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XIII. Wo ist Lieschen?

Eine Woche war vergangen, und Frau Lemke wunderte sich, daß sich ihre Tochter – die in letzter Zeit fast täglich gekommen war – nicht mehr bei ihr hatte sehen lassen.

»Da is wat nich richtij«, sagte sie. »wenn Liesken krank wär', hätte Zillmann doch wat sajen lassen – det kann's also nich sind!«

»Denn jeh' doch mal mit 'ran«, meinte Herr Lemke.

»Nee – tu' ick nich – det kommt mia zu teia« – sagte Frau Lemke – »ick bin noch nie nich dajewesen, ohne det mia unsa lieba Schwiejasohn aleichtert hätte!«

»Wa'm jibste ihn wat – bei mia beseht er ooch nich mehr eenen Fennij!«

»Dafor jibestet deene Tochta!«

»Ick jebe nischt!«

»Streit' doch nich, Willem – ick weeß doch ooch Bescheed« – sagte Frau Lemke.

Und Herr Lemke stritt nicht, brummelte nur etwas halblaut vor sich hin.

»Wat sajste?«

»Nischt – ick ärjere mia bloß, det's hia keenen Ofen jibt – so 'nen jroßen, scheenen Kachelofen mit 'ne Röhre!«

»Ick weeß nich, watte willst – der Zentralheizungskamin is doch sehr jut!«

»Man kann sich aba nich 'ranstellen!«

»Det is doch bloß Jewohnheit, Willem!«

»Da haste janz recht« – sagte Herr Lemke – »natialich is det bloß Jewohnheit – wenn man aba allet uffjeben muß, wat man jewohnt is, wat hat man denn noch von det janze Leben?«

Frau Lemke seufzte. »Det war een Unjlickeisbeen, watte da neilich bei Onkel Karreln jejessen hast – det Schwein hat dia keen Jlick nich jebracht – seitdem biste wie umjekrempelt!«

»Mutta« – sagte Herr Lemke und sah seine Frau treuherzig an – »Mutta, du tust ja man ooch bloß so, dia hängt det janze Jemache hia ooch zun Halse 'raus!«

»Da irrste dia aba jrindlich, Willem, mia hängt nischt zun Halse raus – janz in't Jejenteil, ick bin wietend, det wia noch imma nich den richtjen Zislaweng so rauskriejen, wie annere Leite.«

»Den werden wia ooch nich 'rauskriejen« – sagte Herr Lemke, »und wenn wia uns ooch uff'n Kopp stellen und mit die Beene strampeln!«

»Führ' doch nich imma so unanstendje Redensarten,« sagte Frau Lemke ärgerlich, »stell' dia det doch bloß mal vor. An sowat merken die Leite am ehrsten, wer man is und wat man is!«

»Det is's ja eben, wat mia so wurmt,« sagte Herr Lemke, »wia haben imma Angst und schämen uns, statt det wia stolz sind sollten, det wia't ibahaupt soweit jebracht haben!«

»Bist du etwa uff die Zeit in die untairdsche Tante stolz?« fragte Frau Lemke.

»Et war die jlicklichste Zeit meenes Lebens!« Er sprach das mit solcher Entschiedenheit aus, daß ihn seine Frau ganz verwundert ansah. Und dann zuckte sie die Achseln, schüttelte den Kopf, sagte aber nichts mehr.

Wie sie so schweigsam saßen und sich ihren Gedanken und Erinnerungen hingaben, klopfte es, und Minna, das Dienstmädchen, kam herein. Sie war verlegen, wußte nicht recht, wie sie das, was sie vorbringen wollte, am besten sagen könne, und platzte deshalb heraus: »Det Meechen von Zillmanns is da – Ha Zillmann läßt frajen, ob seene Frau hia wäre – seit drei Tage wär' se nich za Hause jekommen!«

»Wat is los – wat red'ste da?« hatte Frau Lemke gefragt und bald ihren Mann, der wie versteinert dasaß, bald Minna fassungslos angesehen.

»Mia azehlt die von Zillmanns, det's vorvorjestern eenen furchtbaren Krach zwischen unse Lieskin und den Herrn Zillmann jejeben hätte, und seitdem is Frau Zillmann vaschwunden« – berichtete Minna.

»Wie kann denn det möglich sind, sowat is doch janz ausgeschlossen. Laß ma' det Meechen rinkommen«, sagte Frau Lemke.

Trotz allen Fragens vermochte sie dann aber nicht mehr zu erfahren, als Minna schon erzählt.

