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VI. Die Windhunde

Wie Onkel Karl selbst sagte, hatte er sich »wat Scheenet injebrockt«. Nicht nur mit seiner Bereitwilligkeit, Fräulein Lieschen zum Rendezvous zu begleiten, sondern auch mit seiner »poetischen Annongse«, auf die Frau Lemke alle Hoffnung für eine glückliche Zukunft ihrer Tochter setzte.

»Seh ma', Karrel,« hatte Frau Lemke gesagt, »du mußt mia 'n bisken bei untastitzen. Mit Willem is nischt anzufangen, der wirde allet vaderben und ick alleene kann det nich so – det paßt sich nich – da jehört 'n Zwischenhändla zu.«

»Wiste ihr denn vakoofen?«

»Nee – jewiß nich – aba ick will ihr ooch nischt entjehen lassen.« Und als sie den verständnislosen Blick Onkel Karls bemerkte, setzte sie hinzu: »Meen Jott, stell dia doch nich so umständlich an, du bist doch sonst so helle! Uff det Jedicht hatten sich doch welche jemeldet – wahr?«

»Det waren doch allet faule Köppe!«

»Woso denn? Det se ooch jedichtet hatten? Det is doch nur 'n Beweis, det se sich for ihre dichterische Zukinftje jeeijnet erweisen wollten.«

»Aba det Jedicht is doch meene,« sagte Onkel Karl.

»Ja doch – bestreit' ja keena, sollst ooch noch 'n Lorbeerkranz kriejen – aba die dachten doch, det Liesken det jedichtet hätte und se kann ja ooch dichten, wenn't sind muß!«

»Et muß aba nich sind,« sagte er eigensinnig.

»Nee – aba Poesie is ooch scheen!«

»Mia hat se ooch imma jetröstet, besonners Lieda, die man singen kann,« sagte Onkel Karl versöhnlich gestimmt, »wat soll ick also tun, wat valangste von mia, saj's mia, wennste kannst, mit een'n eenzjet Wort!«

»Du sollst dia 'n schwarzen Rock anziehen, die weeße Weste, und dia denn in die jute Stube setzen und die Leite emfangen. Ick steh nebenan und hör durch die Ritze, wat sie sajen und wie se aussehen. wenn ick ankloppe, denn schmeßte den Betreffenden 'raus, denn is nischt mit ihn, komm ick aba 'rin, denn stellste mia als Mutta vor und wia nehmen ihn jrindlich in die Mache!«

»Det kann ja 'n scheenet Teata werden,« sagte Onkel Karl kopfschüttelnd, »woher wissen denn die Leite, wo wia wohnen, et war doch allst unta sojenannte Schiffa!«

»Ick hab doch an sie jeschrieben – jeden Brief ha'ick beantwortet, denn man kann doch nich wissen –« sagte Frau Lemke – »und als Mutta ...«!

»Hättste mia det man machen lassen,« sagte er verstimmt, »ick hab mia doch extra 'n Liebesbriefstella anjeschafft.«

Frau Lemke machte eine abwehrende Handbewegung: »For den Fall is nischt vorjeschrieben.«

»Also jut,« sagte Onkel Karl nachdenklich, »eens mach' ick mia aba zu Bedingung: die Leite, die wejen meene Windhunde kommen, muß ick hia ebenfalls empfangen können.«

»Meenswejen – aba det wird Kuddelmuddel jeben.«

»Hab man keene Bange nich, ick fraje jeden jleich: ›Kommen Se wejen Windhunde oda wollen Se heiraten?‹ Und denn je nachdem behandle ick ihn!«

Fräulein Lieschen aber, die auf Anraten Onkels ihre Hoffnungen und Pläne vorläufig vor der Mutter geheim halten sollte, hatte ihn nach dieser Unterredung ganz verstört gefragt: »was wird denn dann aus mir, Onkel, du wolltest doch mit zu dem Rendezvous kommen?«

»Alaube ma',« sagte er und faßte sich an die Stirn, »nu fangt mia doch der Kopp an 'n bisken zu schwirren, wann is det Rangdevuh?«

»Übermorgen!«

»Jut – eene Stunde vorher kommste und holst mia ab. Ick bin fix und fertij!« – – –

Seit zwei Tagen saß er nun – »jestiebelt und jespornt« – wie er sich ausdrückte, auf der Lauer. Immer, wenn es klingelte, ging es wie ein elektrischer Schlag durch die Lemkesche Wohnung und Onkel Karl behauptete, daß er schon am Klingeln erkennen könne, ob es ein Hundeliebhaber oder ein Heiratskandidat sei. »Die eenen ziepen sachte und die an'nern werden die Klingel noch kaput machen mit ihr vaflixtet Jereiße!«

