissen – schwamm dahin – quälte sich mit einer Erkenntnis, daß so viel Verpfuschtes in ihrem Leben sei, und spürte ihre Ohnmacht, es zu ändern.

»Det sind die Nerven« – hatte Frau Lemke in der ersten Zeit immer gesagt, und auf die »Nerven« wurde nun alles geschoben. Nach der Hochzeit hieß es dann stets, wenn sie geklagt hatte: »Laß jut sind, Lieskin, warte man, wenn erst wat Kleenes da is! ...« In der letzten Zeit aber seufzte Frau Lemke nur noch resigniert: »Ja – ja – det is so in die Ehen, wo keene Kinda sind!«

Ratternd – knatternd – hielt das Auto, das die junge Frau nach Hause gebracht, vor der Tür. Sie stieg aus, benutzte den Fahrstuhl, um in die erste Etage zu gelangen und betrat die Räume der großen, stillen Wohnung.

»Niemand dagewesen?« fragte sie das Mädchen, das ihr beim Ablegen der Sachen behilflich war.

»Nein – gnä' Frau! Der gnä' Herr haben nur angeklingelt, daß er verhindert sei, zu Tisch zu kommen!«

In ihrem Schlafzimmer – das ihres Mannes lag am entgegengesetzten Ende des langen Korridors – knipste sie das elektrische Licht vor dem Toilettentisch an, setzte sich und betrachtete forschend ihr Gesicht.

Und – wie immer bei dieser Prüfung – gab sie den Zügen sofort jenen Ausdruck, schnitt jene pikante Grimasse, die das Stumpfnäschen, das schielende Augen, den starken Auftrag des Puders übersehen ließ.

Dann plötzlich erhob sie sich – ging hinüber in das Arbeitszimmer ihres Mannes, nahm den Hörer vom Telephon und ließ eine Verbindung herstellen. »Hallooh?«

Sie lauschte gespannt: »– – – Sie selbst – sind Sie selbst am Apparat? Ja? Also – hier – Sie wissen schon – ich – habe – heute Zeit – werden Sie dort sein können?«

Sie lächelte, während sie auf die Worte lauschte, die aus dem Hörrohr zu ihr drangen: »Auf Wiedersehn, also – in einer halben Stunde!«

Eine Sekunde stand sie und überlegte – die Hand vor den Augen – was eben geschehen war. Und dann ging sie entschlossen in ihr Zimmer zurück und machte sich wieder zum Ausgehen fertig. Ein Druck auf die Klingel – das Mädchen erschien.

»Wenn der Herr kommen sollte und ich noch nicht zurück bin, sagen Sie ihm, daß ich einige Besorgungen mache!«

Eine Viertelstunde darauf verschwand ihr blaues, elegantes Tailormade-Kostüm im Untergrundbahnhof Zoologischer Garten. Kurze Zeit darauf tauchte es am Leipziger Platz wieder auf. Einige wenige Schritte noch über den Fahrdamm – dann war die junge Frau von dem Gewühl des großen Warenhauses verschlungen.

Draußen verglomm der letzte Rest des grauen, trübseligen Herbsttages, hier glitzerte und funkelte alles schon längst im Licht der unzähligen elektrischen Flammen, und die Räume waren erfüllt von dem Stimmengewirr der vielen, vielen Menschen, die sich durch die Gänge schoben.

In der Parfümerieabteilung wurde es endlich stiller und einsamer. Während die junge Frau die Auslagen zu mustern schien, suchten ihre Augen scheu den ganzen Raum ab, und die Unruhe, in der sie sich bis jetzt befunden, legte sich allmählich, als sie merkte, daß niemand ihr gefolgt war.

Dann kaufte sie ein Fläschchen Bouquet Electa und ging – mit den großen, wiegenden Schritten, die sie auf dem Tennisplatz gelernt, unauffällig zurück, stieg die breiten Treppen hinauf und glitt in das Teezimmer, in das zarte Dämmerlicht des behaglichen Raumes mit den grünen Möbeln.

Die Augen derer, die hier schon saßen, musterten prüfend einen Moment lang die Eingetretene – dann begann wieder das gedämpfte Sprechen, die Unterhaltung wurde wieder aufgenommen.

