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XII. Lemkes verreisen

Onkel Karl hatte in der letzten Woche alle Hände voll zu tun. Aus freiem Antrieb revidierte er sämtliche Schlösser der Lemkeschen Wohnung und brachte an der Hintertür noch eine Sicherkeitskette an. »Bessa is bessa,« sagte er, »wenn die Wohnung ooch jrade nich leersteht, aba uff die Minna is keen Valaß nich und Tante Marie wird jewiß imma vorne an't Fensta sitzen und hört außadem schwer. Da können die Diebe in volla Jemietsruhe die Stuben ausreimen!«

»Und denn, Karrel, mußte dia ooch endlich 'mal akundjen jehen, wie die Züje eijentlich jehen –« sagte Frau Lemke freundlich.

»Ja doch, ja doch, nua nich allet uff eenmal!«

»Vielleicht bein Koofmich oda bei deen'n Zigarrenfritzen,« schlug Frau Lemke vor.

»Da is keen Valaß nich druff, ick jehe selba uffn Bahnhof,« sagte er. »Villeicht schickste det Meechen ooch vorher noch bein Koofmich, er soll't ihr deitlich uffschreiben und denn werd' ick die Anjaben nachher vajleichen!« – – –

Es ergab sich dann aber, daß die vom Kaufmann notierten Zahlen durchaus nicht in Einklang mit dem zu bringen waren, was Onkel Karl nachher auf den Fahrplänen im Eisenbahngebäude feststellte.

»Wat sind denn det for Rebusse, die Sie hia uffjehängt haben,« erkundigte er sich bei einem Beamten, »keen Schwein kann draus kluj werden ...«

»Det werden wia schon fingern,« sagte der freundliche Beamte, »also – wo wollen Sie hin?«

»Ick pasönlich« – sagte Onkel Karl – »wirde ja jerne dahin jehen, wo't die mehrsten Seehunde jibt, also nach 'ne kleene Insel in'n Stillen Ozean, wo't noch ruhij is und een'n keena in't Revia kommt. Aba det is ja nu nich zu machen, wo die janze Vawandtschaft mitjeht und Kinna bei sind, die mit ihr Jebrille die janze Jagdbeite vascheichen werden.«

»Da können Se ja nich ma' Hasen schießen, wenn Sie ihre Schwiegamutta bei mitnehmen«, sagte der freundliche Beamte.

»Sie untaschätzen mia und scheinen nich zu wissen, det Seehunde – wat doch vakleenerte Robben sind – sozusajen Sprotten von die Kieler Bicklinge – ibahaupt nich jeschossen, sondern mit Knüppels totjeschlajen werden – natierlich muß man sie vorher erst 'ne Schlinge um'n Hals jeworfen haben, denn sonst loofen se wej!« belehrte Onkel Karl.

»Mia is det ja ejal, wenn Se man welche kriejen,« sagte der freundliche Beamte, »aba wo wollen Se denn nu hin?«

»Wo nich also bloß for Männa, son'nern ooch for Damen wat is – beispielsweise Heljoland, wo man sich auf die Austernbänke setzen kann –« sagte Onkel Karl.

»Denn wird' ick Ihnen doch lieba nach die Insel Sylt raten, wo meen Bekannta jewesen is. Da sind Sandbänke vorjelajert, uff die die Seehunde rudelweise sitzen und bloß warten, det man sie abschießt, damit die andern, die noch int Wassa sind, ooch mal ruffkönnen!«

»Wo is det,« sagte Onkel Karl und riß die Augen auf, »is det Ostsee oda Nordsee?«

»Nordsee is det – Se missen doch iba Hamburj! Und der Ort uff die Insel heeßt Westerland!«

»Westaland uff Sylt – denken Se, det kenn' ick nich – det is een'n ja so jeleifij, wie Kyritz an die Knatta. Wann jeht morjen frieh der Zuj?«

Und als ihm der Beamte das gesagt und Onkel Karl sich's aufnotiert, ging er in größter Erregung heim, denn ihm war eingefallen, daß er sich ja noch eine Harpune machen müsse.