Da niemand wissen konnte, ob nicht plötzlich sowohl Lieschen, wie auch Herr und Frau Lemke von Onkel Karl in die gute Stube gerufen werden würden, und da namentlich Frau Lemke noch an der Vorstellung litt, daß sich dann wohl eine Besichtigung der ganzen Wohnung mit irgend einem aussichtsreichen Freier anschließen müsse, so glich die Familie nach dem Klingelzeichen jedesmal einem aufgestörtem Ameisenhaufen. Einer von ihnen – entweder Edwin oder Herr Lemke – aßen gewöhnlich gerade etwas, wenn die Klingel ertönte – dann sah man sie mit der angebissenen Butterstulle oder ihrem Teller irgendwohin flüchten, um den Rest noch rasch in einem stillen Winkel zu vertilgen. Frau Lemke aber hatte das Prinzip, in einem Zeitraum von weniger als fünf Minuten die Stube aufzuräumen und ihre Toilette empfangsfähig zu machen. Jetzt besaß sie schon einige Übung darin und war stolz auf ein vereinfachtes Verfahren: Im Handumdrehen hatte sie jedesmal das Tischtuch, das sie immer voller Flecke glaubte, zusammengeknüllt und unter das Sofa geworfen, den Butternapf und alles Eßbare ins Büfett gestopft, eine Paradedecke aufgelegt und ein Makartbukett auf den Tisch gestellt. Und dann zupfte sie ihre Schleife vor dem Spiegel zurecht und begab sich auf ihren Lauscherposten.

Lieschen dagegen zeigte bedauerlicherweise jedesmal Neigung, krank zu werden und sich rasch ins Bett zu legen, einmal erwischte sie auch die Mutter, als sie Hut und Schirm schon ergriffen und gerade ins Freie flüchten wollte.

Onkel Karl aber betrieb seine Mission mit Liebe, Aufopferung und Raffiniertheit. Weil er es für ratsam hielt, sich immer erst von dem Aussehen seines »Jejners« zu überzeugen, um ihm von der ersten Sekunde an in entsprechender Weise entgegenzutreten, so schlich er stets vorher wie ein Indianer auf dem Kriegspfad durch den Korridor, besichtigte den Draußenstehenden eingehend durch das Guckloch in der Tür, schlich wieder zurück, ging dann – während es zum zweiten- und drittenmal klingelte – mit dröhnenden Schritten hinaus und öffnete die Tür.

Die Art, wie er die Besucher zu behandeln pflegte, wies sehr verschiedene Nuancen auf und Frau Lemke hatte nachgerade die Überzeugung gewonnen, daß er die Hundeliebhaber bevorzuge.

»Det derfste nich, Karrel,« hatte sie ihm gesagt, »erst kommt meene Tochta und denn deene jungen Teken! Jerechtigkeit muß sind!«

»Aba selbstvastendlich,« hatte er erwidert, konnte es jedoch nie verhindern, daß seine Stimme unwillkürlich einen geschmeidigeren Klang erhielt, wenn er einen Tierfreund vor sich hatte. Die Unterhaltung über die Hunde pflegte dann auch immer bis in alle Einzelheiten zu gehen, namentlich, wenn er eins der Tierchen aus dem Korb in der Ecke herausnahm und dem Reflektanten vorführte.

Bei der Besprechung des Heiratsprojektes dagegen hatte sich eine gewisse Schablone entwickelt. Onkel Karl verfiel immer in einen Wachtmeisterton, stellte eine Art Kreuzverhör an und erhob sich oft überraschend schnell mit der Abfertigung: »Nee, tut mia leid, Sie kommen nich for uns in Betracht!«

»Karrel«, hatte Frau Lemke gestern abend gesagt, »ick weeß nich, wozu wia uns denn erst die janze Mihe jemacht haben, wennste doch alle abwimmelst. Et waren, wie ick mia ibazeijt habe, doch recht nette Herrn bei!«

»Meene Windhunde bin ick los, bis uff eenen,« sagte Onkel Karl mit einer gewissen Befriedigung.

»Damit haste eben allst vamanscht,« sagte sie ärgerlich.

»Na, morjen is ja Ausvakoof,« sagte er tröstend, »denn ick nehme an, det denn keena mehr kommen wird und det det der letzte Taj sind wird. Ick schlaje dia vor, det Jeschäft nu ma selba in die Hand zu nehmen und ick vatrau dia sojar die Ibajabe des letzten Windhundes an – wie't jemacht werden muß, weeßte doch jetz!«

»Wie ville waren denn da?« überlegte Frau Lemke, ohne Onkel Karls ehrenvollen Auftrag besonders zu würdigen. »An sechse hatte ick jeschrieben.«

»Na, da war der Ajent mit die Pockennarben,« zählte er auf, »denn der Koofmich mit die blaue Krawatte, denn der Kerl, der so hustete und in den juten Spucknapf jespuckt hat und denn – wer war't denn noch? Ick vawechsele se jetz schon mit die Hundeabhola ...«

»Na – denn jestern der – der –« half Frau Lemke nach, »der ...«

»Ach so, ja – der Quatschkopf mit die Obeene und denn der – der ...«

»Und denn, der zuletzt kam, laß man, ick weeß schon,« beendete Frau Lemke die Aufzählung.

»Also det wären fimfe, eena bleibt noch übrig, wie bei meene Hunde,« sagte Onkel, der durch Einknicken der Finger das Resultat ermittelt hatte.

»Denn biste also alöst,« sagte Frau Lemke.

»Jott sei Dank, denn ick hatte ooch morjen wat for, wenigstens Nachmittaj, vormittag hätte ick ja noch gekonnt.

»Nee, nee – is schon jut so! Und die weeße Weste kommt natürlich uff unse Kosten, Minna wird se dia scheen waschen und plätten.«

Onkel Karl machte eine abwehrende Bewegung: »Det is Ehrensache gewesen, die ha'ick for Lieskens Jlick und Zukunft ingedreckt.«

»Also, denn werd ick mia schon mal an'ners revanschieren,« sagte Frau Lemke freundlich.


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