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XI. Onkel Augusts Veilchenparfüm

»Bleib du man janz ruhig sitzen und laß mia die Honneurs machen« – hatte Onkel Karl zu Frau Lemke gesagt.

Und dann hatte er sich an der Überraschung seiner Bekannten geweidet, die entstanden war, als sich der für den Abend gemietete Lohndiener, ein schwarzbefracktes, weißbehandschuhtes, trotzdem aber etwas mickrig aussehendes Individuum mit einem großen Tablett durch die Türöffnung kämpfte und den Gästen Tee, Kaviarbrötchen und Biskuits herumzureichen begann.

Onkel Karl hatte dieses schwarzbefrackte Individuum in Verdacht, daß es ihm hier bei Lemkes nicht fein genug zugehe. Nun lief er von Gruppe zu Gruppe hinter ihm her und kontrollierte es.

»Langen Se man feste zu, Herr N. N.« – sagte er jetzt zu dem jungen, eleganten Mann, der es bisher nicht für notwendig gefunden hatte, von Onkels Existenz überhaupt Notiz zu nehmen.

»de Pikato« – sagte der elegante Herr, mit einer knappen Verbeugung sich vorstellend.

»Uljuska pupolska«, sagte Onkel Karl, der nicht begriffen, daß ihm der Herr eben seinen Namen genannt, sondern glaubte, eine Mitteilung in fremder Sprache erhalten zu haben. So beantwortete er sie ebenfalls fremdsprachlich, in der Hoffnung, daß jener ihn ebensowenig verstehen werde.

Aber der Herr zuckte die Achseln und wandte sich ab.

»Denn nich« – sagte Onkel, und dann dirigierte er das befrackte Individuum zu Herrn Bartusch. »Langen Se man feste zu, det hilft jejen det Bauchquurksen« – sagte er – als er in diesem Augenblick ein kollerndes, unterirdisches Geräusch bei jenem hörte. Und zu den anderen Mitgliedern des Vereins »Blaue Kaffeetiete«, die sich etwas verdächtig rasch über das Tablett hermachten, sagte er ermahnend: »Nu laßt man noch wat druff, ihr kriejt ja noch nachher or'ntlich drieben bei mia – wartet's doch ab!«

Bei Miß Thomson, die in der Nähe von Frau Lemke saß und sich zu deren Erstaunen mit Hans Zillmann sehr lebhaft in englischer Sprache unterhielt, packte Onkel Karl den Frackträger am Schwalbenschwanz: »Hiejablieben, lassen Se mal die Mißtreß sich wat Scheenet aussuchen, wie wär't mit det kleene Jriene hia, det is sicherlich inwendig jefüllt – nehmen Se man, nehmen Se, nua nich so etepetete, det kann ick nich leiden!«

Und dann legte er ihr freigebig noch ein paar andere Süßigkeiten auf die Untertasse, wischte sich die Hände an seinem Taschentuch ab und sagte: »Wenn det Dreckzeij bloß nich so klebrij wäre!«

Während er so vollauf beschäftigt schien, glitt sein Blick aber unausgesetzt zwischen der jungen Frau Zillmann und Herrn de Pikato hin und her, fand aber nichts, was sein Mißtrauen gegen beide verstärken konnte. Sie hielten sich voneinander entfernt, schienen sich nicht zu kennen. Und doch war Onkel überzeugt, daß dieses Zusammentreffen hier nicht zufällig war.

Tante Liese, die bisher steif und vornehm dagesessen, schnellte plötzlich von ihrem Stuhl auf und kam hastig und sehr erregt auf Karl zu: »Nu wiste wieda abschwenken mit deen'n Obakellner, statt mal bei mia zu kommen und die Damen wat zuerst anzubieten!«

»Hia – hia – hia« – sagte Onkel, packte das Tablett und hielt es ihr hin – »nimm dia die janze Schohse und stopp dia voll! Aba von wejen, dett dia uff een'n Schuhrfix zu benehmen weeßt, is keene Rede nich. Da derf man ibahaupt nich merken lassen, det man wat will!«