Daheim gab's aber noch eine verdrießliche Auseinandersetzung. »Ick denke, wia fahren nach Heringsdorf,« sagte Frau Lemke, »for die Nordsee hätten wia uns doch erst abhärten missen, wia werden uns alle den Tod holen – paß uff – wo die Kinna so schon so anfällij sind!«

»Ick kenne doch det Klima da –« sagte Onkel Karl – »det is jenau so wie in Italjen, wir sind doch frieha in die Jejend mit unsan Schiff jekreizt!«

»Ick werd' mia 'mal erst bei Herrn Fiedla akundjen,« sagte Frau Lemke, »der weeß in die Jeojrafie doch 'n bißken bessa Bescheid!«

Als sie dann herauskam, sagte sie: »Herr Fiedla meent, det is een Badeort for die feine Welt, det janze Tierjartenviertel käme da beisammen. Also is jut, nu jeht's nach Westaland, aba nu bleebt's ooch bei!«

»Wenn ick's dia saje – wat broochteste dia erst bei Fiedlern zu akundjen. Die Hauptsache hat er vajessen, det da vor allen Dingen Seehunde sind!«

»Mit die kannst du dia ja beschäftjen, wia bleiben bei die elejante Welt, denn wozu hätte ick mia meen Jebiß machen lassen.«

»Lasset man nich iba Bord fallen,« warnte Onkel, »denn sonst is's wej, und det Tauchen in die Nordsee is mit Lebensjefahr vabunden!«

»Hab' man keene Bange nich, paß du man uff dia uff, ick werde dia schonst nich tauchen lassen!« – – – – –

Bis in die Nacht hinein hatte die Familie Lemke zu tun gehabt, um am andern Morgen reisefertig zu sein, »Det wia't bloß nich vaschlafen«, hatte Onkel Karl immer wieder gesagt, und Frau Lemke hatte ihn schließlich angefahren: »Ick werd' sowieso vor lauta Uffrejung keen Ooje zutun können, also hör' uff und querjele eenen nich immafort mang die Beene!«

»Ick wollte mia bloß noch 'n Sticke jeeijnete Strippe for meene Harpune suchen, wat soll ick denn dafor Jeld ausjeben. Ick muß mia doch ooch een Extradroschkong nehmen, sonst krieje ick meen Zeich nich wej!« hatte er sich verteidigt.

Und am andern Morgen, als die beiden Droschken vor der Haustür hielten, lief er noch einmal durch das ganze Haus – von einer sonderbaren Angst getrieben, er könne doch etwas vergessen haben. Einer plötzlichen Eingebung folgend, stopfte er dann noch eine alte Zeitung, ein Stück Siegellack und eine Schere in die Taschen, in der dunklen Ahnung, dieses oder jenes unterwegs notwendig zu haben. Und im Geiste sah er schon den Augenblick, da er triumphierend zu den andern sagen würde: »Seht ihr woll, wie jut et is, det ick det Zeitungspapia mitjenommen habe!«

In der ersten Droschke saßen Herr und Frau Lemke, Herr Fiedler und Fräulein Lieschen; Edwin thronte auf dem Bock. Die zweite Droschke war mit Onkel Karls Jagdausrüstung gefüllt, so daß Onkel ebenfalls neben dem Kutscher Platz nehmen mußte.

»Und nu fahren Se los, denn sonst wird der Abschied zu riehrend, und denn sehen Se zu, det Sie die an'nere Droschke ibaholen, wia müssen eenen Vorsprung haben!«

Vor der Haustür standen Großvater, Tante Marie, die am Abend vorher noch übersiedelt war, und Minna, das Dienstmädchen. »Und nu kommt jlicklich wieda zurück«, sagte der Alte, »und amisiert eich jut.«

»Und du, Liesken, jeh' nich so nahe an det Meer 'ran, det dia die Walfische nich beißen«, warnte Tante Marie. Minna aber weinte, sie hatte die Empfindung, daß sie Herrn Fiedler lebendig nicht mehr wiedersehen werde.

Man kam eine halbe Stunde zu früh auf dem Bahnhof an und setzte sich deshalb in den Wartesaal. Onkel Karl nützte die Zeit dadurch praktisch aus, daß er sich von jedem Beamten genau die Stelle zeigen ließ, von der der Zug nachher abgehen mußte, und bekämpfte den gegen seine Person aufsteigenden Widerwillen der Beamten durch Zigarrenspenden. Dann beobachtete und verglich er sorgfältig seine Taschenuhr mit der Riesenuhr im Bahnhof, und plötzlich begann er wie ein Irrsinger seine sämtlichen Taschen zu durchsuchen, denn sein Billett war verschwunden.

Auf Anraten des Herrn Fiedler suchte er – gefolgt von den jüngeren Lemkes – den Fußboden ab, ging genau dieselben Wege, die er vorher im Bahnhof gemacht, und fing nachher noch einmal systematisch seine Taschen auszuräumen an, während Frau Lemke sein Rockfutter befühlte.

Schließlich kam das Billett im Hute zum Vorschein – aber nun war es auch gerade die allerhöchste Zeit geworden, wenn man noch mit dem Zuge mitwollte.

Dann läutete es zum drittenmal, der Zug setzte sich langsam in Bewegung, und Onkel Karl ließ zum Abschied von Berlin sein rotes Taschentuch aus dem Coupéfenster flattern.


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