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XV. In der Gespenstervilla

»Mahlzeit« – sagte Onkel Karl.

Ob die junge Frau Zillmann darauf geantwortet, blieb ungewiß. Sie schien weder sonderlich erstaunt, ihren Onkel hier zu sehen, noch verlegen, wie sie selbst ihren Aufenthalt in diesem fremden Hause erklären sollte.

Sie hatte – auf einen Sessel in dem großen, matt erleuchteten Zimmer weisend – sich wieder auf die Chaiselongue geworfen und nach dem Buch gegriffen, in dem sie vor Onkel Karls Eintritt gelesen.

»Sehr hibsch injerichtet hia« – sagte er, sich mit anerkennendem Kopfnicken umblickend.

»Findest du?«

»Jewiß – ick hab' mia so 'ne Kaltwassaheilanstalt imma janz andas vorjestellt. Man derf doch hia roochen – denn dann steck' ick mia 'n Piejatz an – et läßt sich bessa bei untahalten.« Und während er die Zigarre anbrannte, fragte er so nebenbei: »Wie lange mußten hia noch aushalten, bis deene Nerven wieda in Ordnung sind?«

»Na – Liesken –?« sagte er und kam bei der Suche nach einem Aschenbecher, um das glimmende Streichholz fortlegen zu können, in die Nähe der Chaiselongue – »na, Liesken, eißere dia! Du mußt dia die Jeschichte doch ibalejt haben! Wat soll ick also Muttan bestellen?«

Er beugte sich zu ihr hinunter und sah ihr forschend ins Gesicht.

»Nischt – Onkel – ich hab' ihr nischt zu bestellen.«

»Det is vaflucht wenij – Liesken – damit is se doch nich zufrieden, det kannste dia doch alleene sajen! Na und Vatan – der will doch ooch wissen, wat aus seene Tochta jeworden is!«

Sie zuckte die Achseln, vermied es aber, Onkel anzusehen.

»Nach den herzlichen Empfang hia« – sagte er – »könnte ick ja nu wieda abschwimmen und denn deene lieben Eltern bestellen: Eire Tochta sitzt in Potsdam uff 'ne Schäselonge und liest Räubajeschichten – wenn ihr wat von sie wollt, sollt ihr bei ihr kommen. Aba ick jlobe, deine Mutta wirde denn zu mia sajen: ›Und da läßte ihr sitzen, ohne se bei uns zu bringen – –?‹ Und Vata wirde sajen: ›Wenn se't nich mehr bei ihren Mann aushalten kann, wenn er ihr zu sehre quehlt, denn soll se doch bei uns kommen und nich bei fremde Leite jehen!‹«

Onkel Karl war, während er sprach, langsam im Zimmer umhergegangen, war hin und wieder vor einem der Bilder an den Wänden stehengeblieben und hatte getan, als wenn er sie betrachtete. Nun wandte er sich, die Hände in den Hosentaschen, wieder um und sah seine Nichte forschend an.

»Seh man, Liesken, et muß doch allens Hand und Fuß haben, bei dia hat et aba nich ma' 'n Schwanz! Ick jlobe, du hast et janz vakehrt anjefangen!«

Und da sie nicht antwortete, fragte er: »Oda liebste den annern so sehr – den jlattrasierten Papajeno – dette nich mehr von ihn lassen kannst?«

Sie machte eine abwehrende Handbewegung.

