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VII. Das Pickel auf der Nase

»Also – heite, um dreiviertel Viere,« sagte Onkel Karl zu Fräulein Lieschen, »jehste wej von hia. Ick warte an die Ecke, du jehst aba an mia vorbei, a's wennste mia nich kennst und ick folje dia denn uff die andere Seite. Det weitere wird sich finden.«

Nach dieser letzten Instruktion war er wieder auf die Stehleiter im Hausflur geklettert und ölte den Patentschließer der Haustür weiter, ärgerlich auf jeden, der während dieser Zeit hinein oder hinaus wollte.

»Donnawetta nich nochmal – warten,« schrie er dann, »sehen Se denn nich, det eena hia hintasteht – bei wen wollen Se denn ibahaupt?« fragte er, von der Leiter kletternd, das junge, verlegne Mädchen, das die Tür aufgedrückt hatte.

»Bei Frau Rentjeh Lemke!«

»Bölletasche rechts,« sagte Onkel, kniff aber plötzlich die Augen zusammen und musterte die Erscheinung genauer, denn er hatte das junge, hübsche Mädchen erkannt, das neulich in Wilmersdorf mit seinem Neffen Edwin getanzt hatte.

»Wat wollen Sie denn bei Frau Lemken?« fragte er, freundlicher werdend.

»Frau Fischermeister Zander schickt mich!«

»Tante Liese, wieso kommen Sie bei die?«

»Ich hab' bei ihr geschneidert und bin nu fertig und nu soll ich bei Frau Rentjeh Lemke fragen, die hätte auch Arbeit für mich!«

»Aha –« machte Onkel Karl – »ja, Arbeet jiebt's hia massenbach, meene Nichte, Fräulein Liesken, macht nechstens Hochzeit, da is die janze Aussteia zu nehen. Also, Bölletasche rechts, reißen Se aba nich so an die Klingel, die is 'n bisken locka jeworden!«

Obwohl Onkel bald darauf mit dem Einölen fertig war, machte er sich doch noch solange an der Haustür zu schaffen, bis das junge Mädchen wieder herunterkam.

»Na?« fragte er.

»Von nächster Woche ab soll ich kommen!«

»So – denn muß ick Ihn'n doch ooch neha kennen lernen. Ick bin hia Vizewirt in det Haus, 'n Vawandta von Lemkes – Onkel Karrel« – stellte er sich vor. »Und wie heeßen Sie?«

»Grete Berg!«

»Wo wohnen Sie denn?«

»Breslauerstraße 76 bei Schulz!«

»Ach, det is da bein Schles'schen Bahnhof,« sagte Onkel, »da fahren Se mit den blauen Amtsrichter!«

»Mit der Straßenbahn,« sagte das junge Mädchen.

»Na ja, die Linie mit's blaue Schild heeßt so«, sagte Onkel Karl, »Sie fahren doch iban Molkenmarkt, Werderschen, durch die Französ'sche ...«

»Ja bis zur Lützowstraße!«

»Und die Wajen jehen denn weita bis nachs Amtsjericht in Schlorrendorf!«

»Nach Charlottenburg,« suchte das Mädchen zu verbessern.

»Det is detselbe – Schlorrendorf und Chalottenburj! Se sind woll nich von hia?«

»Aus Mittenwalde!«

»So – na! wird da ooch so ville jetanzt, wie hia in Berlin?«

Sie wurde rot und antwortete nicht.

»Denn wenn Se ma' tanzen jehen wollen, kann ick Sie Seebad Wilmasdorf emfehlen – bei Schramm, da scherbeln se Sonntajs, det die Schuhsohlen abjehen!«

Und dann winkte er ihr und sagte, vertraulich flüsternd: »Wenn Se sich ma' hia int Haus iba wat zu beklajen haben, denn wenden Se sich an mia – vastehen Se? Mehr will ick nich jesajt haben – vastehen Se?«

Sie sah ihn ein bißchen verblüfft an, weil sie nicht wußte, was das bedeuten sollte.

