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XX. Heimkehr nach Berlin

»Wenn wia man bloß schon hia wej wären« – sagte Frau Lemke – »man kann reene herzkrank werden vor Ärger. Und nu ooch noch die Blamasche ...«

»Aba du machst ooch mehr her von, a's die janze Jeschichte wert is,« sagte Herr Lemke. »Ick bin fest ibazojen von: det war keen Racheakt nich, det is eben so seene Art – Karreln derf man eben nischt ibelnehmen, denn det is janz vakehrt!«

»Vateidjen man ooch noch – den Kerl! Ick weeß ja, ihr beede seid ja schon wieda die dicksten Freinde!«

»Sind wia ooch« – sagte Herr Lemke. »Wenn er mia inlad, det Fell von den Seehund zu besichtjen, denn kann man so wat nich ausschlajen!«

»Und denn jlobste allet, wat er dia vorpinnt. Denkste denn wirklich, det er den Seehund selba jeschossen hat?«

Und als Herr Lemke voll Überzeugung nickte, sagte sie verächtlich: »Also – denn laß dia jesajt sind, det er's sich jekooft hat, noch dazune for det Jeld, det ick ihn for die Uffindung von det Jebiß jejeben habe.«

»Et war doch aba noch blutij« – sagte Herr Lemke.

»Det Blut kost' 'n Jroschen und stammt von een Schwein. Und det Schwein hat der Schlächta jeschlajt und der Rest von det Blut steht in een Tassenkopp unta Onkels Bett«, sagte Frau Lemke.

»Woher weesten det?«

»Woher? Weil det Meechen heite frieh beit Ausfejen den Tassenkopp umjeschmissen hat und mia denn frajen kam, wat se nu machen soll.«

»Wia sind janz abjekommen von unsa eijentlichet Gespräch« – sagte Herr Lemke. »Von meenswejen können wia jeden Taj abreisen, mia hält hia nischt, in't Jejenteil, ick wird' sehr froh sind, wenn ick aus diese windje Jejend endlich wieda 'rauskomme!«

»Ick ooch – je eha, desto bessa, wenn't jeht, schon morjen!« – – –

Am Nachmittag sah man dann Herrn und Frau Lemke von Geschäft zu Geschäft gehen, um für Tante Marie, für Großvater und Minna, das Dienstmädchen, ein Geschenk zu kaufen.

»Denn ohne Mitbringe jeht's nich,« hatte Frau Lemke gesagt, »det jehört sich eenfach so! Wat denkste woll, wat die Minna for Oojen machen wirde, wenn wia nich wenijstens 'ne Kleenijkeit for ihr auspackten!«

Nach einiger Zeit aber wurde sie schwankend. »Wat sollen wia uns aba eejentlich mit son Quark schleppen – det jiebt's doch allet ooch in Berlin und zwar ville scheena!«

»Und billjer« – sagte Herr Lemke. »Aba sonne bemalte Muschel werd ich doch koofen, Tante Marie freit sich drieba und for Minna werd' ick son jetrockneten Seestern astehen!«

»Det se denkt, er is aus Feffakuchen und ihn uffeßt – laß man lieba! Wenn se allet scheen sauba jehalten hat, werd' ick se 'n Dala in die Hand dricken. Und for Tante werd ick hia sonnen jestrickten Untarock koofen, det is reene Schafwolle, det sieht man uff'n ersten Blick. Ick firchte bloß, er wird zu sehre inloofen, denn inloofen tut er uff jeden Fall, wenn er naß wird!«

»Denn soll se'n nich naßmachen,« sagte Herr Lemke ärgerlich, »ick meene man bloß, det man wat koofen mißte, det aus die Jejend hia stammt, also sowat, wat mit's Meer zusammenhängt. Und for Jroßvatan koof ick ooch sonne Muschel, da soll mia nischt von abbringen!« – – –

Onkel Karl hatte sich diesmal – während der Rückfahrt auf dem Dampfer – vorzüglich gehalten. »Ick hab' mia eben wieda an die See akklematesiert« – sagte er befriedigt, als nachher alle im Eisenbahncoupé saßen und die letzten Ereignisse besprochen wurden. »Wenn ick mia jetz man bloß nich erst wieder an det Festland gewöhnen muß – det wär' eenfach firchterlich!«

»Denn setz dia lieba gleich innen an'ners Coupé,« sagte Frau Lemke, »ick hab' keene Lust mehr, dia zu bemuttern und det Jewürje mit anzusehen.«

Onkel Karl, der sich nicht weiter mit Frau Lemke einlassen wollte, deutete durch eine Handbewegung an: »Laß mia man, ick weeß alleene, wie ick mia zu vahalten habe!«

Und nun richteten sich aller Gedanken auf Berlin. »Ick kann't ganich sagen, wie ick mia uff meen Bette freie,« sagte Herr Lemke, »die janze Zeit jetz, wo wir wegwaren, ha'ick nich een eenzijet Mal die Beene orentlich ausstrecken können.«

»Na ibahaupt und so« – sagte seine Frau, »wenn wia uns for det ville Jeld, det uns die Reise jekostet hat, in Berlin wat Orentlichet anjetan hätten, denn wäret – jloob' ick – jescheita jewesen!«

»Nee –« sagte Onkel Karl.

