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V. Onkel Karl geht los

Onkel Karl hatte den Gummischlauch an das Wasserleitungsrohr im Hofe angeschraubt und sprengte – bedächtig vordringend – Pflaster und Wände, bis er endlich den Gartenzaun erreichte und nun den vollen Strahl auf die Rasenfläche und Sträucher richten konnte.

Bei dieser Beschäftigung pflegte er stets ein paar bis an den Bauch reichende Wasserstiefel zu tragen, die er einem Kanalisationsarbeiter abgekauft hatte; seinen Kopf zierte ein Südwester, über dessen Ursprung die abenteuerlichsten Gerüchte kursierten.

Es wäre falsch gewesen, zu behaupten, daß sich Onkel Karl durch seine nützliche Beschäftigung besondere Freundschaften im Hause erworben hätte, denn wenn er mit dem Sprengen begann, war jeglicher Verkehr so gut wie gesperrt. »Wenn ick schon wat mache, denn mach ick's ooch jrindlich,« hatte er einmal zur Entschuldigung gesagt, »ick hab' ooch man bloß zwee Oojen in'n Koppe, und die Leite missen sich eben vorsehen, det se mia nich in die Quere loofen!«

Heute aber war er ein bißchen lässig – immerfort spähte er nach den Fenstern der Belletage – wandte sich aber jedesmal enttäuscht ab und schüttelte den Kopf, als wenn er sich ärgerte. Aber dann gab's ihm plötzlich einen Ruck, ein leiser Signalpfiff war zu ihm gedrungen. An einem der Fenster oben stand Herr Lemke und deutete ihm pantomimisch an, daß er die Hintertreppe heraufkommen sollte.

Onkel Karl signalisierte durch Zeichen zurück, daß es seiner Meinung nach viel besser wäre, wenn Herr Lemke zu ihm herunterkäme.

Herr Lemke deutet ihm darauf an, daß ihm das nicht möglich sei, worauf Onkel Karl seinerseits zurücktelegraphierte, daß er das Heraufkommen für ein sehr gefährliches Wagnis halte, in das er sich nur einlassen könne, wenn wirklich etwas außerordentlich Wichtiges vorläge.

Herr Lemke gab das Signal: »Eilig, wichtig – dringend –« zurück.

Darauf entfaltete Onkel Karl sein großes, rotes Taschentuch – man hätte denken können, daß er Krümel darin gehabt und sie nun ausschüttete – aber Herr Lemke wußte, daß dieses Zeichen »Rettung naht!« bedeutete und zog sich befriedigt vom Fenster zurück.

Onkel Karl ließ den Wasserstrahl noch einmal durch die Krone des Ahorns gehen, dann drehte er den Hahn zu, legte den Schlauch wie eine Riesenschlange zusammen und verschwand. Ein Weilchen später stieg er – obwohl es noch ganz hell war – mit dem Gasanzünder in der Hand die Hintertreppe hinauf.

Dort, beim Fenster, stand Herr Lemke, umhüllt von blauem Zigarrendampf. Es war sein ständiges Plätzchen, wenn er rauchen wollte, denn Frau Lemke war – seitdem an den Fenstern die neuen Gardinen hingen – der Ansicht, daß ihr Mann lieber die Treppe als die Stuben verqualmen solle. Wenn dann jemand die Treppe herauf oder herunter kam, pflegte sich Herr Lemke jedesmal geräuschlos in den Korridor zurückzuziehen und die Tür vorsichtig anzulehnen. Die Vorüberkommenden waren dann immer sehr erstaunt, sich plötzlich inmitten eines süßlich duftenden Rauches zu befinden, ohne aber jemanden zu entdecken, der diese Wolkengebilde veranlaßt haben könnte. Und mißtrauisch schnüffelnd gingen sie nur zögernd weiter.

»Mensch, wo kannste denn jetz' schon mit die Jasstange kommen« – sagte Herr Lemke ganz verzweifelt – »det sieht doch erst recht vadechtig aus!«

Onkel Karl tippte mit dem Finger ein-, zweimal auf die Stirn, was besagen sollte, daß er Herrn Lemke wegen dieser Ansicht für verrückt halte. »Wat is denn nu los?« flüsterte er – aber mit so durchdringenden Zischlauten, daß es besser gewesen wäre, wenn er ganz laut gesprochen hätte.

