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Das falsche Gebiß

 

I. Der »Bumerang«

Seit April wohnten Lemkens in der Potsdamer Straße. Das große Gartenlokal am Schöneberger Ufer hatten sie verkauft und der »olle Lemke« war gern bereit gewesen, seinem Sohn und der Schwiegertochter die ganze erste Etage in seinem Hause einzuräumen.

»Platz müßt ihr haben, bewejen müßt ihr eich können« – hatte der Alte gesagt – »schon wejen die Kinna!«

»Wat sollen wir denn ooch eenen fremden Wirt det Jeld in den Rachen schmeißen, zahlen wia dia doch lieberst die Miete, wahr Vata?«

Aber der Alte hatte seinem Sohn gutmütig auf die Schulter geklopft: »Machen wia uns doch nischt vor, Willem! Wat sollt ihr mia denn erst det Jeld zahlen, det ick's denn bloß in'n Kasten schließe und ihr't doch später erbt, wendet's man lieba jleich for die Kinna an!«

»Is ooch wahr,« hatte Frau Lemke gesagt, »wa'm denn erst sonne Umstände machen! Denk doch bloß mal an die loofenden Abjaben, die wia haben, allene det teire Schuljeld for Edwin und Lieschen!«

»Und denn der Hauslehra –« meinte Herr Lemke.

»Jott, det is nich det Schlimmste, die paar Marksen, die der Fiedler kriejt – aba wat da noch allet kommen wird: Musikunterricht und Tanzstunde, und wat sonst noch zu jehört!«

»Na also, du wirst det Jeld schon kleen kriejen –« sagte Herr Lemke voll Überzeugung.

»Willem« – und Frau Lemke zog die Augenbrauen hoch – »Willem, kapier't doch nu ma' endlich – ja? Die Zeiten sind endjiltig vorüber, wo ick in Holzpantoffeln rumjeloofen bin und du in'n Kella Weißen abjezappt hast. Wia sind wat Besseret jeworden, sozusagen feine Leite. Und unse Kinna werden noch feina!«

»Und so jeht det imma weita, bis denn eenes Tajes der letzte Jroschen wej is und die Kinneskinna wieda von vorn anfangen«, sagte Herr Lemke.

»Det jeht uns nischt an, wia haben se denn wenigstens uff 'ne höhere soziale Stufe jebracht!«

»Hach Jott, nu vazappste wieda die Weisheit von den Herrn Fiedler –« sagte Herr Lemke verächtlich.

»Wat reden wia denn ibahaupt so ville drüba! Wenn wia hia in die Potsdama Straße in die Bölletasche wohnen, denn missen wia ooch danach ufftreten –« sagte Frau Lemke entschieden – »meenswejen blamia dia so ville, wieste willst, ick weeß jedenfalls det eene, det ick mia in die nächsten Taje neie Zähne insetzen lasse!«

»An deene Stelle wird' ick so nach und nach allet aneuern lassen –« und Herr Lemke machte mit einem Achselzucken kehrt und suchte Onkel Karl auf, der – seit Lemkes eingezogen waren – die Kutscherwohnung über der leerstehenden Remise übernommen hatte.

»Na – Willem –« sagte Onkel, »du sehst ja so niedajeschmettert aus!«

»Saje mal, Karrel, bist du denn ooch so for't Feine?«

»Wenn't wat zu essen is!«

»Wirdest du dia neie Zehne insetzen lassen?«

»Det se noch 'mal hohl werden – danke«, lehnte Onkel Karl ab. Und nach einer Weile, während er an einem geheimnisvollen Gegenstand weiterbastelte, fragte er teilnehmend: »Du hast dia woll wieda mit deene Olle jekabbelt?«

»Det is jetzt so der jewöhnliche Zustand«, sagte Herr Lemke.

»Mia läßt se ja nu zufrieden, mia hat se nischt mehr zu sajen« – meinte Onkel Karl triumphierend. »Dunnemals, a's ick noch an't Scheeneberjer Ufa bei eich wohnte, konnte se mia ja kommandieren. Det hat aba jeschnappt, seit mia Jroßvata in't Haus jenommen, da ha'ick dieselbijen Rechte wie ihr und wohne for umsonst, wenn man ooch bloß hinten 'raus!«

»Ick winschte, ick könnte ooch hinter 'raus wohnen, natierlich aba ooch janz alleene«, sagte Herr Lemke seufzend.

