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IX. Der Jüngling mit der Tigerdogge

Und nun ging dieser Hans Zillmann neben Lieschen Lemke und machte ihr Komplimente, die sie so rasch gar nicht würdigen konnte. Ihr Triumphgefühl wurde freilich durch das Pickelchen auf der Nase gestört und durch den Gedanken, daß sie sich vielleicht auf die Nelke gesetzt habe. Darum befühlte sie auch nervös ab und zu hinten ihr weißes Kleid.

Er tat, als merke er nichts davon und gab ihr eine Art Lebensabriß, sprach von seinen Hoffnungen und Plänen und korrigierte dabei geschickt, was sich jetzt nicht mehr mit dem Inhalt seiner Briefe deckte. »Offiziell« sei er noch nicht Doktor, aber er werde es bald. Habe draußen, auf der Technischen Hochschule in Charlottenburg, studiert, eine Erfindung gemacht, über die er noch nicht sprechen wolle. Diese Erfindung hätte er gern »realisiert«, wie er sagte, dazu wäre aber Kapital nötig. Er besitze – mütterlicherseits geerbt – so viel, um standesgemäß auftreten zu können. Wozu solle er sich aber Halsabschneidern ausliefern, wenn ihm die Liebe eines jungen, anmutigen Mädchens – er verbesserte sich und sagte »Dame« – zugleich – zugleich ... »Sie verstehen, gnä' Fräulein.«

Sie hatte eigentlich nur den Klang seiner angenehmen Stimme gehört – seiner »Offiziersstimme«, wie sie dachte – und jetzt sagte sie: »Jewiß, dazu jehört Jeld!« Und damit er nicht glaube, daß sie ihm bedingungslos zustimme, suchte sie diese Ansicht durch einige Ausführungen zu begründen. Er hörte etwas zerstreut zu und musterte sie so eingehend, daß sie schließlich, ganz verwirrt, von ihrem Onkel Karl erzählte, der auch einmal etwas erfunden habe, einen Patentkitt, der sehr gut sei.

»Wenn ich nicht irre,« sagte Hans Zillmann, »habe ich den Herrn übrigens hier vorhin im Botanischen gesehen. Trägt er nicht eine weiße Weste? Überhaupt – hat er sich nicht, trotz seiner Jahre, sehr zu seinen Gunsten verändert? Früher war er doch ein leidenschaftlicher Nimrod, man sah ihn öfter mit einer Flinte und einer etwas ungewöhnlichen Fußbekleidung?«

»Ja – er hat mal einen Seehund geschossen,« sagte Lieschen und dachte mit Scham an die »Kanalisationswasserstiefel«, die Onkel Karl einst getragen hatte. Überhaupt, was würde dieser elegante, feine Mann sagen, wenn er in die häusliche Atmosphäre geriet. Und dasselbe peinlich-schmerzliche Gefühl durchzuckte sie, wie damals, als er sie wegen der roten Flanellbeinkleider, die ihr das Aussehen eines jungen Cochinchinahuhnes gegeben, zur Verantwortung gezogen hatte.

»Irgend etwas« – sagte Hans Zillmann – »irgend etwas war doch auch mit dem Hause in der Potsdamerstraße los, das Haus Ihrer Eltern, meine ich. Wir hatten als Kinder eine besondere Bezeichnung dafür, wenn ich nur darauf käme.« Er hatte diese Erinnerung nur aufzufrischen versucht, weil – trotz all seiner Unterhaltungsgabe – das Gespräch jeden Augenblick stockte, aber er wußte nicht, daß er durch diese Frage Lieschens Verwirrung auf den Gipfel getrieben. Nun, als er sah, was er angerichtet, versuchte er den Fehler wieder gut zu machen. »Es war so etwas Romantisches dabei – wie bei alten Schlössern – irgend eine Ahnfrau – nicht?«

»Lemkes selige Witwe« – stieß sie hervor.