Ein Weilchen später wurde die Tür geöffnet – ein Herr spähte in den Raum – dann hatte er die junge Frau erkannt und näherte sich ihr rasch.

»Ich habe nur eine Viertelstunde Zeit« – sagte sie, während er ihr die Hand küßte.

»In einer Viertelstunde kann sich die ganze Welt für uns verändern« – flüsterte er – »jeden Tag nur eine Viertelstunde Glückes und wir haben unser ganzes Leben voll Glück verbracht!«

Mit Befriedigung konstatierte man ringsum an den Tischen, daß sich nun auch dieses Paar gefunden, daß die Beobachterin von vorhin jetzt ein Mitglied dieser geheimnisvollen Gesellschaft geworden war, die sich hier Rendezvous gab.

Er war noch jung – elastisch – und sein ganzes Wesen, angefangen von seiner eleganten Art, sich zu benehmen und zu sprechen, bis zu dem mokanten Lächeln in dem glattrasierten Gesicht, verriet den Bühnenmenschen, der sich im Rampenlicht zu bewegen gewöhnt ist.

Als er sich vorhin setzte, hatte er seine Uhr – eine winzige, goldene Damenuhr – auf den Tisch gelegt. »Wenn der Zeiger hier steht – Sie sehen, es sind kaum fünfzehn Minuten – werden Sie mir zustimmen und nicht mehr verstehen, warum Sie so lange gezaudert haben, ehe Sie mir diese Zusammenkunft gewährten.«

Was er dann weiter sprach – von der Tragik des reichen Mädchens – vom sexuellen Problem – der Ehequal und dem Recht, die eigne Persönlichkeit auszuleben – wirkte bei der Entschlossenheit, mit der er alle Barrieren übersprang, so verwirrend und betäubend auf sie ein, daß sie manchmal die Empfindung hatte, in rasender Geschwindigkeit durch endlose Weiten mit fortgerissen zu werden. Daß die Worte verklangen und sie sich schließlich bei dem einen Bestreben wiederfand, an der Gewißheit festzuhalten, daß dieser Mann hier wirklich aus jener andern, fremden Welt stammte, in die ihre Sehnsucht, ihre Träume gegangen waren, wenn sie sich unglücklich gefühlt hatte.

Und wenn er jetzt so leidenschaftlich, erregt eindringlich sprach – galt es ihr – ihr – ihr –, die er vielleicht mit dem Nimbus der verwöhnten, reichen, gelangweilten Frau umkleidete – der »Luxusdame« – der »Unverstandenen« – und die Angst vor der Blamage – wenn er die Verhältnisse erst richtig erkannt haben werde – war der bittere Beigeschmack dieser Situation. – – – – –

Aber plötzlich fuhren all die Pärchen dieses Palmenhaines mit seiner künstlich-tropischen Atmosphäre und seinen schwülen Parfümdüften jäh in die Höhe. – In das Rascheln der seidenen Kleider, das Zischeln, Flüstern, zärtliche Gebaren, klang – wie die nackte Wirklichkeit – eine kräftige, solide Stimme, die sich sehr energisch erkundigte:

»Jiebt et denn hia keen Bia nich, zun Donnawetta – ick bin doch keen Jeischa mit'n Kimono, det ick Tee trinken werde!«

Alle starrten den Herrn mit dem grauen Zylinder an. Aber Onkel Karl, der von Miß Thomson gefolgt, durch den Raum ging und sich gereizt die hohen Schäfte seiner Stupenstiefel mit der Reitpeitsche beklatschte, ließ sich durch die allgemeine Mißachtung und die zornigen Blicke ringsum nicht stören.

»Wirtschaft – Wirtschaft?« fragte er, und sich zu seiner Begleiterin wendend, sagte er: »Wär'n wia man lieba jleich bei Aschinga jejangen – is ja hia nischt!«

»Dies sein ein Paradies für die Liebe« – flüsterte Miß Thomson entzückt.

