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VIII. Die verschwundene Tante Liese

»Ick astaune sonst niemals nich –« hatte Onkel Karl gesagt, »dadrieba muß ick aba doch astaunen!«

»Nimm dia man 'n Stuhl zu, sonst fallste um bei, mit deene weiße Weste –« hatte Onkel August gesagt.

»Du bist doch aba sonst mit deene Frau een Herz, eene Seele und een Pottemonnäh jewesen,« meinte Onkel Karl, »und nu soll se uff eenmal wej sind?«

»Dadran bist du bloß schuld –« sagte Onkel August mit einem Blick von unten herauf.

»A's wie ick?«

»Ja, du – weil du een jroßer Quatschkopp bist«, sagte Onkel August.

Karl sah ihn eine Weile starr an, dann sagte er sanft: »Ick nehm't dia nich ibel, Aujust, aba du kannst mia leid tun, obzwar ick dia eejentlich jratulieren mechte.«

»Ick danke dia!«

»Mechste mia nich wenigstens det eene verraten, wat meen Quatschkopp mit Tante Lieses Zimpabeene zu tun hat?«

»Wennste denn jehst, will ick dia det gerne sajen. Et hängt allet mit deene Rede von den Muttainstinkt zusammen!«

»Denn tut's mia bloß leid, det ick nich Pasterich geworden bin,« sagte Onkel Karl, »wenn eener son Indruck uff det menschliche Jemüt machen kann, is det eene janz außaordentliche Bejabung!«

»Jehste nu?«

»Wollen wia nich lieberst eene Pulle Rotspohn trinken – ick spendiere –« und Onkel Karl zog das Portemonnaie heraus und klimperte mit dem Geld: »Aujust, ick saje dia, sei froh, dette ihr los bist und feiere det Aeijnis!«

Und Onkel Karl sprach weiter, und August wurde schließlich weicher, zog sich ebenfalls seinen schwarzen Rock an, und dann gingen sie auf die Suche nach einem geeigneten Lokal.

Bei der zweiten Flasche kannte Onkel Karl das traurige Ereignis in allen Einzelheiten, und bei der dritten suchte er Onkel August den Zusammenhang klarzumachen. »Wia sind ja unta uns Männa,« sagte er, »und drum kann ick frei von die Lunge wejsprechen: Sehste, Aujust, eire Ehe is von Anfang an unjlicklich jewesen. Ihr hättet zuerst een Kind haben sollen, wie't an'nere Leite machen!«

»Se wollte doch aba nich –« sagte Onkel August.

»Nachher hat se sich alle Finga nach jeleckt, da'm war se ooch dunnemals so tiksch, a's Willem seene Frau den kleenen Edwin kriejte –« erklärte Onkel Karl weiter. »Und nu mußte dia det vorstellen – Aujust – da steht nu det Klavia in die Ecke und keen Mensch spielt druff – vastehste?«

Onkel August nickte trübe. »Du vajleichst sehr scheen, Karrel!«

»Is doch nu schade um det jute Klavia – kannstet eenen Menschen vadenken, wenn er sich eenen Lehra nimmt und spielen lernt?«

»Ick hätte Trompete lernen sollen, dazu hatte ick imma Talent«, sagte Onkel August.

Onkel Karl sah ihn verblüfft an. »Aujust,« sagte er mit ärgerlichem Kopfschütteln, »ick spreche dia amende doch zu bildlich, soll ick villeicht 'n Beispiel aus die Natuajeschichte nehmen, villeicht von die Fische?«

»Nee –« sagte August störrisch, »du vastehst mia nich mit den Tropetenblasen!«

»Denn haben wia uns vaheddert, nu missen wia't uffknippern, aba dazu jehört Jeduld, und die haste nich –« sagte Karl. »Det jeht ooch daraus hervor, det du ihr jleich aus't Haus jejagt hast!«

»Und wat hättest du jemacht?«

»Ick hätte mit den Klaviaspiela een ernstlichet Wort jesprochen!«

»Sprech ma' mit den Herrn Hahn een ernstlichet Wort –« sagte Onkel August.

»Der Ha Hahn war't – unsa Hahn von den Vaein blaue Kaffeetite?«

»Ja – der Kerl, den ihr dunnemals in die untairdische Tante als Klaviahengst hattet.«

»Wie seid ihr denn aba man bloß zu den Kerl jekommen –« sagte Onkel Karl niedergeschlagen, »ick hätte eich doch een warnended Beispiel sind können! Habt ihr eich denn nich jleich ainnert, det mir den Kerl in den Tod hetzen wollte und det meen arma Nulpe wirklich ooch an die jaloppierende Schwindsucht jestorben is?«

Als August, ohne zu antworten, trübe vor sich hinstarrte, fügte Karl beschwörend hinzu: »Mit den Kerl kannste deene Jattin doch nich uff und davon jehen lassen, der spekuliert ja bloß uffs Jeld, und wenn er ihr denn ausjebeutelt, läßt er ihr loofen. – Aujust, Mensch, sprech een'n Ton – saj wat zu!«

»Wo kann ick denn wat zu sajen, wenn du alles sajst –« murrte August.

