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V. Die Duellforderung

Das Wort »Fatzke« hätte Onkel Karl nicht gebrauchen sollen, ein Gemurmel des Unwillens erhob sich ringsum an den Tischen. Die schwarze Dame suchte ihm gut zuzureden, wollte ihn veranlassen, auf die fleischlichen Genüsse zu verzichten, aber Onkel Karl erklärte störrisch: »Nee nu jrade nich!« Und als zwar nach einer Viertelstunde das Filet à la Wellington, aber nicht die Schleiforelle kam, drohte er, »so 'nen Krach zu machen, det sämtliche Affen wieder munter werden« – wobei er bezeichnende Blicke ringsum warf.

Aus der Art und Weise, wie er das Fleisch dann zerlegte, konnte man deutlich seine innere Gereiztheit erkennen, es sah aus, als wenn er in eine Schlacht gegen die Türken verwickelt sei, und – wie zur Entscheidung – sagte er zu seiner Nachbarin: »Det soll nu à la Wellingtong sein – aus Wellblech is's – wia, drieben in Amerika – machen det janz anners, aba die Leite hia können ja nich mal 'n Sticke Filet braten!«

Irgend jemand räusperte sich herausfordernd und machte: »Hem – hem!«

Onkel Karl drehte sich sofort um, suchte den Räusperer zu ermitteln, aber aller Blicke wichen ihm scheu aus.

»Untersteh' sich bloß eener nochmal, hia Hemhem zu machen«, sagte Onkel, die Gesellschaft mit seinen Blicken in Schach haltend, spießte ein riesiges Stück Fleisch auf die Gabel und begann davon ringsum abzubeißen, wie von einem Apfel, den man am Stiel hält.

An einem Nebentisch wurde die Ansicht geäußert, daß »der Mann ja offenbar betrunken sei!«

Onkel setzte daraufhin die Gabel auf den Teller, daß sie senkrecht im Fleisch stecken blieb, wischte sich den Mund an der Serviette ab und erhob sich.

Einige schwachnervige Damen sprangen eilig auf und entfernten sich, trotzdem Onkel Karl, dessen Kopf feuerrot geworden, ihnen noch zurief: »Sie können hia bleiben, Sie tu' ick nischt!«

Und dann trat er zu dem Herrn, der die beleidigenden Zweifel an Onkels Nüchternheit geäußert und sagte: »Männeken, ick bin Schiusitzuer, soll ick dia mal die Jelenke ausdrehen?«

Der Herr war sehr blaß geworden, bewahrte aber seine Haltung und sagte: »Sie täten besser, Ihren Rausch zu Hause auszuschlafen!«

Daraufhin hielt ihm Onkel die Faust unmittelbar vor die Nase und sagte: »Riech' mal, wiste mit die in Fühlung kommen? Ick bin ooch jerne bereit, mit dia zu boxen!«

Der Herr schob mit einer raschen Bewegung Onkel Karls Faust beiseite, sprang auf und rief: »Kellner, befreien Sie mich doch von diesem betrunkenen Menschen!«

In demselben Augenblick aber hatte Onkel den Herrn vorn am Halskragen gefaßt und sagte: »Hiajeblieben – nich wejloofen – wia beede sind noch lange nich fertij!«

Während er den Herrn mit der Rechten immer noch am Halskragen hielt, ihn bald dicht an seine Brust zog, bald – durch Ausstrecken des Armes – von sich stieß, hielt er die Linke dem ratlosen Kellner wie eine Barriere vor und sagte: »Mensch – machen Se sich nich unjlicklich – Se sind Familjenvata – fassen Se mia um Jotteswillen nich an!«

Ein zweiter Kellner, der gerade mit der Schleiforelle erschien, suchte durch Hinhalten des Tellers Onkel Karl von seinem Opfer wegzulocken – vergeblich!

»Die bezahl' ick nich, da können Sie die Fischotta mit fittern«, erklärte Onkel, und dann wandte er sich – in dem allgemeinen Tumult – an die Umstehenden, von denen einige sich einmischen wollten.

»Wer will wat von mia?«

Ein großer, martialisch aussehender Herr drängte sich vor: »Lassen Sie augenblicklich den Mann los« – herrschte er Onkel Karl an.

»Sind Sie seen Bruder – wat jeht Sie der Mann an?« schrie Onkel, ließ sein Opfer fahren und ging nun auf den martialischen Herrn los: »Wer sind Sie – wollen Se noch wat – Se haben woll lange nich in de Renne jelejen?«

»Gehen Sie mir vom Leibe – sonst ...«

»Sonst?« fragte Onkel Karl, so dicht an den martialischen Herrn tretend, daß sich fast die Nasenspitzen berührten, hielt ihm die Faust vors Gesicht und fragte: »Wollen Sie mal an die Knospe riechen?«

Der Herr packte ihn sofort am Arm: »Nieder mit der Hand – unterstehen Sie sich noch einmal ...«

»Aha –« sagte Onkel, »ick sehe, ick hab's mit eenen sojenannten Schentelmänn zu tun – hia is meene Karte – jeben Se mir Ihre – ick nehme an, det Se sattisfaktsjonsfähig sind!«

Und schon hatte Onkel ein Visitenkartentäschchen vorgeholt und hielt dem Herrn seine Karte hin.

Der schien einen Augenblick zu schwanken, dann griff auch er in seine Brieftasche und nahm eine Karte heraus, die er seinem Gegner überreichte.