»Richtig, nun weiß ich schon, wir Jungens nannten es so – das Spukhaus von Lemkens selger Witwe. Wie ist denn bloß diese komische Bezeichnung entstanden?«

Die Frage klang so liebenswürdig, teilnahmsvoll, als ahne er plötzlich, was Lieschen – schon seit der Schulzeit her, wenn ihre Freundinnen sie verspottet oder ausgelacht – unter diesem Renommee des Hauses gelitten. Nun wollte er ihr, als feinfühliger Charakter, offenbar Gelegenheit geben, diesem alten Klatsch für immer ein Ende zu machen oder, wenn das nicht anging, die Darstellung so zu färben, wie sie es für gut befand.

»Hach Jott,« machte sie, als lohne es sich im Grunde genommen gar nicht, über diese Geschichte auch nur ein Wort zu verlieren, »wissen Sie, als mein Großvater noch lebte, da soll man den seine Mutter, was also meine Urjroßmutter jewesen is, die soll mal in dem Hause umgegangen sein. Aber es war ja« – setzte sie triumphierend hinzu – »das alte Haus in Schöneberg, nicht das in der Potsdamer!«

»Sehr interessant,« sagte Hans Zillmann, »wie die weiße Dame im Schloß. Warum sollen Bürgerfamilien nicht auch das Recht auf einen Hausgeist haben? Vielleicht gibt's da auch noch eingemauerte Schätze?«

»Nee, aber wenn was passiert,« sagte Lieschen, sah ihn dabei zum erstenmal voll an und verliebte sich – wie einst – aufs neue in seine hübschen, leichtsinnigen Augen – »wenn was passiert, denn soll sie sich jetzt noch bemerkbar machen. Früher war das sehr oft – als Jroßmutter starb, hat's gespukt, und als ...«

»So?« sagte er, diesen Blick auffangend, daß sie ihre Augen nicht mehr abzuwenden vermochte. Und wie er die flackernde Röte sah, die jählings ihr Gesicht bedeckte, wußte er, daß er gewonnenes Spiel hatte.

Das Gespräch war verstummt. Er hatte ihren Arm genommen, und so gingen sie, offenbar alle beide etwas verlegen über den raschen Fortschritt ihrer Beziehungen, durch die Wege des Gartens, lästig berührt durch die Neugier all der Leute, die da auf den Bänken saßen und sie musterten.

Und dann plötzlich wollte sich Lieschen erschrocken losmachen, aber er hielt sie fest: »Warum denn?« fragte er vorwurfsvoll.

»Da kommt er – Onkel Karrel!«

»Laß ihn doch!« Sie merkte in ihrer Aufregung gar nicht, daß er sie schon duzte, »wir tun, als sehen wir ihn nicht«, instruierte er sie noch schnell.

Onkel Karl war verblüfft stehengeblieben, die Augenbrauen fuhren mit einem Ruck bis unter die Hutkrempe und kamen nicht wieder zum Vorschein. Dann trat er seitwärts und ließ das Pärchen, das vor sich auf den Weg starrte, passieren. Den »frechen Bengel« von damals schien er in Hans Zillmann sofort wiedererkannt zu haben, und als nun Lieschen unmittelbar an ihm vorbeischritt, ohne aufzublicken, räusperte er sich vernehmlich und machte dann durch die Nase: »Imhim!«

Da dies jedoch keinerlei Wirkung ausübte, genierte er sich nicht – trotz seines respektablen Aussehens und der weißen Weste – ganz laut hinter ihnen herzureden: »Den jönne ick dia, meen liebet Liesken, den warn' ick nich! Der soll 'rinschliddern – aba feste! Noch for damals – for seene Frechheiten! Die Liebe is ja blind – det merk' ick ja – sonst wird'ste ja Onkel Karreln nich forn Bohmstamm halten – schiefen Absatz haste ooch!«

Noch nie in ihrem Leben hatte sich Lieschen so geschämt, wie jetzt über diesen Onkel. Die Knie versagten ihr fast, und ihr wurde ganz schwindelig. Hans Zillmann dagegen lachte vor sich hin: »Merkwürdiger alter Knabe – besitzt er irgendwelchen Einfluß auf deine Mama?«

