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XI. Die Verlobungsfeier

»Hooch, hoooch und zut dritte ma' hoooch!« brachte Onkel Karl, der schon einen etwas roten Kopf und eine etwas heisere Stimme hatte, wieder einen Toast aus. Frau Lemke führte ihn, am Ärmel ziehend, etwas abseits. »Nu is aber jenuj, Karrel«, sagte sie warnend.

»Denn nich, denn feire ick die Valobung nich mehr mit«, sagte er gekränkt.

»Nimm doch Vanunft an,« redete sie ihm zu, »watt soll denn der Mann von dia denken, seit det Mittajessen trinkste den schweren Rotwein und schreist hoch!«

»Ick bin derjenijte, welcha ...« sagte Onkel Karl und tippte sich energisch auf die Brust.

»Ja – die scheene weiße Weste – een'n Rotweinfleck neben 'n an'nern, sehst ja schon aus, a's wennstet Scharlach hast!«

»Schad't nischt, det jeht wieda 'raus, ick hab' mia schon Salz druffjestreit«, sagte er sorglos. Und dann nahm er den abgebrochenen Satz wieder auf und rechnete ihr seine Verdienste vor: »Ick bin derjenijte, welcha ... Ick hab' eich allen die Zunge jelöst! Ick hab' Onkel Aujusten und Tante Liese und Tante Marie und den Krause – ibahaupt alle – herjeholt, denn sonst wär det in't janze Leben keene Valobung nich jeworden!«

»Jadoch!«

»Ick habe die meesten Reden jeredet, bis ick ihn anjestochen habe, det er von seene Afindung azehlt hat!«

»Jadoch!«

»Denn er war mechtij zujekneppt, wahr?«

»Wenn du man d'raus kluj jeworden bist«, sagte Frau Lemke.

»Ick? Ick weeß jetz bessa Bescheid wie er,« sagte Onkel Karl, »det is doch 'n Klumbummbusei, bloß det man's eben ausbrietet.«

»Na – denn is ja jut,« sagte Frau Lemke, »wenn du – und du vastehst ja wirklich wat von sowat – wenn du jloobst, det der Flujapparat 'ne Zukunft hat ...«

»Wia leben doch in't neinzehnte Jahrhundert, wenn wia vorne ooch noch imma achtzehnhundert schreiben –« begann Onkel Karl auszuholen, »wenn nu Anfang dieses Jahrhunderts die Eisabahnen afunden wurden, wa'm sollen wia denn jejen Ende zu nich sonne Flujapparate afinden?«

»Ick seh' ooch keen'n rechten Jrund nich,« sagte Frau Lemke, »aba nu hören wia uff mit, azehl' mia nich allet noch ma' von vorne – er hat et ja schon so scheen jesajt. Mia soll et wirklich freien, in sonne Flujdroschke ersta Klasse 'rumzujondeln.«

»Meene streich ick blau an«, sagte Onkel Karl.

»Meenswejen, ick bin mehr for Jrien,« sagte Frau Lemke, »und nu komm', Karrel, nu wollen wia wieda bei die an'nern jehen. Und denn nimm dia 'n bisken zusammen und führ' dia anstendij uff. Trink' nischt mehr, et schad't dia, du kannst 'n Herzschlaj kriejen!«

»Denn bin ick uff eenmal wej,« sagte er trübe, »ibahaupt, ick werde det allet nich mehr aleben, die janze neie Zeit nich, die nu kommt. Und wie jerne wär' ick ma mit meene Flujdroschke um die Siejessäule jekreist, hoch ahaben iba den Jestank diesa Erde!«

Frau Lemke sah ihn nachdenklich an – es war wohl besser, Onkel Karl erholte sich erst ein wenig von den Strapazen des Tages. In dem Zustande jetzt konnte er nur die Stimmung der andern ungünstig beeinflussen. Und er ließ sich auch zureden, setzte sich nebenan in die kühle, dunkle Stube auf Großvaters alten Sessel und gab sich einsam seinen melancholischen Betrachtungen hin.

Nun, da Onkel Karl nicht mehr dazwischenredete, konnte Hans Zillmann seinen stummen, staunenden Zuhörern ungestört seine Projekte klarmachen.

