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IV. Der gute »Bongtong«

Um fünf Uhr – genau mit dem Glockenschlag – kam Herr Anton Fiedler, der Hauslehrer, um Edwin Nachhilfeunterricht zu erteilen. Wenn er es sich auch nicht abgewöhnt hatte, sein Taschentuch nach Gebrauch jedesmal wieder in kleine Quadrate zu falten, so war – im Laufe der Jahre – doch eine wohltuende Veränderung mit dem jungen, schüchternen Manne vorgegangen.

Statt des schwarzen Rockes mit dem etwas speckigen Kragen, trug er jetzt einen modernen Jackettanzug, und statt des linkischen, gedrückten Benehmens, zeigte er ein sicheres, energisches Auftreten.

Minna, das Dienstmädchen, dessen Bewunderung für Herrn Fiedler den höchsten Grad erreicht hatte, brachte verlegen das Tablett mit dem Kaffeegeschirr herein und stolperte dann – sich mit den Füßen im Teppich verwickelnd – zur Tür hinaus. Trotzdem sie dem jungen Mann nun doch unermüdlich Beweise ihrer Zuneigung gegeben, schien er bis heutigen Tages keine Ahnung davon zu haben, in welche Gemütsverfassung er sie gebracht und wie sehr er sogar ihr Traumleben beeinflußte.

Nun hatte er sich die Brille geputzt – mit einem rotseidenen Tüchelchen, das ihm Frau Lemke geschenkt, und dann begann der Unterricht. Man mußte es Herrn Fiedler lassen, er verstand es vorzüglich, selbst einen so harten und widerwilligen Kopf, wie ihn Edwin besaß, mit dem nötigen Weisheitsquantum vollzutrichtern.

Gegen Ende der Stunde öffnete sich plötzlich die Tür – wie immer – ehe Herr Fiedler fortging – erschien Frau Lemke, um sich nach den Fortschritten ihres Sohnes zu erkundigen. Während sie sonst einen blauen Schlafrock bei diesen Gelegenheiten trug, hatte sie heute – da sie es beinahe verschlafen – in der Eile nur eine großgeblümte Matinee – wie sie diese Flanellnachtjacke nannte – übergeworfen. Ihr Gesicht war etwas entstellt, weil die Backe angeschwollen war und sich das Stickmuster des Sofakissens, ein Papagei, darauf abgedrückt hatte.

»Wat ick leide, is unmenschlich« – sagte sie – »Onkel Karrel, obschon ick ihn sonst nicht beistimmen kann, hat janz recht, wenn er sagt, det in die Zehne keene Nerven nicht sind dürften. Det mißte der liebe Jott so injericht't haben, det man sich die Zehne, wie die Näjel von die Beene, mit 'ne Schere selba abschneiden könnte, wenn sie schlecht jeworden sind.«

Herr Fiedler war ebenfalls der Ansicht, daß dies jedenfalls am praktischsten wäre.

»Ick würde mia –« sagte Frau Lemke, als sie ihr Spiegelbild erblickte – »in die Vafassung heite janich vor Ihn'n sehen lassen, aba et handelt sich um wat Beson'neres, wat ick mit Sie besprechen möchte. Edwin« – wandte sie sich an ihren Sohn – »biste fertij, denn kannste jehen, wia brauchen dia momentan nich!«

Etwas widerwillig packte Edwin seine Bücher zusammen und verschwand.

»Et quält mia wat –« sagte Frau Lemke, »und ick weeß nich, wie ick Sie det bejreiflich machen soll. Jleich in'n Anfang, als sie bei uns kamen, hab' ick schon mal mit Sie drieba jesprochen.«

Herr Fiedler saß in respektvoller Haltung auf der Stuhlkante und machte kleine, zustimmende Verbeugungen, obwohl er sich nicht recht erinnern konnte, was Frau Lemke meinte.

»Sie müssen mia mehr in die Mache nehmen« – sagte Frau Lemke – »so jeht det nich weita! Nu – wo ick mia den Zahn habe ziehen lassen und det Schmerzhafteste vorbei is, muß det an'nere ooch drankommen.«

Sie sah Herrn Fiedler erwartungsvoll an. Da sie aus seiner Verbeugung aber merkte, daß er noch immer nicht verstand, worauf sie eigentlich hinauswollte, setzte sie hinzu: »Wia wollen diesmal während die Schulferjen ooch varreisen, und da jehört et sich, det man sich zu benehmijen vasteht – an die Tablettote – ibahaupt beit Essen und so!«

»Aha – Frau Lemke meinen den äußern Schliff«, sagte Herr Fiedler.

»Janz recht, ick kam bloß nich jrade uff den Ausdruck. Et is so vielet – lauta Kleenigkeiten, aba die wollen ooch jelernt sind. Manche Leite jeben jrade dadruff det meiste!«

»Wenn mir Frau Lemke das Vertrauen schenken wollen –« sagte Herr Fiedler.

»Ja, det will ick, aber wenn ick det wirklich lernen soll, denn muß ick mia nich vor Sie jenieren dürfen, sonnern Ihnen alle meene Schwächen varraten.«

»Man könnte ja einen regelrechten Kursus einrichten«, schlug Herr Fiedler vor.

Frau Lemke schüttelte den Kopf. »Nee, det is nischt – Sie meenen so wie in die Schule, wo ick die Hände falten soll und zuhören – nee, wenn mia eena so wat vorträjt, werde ick imma jleich schläfrij. Ick muß det praktisch ausprobieren!«

»Ich weiß nur nicht recht –« begann Herr Fiedler stockend.

»Ick weeß schon,« sagte Frau Lemke, »sehen Se mal, wenn wia zusammen ausjehen und Sie mia imma jleich uffmerksam machen wirden, wat zu den sojenannten juten Bongtong jehört, denn wird' ick's am allaeh'sten kapieren. Et kann doch nich jar so schwer sind.«

»Gewiß nicht –« sagte Herr Fiedler.

»Die Jeschichte hat nur eenen Haken, nehmlich, die andern dürften nischt von wissen!«

Herr Fiedler sah sie betroffen an – eine unangenehme Empfindung kroch ihm langsam den Rücken hinunter.

»Denn so vaninftij meen Mann ooch sonst is, an die Stelle is er merkwird'ja Weese janz scheißlich kitzlich –« sagte Frau Lemke.

»Dann wäre es doch wohl das Beste –« meinte Herr Fiedler ein wenig gedrückt, »wenn wir ihm über Zweck und Ziel dieser praktischen Übungen volle Klarheit gäben und alle Heimlichkeiten streng vermieden!«

Frau Lemke sah ihn kopfschüttelnd an: »Sehn Se, Herr Fiedler, Sie sind noch imma een richtijer Jüngeling, een unvadorbnet Jemiete, det von die Schlechtigkeet der Welt keen Schimma hat. Wo denken Sie denn hin, det uns det eena jloben wirde! Bloß zum Beispiel Onkel Karrel – diesa Mann is meen jeschworna Feind, det wissen Se doch? Wie wirde der die janze Jeschichte vadrehen, denn der hält sich doch für'n jebornen Kriminell und wittert ibaall Jeheimnisse und Schändlichkeeten. Und denn zweetens, wie schenierlich wär' det vor die Kinda.«

Herr Fiedler kratzte sich nachdenklich das Kinn – er wußte nicht mehr, was er sagen sollte.

»Ick werde Ihn' also vastendjen, wenn't so weit is –« sagte Frau Lemke, »und Ihr Schade soll't jewiß nich sind!«


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