»Denn jehen Se also za Hause, Anna, halten sich aba untawejs nich uff und bestellen Se Herrn Zillmann: Frau Lemke läßt Ihn'n sajen, bei uns wär' seene Frau nich, wia wissen ooch von nischt, und ob er nich gleich ma' herkommen möchte! Werden Se det behalten – scheen, denn los, 'n bißken Trab! Und du, Minna« – wandte sie sich zu ihrem Mädchen – »jehst rieba bei Onkel Karreln – er soll jleich ma' herkommen, aba uff die Stelle, et wäre sehr eilij!«

Fünf Minuten später war Onkel Karl da, allerdings in etwas fragwürdiger Verfassung: Außer einem schief zugeknöpften Sommerpaletot, ein paar Badepantoffeln und dem roten Fez schien er nichts weiter anzuhaben.

»Wat is denn los – wer sterbt denn – wo brennt's denn?« erkundigte er sich atemlos und setzte – um seine mangelhafte Bekleidung zu entschuldigen – hinzu: »Ick millerte jrade, als Minna kam – wat is denn nu eijentlich los?«

»Jeh' wieda rieba und zieh' dia erst orndtlich an, man kann ja so nich mit dia sprechen«, sagte Frau Lemke. »Und damitet weeßt, det ick dia nich etwa for nischt und wieda nischt hab' rufen lassen, sonnern wejen sehr wat Wichtijes: Unse Lisken is vaschwunden, wah'scheinlich is se int Wassa jejangen und schon wieda hochjekommen und schwimmt nu den Kanal runta!«

»Hoffentlich nich mit det jute Kleid« – sagte Onkel Karrel, wandte sich ärgerlich von Frau Lemke ab und sagte: »Willem, nu saj' du mal: Broocht ihr mia – oda habt ihr mia bloß uzen wollen?«

Aber Herr Lemke antwortete gar nicht, saß noch immer da wie vorhin, die Schultern hochgezogen, der Kopf gesenkt.

»Willem« – sagte Onkel Karl ängstlich und faßte ihn an die Schulter, »Willem, du wirst doch nich etwan jar ibaschnappen wollen – halte stand, Willem, drück' jejen!«

»Unse Tochta is wej – mein Liesken is vaschwunden« – brachte Herr Lemke mühsam heraus und sah Onkel Karl hilflos an.

»Wenn't weita nischt is« – sagte der – »die fang ick dia wieda in, die kann nich weit sind, laß mia bloß mal wat anziehen, ick komme jleich wieda!«

Fort war er.

Nun versuchte auch Frau Lemke auf ihren Mann einzuwirken: »Du läßt dia imma von allet jleich so ibawältjen – wer weeß, wie det zusammenhängt, laß man Zillmann erst da sind, denn werden wia ja hören!«

Da aber fuhr Herr Lemke plötzlich wie ein Tollwütiger auf: »Der vadammte Kerl – diesa Zillmann – der soll mia man kommen – den brech' ick det Jenicke« – schrie er und schüttelte drohend die Faust, als stände der Schwiegersohn schon vor ihm. »Warte man, warte man, Jungekin, dia besorj' ick's, dette meen Kind so unjlicklich jemacht hast!«

»Rej' dia nich so unnitz uff, Vata« – sagte Frau Lemke streng, »die Sache hängt noch anners zusammen. Brill' also nich vorher wie so'n Schießbudenlöwe, sonnern wart's ab. Deene Tochta hat's ooch in sich und ihren eijenen Dickkopp!« – – –

Kurze Zeit darauf fuhr das elegante Zillmannsche Auto vor. Dann gellte die elektrische Klingel – Herr Ingenieur Hans Zillmann trat in den Empfangssalon. Gleichzeitig erschien auch Onkel Karl – jetzt gestiefelt, die Reitpeitsche in der Hand, den grauen Zylinder aufgestülpt.

Als er Herrn Lemkes roten Kopf, Frau Lemkes Erregung und das blasse, höhnische Gesicht des Schwiegersohns sah, hielt er es für nötig, vermittelnd einzugreifen.

»Mia sind doch jebildte Menschen – wia werden uns doch jetz nich jejenseitij zafleeschen« – sagte er – »ville jescheita is doch, wia ibalejen, wo se sind kann!«

»Nee« – schrie Herr Lemke – ballte wie vorhin die Fäuste und ging mit wutverzerrtem Gesicht auf den Schwiegersohn los – »nu is vorbei mit die Ruhe, wat haste mit meen Liesken jemacht – du va... – – –« Und keuchend vor Erregung blieb er dicht vor ihm stehen, die Hände schon erhoben, als werde er ihn im nächsten Augenblick am Halse packen.