Das letzte Licht am Klavier – Lieschen hatte vorhin die Klosterglocken vorgetragen – war längst hinuntergebrannt und die Luft in der guten Stube, vom Zigarrendampf so dick und schwer geworden, daß die Flammen des Kronleuchters trübseligen Öllämpchen glichen.

Onkel August, dessen Augen aus dem Kopfe quollen, glich mit seinem roten Aussehen einem Hummer, während Tante Liese, seine Frau, immer bleicher und spitzer wurde vor Magenschmerzen, die sie gewaltsam zu verbergen versuchte. Tante Marie, die trotz der Hitze stark fröstelte, fragte in Wisperton und immer ängstlicher werdend ihren Mann, ob es denn nicht längst die höchste Zeit zum Aufbruch sei, aber Herr Krause machte stets nur eine Bewegung, als habe sich eine Fliege auf seine blanke Stirn gesetzt. Er wollte durchaus noch warten, bis der Kaffee fertig war, der die Lebensgeister aller wieder anfachen sollte. Und so horchte er ab und zu nach der Küche, wo doch schon vor so langer Zeit das Knarren der Kaffeemühle erklungen, nun das Klirren von Tassen und Löffeln herüberdrang und Frau Lemkes Stimme kommandierte.

Lieschen, die sich vor der Gesellschaft noch zu sehr genierte, um ihre Zuneigung offen zu zeigen, hatte – in Ermangelung von etwas Besserem und um dem Zärtlichkeitsdrang doch freien Lauf lassen zu können – die schlafsüchtige Gertrud umklammert. Nur Herr Lemke saß, wie immer scheinbar sehr behaglich und gemütlich gestimmt, in seinem roten Plüschsessel, ließ aber kein Auge von Hans Zillmann. Er war fest überzeugt, daß sein Schwiegersohn in spe einen ganz bestimmten Zweck verfolge, weil er so unermüdlich spreche, vermochte aber immer noch nicht ganz klar zu sehen, obwohl ihn allmählich eine Ahnung überfiel.

Und auf einmal bekam auch Onkel Augusts Hummergesicht einen vergeistigten Ausdruck und Herrn Krauses linkes Auge schloß sich langsam, während das rechte scharfe, starre Blicke nach dem Sprecher sandte. Daran war nur das eine Wort »Beteiligung« schuld, das Hans Zillmann eben gebraucht. Solange er von den günstigen Aussichten gesprochen, die seine Erfindung habe, hatte man ihn ruhig gewähren lassen, hatte auch große Bereitwilligkeit gezeigt, das Terrain draußen in Charlottenburg, wo die Flugmaschine gebaut und probiert wurde, am nächsten Sonntag zu besichtigen. Mit Staunen war es dann aufgenommen worden, als Hans Zillmann erzählte, daß sich die Stadtverwaltung und das Kriegsministerium für seine Erfindung interessierten und beide ihm sogar Mittel zur weiteren Ausgestaltung gegeben hätten.

»Na, denn muß et ja werden«, hatte Herr Krause, nach einem schnellen Blick auf Herrn Lemke und Onkel August, eingeschoben und Hans Zillmann hatte auch genickt. »Trotzdem wäre eine Beteiligung privater Personen immerhin wünschenswert«, hatte er hinzugesetzt.

Herr Krause war plötzlich aufgestanden und hatte sich heftig die Wade gerieben. »Mia is det Been injeschlafen«, erklärte er auf die besorgten Fragen der erschrockenen Tante Marie, und dann hatte er die Uhr gezogen und aufgeregt gesagt: »Heiljet Vataland, nu heeßt's aba dalli, sonst kriejen wia nich mehr den blauen Amtsrichta und müssen 'ne Droschke nehmen!«

Und Onkel August war auch aufgestanden und hatte erst das rechte, dann das linke Bein ausgestreckt und heftig geschüttelt, als wolle er es abwerfen: »Weeß der Deibel, wo die Zeit jeblieben is, aba det kommt, wenn eena son Wellblech azehlt. Ick hör't janz jerne – is wie son Roman!«

