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XII. Das Flugproblem

Seitdem kam Hans Zillmann regelmäßig in das Lemkesche Haus, zumeist nachmittags oder abends auf eine Stunde. Die Aussprache, die er am Tage nach der Verlobung im Beisein Onkel Karls mit Herrn Lemke gehabt, hatte offenbar zur Zufriedenheit aller geendet und nun wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit getroffen.

Hinten, an dem großen Fenster der Berliner Stube, saß von früh bis spät die Hausschneiderin, nähte und stichelte oder ließ die Nähmaschine surren.

Auch auf Edwin, den man sonst nie daheim gesehen, übten die Veränderungen im Hause ihren Einfluß aus. Er ging jetzt selten weg – nur abends war er regelmäßig verschwunden, immer kurz bevor Fräulein Grete Berg den Heimweg antrat.

»Wenn ick mia,« sagte Onkel Karl, »wenn ick mia nich so mit det Flujproblem injelassen, wirde ick uff die beeden 'n bisken mehr uffpassen. Aba ick hab' keene Zeit nich, denn det is ja eene vaflixte Kiste. Et hängt man bloß noch an een'n Haar, denn haben wia't aba 'raus!«

Ja, Onkel Karl hatte jetzt furchtbar zu tun und er konnte es nicht bestreiten, daß Frau Lemke recht hatte, wenn sie sagte: »Hättste die Windhunde nich vorher aus't Haus jeschafft, denn wirden se jetzt allesamt krepieren.«

»Wat soll ick machen,« sagte Onkel Karl verzweifelt, »die Sache muß doch jefördert werden, wenn man schon die vaflixte Hochzeit vorbei wäre, det sich der Zillmann wieder um seene wirklichen Anjelejenheiten kimmern könnte – aba son Valiebta und Valobta is ja keen normaler Mensch nich!«

»Da haben sich zwee jefunden,« pflegte Herr Lemke zu sagen, wenn er mit seiner Frau allein war. »Die werden zusammen schon wat aushecken, se wissen bloß noch nich wat!«

»Wenn eena –« bemerkte Frau Lemke – »wenn eena so ville Jeld in wat rinjestochen hat, denn jloobt er doch ooch dran und denn wird's ooch wat!«

»Is bloß nich sein Jeld, det is's, wat mia so bedenklich vorkommt,« sagte Herr Lemke. »Mia hält er 'n bisken for dumm – meenswejen, wenn ihn det Vajniejen macht – ick kann mia uff die Weise ja den besten Inblick vaschaffen, aba ...« und Herr Lemke schüttelte den Kopf und machte eine abwehrende Bewegung.

»Aba Onkel Karrel ...« sagte Frau Lemke.

»Jewiß doch,« sagte Herr Lemke, »wenn du ooch sonst imma jejen ihn warst, ick hab' doch jroße Sticke uff Karrel jehalten, nu aba macht er mia koppschei. Der bringt den Zillmann erst wieda uff janz neie Jedanken. Uff Karrels Vaanlassung ist det sojenannte Komiteh jebildet worden – all' die Schafskeppe aus den ehemaljen Vaein blaue Kaffeetiete – die stecken jetz wieda zusammen und fordern die Menschheit uff, Anteilscheine for die Afindung zu koofen. Wer dumm is un wenij Jeld hat, soll hundert Ems blechen und wer noch dimma is und mehr Jeld hat, jleich tausend Ems. Aus lauta Jutmitijkeit ha'ick zwee tausend Ems jezahlt. Det is nu aber 'ne Falle for die an'nern jeworden, die nu alle denken, et muß wat an die Jeschichte dran sind. Ick jeb det Jeld valoren, aber die an'nern – die wollen nich bloß Zinsen, sonnern ooch dreifache Rickzahlung, wie et sie vasprochen worden is. Wie't mia aberst vorkommt, zahlt unsa Schwiejersohn die Zinsen aus det injenommene Jeld, denn ehe er wirklich wat mit die Flujmaschine vadienen wird – du lieba Jott – wo se ibahaupt noch janich jeht!«

»Aba Karrel sajt doch!«

»Karrel!« sagte Herr Lemke ärgerlich und verächtlich, »Karrel hat sich doch wieda von Zillmann varrickt machen lassen! Wenn der ihn da wat in seene jelehrte Ausdrücke von Motors und Patente azehlt, denn is der ja reene wej! Da stecht imma eena den annern an mit die Varricktheit!«

»Wie wia neilich aba draußen waren,« sagte Frau Lemke, »da hat dia det doch allet ooch injeleuchtet. Man braucht doch bloß rauszukriejen, wie't die Vöjel mit ihre Flüjel machen – denn fliejt doch die Flujmaschine!«