»Also – so wat hält nie lange, det ha' ick mia schon jedacht«, sagte Onkel Karl. »Wat jloobste woll, Liesken, wie ville schon vor dia uff die Schäselonge da jesessen und jewartet haben, det sie een Onkel Karrel holt? Aba denn hatten se keenen sonnen juten Onkel Karreln nich!«

Er ging wieder auf und ab, wartete auf Antwort und sagte, als keine kam: »Und denn wirde ick mia doch ooch jraulen hia – mit die unheimliche Olle da draußen, die immafort uff den Flur langschlurt. Wer weeß, wat die schon allet ufft Jewissen hat! Und denn – hia so in det einsame Haus – denn der Papajeno is doch nich da, der jeht doch uff neien Raub aus und wartet doch jewiß bloß det die Bude hia wieda frei wird!«

Onkel Karl sprach noch ein Weilchen fort – immer so, als wenn er selbst eine junge, verführte Frau sei, die nun, nachdem ihr die volle Erkenntnis ihres Schrittes gekommen, alle Chancen überlegen müßte, die ihr noch blieben. Und dann – so zwischendurch – fragte er: »Wo hängen denn deene Sachen?« ging nach dem Schrank in der Ecke und begann das, was sie mitgebracht, in die braune, große Ledertasche zu packen.

Sie hatte sich erhoben, war vor den Spiegel getreten, nestelte an ihrem Haar und sagte nur hin und wieder: »Das nicht – Onkel – pack' das nicht ein, das brauch' ich zum Anziehen.«

»So – haste ooch nischt vajessen? Na, denn kannt ja losjehen. Wennste 'n reenet Taschentuch broochst bei't Abschiednehmen von die Olle – kann ick dia eens jeben!«

»Es ist nicht nötig – Onkel – der Abschied dürfte weniger rührend als kostspielig sein!«

»Ooch noch den Schmerz! Soll ick se eens uff ihre jichtkrummen Krallen jeben, det se jleich hochjeht vor Schmerz – diese olle Kanallje – den Deibel seene Jroßmutta – denn sonst wird se den Schuft doch nich helfen, wenn er seene Opfa vaschleppt hat. Mit Petroljum könnt' ick ihr bejießen und ihr anstecken. Laß se mia bloß nich iban Wej loofen!«

Onkel Karl schimpfte unentwegt weiter, während er mit der Tasche voranging und die junge Frau im Nebenzimmer mit der Haushälterin verhandelte.

Draußen vor dem Gitter wartete er und untersuchte den Mechanismus der Tür, bis Lieschen endlich kam. Nun schritten sie durch die stille Straße, kamen in den breiten Hauptweg und fuhren – da keine Droschke aufzutreiben war – mit der Straßenbahn nach dem Bahnhof.

Als Onkel die Billetts gelöst und sie dann beide auf den Polsterbänken des Kupees saßen, sagte er: »Na, ick hätte ja kaum jejlobt, det die Schohse so jlatt jehen wirde – aberst ick bin woll jrade in den richtjen Momang jekommen! Nu steht uns freilich det Schwerste noch bevor – denn ick weeß ja nu janich, wat du dia so denkst – und denn deen Mann – ibahaupt – wat nu so werden soll, aba det wird sich ja allens finden!« – – – – –

Onkel hatte diesmal doch ein wenig zu optimistisch geurteilt, »es fand sich nicht alles« – die Stimmung gegen die durchgebrannte Tochter war sehr zuungunsten umgeschlagen.

»Es hatte in der Zeitung gestanden.«

Die Abendblätter hatten einen mit allen Einzelheiten geschmückten Bericht über den neuesten Streich »des Herzensknickers de Pikato« gebracht und sich weidlich über die »junge Frau Z.« amüsiert, die ihm diesmal ins Garn gegangen war. »Derartige Herzensaffären enden gewöhnlich damit« – hieß es in einem Bericht – »daß die tiefbetrübten Anverwandten die abenteuerlustigen Gattinnen aus dem Zauberschloß des Ritters abholen und daß dann die Heimkehr und das Wiedersehen der Eheleute in rührender Weise gefeiert wird. Wie wir aus bester Quelle wissen, hat diesmal aber der betrogene Herr Z. sofort alle Schritte zur Scheidung eingeleitet, trotzdem ein altes Original der Familie nichts unversucht gelassen hat, eine Versöhnung der Gatten herbeizuführen.«