Frau Lemke kam herbei: »Wat is denn uff eenmal los – der Kaffee kommt ja jleich! Liesken, jeh du ma' jetz raus und steekere die Minna – sonst schläft se 'in.«

Aber es war kein Halten mehr, eine gewisse Unruhe hatte sich der Gesellschaft bemächtigt. Und als Frau Lemke in aller Harmlosigkeit sagte: »Ick hab vorhin janich die Jeschichte zu Ende jehört, also, wie weit is denn nu eijentlich die Flujmaschine?« fuhr Tante Lieschen mit der Frage dazwischen: »Jebt Ihr eijentlich eiern Joldfisch Miereneia oder Oblaten? Die Jroßen – in'n Tierjarten – in'n Joldfischteich – fressen ooch Schrippe, die sind nich vawöhnt!«

Es war auffällig, wie alle Herrn Zillmann mieden, der vereinsamt am Klavier stand und scheinbar sehr interessiert in Lieschens Notenheften blätterte.

Die Stimmung wurde erst wieder gemütlicher, als nun wirklich der Kaffee kam. »Weck doch eena Onkel Karreln, der is in die kleene Stube nebenan injeschlafen – man hört ihn bis hierher säjen!« sagte Frau Lemke.

Alle wurden still und lauschten auf die langgezogenen Töne, bis Gertrud plötzlich sagte: »Ick jraule mia!« Auch die andern Damen erklärten, daß es sich »schauderös« anhöre, doch kam man überein, Onkel weiter schlafen zu lassen, weil ihm »so am wohlsten sei!«

Und dann kam hastig und aufgeregt der Aufbruch. Minna, das Dienstmädchen stand mit dem Stearinlicht schon an der Entreetür, um die Gesellschaft hinunterzugeleiten und Frau Lemke ermahnte sie: »Seh dia vor, dette nich wieda den janzen Treppenleifa betrippst, det jeht ja so schwer 'raus, halt die an'nere Hand 'runta, dettet uffängst!«

In der guten Stube stand Lieschen und sah weinerlich ihren Bräutigam an: »Was kann ich denn für – ich hab' dir doch nischt jetan, den Krause laden wir auch nicht mehr ein, das war das letztemal heute!«

Er schwieg, sah an ihr vorbei und glättete seinen Zylinder.

»Na – und ihr beede?« sagte Frau Lemke, hereinsehend, »ihr könnt eich woll janich trennen, macht man 'n bisken, die an'nern sind schon uff die Treppe und Minna hält unten die Türe uff!« Aber dann kam sie näher und fragte betroffen: »Ihr zankt eich woll schon jar – det hebt eich man for späta uff, denn sonst habt ihr ja janischt mehr. Wat is denn, Liesken?«

»Hans is iber Krausen so beleidijt, der hat sich jrade an die wichtigste Stelle ans Been jekratzt«, sagte Lieschen.

»Na – da kann er nu ooch nischt vor,« verteidigte ihn Frau Lemke – »det kommt von Joldelse, die hat imma Flöhe, da kann man machen, wat man will. Det Biest muß mal wieda jewaschen werden!«

»Nee – so nich, Mama,« sagte Lieschen, »Hans hatte auf eine Beteiligung gerechnet, damit er seine Erfindung bald fertig kriegt – und gerade da hat sich der Krause so jemein jekratzt!«

»Det is eben 'n unjebildeta Mensch,« sagte Frau Lemke, »'ne Meßalljangse von Tante Marie – da derfen Se sich nich drieba ärjern, Ha Zillmann. Und wat brauchen Sie denn Beteiljung von den – haben Se uns nich? Wir beteiljen uns alle daran!«

»Ja – aber mit Anteilscheine, Mama«, sagte Lieschen.

»Na – womit denn sonst, dachteste etwan mit die Körpakräfte? Ick kann keene Flujmaschine heben – wie'n Drachen« –

»Ich danke Ihnen, Mama«, sagte Hans Zillmann und schüttelte ihr die Hand.

»Bitte scheen!«

»Macht doch schon da oben«, schrie Herr Lemke unten im Hausflur und Hans Zillmann küßte Lieschen rasch und sprang die Treppe hinunter.


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