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XVI. Strandleben

Ein paar Tage später – um die Mittagszeit – stieg Onkel Karl zum Strand hinunter. Er hatte es durchgesetzt, daß er nicht mehr an der Table d'hote mitzuessen brauchte, beköstigte sich nun auf irgendeine geheimnisvolle Weise und zuzeiten, da andere Leute nicht ans Essen dachten, und war also jetzt – wo ganz Westerland in den Restaurationen, Hotels und Pensionen bei Tische saß – das einzige menschliche Wesen am Strande.

Die unzähligen Fahnen, Flaggen und Fähnlein, mit denen die künstlichen Sandbauten geschmückt waren, flatterten knatternd in dem scharfen Winde, und die Riesenstandarte, mit der Onkel Karl seine in Schiffsform angelegte Burg geschmückt, schlug klatschend gegen die Maststange. Um diese einsame Stunde pflegte Onkel nach Strandgut auszugehen und alles das einzusammeln, was in der Umgebung nach seiner Ansicht an herrenlosem Gut umherlag und zur Befestigung der Burg dienen konnte. Namentlich alle Holzteile – Latten, Faßböden, Bretter – die dem rinnenden Sand Halt zu geben vermochten – waren von ihm sehr begehrt, und wo er etwas Derartiges in einer Nachbarburg liegen sah, übte er so lange seine magnetische Kraft darauf aus, bis er es plötzlich in Händen hatte. Durch diese merkwürdige Eigenschaft, die man ihm eigentlich gar nicht zugetraut, hatte sich Onkel bereits die Antipathie sämtlicher Strandgäste zugezogen, und wiederholt schon, wenn jemand seine verschwundene Latte oder sein Brett plötzlich als Schmuckstück in Onkels Burg wieder auftauchen sah – war es zu bösen Konflikten gekommen.

Er konnte sich jedoch rühmen, bei diesen Wortgefechten stets den Sieg davongetragen zu haben. Nach jedem derartigen Auftritt verschaffte er sich dann aber noch durch Vergrößerung seines Terrains Genugtuung, und seine Fahne mit der Aufschrift: »So hält der Kitt« beherrschte jetzt ein Gebiet, das allein schon durch seine Größe verdächtig war. Aber Onkel Karl erbot sich, jederzeit den Beweis zu liefern, daß diese Gebietseinverleibungen immer nach der Flut erfolgt waren, also zu einer Zeit, da die kleinen Burgen vom Wasser zerstört und flaggenlos geworden. So konnte ihm niemand etwas anhaben und die übrigen Strandbewohner mußten, wenn auch mit stillem Neid, das mächtige Aufblühen seiner Ansiedlung verfolgen.

Einige nervöse Leute, die sein Kommandieren auf die Dauer nicht vertragen konnten, hatten außerdem freiwillig den Platz geräumt und Onkel Karl war ihnen dafür sehr dankbar gewesen.

»Die sind jescheit« – hatte er gesagt, als die Nachbarn mit bösen Blicken auszogen – »wat broochen wia uns denn jejenseitij zu ärjern, wenn ick der Schwächere wär', wirde ick mia ooch anderswo wat suchen!«

Auch die Familie Lemke war sich darüber klar, daß man sie nicht besonders gerne sah.

»Ick weeß nich, wat die Leite jejen uns haben,« sagte Frau Lemke, »imma und ewij diese jiftjen Blicke. Und wie se uns nennen: ›Die Baliner‹ sajen se von uns, a's wenn det 'ne Schande wär', aus Berlin zu sind.«

»Nu wollen wia't sie doch erst recht zeijen, det wia uns nischt aus die alljemeene Vaachtung machen,« schlug Onkel Karl vor, »ick werde – –«

»Nee, laß man lieba sind,« sagte Frau Lemke, »ick jloobe bloß wejen dia und deen uffällijet Jemache haben se uns uff'n Pick jekriejt!«

»Natierlich – wejen mia –« sagte Onkel Karl – »ick bin't aba jewesen, der sich det Terräng aobert hat. Nu könnt ihr eich doch wenijstens riehren – jetzt steht deen Strandkorb in die Mitte und du hast die scheenste Aussicht uffs Meer!«

»Det will ick ja jerne anakennen,« sagte Frau Lemke – »wennste nu noch 'n bisken wenjer Krach machen wirdest, könnt's villeicht noch janz nett hia werden.«

Onkel Karl vermochte diese optimistische Auffassung nicht zu teilen, machte trotzdem aber hin und wieder Versuche, sich die Sympathie der andern Burgenbewohner zu erobern. Wenn sich, bei ihrem Spiel, die Kinder aus der Nachbarschaft der »Lemke-Burg« oder dem »Kriegsschiff« näherten, suchte er sie mit einer Freundlichkeit anzulocken, vor der die Kinder angstvoll schreiend die Flucht ergriffen.

»Wollt ihr scheene Eiapampe haben – nee? Denn looft, sonst zabrech' ick eich die Knochen und reiß' eich eire Horchlappen ab,« schrie er ihnen nach.

