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XIII. Die Eisenbahnfahrt

»Wenn wia man bloß nich irgendwo umsteijen müssen«, hatte Onkel Karl gesagt, als der Zug aus dem Bahnhof fuhr. Durch diese Bemerkung waren alle Mitglieder der Familie in eine gewisse Unruhe versetzt worden, und Herr Lemke, der sich auf Anraten seiner Frau einen Nanking-Anzug, ein Sporthemd und eine Sportmütze zugelegt hatte, wurde schließlich verdrießlich.

»Denn steijen wia um! Hätte ick mia lieba 'ne jrößere Mitze jekooft, det vaflixte Ding is ja ville zu kleen und drickt mia!«

»Hättste dia man 'n Sturmband anjenäht,« sagte Onkel Karl, »ick seh' ja die Spochtmitze schon uff die Wellen sejeln. Liesken, laß det Fensta zu, sonst fliejt se 'raus und denn kannste se nachloofen.«

»Ick werd' man 'n bisken schlafen,« sagte Herr Lemke, »ick bin det Friehuffstehen nich mehr jewöhnt!«

»Ick ooch nicht,« tadelte Frau Lemke, »aba ich halte mia doch uffrecht.«

»Das Rattern der Eisenbahn macht müde,« suchte Herr Fiedler, der zwischen Edwin und Lieschen saß, Herrn Lemke zu entschuldigen, »andererseits würde ich während solch einer Fahrt niemals ein Auge schließen können!«

»Janz recht,« sagte Onkel Karl, »mit een Ooje wird ick mia ooch janich inlassen.« Und dann untersuchte er seine Reisetasche; die Vorstellung, daß ihn unterwegs ein entsetzlicher Durst plagen könne, hatte ihn dazu getrieben, Pfefferminzplätzchen, Kirschen und Johannisbeeren einzupacken, und dieses Labsal holte er jetzt hervor und bot es an.

»Wer will?« fragte er freundlich, aber selbst Edwin, der sonst nichts verschmähte, erwies sich standhaft.

»Denn nich« – sagte Onkel Karl gekränkt, »aber nachher kommt mia nich! Ooch von meen' Konjak und den Majenbitta jibt's nu nischt mehr ab, den trinke ick alleene, und wenn ihr ooch allesamt vadurschtert.« Und dann begann er sich durch die mitgenommenen Decken und Kissen gegen die Strapazen der Reise zu schützen und holte schließlich einen Tropenschleier aus der Tasche.

»Wozu hasten den?« fragte Edwin.

»Wejen die Micken – Schafskopp – denkst woll, ick werd' mit fischen!«

Herr Fiedler hielt es für angebracht, seinen Schüler zu belehren. »Bei Reisen durch die Tropen werden derartig feine Gewebe zum Schutze gegen die Moskitos oder Stechfliegen umgelegt!«

»Da, wo wir hinkommen, jibt's ooch Mußkitots, und wenn sie in dies Jahr nich jrade ufftreten sollten, denn is det Ding ooch jejen janz jemeene Micken brauchbar« – erwiderte Onkel und holte dann sein neues Fernrohr heraus, um es einzustellen und die Aussicht zu prüfen.

Auf der ersten Station kaufte er sich ein paar Würstchen und kleine Kuchen, die er mit Heißhunger verzehrte. »Det sind Spezialliteten, und sowat eßt man schon wejen die Wissenschaft« – belehrte er die andern.

»Nee,« sagte Frau Lemke, »det is wejjeschmissenet Jeld, wia haben ja unse Eia und Buletten. Jieb ma' den Korb 'runta, ick werd' vateilen.«

Onkel Karl sah kopfschüttelnd zu, wie sich dann alle über die mitgenommenen Vorräte hermachten.

»Wa'm schittelste denn immafort mit'n Kopp«, sagte Herr Lemke, der nach dem Schlaf noch verdrießlicher geworden war.

»Weil ick det nich for jut halte, wat ihr da macht«, sagte Onkel Karl.

»Sondern?« fragte Frau Lemke.

»Det wirste jleich sehen, wenn der Zuj aus die Station is« – sagte Onkel Karl. Und als dieser Augenblick gekommen war, öffnete er das Coupéfenster: »Nu paßt alle uff, nu schmeiße ick meene Eia und die Buletten jejen die Telejrafenstangen.«

»Det is doch aba Sinde,« sagte Frau Lemke empört, »det scheene, teire Essen!«

»Det is ja keene Sinde nich,« sagte Onkel Karl, »det is Vanunft« – und dann feuerte er das Stullenpapier und die Kirschkerne nach. »Jott sei Dank, det ick det Zeich nu los bin, immafort hatte ick Angst, det ick mia uff die Kotteletten setzen und Fettflecke machen könnte. Wat ihr nich uffkriejt, det feffert man ooch raus!«

Edwin, der die größte Lust hatte, es Onkel Karl nachzutun, wurde von seiner Mutter daran gehindert. »Untersteh dia« – sagte Frau Lemke, »du bist doch keen Affe nich, dette allet nachmachen mußt!«

»Hättste ihn man jelassen,« sagte Onkel Karl, »aber nee, da mißt ihr allet ratzekahl uffressen und eich den Bauch varrenken. Paßt ma' uff, ihr werd't ja die Foljen sehen, wenn wia nachher erst uff't Schiff sind!«

»Woso?« fragte Frau Lemke betroffen.