»Junge Meechen von außahalb,« sagte Onkel Karl, »die wissen manchmal nich so recht Bescheed und denn sitzen se eenes Tajes da mit 'n dicken Kopp!«

»Frau Lemke war sehr freundlich,« sagte sie.

»Wer red't denn von Frau Lemke,« sagte Onkel Karl, »natialich is det 'ne freindliche Dame, ooch Herr Lemke, wat meen Freind Willem is, is 'n sehr netta Mann. Und denn, meene Nichte Liesken is'n reizendet Meechen, und schließlich is ooch meen Neffe, der Edwin, 'n janz kessa Junge!«

Ihr Blick wurde plötzlich starr.

»Nu jeht se 'n Kandelaba uff,« dachte Onkel, »det hat se also janich jewußt und er weeß wahscheinlich ooch von nischt!« Statt der Fragen, die er erwartet, suchte das Mädchen aber von ihm loszukommen. »Ja wia sind alle nette Leite –« wollte er das Gespräch fortsetzen, doch sie hörte kaum noch, nickte ihm zu und ging.

»Denn nich – denn loof,« dachte er ärgerlich, »komm mia aba nich noch ma' – nu ha'ick dia jewarnt!« – – –

Nach dem Kaffee, als er sich in seiner Stube fein machte, wurde er ein wenig nachdenklich. »Um allet ha'ick mia jekimmert, bloß um Liebesjeschichten nich. Und nu sitz ick uff eenmal mitten drinne – nu kann ick mia doch man bloß uff meen'n Instinkt valassen. Wenn't brennt, denn loof ick bei'n Feiamelda und wenn mia 'n Hiehnaooje drickt, denn seif ick's mia in und schneid mia't ab, aba so ...«

Und auch Lieschen Lemke, die in ihrer Stube sich ebenfalls auf das Rendezvous vorbereitete, war nicht besonders wohl zu Mut. Als sie jetzt vor dem Spiegel stand und sich die Bluse zuhakte, musterte sie kritisch ihr Gesicht. Sie täuschte sich keinen Augenblick darüber, daß sie nur eins von jenen fahlblonden, schmachtend aussehenden Mädchen sei, bei denen aber immer irgend etwas Außergewöhnliches störend wirkt. Bei ihr war's die Stülpnase, die sie von der Mutter geerbt und die Onkel Karl, wenn er gerade gut aufgelegt war, eine »Juchheijurke und Himmelfahrtsknolle« nannte, »mit die sie angeln jehen könnte.«

Und auf dieser Nase hatte sich nun heute auch noch ein Pickel gebildet, das ihr den größten Ärger und Kummer bereitete.

»Nu broochste dia ja keene rote Nelke anzustecken,« hatte ihr Onkel vorhin, bei Tisch, zugeflüstert, »nu akennt er dia ooch so. Schreib ihn doch noch rasch 'n Rohrpostkarte: Akennungszeichen – Pickel uff die Neese!«

Und als er dann merkte, daß er zu weit gegangen und sie beinahe bis zu Tränen gekränkt, hatte er sie wieder versöhnen wollen. »Ick mach' mia ooch eens, wennste willst und wenn dia det trösten kann. Denn akennt er uns jleich als Vawandte!« Aber diese Opferwilligkeit hatte sie ebenfalls nur als Hohn aufgefaßt und deshalb hatte er – und nun ganz ernst – hinzugesetzt: »Haste nich jesajt, et is 'n Dokta, der man bloß noch keene Praxis nich hat? Denn wird ick ihn doch jleich ma' seene Kunstfertijkeet zeigen lassen. Er soll't dia operieren, det jeht janz jut in die Schamissolaube – 'n Rasiamessa bring ick mit.«

»Du brauchst überhaupt nich mitzukommen,« hatte sie ihn angezischt, »du verdirbst doch bloß alles!«