»Ick hab mia det eben erst später richtij ibalejt,« sagte Herr Lemke, »Onkel Aujust hat janz recht, det sie doch uff'n Holzweje sind. Als dunnemals die Lokmotiven afunden wurden, haben se doch ooch nich nachjemacht, wie die Ochsen oda die Ferde mit die Beene loofen, sonnern an'ners!«

»Na – Zillmann wollte doch ooch an'ners!«

»Wo sich nu aba Karrel rinjemengt hat, läßt er den mal erst 'n bisken manschen. Jedenfalls sind die beeden sehr vajniejt, denn so ville Jeld scheint noch keena von beede in die Finga jehabt zu haben!«

»Ja, ick sehe det ooch mit's jrößte Astaunen,« kam dann ein paar Tage später – Frau Lemke auf das Gespräch zurück: »Um't Haus kümmert sich Onkel Karrel nu schon janich mehr – wo er frieha doch so hibsch jesprengt hat. Wenn man 'n janzen Taj 'n Zilinda uffn Kopp hat – denn paßt det natialich nich mehr!«

»Na – wat sajt denn Liesken eijentlich?«

»Die ...? Sehste, det is's, wat mia am meisten wurmt. Die lebt in eene ewje Angst, det wia den Zillmann nich fein jenuj sind!«

Herr Lemke seufzte. »So is's mit die Kinna – ja, ja – nu sind wia se nich mehr fein jenuj. Von mia will ick ja janich reden – aba du – mit det scheene kinstliche Jebiß und deene stattliche Fijur, det vasteh ick eenfach nich!«

Frau Lemke sah ihren Mann zärtlich an: »Willem, ick möchte dia wat sajen: Ick hab' ooch son Anteilschein for tausend Mark jekooft!«

»Mia hat schon so wat jeahnt –« sagte Herr Lemke, ohne das geringste Zeichen des Erstaunens. »Tante Marie hat ja ooch von ihre paar Sparjroschen hundert Ems jeblecht – die wird ooch nich jescheit! Wenn det Krause afährt, denn vajiftet er ihr!«

»An diese Jemeinheit is aba nur Onkel Karrel schuld,« sagte Frau Lemke empört, »davon ha'ick nischt jewußt.«

»Nee – ick mache mia Vorwirfe,« sagte Herr Lemke. »Ick hab Tante Marie doch azehlt, det mia die Selje aschienen is und mit die Poten sonne komische Bewejungen jemacht hat. Da hat sich det Tante Marie for een jinstijet Zeichen ausjelejt und hat ooch jeblecht!«

»Bloß Onkel Aujust und Tante Liese fallen uff so wat nich druff rin – die nich,« sagte Frau Lemke bitter.

»Nu wollen wia uns doch –« schlug Herr Lemke vor, »die Jeschichte mal janz klar machen. Irjend wat muß geschehen, det det nich so weiterjeht. Seh mal, Anna, et is ja mejlich, det Zillmann wirklich mal an seene Afindung jejlobt hat und 'n reiche Mann werden wollte – et könnte ja doch wirklich so sind – nich? Irjend wat Jutes muß wohl ooch dran jewesen sind. Aba nu hat er's doch nich mehr nötij, nu soll er't doch sind lassen und det Jeld nich so vabuttern. Er kann doch mit seene Frau det schönste Leben fiehren!«

»Eben!« stimmte Frau Lemke zu, »wat will er uns denn imma noch wat vormachen!«

»Na – denn missen wia't ihn sajen, jakeen Blatt vor'n Mund nehmen« – schlug Herr Lemke vor.

»Jeht aba nich, wollt' ick doch ooch schon, Liesken hättet ihn doch beibringen können,« sagte Frau Lemke, »aba sie meent, det is nich, er sei zu ehrjeizig und wolle een beriehmta Mann werden. Und denn hat se ooch zu jroße Angst, det er wieda abspringt und ihr sitzen läßt!«

»Der wird sich scheene hieten« – Herr Lemke lachte – »der freit sich, det er vor seene Jläubijer in Sichaheit is – wat denkste woll, wie die ihn zujesetzt haben. Ick jloobe, er hat die Neese selba pleng und wirde wohl ooch die Finga von lassen, wenn ihn Onkel Karrel nich immafort steekerte.«

Frau Lemke sah nachdenklich drein: »Denn is –« sagte sie schließlich – »also Karrel wieda mal die Bärme, die den Teij hochjehen läßt – ob det aba nich imma so is mit den Mann! Wie son kleenet Kind steckt er die Finga zwischen die Türe, als wenn't ihn janz eenjahl is, ob man se ihn abklemmt. Nu weeß ick ja aba, wat ick zu tun hab, nu laß mia mal janz ruhij alleene, Willem!« – – –

Völlig ahnungslos saß Onkel Karl in seiner Stube – deren Wände mit Trophäen aller Art geschmückt waren – und bemühte sich, einen großen Bogen zu liniieren.