»Warum nee?« fragte Frau Lemke scharf.

»Weil man –« sagte Onkel bedächtig, »erstens in Berlin keene Seehunde jajen kann und zweetens: Wo hättest du sonst eenen solchen Inblick in die elejante Welt tun können, wie hia unta all diese feinen Leite!«

Frau Lemke schwieg einen Augenblick und überlegte. Dann sagte sie: »Det mit die Seehunde is ja großa Quatsch, aba det mit die feine Welt is nich so janz ohne. Ick will dia jerne zujeben, dettet nich ohne Influß uff mia jeblieben is, wenijstens hat man 'n Bejriff von jekriejt!«

»Also – wat ick sajte!« bestätigte Onkel Karl und nickte befriedigt.

»Wie wird sich denn det nu bei dia äußern?« fragte Herr Lemke mißtrauisch.

»Det kann ick doch heite noch nich sajen, Willem, beunruhje dia man bloß nich schon wieda –« sagte Frau Lemke.

Aber Herr Lemke beunruhigte sich doch. »Ick hab' nehmlich unta diese jräßlichen Vaenderungen imma zu leiden,« sagte er, »an mia wird denn alle Wut ausjelassen, wenn't nich is, wie't sind soll, wahr – Karrel?«

Onkel Karl zog die Augenbrauen hoch und sah Herrn Lemke reserviert an. »Ick« – sagte er – »ick richte mia jetzt jedenfalls een janzet Jagdzimma in. Det Seehundsfell najele ick an die Wand und dadrieba mach' ick een Arranschemang von meene Waffen!«

»Denn stell man deene Kanalsazionsstiebel drunta –« sagte Herr Lemke geärgert. »Ick habe dia bis jetz hochjeschätzt, Karrel, nu fängste aba an, mia lächerbar zu werden!«

Onkel Karl zuckte die Achseln. »Det tut mia sehr leid,« sagte er eisig, »und ick bedauere et sehr, aba zu ändern is da nischt mehr. Wenn eena erst Paßjonen kriejt, denn hat er ooch nobele Paßjonen!«

»Na – denn können wia ja wat mit dia aleben,« sagte Herr Lemke.

»Ihr könnt eich uff Vaschiedenet jefaßt machen,« sagte Onkel und blickte sich verheißungsvoll um.

Frau Lemke sah ihn freundlich an. »Ick weeß nich,« sagte sie, »du wirst mia uff eenmal so simpathisch, Karrel!«

»In mia schlummern sehr ville Eijenschaften,« sagte er bescheiden, »se missen bloß jeweckt werden!«

Allmählich begann die Unterhaltung zu stocken. Man war sehr früh heute aufgestanden, das Rattern der Eisenbahn machte nun auch die andern matt, denn die Kinder – Edwin und Lieschen – waren, kaum daß der Zug sich in Bewegung gesetzt, vor Übermüdung in den Coupéecken eingeschlafen.

Herr Lemke begann zuerst zu schnarchen, dann fing auch seine Frau zu röcheln an, erst leise, dann lauter und immer lauter.

»Jlickliche Naturen« – sagte Onkel Karl – »wer det ooch so könnte! Aba jeden is det nich jejeben. Wenn unse jroßen Jeista – Schilla und Jöthe – ooch sonne Schlafmitzen jewesen wären, hätten se's zu nischt jebracht in die Weltjeschichte! Aba wozu brooch' ick Schilla und Jöthen – wia hab'n ja die schönsten Beispiele in unsa Vawandtschaft: Is denn Lemkes selje Witwe nich ooch 'n klassischet Exempel? Die Olle jönnt sich jetz nich 'mal im Jrabe Ruhe!«

Und nach diesem Monologe machte sich's Onkel Karl in seiner Ecke bequem und merkte es nicht, daß ihm die Augen ebenfalls zufielen. So fuhren sie – allesamt schlafend – ihren neuen Schicksalen entgegen.


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