Und mit einer Kopfbewegung nach der Tür antwortete ihm Herr Lemke: »Se jeht wej!«

»Bei'n Zahndokta?«

»Nee, se hat sich die Stiebeln mit die Lackkappen anjezojen!«

»Wat for'n Hut?«

»Mit die Lilabända und die Marabuhs!«

»Denn dauert's also lange?« sagte Onkel Karl ganz betroffen.

Herr Lemke nickte triumphierend.

»Denn jehen wia ooch los« – sagte Onkel Karl entschlossen. »Wenn sie 'raus is, ziehste dia an, vastehste?«

»Nachher kommt se denn aber eha zurück« – wandte Herr Lemke ein.

»Det is doch janz eenjal, wenn wia man unjehindert wejkommen!«

»Det sajst du so – aba ick, wat mach' ick denn nachher?«

»Det können wia uns ja untawejs ibalejen!« Und dann gab ihm Onkel Karl die nötigen Instruktionen: daß sie einzeln aus dem Haus hinausgehen müßten, um sich »drüben bein Zigarrenfritzen« zu treffen. »Un 'n bisken proppa, Willem, weeße Weste und so!« – – – – –

Nachher, als Herr Lemke zu dem Zigarrenhändler kam, erkannte er Onkel Karl kaum wieder. »Dunnawettsteen –« sagte er anerkennend.

Aber Onkel Karl war verstimmt: »Wo bleebste denn so lange?«

»Ick konnte nich eha, jrade, a's ick aus's Haus rauswollte, kam se noch 'mal zarück – se hatte wat vajessen! Und denn wollte se mia noch wat sajen und da blieb mia nischt ibrij und ick mußte mia wohin bejeben, wo se mia nich nachkommen konnte. Aba durch die Tiere hat se mia denn allerlei noch akleert!«

»Ach so –« sagte Onkel Karl, »denn ist det wat an'neres!«

»Weeßte wat, Karrel, mia is aba der Schreck so in die Jlieda jefahren, det ick am liebsten wieda za Hause jinge. Wia können uns ja da ooch amisieren« – sagte Herr Lemke.

»Willem« – sagte Onkel Karl, »trink eenen Konjak, denn wird dia jleich wohla werden, und denn komm und sei nich sonne Memme!«

»Nee, Karrel,« sagte Herr Lemke entschlossen, »ick jeh' jleich wieda 'rieba, aba ick jeb' dia a's Entschädjung meen Pottemanneh!«

Onkel Karl sah ihn düster an. Dann sagte er – in ganz verändertem Ton: »Du bist een bedaualiches Mensch, du kannst mia vahaftij leid tun, Willem! Wie ville is denn drinne!«

»Et hätte for uns beede jelangt, denn reicht's for dia also doppelt!«

»Eejentlich is mia ja nu ooch die Lust vajangen, denn so alleene, det macht ja kee'n Spaß nich. Aba nu ha'ick mia schon 'n janz neiet Obahemde anjezojen und mia mit det Rinpolken von die Hornkneppe abjequält, nu will ick ooch wat for haben,« sagte Onkel Karl.

»Du bist ja ooch nich vaheirat' und hast keene Kinna nich, bei dia is det also janz wat an'neres!«

Onkel Karl steckte das Portemonnaie in die hintere Hosentasche. »Ick hab' also freie Vafijung drieba?«

»Die haste« – sagte Herr Lemke gutmütig, »mach's aba man halweje!«

»Denn nehm' ick mia zuerst 'mal een' Droschkong – also, uff Wiedasehn, Willem, mach's jut!«

Und dann steckte er zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Dem Droschkenkutscher, dem das galt, winkte er gebieterisch heran und ließ ihn – ohne sich vom Platze zu rühren, vorfahren.

»Na – also, wie is, Willem?«

»Nee, ick jehe!«

»Denn nich – aba – noch is's Zeit!«

»Nee, ick jehe, adje!«

»Adje – Kutscha los, mal erst unta die Linden!«


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