»Bejreifste denn nich, det da sofort Schritte jetan werden missen? Aujust – soll ick die Anjelegenheit in die Hand nehmen? Ainnerst du dia noch, wie ick dunnemals, a's der kleene Edwin vaschwunden war, die Spur uffjenommen und ihn zurückjebracht hab'? Willem hatte allerdings eene Belohnung von zehn Tala ausjesetzt – det war also for een Kind – wat setzt du aus, wenn ick ihr fange, wie hoch schätzt du deene Jattin in?«

»Na – mach noch 'ne Null d'ran!«

»Und vorne aus die Eens 'ne Zwee!«

»Nee –« sagte August, »eene Null hinten d'ran, und damit is's jut!«

»Also – abjemacht –« Karl hielt ihm die Hand hin, und August schlug, wenn auch ein wenig zögernd, ein.

»Nu sei ma' 'n bißken still, ick werd' mia die Jeschichte jleich protokollieren«, sagte Karl, seine lederne Brieftasche hervorziehend.

August hatte gar nicht die Absicht gehabt, das Gespräch fortzusetzen, jetzt stützte er den Kopf in die Hände und schielte düster zu Karl hinüber, der sich den Bleistift anspitzte und dann geschäftig Notizen machte.

»Adje – ick muß fort«, sagte Karl dann plötzlich und stand auf. »Bezahl hia man allet!«

»Woso – zwee Pullen hast du doch!«

»Die kannste von die hundert Tala in Abzuj bringen, wenn ick ooch – an deene Stelle – nach sonne wichtjen Beuftrajijung dia freijehalten hätte!«

»Scheen, scheen, aba wo wiste denn so eilij hin?«

»Ick derff keene Zeit mehr valieren,« sagte Karl, »ick muß los und den Vorsprung inholen, den die beeden haben. Also, adje Aujust, und nu vatrau uff mia!«

»Adje – mach's jut!«

Draußen auf der Straße verfiel Onkel Karl in einen gemächlichen Schlenderschritt. »Wo man hinkiekt, lauta unjlickliche Ehen. Willem mit seene Frau – Aujust mit seene Olle – Marie mit ihren Stiesel – wat soll man dazu sajen«, dachte er. »Wer is nu wieda mal der Jescheite jewesen, wer hat sich seen janzet Leben lang nich mit Frauenzimmajeschichten injelassen? Ick!«

An einer Straßenecke blieb er dann stehen und orientierte sich über die Richtung. Und plötzlich kniff er das linke Auge zusammen, um besser sehen zu können und trat dann rasch in das nächste Haustor.

»Schau, schau – ei, ei –« machte er mit süßlich gespitztem Mund, »wer hätte det woll von die ehrenwerte Frau Lemken jedacht – angaschiert se sich den braven Herrn Fiedla und denn jehen se beede promenieren.«

Das Paar war vorüber. Onkel Karl ging auf die andere Straßenseite und folgte ihnen vorsichtig. »Ick möchte nu bloß wissen, wat det bedeiten soll – wat haben se denn nu davon, det se hier 'rumloofen? Et is doch jänzlich ausjeschlossen, det se sich mit den Schaffskopp inläßt, obschon die Weiba allet zuzutrauen is!«

Und die Geschichte wurde ihm noch rätselhafter, als er dann sah, wie sich Herr Fiedler am nächsten Droschkenhalteplatz sehr zeremoniell verabschiedete und Frau Lemke allein einen Wagen bestieg und davonfuhr.

Onkel Karl war unschlüssig, wem er folgen solle, aber dann dachte er: »Laß sie alle beede loofen, et jenügt vorleifig, det ick den Datum habe. Und denn muß ooch det Belastungsmaterial stichhaltja sind, die Promenade beweest so jut wie janischt. Obzwar – se hätte mia janz jut in die Droschke mitnehmen können, wenn't ooch jrade keen Vajniejen jewesen wär!«

Wie er dann so heimwärts schlenderte, überlegte er das Ergebnis des Tages – auf eine solche reiche Ausbeute war er nicht gefaßt gewesen. »Nu ha' ick ja die Hucke voll und weeß janich, bei wen ick zuerst anfangen soll. Am nötigsten wär't woll bei Tante Marie, denn die hat wirklich auszustehen, wohinjejen die beeden an'nern in Selijkeiten schweljen. Aba Aujust tut mia doch am mehrsten leed – und denn hundert Dala und det Klavia als Zujabe!«

Plötzlich beschleunigte er seine Schritte – ihm war eingefallen, daß es ja längst an der Zeit war, das Gas auf der Treppe anzuzünden. »Na – Willem wird mia woll mal vatreten haben.«

Als er dann ins Haus trat, fand er alles in schönster Ordnung.


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