Und als sie den Kopf schüttelte: »Auch nicht auf den Papa? Nun, dann werden wir schon mit ihm fertig werden!«

Offenbar hatte er aber Onkel Karl unterschätzt, denn der hatte sich plötzlich sehr eilig nach der entgegengesetzten Seite entfernt, hatte Seitenpfade eingeschlagen und kam ihnen, wie aus der Erde gewachsen, bei einer Biegung wieder entgegen. Diesmal zog er tief den Hut und sagte: »Mahlzeit – meene Herrschaften!«

»Mahlzeit – Mahlzeit« – sagte Hans Zillmann, ohne weiter von ihm Notiz zu nehmen, tippte mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe und wollte an ihm vorüber.

»Is det ne Natzon,« sagte Onkel Karl bitter, »schlimm und ibel kann een'n werden! Aba wenn ooch der janze Schnee vabrennt, die Asche bleibt uns doch.«

»So?«

Hans Zillmann war stehengeblieben – nun sahen sich beide in die Augen, maßen ihre Kräfte und taxierten sich.

»Se denken woll wieda, vorne loof ick rin und hinten komm ick 'raus – eenmal bin ick ja druff rinjefallen, aba nu weeß ick, bei Sie haben die Häusa zwee Injänge, und wenn Sie mia jetz noch imma for dumm koofen, schmeißen Se Ihr Jeld wej!«

»Ich habe Sie nie für dumm gehalten«, sagte Hans Zillmann mit einem verbindlichen Lächeln und streckte ihm die Hand hin.

Einen Augenblick zögerte Onkel Karl: »Man sollte janich denken, det det Natur is« – meinte er mißtrauisch, faßte als höflicher Mann aber doch nach der Hand und sagte plötzlich unsicher werdend: »Sie sind doch der Jingling mit die Tiejadogge?«

»Ja – ich hab' mal ein schönes Exemplar gehabt – aber wollen wir nicht weitergehen?« Er faßte wieder nach Lieschens Arm und drückte ihn zärtlich.

Onkel Karl, der von der Existenz seiner Nichte keinerlei Notiz nahm, beeilte sich plötzlich, auf die andere Seite zu kommen und gleichen Schritt zu halten.

»Wo haben Se'n det Tia jelassen?« fragte er.

»Drüben« – sagte Hans Zillmann mit einem kleinen Kopfruck.

»Wo?« Onkel sah sich um, als erwarte er, daß die Dogge irgendwo hinter einem Baum stände.

»Nein – drüben in Amerika!«

»Wa' ...?« Onkel Karl blieb wieder stehen und kratzte sich erregt den linken Handteller. Dann machte er ein paar hastige Schritte vorwärts und sagte: »So – so – Amerika!« Es klang, als wenn er Rixdorf sagte. »In Nord oder Süd?« Erst wenn ihm diese Frage beantwortet, schien es, als könne er die Sachlage richtig beurteilen.

»In Mexiko!«

»Aha – ja, da sind ja die jroßen Hundezichtereien,« bemerkte Onkel, »riesija Inport und Export von alle Rassen. Ick hatte ooch schon mal d'ran jedacht, die Jungen von meene Joldelse zu vaschicken.«

»Sie sind auch Hundeliebhaber?«

»Ob! Frieha hatt' ick von een'n Bekannten, der drieben is, een echten Bluthund jehabt – den Nulpe – du arinnerst dia, Liesken? Det Tia is mit uff Nejerjagden jewesen, aba et konnte hia det Klima nich vatrajen. Und nu ha' ick die Joldelse – aba det mißt ick Sie ausfiehrlicha azehlen, det läßt sich nich so ibat Knie brechen, villeicht haben wia det Vajniejen nächsten Sonntaj – wie wär't denn zut Mittajessen? Oda machen Se sich nischt aus Kalbsbraten?«

Und als Hans Zillmann zu schwanken schien, setzte er lockend hinzu: »Mit Sahnensohse – na? Da ibalejt man doch nich, da jreift man freidij zu.«

»Also – dann komme ich«, sagte Hans Zillmann.


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