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XI. Das Schweigegeld

»Wenn ick da noch länger jesessen, hätte ick wahaftij von den kleenen Hahnrei azehlt –« dachte Onkel Karl – »aberst wozu braucht denn dieser Kerl, der Krause, so wat zu wissen – der schläjt bloß Kaptal draus!«

Nachdenklich und schweigsam kam er heim, fand aber auch hier wenig Erfreuliches vor. Um für Tante Maries Hexenschuß Ameisenspiritus zu machen, hatte er tagszuvor aus alten Wassergläsern Ameisenfallen im Garten angelegt und das Glück gehabt, eine ganze Bierflasche voll dieser kribbelnden Tierchen zu fangen. Ehe er wegging, hatte er die Bierflasche aufs Fensterbrett gestellt und nun auf dem Rückweg Spiritus mitgebracht, um die Ameisenessenz zu bereiten.

Wie sich jetzt aber herausstellte, hatte der Zugwind den Fensterflügel zurückgedrängt, die Flasche mit den Ameisen hinuntergeworfen und die Tierchen marschierten nun in der Stube umher.

»Heiljet Vataland, is det eene vafluchte Kiste!« Und mit einer alten Zeitung als Schaufel und seiner Kleiderbürste als Besen, fegte er zusammen, was er von den Tieren erwischen konnte. Für die übrigen, die sich nicht fangen ließen und ihre Zuflucht unter dem Bett gesucht hatten, baute er dann neue Fallen in der Stube auf.

Während er noch damit beschäftigt war, klopfte jemand an die Tür. »Wat is denn det for 'ne neimod'sche Manier,« dachte Onkel ärgerlich. »Rin – herein – injetreten, ick bin nich int Hemde,« schrie er. Aber trotz dieser Ermunterung ließ sich niemand sehen. Als er die Tür nun selbst aufriß, fand er einen Straßenjungen, der ihn anstotterte: »Se–se–se m–öchten jleich nach die Destillje an die Ecke kommen – een Mann w–artet uff Ihnen!«

Aus der Beschreibung des Jungen ging hervor, daß dieser Mann nur Onkel August sein konnte. »Der Deibel soll'n holen – kannste ihn sajen, vastehste? Er soll warten, ick mißte mia erst die Ameisen absuchen!«

Und nachdem Onkel Karl das getan, ging er nach dem Schanklokal an der Ecke. Wirklich – es war Onkel August, der da auf ihn wartete. »Ick muß dia sprechen, Karrel,« sagte er in höchster Aufregung, »ick hab' die Sachlaje vorhin falsch beurteelt – nu, wo ick weeß, wie allens zusammenhängt, bin ick dia for deene Bemihungen natirlich sehr dankbar und bin jerne bereit, dia funfzij Tala zu jeben!«

»Ick muß dankend ablehnen,« sagte Onkel Karl – »ick bedaure, nich mit mia handeln lassen zu können!«

»Mach doch keene Umstände – da, nimm.«

»Et tut mia sehr leid, aba ick kann nich! Det wär' jejen meen Prinzip, ick hab' feste Preise,« sagte Onkel Karl.

»Mensch« – sagte August bittend – »du bist doch keen Ziejenbock, dette dia so stemmst.«

»Sonne Vajleiche möcht' ick mia doch recht sehr verbeten haben,« wies ihn Onkel Karl zurück. »Ick möchte ibahaupt wissen, wat du mia jetz uff eenmal nachloofst und mia det Jeld uffdrängeln willst?«

August sah sich mißtrauisch um: »Ick wollte dia bloß jebeten haben, iba die janze Jeschichte Stillschweijen zu bewahren.«

»Preis hundert Tala – inklusive alle Jebühren mit inbejriffen –« sagte Onkel Karl kühl und bestimmt.

»Also – hia haste se –« sagte August und faßte nochmals in die Brusttasche.

»Derf ick dia jleich die Quittung ibareichen – hier is se, bitte sehr –« sagte Onkel Karl, »iba det Stillschweigen is noch nischt vamorken!«

»Et jeniejt mia deen sojenanntet Ehrenwort –« sagte August.

»... denn sonst jeb' ick's dia ooch schriftlich –« erbot sich Onkel Karl.

»Jib mia die Hand druff, denn is die Schohse jlatt –« sagte August.

»Damit wia uns nu een for allemal in's klaren drieba sind,« meinte Onkel Karl, »will ick bloß zur Sichaheet die Tatsachen nochmal wiedaholen. Also: Wejen eene höchst jefährliche Entbindung hat sich deene Jattin bei eenen beriehmten Jeburtshelfer – Namen brauchen wia woll nich – inquartiert und da hat se denn nach Ibawindung alla Schwierijkeeten eenen jesunden, strammen Jungen det Leben jejeben!«

»Et is doch 'ne Tochta –« sagte Onkel August.