»Et is janich so leichte, da jehört Aujenmaaß zu« – sagte er, das Lineal prüfend hin- und herschiebend – »und et soll doch 'n bisken akkerat aussehen. Nu haben mia die Mitjlieda von den äronautschen Klub zum Schriftführa jemacht, da muß ick ihnen doch zeijen, wat ick kann!«

Er hatte wohl gedacht, Frau Lemke werde gleich wieder gehen, als sie aber die Tür schloß und sich setzte, sagte er, unruhig werdend: »Nanu wat is denn los?«

»Sehste, watte forn schlechtst Jewissen hast, Karrel, schämste dia nich?«

»Erst muß ick wissen, worum?«

»Worum?« sagte sie drohend, »weil du uns mit alle Jewalt int Unjlick reiten willst!«

»Ick – natialich ick, wer denn ooch sonst!« sagte er, in einem Tone, als sei er selbst davon fest überzeugt. »Haste mia sonst noch wat vorzuschmeißen oda mußte bloß so zu deene Vadauung Krach machen?«

»Karrel,« sagte Frau Lemke freundlich und herzlich, »wia wollen mal beede janz vaninftij miteenander reden, denk doch bloß mal 'n bisken nach: du weeßt ja janz alleene, wat die Lemkens – arinnere dia bloß ma' an die Jroßeltern – for een solides Jeschlecht sind. Imma Schritt for Schritte sind se uffjerickt und haben's durch Fleiß und Sparsamkeit zu wat jebracht. Sehste – und nu kommt da eener in die Familje rinjeschneit – son richtija elejanta Windhund, der den janzen Kopp voll Raupen hat. Det jeht nich uff dia – du bist nich elejant – det jeht uff den Zillmann!«

Sie schwieg, in der Hoffnung, daß Onkel Karl etwas erwidern werde, aber er sah an ihr vorbei zum Fenster hinaus und beklopfte sich mit dem Lineal die Hosen.

»Statt, det sich nu alle bemiehten, den Windhund seene Fissematenten abzujewöhnen, da is eener von die andern bei, der den Windhund noch varrickta machen will – und det jeht uff dia!«

»Een Windhund,« sagte Onkel Karl verstockt, »wird niemals nich een Ziehhund!«

»Er soll doch ooch janich ziehen, bloß keene Luftspringe soll er machen« – sagte Frau Lemke ärgerlich.

»Wenn er damit aba ville mehr erreicht und sich durch een'n eenzjen Sprung die Wurscht vont Spinde holt« – beharrte er eigensinnig.

»Wa'm haste denn deene Windhunde wejjejeben, wenn die Rasse so wertvoll is? Weilste dia die Bratwurscht nich nehmen lassen wolltst – sehste, ick ooch nich und Willem ooch nich!«

»Ja – wat kann ick denn dabei machen!?«

»Du mußt ihn von det Flujschiff abbringen.«

»Ausgeschlossen« – sagte er, »jieb dia jakeene Miehe nich, erstens is's beinah fertig, und zweetens missen wia't afinden!«

»So!«

»Ja – um die Leite mit die Anteilscheine det Jeld zurückzuzahlen – nich bloß eenfach, son'nern doppelt und dreifach!«

»Karrel,« sagte Frau Lemke, »weeßte noch, wieste dia dunnemals uff den Bauschwindel injelassen hattest? Tante Marie hatteste, eh' von det Haus ibahaupt noch wat zu sehen war, schon for schweret Jeld een sonniget Eckzimma in die Bölletasche vamietet. Und wat is draus jeworden? Die Jläubija hätten dia beinah vakeilt und totgeschlagen und in't Jefängnis jebracht!«

Frau Lemke sah, wie ihm nun doch ein bißchen heiß wurde. »Et tut mia leid,« sagte er, »aba da is nu nischt mehr zu machen. Klumbummbussen haben se ooch so jequält und denn hat er doch Land jesajt und is in Amerika ausjestiejen!«

»Na – wia werden uns ja noch drieba sprechen,« sagte Frau Lemke aufstehend, »freilich wenn't wieda mal zu spät is!«

»Ick hab' doch ooch den Patentkitt afunden,« sagte Onkel Karl, als könne er sie damit versöhnen, aber sie war schon hinaus und warf die Tür zu.


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