»Weil ihr nu allesamt die Seekrankheit kriejt – det sind die Foljen!«

»Ick hab' jetz schon sonne Bauchschmerzen«, sagte Fräulein Lieschen weinerlich.

»Fang mia janich so an,« drohte ihr Frau Lemke, »du hast Zeit jenuj za Hause jehabt und hättest dia inrichten können.«

»Mit Bauchschmerzen jeht's ooch janich los,« tröstete Onkel Karl, »die ersten Anzeichen von die Seekrankheit sind een jewisset Schwindeljefiehl!« Und dann roch er zum Fenster hinaus: »Wat det hia schon for jute Luft is,« sagte er erfreut, »man spürt, det wia an die See kommen.«

»Det is ja der Jestank von die Lokomotive,« sagte Herr Lemke verdrießlich, »mach lieberst det Fensta wieda zu, det nich so ville Ruß rinkommt. Außerdem zieht's mörderlich!«

»Willem, du hättest woll doch lieba za Hause bleiben sollen,« sagte seine Frau, »du bist nich for's Reisen, det spiert man. Da hasta dia nu den scheenen Anzuj jekooft, aba dia kleidet er nich, janz und ja nich!«

»Jott sei Dank,« sagte Herr Lemke erfreut, »denn kann ick ihn woll wieda ausziehen und brooch nich länga als varrickta Englända 'rumzustiebeln. Und die vaflixte Mitze schmeeß ick jleich aus't Fensta.«

»Wenn det so mit dia weitajeht, kommste nackend uff den Äppelkahn an«, warnte Frau Lemke.

»Denn laß mia jefällijst mit meen Aussehn zufrieden.«

»Ick möchte bloß ajebenst bemorken haben, det det keen Äppelkahn, sonnern een rejulärer Ozeandampfer is, der sonst nach Amerika fährt«, sagte Onkel Karl, der sich ebenfalls ärgerte.

»Ach, du liba Jott, wer weeß, wo wia da noch hinkommen werden,« meinte Frau Lemke, »eh' ick een Been 'rufsetze, werd' ick mia man lieba selba akundjen!« – – –

Der Zug ratterte und keuchte durch das eintönige Flachland – so weit das Auge sehen konnte, grüne Wiesen, Weideplätze für buntgefleckte Kühe; da und dort eine Ortschaft – ein Gehöft, ein Bauernhaus – und dann wieder Wiesen und Felder.

Die Stimmung im Coupé war friedlicher geworden, man hatte keine Lust mehr zum Sprechen, eine bleierne Müdigkeit hatte sich aller bemächtigt. Noch suchte man dagegen anzukämpfen – vergebens – die Augenlieder wollten sich nicht mehr heben – man schlief schon.

Und ganz entsetzt und verwirrt fuhren dann alle auf, als Onkel Karls Stimme plötzlich kommandierte: »Uffjestanden – nehmt det Jepäck – nu jeht's los, nu kommen wir uff't Schiff!«

»Mußte eenen denn imma so aschrecken« – sagte Frau Lemke und drückte die Hand auf die wogende Brust. »Ick bin ick janz atemlos und krieje keene Luft nich. Und ick hatte jrade so scheen getreimt – wia waren alle in Theata, und da war eene Frau ...«

Aber Onkel Karl unterbrach sie: »Nu haltet eich ran an mia, sonst sind die besten Plätze ufft Vordadeck wej – seht doch, wie die andern alle schon loofen. – Los, los!«

Ohne sich noch weiter um Lemkes zu kümmern, stürmte er vorwärts.

»Laß ihn loofen,« sagte Herr Lemke, »ick kann nich so rennen!«

»Ick ooch nich,« stimmte ihm seine Frau zu, »det Schiff darf ja ooch janich abjehen, ohne uns mitzunehmen. Ha Fiedla, haben Se ooch allet? Liesken haste etwan wat liejen lassen? Wo hasten deenen neien Schirm? Na, denn is jut – Edwin komm hiaher, und nu wollen wia uns man 'n bisken jesittet benehmen, det die Leite nich iba uns reden!«


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