Onkel Karl sah ihn prüfend von unten herauf an. »Seh ma', Willem,« meinte er, auf das halbmondförmige Holzstück zeigend, an dem er gebastelt hatte, »seh ma', Willem, det wird een sojenannter Bumerang, wie'n die Wilden in Australjen haben, wenn ick diesen Bumerang bleistiftsweese nach eenen Spatz schleidere und er trefft mich, denn kommt er von janz alleene wieda zurück!«

»Det is ja höchst merkwürdig,« sagte Herr Lemke und schüttelte verwundert den Kopf, »woher weeßte denn det, Karrel?«

»Na – ick war doch frieha in Australien – bei die Papuas –« sagte Onkel, »wat ick dia aba mit den Bumerang beweisen wollte, war eijentlich wat an'neres! Nämlich, Willem, du mißtest ooch sonne Art Bumerang werden!«

»Woso?«

»Laß dia doch von ihr –« er machte eine Kopfbewegung nach dem Vorderhaus – »von ihr schleidern. Denn treffste mia und da broochste ja denn vorleifig nich zurückzukehren.«

»Du bist dann also der Spatz?« fragte Herr Lemke und blinzelte pfiffig.

»Ja – aba keen toter!«

»Na – und denn?«

»Det wirste ja sehen, Willem, denn machen wia uns beede fein, und denn jehen wia los!«

Herr Lemke faßte in die Brusttasche, nahm das Zigarrenetui heraus und reichte es Onkel Karl: »Da – steck dia eene an!«

»Sehr vaknippert!« Onkel biß die Spitze ab und rauchte die Zigarre an. »Sehr juta Brand,« lobte er, »det is keene von die Krausensche Presentsorte!«

»Nee!«

»Denn wat der nich vakoofen kann, det vaschenkt er an die Vawandtschaft. Ick hab' uff den Kerl sonne Wut –« sagte Onkel. »Haste 'mal wieda wat von Tante Marie jehört?«

»Meene Olle wor vorijten Sonntag bei sie – et soll sie nich jrade jut jehen«, sagte Herr Lemke.

»Det kommt beit Heiraten raus – ick hab' ihr imma jewarnt« – sagte Onkel – »und besonners vor den Krause!«

»Ick arinnere mia doch aba noch janz deitlich, det du dunnemals die Sache injefädelt hattest«, sagte Herr Lemke.

»Vawechsele die Tatsachen nich, Willem,« sagte Onkel, »als ick sah, det sich Marie rettungslos mit den Kerl vaheddert hatte, ha'ick mia natirlich hilfsbereit jezeijt. Det is so meene Natua, ick kann doch nischt vor meen jutet Herze.«

»Eena von uns beeden mißte 'mal diesen Herrn Krause janz jehörij Bescheed stechen«, meinte Herr Lemke.

»Et wirde entschieden mehr Indruck machen, wenn wir beede jleichzeitig anrickten«, sagte Onkel Karl.

»Und von da machen wia jleich eenen kleenen Abstecha int Fischaviertel und jehen bei Onkel Aujusten und Tante Liesen.«

»Du entwickelst dia janz jut a's Bumerang,« sagte Onkel anerkennend, »wie ick Tante Liese aba kenne, wird se uns alle beede rausschmeißen – mia jedenfalls janz sicha!«

»Wa'm dia?«

»Ick bin nämlich hinta wat jekommen«, sagte Onkel Karl geheimnisvoll.

»Aba det varatste nich?« fragte Herr Lemke neugierig.

»Nee – du kannst von selba hinta kommen, bloß eenen Fingazeij will ick dia jeben. Seh ma': Onkel Aujust langt dia aus hundert Aale uff eenen Jriff den Aal wieda 'raus, den du ihn vor acht Tajen bezeijnet hast. Bei Karpen und Hechten ist det nich janz so schwer, da jreift er den richtjen sojar in't Stockdustere mit zujemachte Oojen!«

Herr Lemke nickte zustimmend.

»Also – womit ick bloß sajen will, wat een Fisch is, det weeß Aujust. Aba –« und Onkel Karls Stimme nahm einen düsteren Klang an – »wat een Frauenzimma is, det weeß er nich!«

»Der hätte nie nich heiraten sollen«, stimmte Herr Lemke zu. »Wojejen ick aba protestieren möchte, Karrel, det du Tante Liese een Frauenzimma nennst!«

»Ick habe nua janz int alljemeine jesprochen«, sagte Onkel Karl. »Ick jebe dia jerne zu, det sie imma for det Feine jewesen is, wia haben ja stets von ihre Zimpabeene jesprochen! Ooch dunnemals, wo sie eich det Klavier abknöppte und nich bezahlte, geschah et nua aus ibajroßet Feinjefiehl!«

»Na – wat haste denn dann jejen ihr?« fragte Herr Lemke verwundert, »denn jib mia doch den Fingazeij!«

»Arinnerste dia noch an meene Aklärung von die Muttaliebe?«

»Nee – du hast ja so ville Reden jehalten!«

»Na – an die wirste dich aba noch arinnern,« sagte Onkel Karl, »paß uff, laß uns 'mal erst den Besuch jemacht haben.«


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