»Sprech du man nich von Benehmijung«, sagte Tante Liese verächtlich, »du hast woll janz vajessen, wieste dia neilich bei uns uffgefiehrt hast – woste mit die Pistolen schießen wolltest ...«

»Und du hinta die Türe Aujusten jejen mia uffjehetzt hast« – sagte Onkel Karl. »Nee, det ha' ick nich vajessen, ick wundere mia bloß, dette die Kurasche hast, heite hia herzukommen. Aujust hat sich scheniert – der is wejjeblieben!«

»Ick komme ja doch nich bei dia« – sagte Tante Liese, »sonnern bei Lemkes. Und Aujust hat keen' Jrund nich, wejzubleiben – außadem is er da schon!«

Ja, ein wenig abgehetzt, auf der Stirn einen roten Streifen, den ihm der Hut gedrückt, trat Onkel August eben über die Schwelle und in demselben Augenblick begannen alle Anwesenden unruhig zu werden und zu schnüffeln.

Onkel Karl gab der befremdlichen Wahrnehmung seiner Nase am markantesten Ausdruck, hielt – das rechte Bein noch in der Luft – plötzlich im Weitergehen inne und witterte wie ein Jagdhund nach allen Richtungen, »Wonach stinkt denn det hia uff eenmal so« – hörte man ihn fragen – »det is ja een vafluchtet Parfühm!«

Ein durchdringender, süßlicher Geruch ging von Onkel August aus und erfüllte sofort den ganzen Raum. So peinlich berührt davon alle Anwesenden, so stolz schien aber Onkel August darauf zu sein und mit einer gewissen Genugtuung nahm er es offenbar auf, daß ihm alle entgegenrochen.

Und als Onkel August nun, nachdem er Lemkes begrüßt, sich zu Frau und Tochter zurückzog, winkte Hans Zillmann Onkel Karl zu sich heran und sagte – während Miß Thomson in ihr Taschentuch kicherte: »Hör' mal – euer August blamiert euch ja nicht schlecht – der ist ja auf die Dauer nicht zu ertragen mit dem Geruch! Kannst du denn nichts dagegen machen?«

»Na – natialich« – sagte Onkel Karl – »ick halt mia hin und wieda die Neese zu!«

»Man muß es ihm doch sagen« – meinte Herr Zillmann indigniert.

»Wenn ick's ihn saje, denn denkt er, ick bin bloß neidisch druff – det hat also keen'n Zwerj nich« – lehnte Onkel Karl ab. »Er wird's woll jejen den Fischjeruch jemacht haben – den kriejt er nich aus den schwarzen Rock 'raus – oda er hat's uff'n Kopp und et is 'ne Pomade.«

»Dann muß es ihm Tante Liese beibringen« – sagte Herr Zillmann.

»Wer bringt's denn aba die bei – det is ja noch schwierija« – meinte Onkel Karl und schüttelte bedenklich den Kopf. »Außadem, so schnell wird det nu nich 'rausjehen, wenn er sich ooch auslüftet!«

Wie es schien, gewöhnte man sich aber schon an die Atmosphäre, die Unterhaltung – die ein Weilchen gestockt, setzte wieder ein und Onkel Karl äußerte daher, bei passender Gelegenheit nachher mit Onkel August sprechen zu wollen. »Nich so direktemang, det seht zu jehässig aus – außadem müßt ihr nu bedenken, hat er woll jedacht, det det janz wat Feinet is, wenn er sich so inreibt – er is ja noch nie uff een'n Schuhrfix jewesen!«

Onkel Karl eilte weiter, ihm war eingefallen, daß es am besten wäre, Zigarren und Zigaretten anzubieten. So forderte er jetzt die einzelnen Gruppen auf, sich in das Rauchzimmer nebenan zu begeben. Mit einer Schachtel Zigaretten auf einem Tablettchen ging er dann zu den Damen und ermunterte sie, »feste zu qualmen!«

Miß Thomson war die erste, die die blauen Rauchwölkchen in die Luft blies, auch die junge Frau Zillmann rauchte, Frau Lemke aber, die sich mit Tante Marie und Tante Liese vereinigt, jagte Onkel Karl davon.