»Det is nebensächlich, wenn wia man die Existenzberechtijung nachweesen können. Die Kleene wird ibrijens sehr musikalisch werden. Und wie wird's nu mit die Toofe?«

»Det können wia ja später bereden,« sagte August, »ick hab' jetz keene Zeit mehr.«

»Na – denn adje! Und nu tröste dia, denn wie jesajt, sowat kommt in die besten Familjen vor!«

»Leida Jottes, ick hätte ja eha jedacht, det ick 'ne Flunda in die Spree fange, als sowat. Aba helf er sich, ick kann doch det Kind nich wieda rückjängig machen!«

»Nee, det wär' zu umständlich – also nochmals ade!«

Die Aufregung, die die große Neuigkeit zuerst bei Lemkes erregt, flaute merkwürdig schnell wieder ab.

»Die Jeschichte is und bleebt brezelhaft und da kann sich Onkel Karrel den Mund fusselij reden, um uns det Natuaaeijnis klarzumachen – ick, for meene Person, zweifle d'ran,« hatte Frau Lemke gesagt. »Der Eifa von Onkel Karrel is ibahaupt vadächtig, janz unbeteilijt is der an die Jeschichte sicha nich!«

»Et kommt ja vor, det 'ne Frau noch nach so lange Jahre wat Kleenet kriejt –« äußerte Großvater bedächtig, »aba jewöhnlich – na, ick bin een alta Mann, wat jeht's mia an.«

»Nee – et is mia nua, weil se mia dunnemals sonne Sperenzkens jemacht hat, als Edwin zu frieh uff die Welt kam,« sagte Frau Lemke. »Diese liebe Tante Liese war doch imma for, det allet prompt zu seine Zeit kommt.«

Herr Lemke, der bisher stumm von einem zum andern gesehen hatte, brummelte etwas vor sich hin.

»Wat sajst du, Willem, sprech dia doch deutlich aus –« sagte Frau Lemke gereizt. »Wat is denn ibahaupt mit dia? Du tust ja seit 'n paar Tajen, als wenn dia fortwährend eena uff die Hiehnaoojen trampelt!«

»Woso« – sagte Herr Lemke – »ick meene man bloß, et kommt allet 'raus!«

»Du machst imma sonne jeheimnisvollen Redensarten – wat haste denn jejen mia?«

Großvater stand auf: »Wenn ihr eich wieda kabbeln wollt, denn jeh' ick lieba 'raus,« sagte er verstimmt, »ick weeß nich, ihr habt eich doch aus Liebe jeheirat, da muß man doch 'n bisken Nachsicht jejenseitig haben.«

»Sehste, Willem, det merk dia –« sagte Frau Lemke, als der Alte verschwunden war.

»Wenn –« begann Herr Lemke mit großem Nachdruck auf jedem Wort – »wenn det freidije Aeijnis bei Aujust an eich alle ooch ziemlich spurlos vorübajejangen is, mia hat et doch zu denken jejeben und jibt mia ooch noch zu denken!«

»So?!«

»Ja – Anna – ick saje dia nua, ick heeße nich Aujust!«

»Ick hab' dia doch ooch noch nie so jerufen, der Name wirde dia ooch janich kleiden. Willem is een scheener Name!«

»Aba – et jibt noch scheenere,« sagte Herr Lemke.

»Jott – ja, det hat ja ooch keen Mensch nich bestritten.«

»Ick will aba keene nennen, denn et rejt mia zu sehr uff!«

»Du bist ooch sehr nervees –« sagte Frau Lemke, in plötzlich aufwallender Zärtlichkeit zu ihrem Mann tretend, »du mußt dia jetz aholen, Willem, uff die Reise!«

Er machte sich von ihr los: »Ick kann dia janich sajen, wie jräßlich du mit det falsche Jebiß aussehst – friha warste mir lieba.«

»Ick werd' dia schon nich mehr zu nahe kommen«, sagte sie beleidigt. »Det is ja eben det traurije an die janze Jeschichte, det du dir nich mitentwickelst.«

»In die Hinrichtung jewiß nich, die is mia ville zu kinstlich. Und wieste dia sonst entwickelst –« er machte eine abwehrende Handbewegung.

»Dia wird die frische Seeluft sehr jut tun,« sagte Frau Lemke gelassen, »wenn wia man schon erst wejwären. Aba et hängt allet von Tante Marie ab – wenn se morjen kommt, können wia uff'n Sonnabend fahren.«

»Und nu will Onkel Karrel uff eenmal ooch mit,« sagte Herr Lemke, einen versöhnlichen Ton anschlagend.

»Ja – der hat sich eene janze Ausrüstung besorjt, der will uff die Seehundsjagd jehen!«


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