»Det is ja keen schlechter Schkandal« – hatte Frau Lemke, rot vor Aufregung, gesagt – »nu sind wia schon in die Zeitung jekommen, det werden wia unsa janzet Leben lang nich mehr los. Nu sind wia uffjeschmissen!«

»Außa die Valobungs- und Heiratsanongse hat von uns noch nie wat in die Zeitung jestanden«, hatte Herr Lemke gesagt, »ick möchte bloß wissen, wo die det jleich imma herkriejen!«

»Det is deene Tochta – deen liebet Liesken, um die du schon jepliert hast – mia soll se aba nich kommen«, hatte Frau Lemke drohend gesagt, »ick bin keen ollet Orjnal nich!«

»Det jeht doch uff Karreln – der wird ja ooch seene Freide haben, wenn er det liest, aba amende bild't er sich noch wat druff in!«

Und als dann am Spätabend Onkel Karl stolz und triumphierend mit seiner Nichte in der Lemkeschen Wohnung anlangte, fand seine Freude eine jähe Abkühlung.

Er hatte Lieschen vor der Korridortür warten lassen, »um« – wie er sagte – »Vatan und Muttan uff det freidje Aeijnis vorzubereiten, det se nich so'n Schreck kriejen« – und fand nun eine eisige Atmosphäre.

»Nimm se dia se man wieda mit – wia wollen se ja nich haben« – hatte Frau Lemke gesagt.

»... wollt se nich haben – so?« hatte er echot. »Na – denn is ja jut! Aba nu weeß ick Bescheed bis an meen Lebensende – det war nu – so wahr wie ick hia stehe – dett allaallaletztemal, det ick mia um eire Jeschichten jekimmat habe. Jedetmal is det ja so jewesen – erst werd ick wie son teira Bluthund losjelassen, und denn nachher heeßt's imma: Haste ja janich neetig! Ha'ick ooch nich neetig – wa'm bin ick so dehmlich – is mia janz recht!«

Das letzte hatte er im höchsten Ärger laut geschrieen, dann aber setzte er ganz verzweifelt hinzu: »Wat soll ick denn nu mit se, se kann doch nich uff die Treppe stehen bleiben!«

»Na – du wirst schon Bescheed wissen – du – ollet Orjenal – du!« Und Frau Lemke stopfte ihm das Zeitungsblatt in die Hand. »Da les man – hia – hia, wo't blau anjestrichen is!«

Und als Onkel Karl gelesen, faltete er das Blatt sorgfältig zusammen und steckte es in die Brusttasche. »Det kommt zu meene Akten – det heb ick mia uff. Wennste etwa denkst, det ick mia dadrieba ärjere, denn irrste dia. Der olle Fritze war ooch 'n Orjenal – det is keen Schimfwort mehr – det is wat sehr Riehmlichet!«

Er ging bis an die Tür – dort blieb er noch einmal stehen und sagte: »Wenn ihr se also nich haben wollt – ick – a's Onkel – kann mia doch meene Nichte nich in die Schlafstube nehmen. Denn muß ick eben sehen, det ick se bei Edwin und seene Frau solange untabringe – denn za Hause, bei Zillmann, kann se nich!«

»Karrel« – sagte Herr Lemke – »laß ihr man rin!« Und als seine Frau dagegen protestieren wollte, brüllte er plötzlich los: »Mutta – jetz schweijste uff die Stelle stille – vastehste! Ick hab hia ooch noch wat zu sajen – du kannst ja 'rausjehen, wennste ihr nich sehen willst. Et is doch unsa Fleesch und Been – a'so rin mit se!«

»Sehste – Willem – deen Herz is doch noch nich janz vakalcht« – sagte Onkel Karl – »und dabei heeßt et imma, dettet Muttaherze det höchste is, wo man hat – jawolloch! Also – nu nehmt die Schnupptiecha vor – jetzt kommt se!«


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