Onkel warf einen Blick darauf, nickte kurz und sagte: »Betrachten Se sich als jefordert – det Nähere werden Se noch erfahren, vorleifij lasse ick Ihn'n loofen!«

Und dann zog er artig den Hut – wandte sich gelassen um und schritt durch die zurückweichende Menge nach seinem Tisch, wo die schwarze Dame halb ohnmächtig auf ihrem Stuhl lag. Onkel Karl warf mit einer verächtlichen Bewegung die noch immer aufrechtstehende Gabel mit dem Stück Filet um, trank sein Glas leer und winkte den scheuen Kellner gebieterisch heran: »Zahlen!«

Ohne darauf zu achten, was der Kellner ihm herausgab, ohne zu merken, daß er nun doch die ungegessene Schleiforelle bezahlte – strich er den Rest ein, bot seiner Dame galant den Arm und entfernte sich, rechts und links verächtlich ausspuckend, aus dem Garten, gefolgt von einer Anzahl Neugieriger, die heimlich darauf rechneten, daß sich Onkel Karls Temperament vielleicht noch anderweitig äußern werde.

Sie wurden jedoch enttäuscht – es geschah nichts Besonderes mehr. Am nächsten Droschkenhalteplatz nahm Onkel einen Wagen für die Dame und gab Anweisung, sie nach einer internationalen Fremdenpension an der Potsdamer Brücke zu fahren.

Als er den Schlag schließen wollte, streckte sie ihm beide Hände entgegen: »Ick sein serr beunruhigt über Ihr Lebben!«

»Keene Bange nich, Mißtreß, wenn ick's nich zun Vajniejen täte – for Jeld tät ick's jewiß nich«, sagte Onkel Karl. »Und denn – wie ville ha'ick schon niedajeknallt und vor die Pistole jehabt – mia trefft keena nich!«

»Aberr – Ihr Lebben sein serr kostbar«, schluchzte die Dame, ihr Spitzentaschentuch an die Augen drückend.

»Det wird ooch keena bestreiten wollen, aba helf er sich, mehr als eenmal sterben kann ick ja nich. Und nu machen Se mia nich jeriehrt, denn dann – denn is's aus!«

Und damit trat er zurück und schwenkte hinter der fortrollenden Droschke seinen grauen Zylinder.

Kaum war er sicher, nicht mehr beobachtet zu werden, als er in die Westentasche faßte und die von seinem Gegner empfangene Karte gründlich studierte:

Dr. Arthur von Straditzki
W., Kleiststr. 17a,

stand darauf. »Wejen eene ausjebliebne Schleiforelle kann man nu sein Leben riskieren«, dachte Onkel – plötzlich in ganz melancholische Stimmung verfallend. »Wat muß ick denn nu man bloß zuerst machen – Hauptsache is woll 'ne jute Pistole! Und denn muß ick meene Anjelejenheiten ordnen und meen Testamente machen, heiljet Vataland, wat is da iba mia rinjebrochen, jrade, wo ick endlich 'n bißken uffleben wollte!«

Verstört und aufgeregt ging er weiter. »Wenn ick det Dreck nich hia in die Westentasche hätte« – er fühlte nach der Visitenkarte – »denn wär' die Sache doch erledigt, denn hätt' ick vielleicht bloß schlecht jetreimt« – dachte er – »wat son Sticksken Kartongpapia for Weitleifigkeiten machen kann!«

Und dann – wie früher, wenn irgend etwas sein Innenleben stark bewegte, nahm er sich eine Droschke und fuhr nach einem Waffengeschäft in der Friedrichstraße.

»Eene Duellpistole« – forderte er.

Der Ladeninhaber sah ihn ein bißchen verwundert an, verbeugte sich dann schweigend und legte ihm verschiedene Waffen vor. Onkel Karl prüfte jede einzelne sehr eingehend, war dann aber etwas verblüfft, als er den Preis hörte.

»Na – for meen Leben soll mia nischt zu teia sind«, sagte er, »'ne kleene Anleitung krieje ick doch jratis?«

»Eine Gebrauchsanweisung ist wohl kaum nötig«, sagte der Waffenhändler, »der Mechanismus ist ja so einfach ...«

»Denken Se, ick hab' noch nich mit 'ne Pistole jeschossen,« sagte Onkel von oben herab. »Ick meene 'ne kleene Duellanleitung – hia – in Deitschland hängt doch so ville drumm und dran – drüben, in Amerika machen wia bedeutend wenjer Umstände!«

»Eine Duellanleitung –?«

Der Händler schüttelte den Kopf – »Ihre Sekundanten werden ja gewiß alles vereinbaren!«

»Richtij – ja, an die Sekundanten hätt' ick ja beenahe vajessen, na det wäre 'ne scheene Jeschichte jeworden!« sagte Onkel. »Danke scheen – und wenn Se in die nächsten Taje wat von eene Duellaffäre in'n Jrunewald oder in die Junfanheide lesen – denn bin ick det – denn denken Se an mia.«

Sinnend blieb er draußen auf der Straße stehen. Und nach langer Zeit erinnerte er sich einmal wieder Onkel Augusts, des Fischermeisters, den er seit beinahe einem Jahr nicht mehr gesehen. Die heimliche Rivalität, die von jeher zwischen Frau Lemke und Tante Liese, Onkel Augusts Frau, bestanden, hatte schließlich dazu geführt, daß der alte Verkehr fast gänzlich aufgegeben worden war, zumal Zanders, wenn sie immerhin auch bemittelte Leute waren, mit dem Aufschwung im Lemkeschen Hause nicht Schritt halten konnten.

Onkel sah nach der Uhr. »'n bißken spät is ja schon – aba ick will's doch wenijstens vasuchen.«


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