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X. Lemkes sel. Wwe. gibt ihre Zustimmung

Und er war gekommen. – – –

»Karrel, Karrel,« hatte zwar Frau Lemke gesagt, als Onkel und Lieschen ihre Erlebnisse im Botanischen Garten erzählt, »ick jlobe, du hast dia betimpeln lassen. Aba ick werd' ja nu selbst sehen – mia macht er nich dumm. Wo ihr wej wart, ha'ick ibrijens inzwischen ooch eenen emfangen, der Liesken heiraten wollte. Ick hab' mia zwarst sehr jut mit ihn untahalten, aba 'n Mann war det nich for meene Tochta. Zu'n Trost ha'ick ihn den letzten Windhund jeschenkt, damit is er ooch abjezogen – janz vajniejt!«

»Der wird det arme Tia mattern,« sagte Onkel Karl, »det war 'ne Unvorsichtigkeet, der läßt seene Rache dran aus!«

»Wenn wia'n man los sind, der janze teire Zalong is rujeniert worden mit die Biesters,« sagte Frau Lemke, »Minna blieb in een'n Uffwischen!«

Onkel Karl hatte nur halb hingehört: »Der Mensch is in Amerika jewesen«, sagte er nachdenklich.

»Aus Weißensee war er,« sagte Frau Lemke, »hat mia ja seene Adresse uffjeschrieben!«

»Ick meene doch unsan, den Zillmann.«

»Ach so – na, wer weeß, wat er drieben war! Sonne Muttasöhnken, wie der vawöhnte Bengel, die werden meistens abjeschoben. Ick arinnere mia doch ooch an ihn – er jondelte imma mit son Wehloßped uff die Bilopromnade. Und dann ooch an seene Mama, sonne jroße hajere Frau, die wie son oller Habicht aussah.«

»Die soll adelig gewesen sein,« sagte Lieschen, »sein Vater war Hauptmann ade!«

»Meenswejen kann er in'n jroßen Jeneralstab erste Trompete jeblasen haben,« sagte Frau Lemke, »dadruff kommt's nich an. Er will Jeld haben, und du bist 'ne jute Partie – vastehste! Wat is er – Inschinjeur? Wat heeßt det – keen Mensch weeß, wat er da macht! Dekrateur klingt ooch sehr fein, und det is 'n Mann, der Gardinen uffsteckt und Sofas uffpolstert, da'm kann er sich ooch noch Tapzier nennen!«

»Er hat doch aberst 'n jroßartje Afindung jemacht«, sagte Onkel Karl ganz empört.

»Wat hat er denn schon jroß afunden – watten? Wie man junge Hunde 'n Schwanz abhackt, det se nischt bei fiehlen – oder wat, saj doch!«

»Er derf doch noch nich drieba sprechen,« sagte Onkel Karl, »da muß er doch erst det Patent haben, sonst nimmt's ihn eena vor die Neese wej!«

»Hast du'n Patent uff deen selbafundnen Kitt?« fragte sie höhnisch. »Hat dia den eena vor die Neese wejjenommen?«

»Die Zusammensetzung«, sagte Onkel Karl und blinzelte vergnügt, »kriejt keena 'raus, und wenn er sich uff'n Kopp stellt. Da'm ha'ick ihn ooch janich anjemolden und nenne ihn bloß Patentkitt!«

»Also –« sagte Frau Lemke, »ha'ick also wieda mal recht. Aba wat rejen wia uns denn for umsonst uff, lassen wia'n doch erst mal kommen! Und denn – det Wichtijste: Wat sajt denn Vata zu, der weeß ibahaupt noch von janischt, det jeht allet hinta seen'n Ricken!«

Als dann Herr Lemke hörte, welche Pläne man schmiedete, machte er nur eine abwehrende Handbewegung: »Ick heirat'n doch nich – mia jeht's also janischt an. Wenn Liesken ihn haben will, denn in Jottes Namen, wenn er man ooch bloß Ratzifallimausifalli macht. Uff die Fraje kommt's doch nich druff an – Hauptsache is's Herz!«