»Ja – nischt wie Vahältnisse – aba sonst janz jutet Publikum – allet Jeista, die ick schon ma' in Zoo jesehen habe. Weil't da zu kalt is for't Pussieren – jehen se hia in die Wärmehalle. Passen se uff, Mißtreß, wia kommen ooch noch in den Vadacht!«

Ein Augenaufschlag war die Antwort. »Ich weiß – Mr. Karl sein ein Verächter der Weiblichkeit – lieben nur Sport und Strapazzen.«

»Is ja ooch jreulich, wenn een awachsener Mensch sonne Kulleroojen und valiebte Schweineritzen macht« – meinte Onkel und schüttelte sich angeekelt.

Als er dann so die Tische musterte, wurde sein Blick plötzlich starr. »Aba ick bereu' et nich« – sagte er langsam und nachdenklich – während er dem Paar nachsah, das sich eben etwas hastig entfernte. Und als er die Verwunderung seiner Begleiterin bemerkte, suchte er sie abzulenken: »Wollen wia uns man da hinsetzen, wo't eben frei jeworden is« – sagte er und steuerte auf das Tischchen zu, an dem wenige Augenblicke zuvor die junge Frau Zillmann gesessen hatte. Wie ein Schweißhund suchte er, ehe er sich niederließ, das Terrain ab, brummte vor sich hin und schüttelte den Kopf.

Seine Stimmung war augenscheinlich sehr düster geworden. Miß Thomson drückte ihm leise den Arm: »Mr. Karl« bat sie.

»Nee« – sagte er – »lassen Se det – Sie sind ooch 'n Weib, wenn Sie sonst ooch ville Vorzüje vor annere haben!« Und dann brach er in eine allgemeine Klage aus: »Wa'm musset nu ooch in die Welt drei vaschiedene Jeschlechter jeben! Von det sächlije will ick ja nich reden – aba det weibliche – wa'm kann det nich ooch männlich sind! Denn wär' ville wenjer Unjlick in die Welt, det können Se mia wah'haftij jlooben!«

»O, o – Mr. Karl gefällt sich in Paradoxen« – sagte Miß Thomson lächelnd.

»Ick jefall mia in janischt« – sagte er. »Mia is det bißken Freide eben mal wieda jrindlich vasalzen worden. Aba Sie können nischt vor und det jeht ooch nich jejen Ihnen« – suchte er seine Grobheit wieder gutzumachen. Und dann setzte er das Paket, das er bisher in der linken Hand gehalten, auf den Tisch und schnitt den Faden auf, um sich die Einkäufe zu seinem »Herrendiner« anzusehen.

»Also – nu hätt' ick woll so ziemlich allet«, sagte er, die Aufschriften der Blechbüchsen mit einem Verzeichnis vergleichend – »Kavjar und Mixpickel – – –«

»Sellerie« – sagte Miß Thomson erinnernd.

»Sellerie?« wiederholt er mißtrauisch – »ja – wenn't Selleriesalat wär', aba Sie meenen wa'scheinlich die langen, jrienen Stengel?«

»Sellerie« – wiederholte Miß Thomson, durch Gestikulationen Onkels Vorstellungsvermögen unterstützend.

»Det Zeich schmeckt ja wie Jift und Jalle – det soll doch nur sowat heeßen, wenn det eena in'n Restaurang freßt! Und denn kommt man imma in son komischen Vadacht« – lehnte Onkel Karl ab – »nee, lieba wat, wat wirklich schmeckt.«

Sie suchte ihm zu helfen, so gut es gehen wollte, machte dann aber einer wehmütigen Stimmung Luft, die sie überkommen hatte, als Onkel immer wieder darauf hinwies, daß er Damen nicht einlade.

»Ich verstehen schon serr gut – Herrendiner – Gentlemen unter sich – o, mir bekannt – wollen sprecken frei von die Lunge!«

»Ja – und von die Leber und die Nieren und wat man sonst noch in'n Bauch mit sich rumzutragen pflegt. Wenn denn aba sonne Dame bei is, denn kreischt se« – sagte Onkel Karl.

Miß Thomson protestierte und deutete an, daß die Anwesenheit auch nur eines weiblichen Wesens schon genüge, um einen veredelnden Einfluß auszuüben.

»Det is det, wat ick jrade nich will«, lehnte Onkel ab.


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