»Seh lieba zu, det die Leite nich so eenzeln 'rumstehen – kommt nu mal eener, der n' bißken nach wat aussieht, und keen Mensch kimmert sich um ihn!«

Sie meinte Herrn de Pikato, der – seine einsame Position aufgebend – mit Edwin und dessen Frau eine Unterhaltung angeknüpft hatte. Wie durch einen Zufall trat in diesem Augenblick die junge Frau Zillmann hinzu – und gleich darauf war eine lebhafte Unterhaltung im Gange.

Nur die Mitglieder des Vereins »Blaue Kaffeetiete« wußten noch nichts Rechtes anzufangen, trotzdem nun jeder seine Zigarre rauchte. Sie hatten ihre Ansicht über die Gesellschaft ausgetauscht, hatten wiederholt der Meinung Ausdruck gegeben, daß es hier – bei Lemkes – sehr fein zuginge, und hofften nun, daß sie aufgefordert werden würden, ein Lied vorzutragen.

Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, denn auch Herr Lemke und Onkel August, die zu ihnen getreten, waren entschieden dagegen. »Villeicht nachher drieben uff det Herrendineh, wat Onkel Karrel jiebt« – sagte Herr Lemke. – – –

Ganz allmählich war nun doch noch etwas wie Geselligkeit unter die Gäste gekommen, aber es war nach Onkel Karls Ansicht »ooch een jutet Sticke Arbeet jewesen«. Nur Onkel August irrte – einsam und gemieden – von einer Ecke in die andere, niemand schien Lust zu haben, sich mit ihm abzugeben.

Jetzt blieb er vor dem großen Spiegel stehen, musterte kritisch seine Erscheinung und schüttelte den Kopf, denn seiner Meinung nach fand er nichts an sich auszusetzen. Und plötzlich steuerte er quer durch das Zimmer gerade auf Onkel Karl zu.

»Et is eene Jemeinheit« – sagte er wütend – »wie ihr eich jejen mia benehmt – aba watte man, det vajeß ick dia nich!«

Onkel Karl hielt sich die Nase zu und sah ihn düster an, ohne zu antworten.

»Watte man« – wiederholte Onkel August – »ick mach' mia'n Dreck aus eiern Schuhrfix, mit den ihr eich so dicke tut, und ick war bloß herjekommen, um mia wieda mit dia zu vatrajen – aba nu nich mehr!«

»Scheen« – sagte Onkel Karl – »nu laß dia ooch wat jesagt sind – fraje, wem du willst – aba du stinkst!«

»Ick?«

Onkel August sog tief die Luft in seinem Umkreis ein. Dann sagte er gelassen:

»Det is doch meen Veilchenparfuhm!«

»So – na denn laß dia jesajt sind, det dieses Veilchenparfuhm nach Lausekeba riecht« – sagte Onkel Karl. »Ick wollte mia ja ooch mit dia vatrajen – aba ick konnte nich an dia rankommen, denn mia wurde imma jleich schlecht. Wennste aba nachher mit uff meen Herrendineh kommen willst, denn lade ick dia hiamit in!«

»Ick hab' schon von jehört« – sagte Onkel August niedergeschlagen – »aba wo kann ick denn, wenn du sajst, det ick so stinke!«

»Laß mia noch mal orndtlich riechen« – sagte Onkel Karl versöhnlich und brachte seine Nase an Augusts Schulter.

»Et riecht nach« – er überlegte – »eejentlich nach dreierlei – nach Joldleiste, Hoffmannstroppen und weiße Mäuse! Und zusammen is det dann wie Lausekeba!«

»Und det Parfuhm war so teia!«

»Et schad't ja ooch nischt« – sagte Onkel Karl – »du kannst dia ja den Rock ausziehen, und wia hängen ihn uff'n Balkon. Saje jetz man deene Olle, det du noch hia bleibst, und denn werd' ick die annern uffordern jehen, und denn kommste bei mia – vastanden, Aujust?«

»Abjemacht – Seefe!«


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