»Janz deene Ansicht, Willem,« sagte Onkel Karl voll Genugtuung, »det haste sehr scheen jesajt – kurz und bindig und knapp und an'n Schluß noch 'ne jute Pojenkte!«

»Mach'n doch nich varrickt«, hatte Frau Lemke ärgerlich verwiesen. Allmählich aber, als sie dann in den folgenden Tagen beobachtete, wie sich Lieschen und Onkel Karl – beide längst versöhnt – für das große Ereignis rüsteten, wurde auch sie unruhig, nur Edwin kümmerte sich um nichts und äußerte, von Onkel Karl zur Rede gestellt: »Mir is det doch janz piepe, wen Liese unjlicklich macht!« – –

Und dann, an jenem bedeutungsvollen Sonntag – hatte es schon, vom frühen Morgen an, so lieblich aus der Küche gerochen, daß Joldelse, die von Onkel Karl gewaschen und aufgeputzt wurde, erregt in die Luft schnupperte und kaum noch zu bändigen war.

Die erwartungsvolle, feierliche Stimmung wurde nur durch Herrn Lemke etwas gestört, der niedergeschlagen und in sich gekehrt blieb.

»Wat hasten, Willem?« fragte ihn seine Frau.

»Nischt!«

»Dann mach'n andat Jesicht!«

»Ick wirdet dia ja sajen, Anna – aba du derfst nich drieba reden – heite nacht hat's wieda jespukt, die Selje is umjejangen!«

Frau Lemke schluckte. »So? Det is alladings nich jut: Oda et kann ooch jut sind – man weeßet ja nich jenau«, sagte sie, nun ebenfalls nachdenklich und niedergeschlagen. »Hat se noch imma det olle Umschlajetuch um?«

Er nickte. »Sie sah jenau so aus wie frieha. Mit die eene Hand machte se imma so, a's wenn se Jeld zählte oder Hühna ruppte.«

»Et wird wohl Jeldzählen jewesen sind – weil wia nu mit den Draht rausricken müssen«, sagte Frau Lemke.

»Ick jloobe ooch – se wollte uns amuntern«, bestätigte Herr Lemke. »Denn is's aba nich jut, wenn wia uns jejenstemmen. Die setzt ihren Willen doch durch!«

Und diesem Gespräch war dann eine Unterhaltung in Flüstertönen gefolgt, das Ehepaar hatte einen Überschlag über die Kapitalien gemacht. Ein schönes Stück Geld war da im Laufe der Jahre zusammengekommen: Die Riesensummen, die Großvater damals für den Verkauf der großen Wiesenflächen am faulen Graben bekommen, dann der Erlös für den Weißbiergarten in Schöneberg und für das Restaurant am Schöneberger Ufer. »Und denn mußte bedenken,« hatte Frau Lemke gesagt, »wat det Haus und det Grundstück hia in die Potsdama nu wert is – det is doch allens in die Höhe jejangen. Frajt sich nur: Wat kriejt Liesken und wat Edwin?«

Sie hatten hin und her gesprochen, ehe sie sich einigen konnten, denn Frau Lemke hatte Edwins, Herr Lemke seiner Tochter Partei vertreten. So war, überraschend schnell, die Mittagszeit herangekommen.

»Nu könnten wie so scheen essen, wenn er da wär'«, sagte Frau Lemke. »Mia kullert's schon immafort in'n Bauch – ick bin det Warten ufft Essen nich jewöhnt, meen Majen verträjt det nich! Hasten denn ooch rejelrecht injeladen, Karrel, amende hätten wia't noch ma' schriftlich wiedaholen sollen!«

»Per injeschriebenen Brief,« sagte er verächtlich, »det heeßt doch, mit det Sticke Kalbfleesch uffdrängelich werden.«

»Wo wohnt er denn – is's weit?« erkundigte sich Herr Lemke, der auch schon etwas reizbar wurde.

»Er muß mit'n blauen Amtsrichta fahren, wie die hibsche Schneidamamsell«, sagte Onkel Karl.

»Woher weeßten det?« fragte Frau Lemke erstaunt.