»Wat jibste dia denn imma wieda mit det Kruppzeich ab –« sagte dann wohl manchmal Herr Lemke, der regungslos im Sande zu liegen pflegte und sich von der Sonne ausbraten ließ, »det du keen Kin'nafreind bist, merkt man dia ja uff den ersten Blick an. Wat dia die Leite aba ville höher anrechnen wirden, a's dette dia mit die kleenen Bäljer abjeben tät'st, det is, wennste abends nich mehr hia so laut singen wolltest ...«

»Soo –« sagte Onkel Karl gedehnt, »det is mia ja janz nei, det se daran nu ooch schon Anstoß nehmen.«

»Ooch schon is jut« – meinte Frau Lemke aus ihrem Strandkorb – »jleich von'n ersten Abend an, woste dia hören ließest, waren se empört iba dia und wollten sich bei den Stranduffseha beschweren.«

»Na – nu können Se ja wat aleben, bis jetz ha'ick ja imma Ricksicht druff jenommen, det nich all und jeda musikalisch is, aba von heite ab laß ick mia frei jehen,« sagte Onkel Karl, »Willem, du singst mit, allet, wat wia uns frieha in den Vaein blaue Kaffetiete injeiebt haben.«

»Nee,« sagte Herr Lemke, »ick bin keen Rachewerkzeich. Ville jescheita wär's, wia machten 'mal wat an'ners, als hia Taj vor Taj in'n Sand liejen. Wo man sich kratzt, jeht Sand ab – uff'n Kopp, in die Neese, in die Ohren – ick jeb' mia schon ja keene Mihe mehr und vasande jänzlich!«

»Und ick krieje'n aus meen Jebiß nich 'raus,« sagte Frau Lemke, »wenn ick's aus'n Mund nehme, knirscht's von janz alleene weita.«

»Führe et doch 'mal vor und dressiere et in Freiheit –« sagte Onkel Karl interessiert, »ick wirde't jerne mal knirschen sehen!«

»Det jloob' ick – is aba nich,« sagte Frau Lemke, »ooch noch Ulk mit machen, wo ick schon so ville Ärjer deswejen habe!«

»Woso?«

»Et will nich orentlich hacken – et jeht imma los, besonners, wenn ick schnell wat sajen will. Laß dia man von Willem azehlen, wat mia neilich bei die Tablettote beinah' mit passiert wär'« – sagte Frau Lemke, »oda hastet schon azehlt, Willem?«

»Ick werd' mia scheen hieten, sowat azehlt man doch nich,« lehnte Herr Lemke ab.

»Wa'm denn nich? Ick vasteh eich nich – der Fiedla is ooch so komisch! Seit den Taj macht er lauta Ausflichte, sajt, et zieht ihn uff seenen Platz zu sehr und hat sich wo an'ners hinjesetzt, und hia – in unse Burj – läßt er sich ooch man bloß selten noch sehen!«

»Ja, wat is dia denn aba mit det Jebiß passiert?« fragte Onkel Karl.

»Janischt – der olle Jraf oda Baron, oder wat er sonst is, du weeßt schon, der den Sparjel imma mit die bloßen Hände eßt, frajt mia, ob ick so jut sind wollte, und ihn det Salzfaß riebareichen. Und – da er mia ooch imma sehr nett bedient – will ick's ihn rasch jeben und dabei is mia – wat kann ick denn for – det Jebiß in die Suppe jefallen!«

»In seine oda in deine?« fragte Onkel.

»Wenn't in seine jefallen wär', denn hätte er'n Jrund, wahr –« sagte Frau Lemke, »aba wo't meine war, wat jeht ihn denn det an?«

»Du vajeßt die Hauptsache,« sagte Herr Lemke, »seitdem kriejt der olle Knacka schon bloß, wenn er dia sieht, den Schlucken und kann nischt essen!«

»Ja – so sind die Barons und die Jrafen,« sagte Onkel Karl, »ick hab' mal eenen jekannt, der trug een Korsett!«

»Det paßt doch janich hiaher,« sagte Frau Lemke, »oda wat willste damit beweisen? Nu haben se alle 'ne firchterliche Wut bei't Mittajessen uff mia, und da werd' ick mia doch nich hiaher setzen und det Jebiß Sand essen lassen! Det sähe ja erst recht wie 'ne Rausforderung aus!«

»Um Jotteswillen nich, Anna,« sagte Herr Lemke, »janz in't Jejenteil, wia missen allet tun, det det Jebiß wieda in'n Hintajrund tritt!«

»Villeicht, wenn ick mia opferte und ooch mal wieda an die Tablettote mit eich essen täte und die alljemeene Uffmerksamkeit denn uff mia zu lenken suchte,« schlug Onkel Karl vor.

»Lieberst nich,« sagte Frau Lemke.

»Ick rate ooch von ab,« meinte Herr Lemke, »bloß nischt, wat die Jeschichte noch vajrößert, da wächst von janz alleene Jras drieba!«


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