»Mach' dia nich unjlicklich, Willem, du wirst doch nich handjreiflich werden jejen so eenen« – schrie Frau Lemke, faßte ihren Mann am Arm und suchte ihn fortzuzerren.

Und auch Onkel Karl war dazwischengetreten und sagte mißbilligend: »Nich doch, nich doch, Willem – dabei kommt nischt raus als blutje Neesen – setz' dia da uff'n Antepodex und reje dia wieda ab!«

Und jetzt – plötzlich ganz schwach und gebrochen – ließ sich Herr Lemke abseits führen, sank stöhnend auf den Sessel und wiederholte nur immer: »Meen Liesken – meen armet Liesken!«

Herr Zillmann war während dieser Szene kühl und gelassen geblieben, und Onkel Karl äußerte später, daß es Herrn Lemke wahrscheinlich »eeklij ajangen wäre«. »Wie Zillmann« – sagte er – »so den eenen Schritt zurücktrat, merkte ick sofort, det er mit Schihuschitsu jejen dia vorjehen wollte, und da hättste ooch mit deene Bullenkräfte nischt machen können, der hätte dia alle zehn Finga umjeknickt und dia die Arme aus't Kujeljelenk jedreht. Na – und denn hätten wia dia nachher ooch noch die Beene, den Kopp und det Ibrije umkrempeln missen, dette wieda in Fassong jekommen wärst!«

»Zu Appelmus hätte ick ihn jehauen, eh'r mia ibahaupt anjetippt« – hatte Herr Lemke darauf erwidert.

Ehe es jedoch zu dieser ruhigen, kritischen Würdigung gekommen, war es noch sehr lebhaft zugegangen.

»Wiste uns denn nich wenijstens akleren, wie det Unjlick ibahaupt jekommen is?« hatte Frau Lemke gefragt, »det Meechen sajt doch, ihr habt beede mit'nander Krach jekriejt!«

»Nur eine kleine Auseinandersetzung,« hatte Hans Zillmann erwidert, »wirklich, lieba Mama, ich wünschte nur zu wissen, wann Lieschen ihre Beziehungen zu Herrn de Pikato zu lösen gedenke.«

Das Ehepaar Lemke hatte ihn verblüfft angesehen. Onkel Karl aber hatte plötzlich seine Hosen mit der Reitpeitsche ausgeklopft und war sehr erstaunt gewesen, wieviel Staub dabei zum Vorschein gekommen.

»Wat soll denn det heeßen?« hatte Herr Lemke drohend gefragt und Miene gemacht, von neuem auf seinen Schwiegersohn loszugehen. Frau Lemke hatte ihn jedoch wieder niedergedrückt: »Laß mia man, Willem, du rejst dia zu sehre bei uff!« Und dann, sich an Herrn Zillmann wendend, hatte sie kalt von oben herab gefragt: »Also erstens, nenne mia nich mehr lieba Mama, et hat sich ausjemamat. Ibahaupt von jetz ab wird wieda Sie jesajt! Wollen Se uns also nich jefällijst akleren, wat det mit den Papajeno heeßen soll – Se sehen doch, wie astaunt wia alle sind – Karrel hör' doch uff mit det Ausjekloppe, mach' dia deene Hosen andermal reene, dazu is jetz keene Zeit nich!«

»Ick bin nich astaunt,« hatte Onkel Karl erwidert, »wenn ick der Jatterich von eire Tochta wäre, hätte ick det ooch jefrajt! Der Mann heeßt ooch nich Papajeno – Papajeno war janz wer anners und hat 'ne Flöte jehabt! Wen Zillmann meent, is der jlattrasierte Fritze, der sich bei eian Schuhrfix hia rumjedrickt hat und denn nich bei meen Herrendineh jekommen is!«

»Und mit den soll Liesken wat vorjehabt haben?« Frau Lemke stand wie erstarrt, blickte von einem zum andern und schüttelte dann fassungslos den Kopf.

»Det is doch jetz so modern,« sagte Onkel Karl, »haste noch nie nich wat von dreieckje Vahältnisse jehört? Et jibt ooch vier- und finfeckje! Aba nu will ick eich mal wat sajen: Nu laßt mia mal mit Zillmann alleene sprechen, denn jeht die Jeschichte schnella, und ick kann eich ja denn nachher allet haarkleen wiedaazehlen!«


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