»Det se hibsch is?«

»Stell dia doch nich so dumm, wo sie wohnt?«

»Weil ick ihr jefrajt hab'!«

»Also wohnt er ooch an'n Schleschen Bahnhof oder in die Jejend!«

»Nee – er kommt von die an'nern Seite – aus Schlorrendorf.«

»Ach so, von da – aus die neie Jejend! Ibrijens, det ick's nich vajesse, ick muß noch heite an die Mamsell schreiben, det se kommt, denn nu wird's zu tun jeben!«

Lieschen, die stumm am Fenster gestanden, zuckte plötzlich zusammen. »Ne Droschke is vorjefahren – erste Klasse – ja, wahhaftij, er steijt aus. Hach jott, hab ick Angst, ick vasteck mia!«

Onkel Karl wollte sich der Situation bemächtigen: »Alle 'raus aus den Zalong, ick empfang' ihn!«

»Du bist wohl varrickt jeworden,« sagte Frau Lemke, »du hast dia janz bescheiden in'n Hintajrund zu halten. Ick bin doch die Mutta – bei mir muß er zaerst anhalten, wie sich's jehört!«

»Aba, ick muß eich doch vorstellen,« protestierte Onkel Karl – »er kennt eich doch nich!«

Draußen schrillte die Klingel.

»Nu werden wia uns erst noch 'n bisken keilen«, sagte Herr Lemke. »Mach' doch schon eena uff, sonst jeht er wieda wej!«

»Nee, lassen man, lassen man janz ruhij warten, det is so bei feine Leite, je länger, desto feinerer«, widersprach Frau Lemke.

Ehe es aber jemand verhindern konnte, war Lieschen hinausgelaufen, um selbst die Tür zu öffnen.

»Schstille,« sagte Onkel Karl mit einem zischenden Flüstern, »schstille, setzt eich alle rasch hin, det wia hia nich so rumstehen! Und wennste ihn den Sejen jibst, faß ihn nich uff'n Kopp, er hat Pomade druff!« Und dann erklärte er die einzelnen Etappen da draußen im Korridor. »Nu knutschen se sich und knautschen se sich mal beede erst ab. Wat so raschelt, is det Seidenpapier von die Blumen – prost – prost!« Er schnalzte mit der Zunge, daß es klang, als zöge er den Pfropfen aus einer Weinflasche. »Nochmal, so – nu jibt sie ihn erst wieda een'n – det kann noch lange dauern, da is det Ende von wej! So – da sind se!«

Weder Herr noch Frau Lemke und auch Onkel Karl nicht, schienen den Eintritt des Paares zu bemerken. Sie betrachteten gerade die Bilder des Photographiealbums, und Frau Lemke sagte: »Tante Marie sieht jenau so aus, wie vor dreißij Jahren!«

»Schilla war een jroßartjer Dichta,« warf Onkel Karl dazwischen und klopfte auf die Prachtausgabe, die er ergriffen, »wat der nicht allens jedichtet hat. Die Jungfrau von Orljang ...«

»Mama« – sagte Lieschen.

»Watten, meen liebet Töchtakin?« fragte Frau Lemke, ohne sich umzudrehen.

Onkel Karl aber konnte sich's nicht mehr verkneifen – er wandte sich wie zufällig um, erblickte Herrn Zillmann und erhob sich überrascht: »Aaah« – er ging ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen – »det is aba ma' scheen, wo kommen Sie denn in diese Jejend?« Und in dem heißen Bestreben, alles recht harmlos und nett zu gestalten, faßte er Herrn Zillmann unter den Arm und führte ihn dem steif und würdig dastehenden Ehepaar Lemke zu: »Da is er – nun seht ihn eich an – so sieht er aus – habt ihr'n eich so vorjestellt?« Und – seinem heiteren, frohen Ton plötzlich eine düstere Färbung gebend, setzte er, zu Herrn Zillmann gewandt, hinzu: »Und det is Ihre zukünftje Schwiejamutta!«

Frau Lemke streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Anjenehm!«

»Mia ooch –« sagte Herr Lemke und reichte ihm ebenfalls die Hand.

»Gnä' Frau? ...« wollte Hans Zillmann feierlich beginnen, aber Onkel Karl warf sich dazwischen: »Warten Se – noch nicht – nu jehen wia erst essen – denn können Sie nachher loslejen!«


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