»So?« Nun war er gekränkt. »Denn will ick's dia lieberst nich vaderben, denn jeh man alleene!«

Beim Kaffeetrinken jedoch machte er einen Annäherungsversuch: »Seh ma', Liesken, ick nehm dia janischt ibel. Du warst eben erst jeboren, da hatt'ste ooch schon Nerven, uff die man Rücksicht nehmen mußte, sonst kriejste de Krämfe. Da'm biste ooch so vazojen worden, obschon dia manchetmal 'n bisken Senge sehr jut jetan hätte!«

Diese Annäherung war kläglich gescheitert. »Du kannst mir 'n Puckel lang rutschen,« hatte ihm Lieschen geantwortet und ihm den Rücken zugekehrt.

»Kann ick det – so, so! Armet Meechen, armet Kind, nu wird's mia ja vastendlich, wa'm keena bei dia anbeißen will! Jott behiete ooch den Mann, der uff dia rinfällt, er würde todesunjlicklich werden. Nu is's aba meene Flicht, ihn zu warnen – nu komm ick jrade mit!«

Lieschen hielt das für eine leere Drohung und dachte gar nicht mehr daran, während sie jetzt vor dem Spiegel einige Radikalmittel gegen das Pickelchen versuchte. Sie hatte es bereits mit einer Nähnadel und einem Taschentuch bearbeitet, ohne befriedigende Erfolge zu erzielen, nun suchte sie ihm mit Puder beizukommen und es zu verdecken. Dieses Verfahren schien auch Erfolg zu haben, als sie jedoch nach einer Weile wieder in den Spiegel blickte, sah sie zu ihrem Schrecken, daß sich das Pickelchen aus der Puderschicht herausgearbeitet und – rot und glänzend, ja triumphierend – auf der Nase prangte, als wollte es sagen: »Da bin ich wieder!«

Durch neue, energische Puderungen wurde es sofort unterdrückt und alle Freiheitsbestrebungen streng überwacht. Beim Handschuhanziehen merkte Lieschen, die fortwährend auf ihre Nase schielte, daß es wieder da sein müsse und entsetzte sich geradezu, als sie sah, daß sich jetzt, dicht daneben, ein zweites Pickelchen gebildet hatte. Und dieses war elastisch wie Gummi und schnellte den Puder sofort wieder ab.

Lieschen sank auf den Stuhl, starrte verzweifelt in den Spiegel und marterte ihr Hirn, um ein Mittel gegen diese Pickel zu finden. Sie beobachtete, wie sie sich ausdehnten, aneinanderstießen, sich vereinigten und nun einem kleinen Radieschen ähnelten, an dem nur die grünen Blätter fehlten.

Und allmählich bekam sie einen Haß gegen sich selbst, gegen ihr ganzes Aussehen, sogar gegen das weiße Kleid mit dem roten Gürtel, dessen Schnalle sie schon immerfort geärgert, weil sie stets seitwärts rutschte. Es juckte ihr in den Fingern, sich die Sachen vom Leibe zu reißen – aber da kam ihr der Gedanke, daß vielleicht Essig gegen das Pickel nützen könne und sie ging nach der Küche.

Dort war Minna, das Dienstmädchen, mit dem Abwaschen beschäftigt. »Ei, sehen Sie aba fein aus,« sagte Minna und schnalzte laut mit der Zunge.

»Laß doch das, gib mal die Essigflasche her!«

»Wat wollen Se'n mit,« fragte Minna verwundert, während sie sich die Hände hinten am Rock abwischte – »hia is die Essijpulle« – sie zog den Korken heraus und roch daran, »drinne rinne is aba nischt mehr, keen Troppen, allet jestern for die Sülze vabraucht, muß erst wieder welchen holen. Lejen Se sich doch aberst 'n Spinnewebe uff, det hilft ooch jejen Nasenbluten – –«

Lieschen ging hinaus und schmetterte die Tür zu.


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