Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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«Meine Eltern sind nie zusammen z'Kilche gegangen,» sagte Vreneli, «und ich habe es entgelten müssen. Während Beide noch gelebt, bin ich doch ein arm, verstoßen Waischen gewesen und alle bösen Geister haben mir aufgelauert, aber Einer hat mich behütet. Wer weiß, ob nicht auch ein frommes Großmütti für mich gebetet oder gar mich behütet und beschützt hat, vom lieben Gott verordnet. Nein, Uli, ich begehre nicht zu spaßen; ich möchte nicht, daß einmal wieder arme Kinder unsere Sünde entgelten müßten. Und wer weiß, wenn wir recht fromm sind und unsere Kinder dem Herrn zuführen, ob dann nicht Gott um unsertwillen unsern Eltern ihre Sünden vergibt. Nein, Uli, glaub, es ist mir nicht ums Spaßen, es ist mir gar ernst im Gemüt; aber ich habe gar oft spaßen müssen, um den Leuten nicht zu zeigen, wie es mir im Herzen ist, und mit dem Lachen habe ich das Weinen vertrieben, um nicht ausgelacht zu werden. Und um die Meisterschaft wollen wir nicht streiten, da behüte mich Gott davor. Ich habe mich dir ergeben und will dir auch gehorchen, solange du mich lieb hast, und will tun, daß du mich alle Tage lieb haben kannst, will keine Zyberligränne werden. Nicht daß ich mich nicht auch wehren würde, wenn du mich quälen, zu deinem Hund machen wolltest; ich glaube, ich würde ein böser Tüfel, ich könnte weiß Gott nicht anders. Aber das tust du nicht, und wo mich jemand lieb hat, da gehe ich für ihn durchs Feuer, Uli, weiß Gott, noch heute, wenn es sein muß. Sieh, ich verspreche es dir schon hier, und der liebe Gott wird es auch hören, ich will immer Gott vor Augen haben und mit dir zu Gott beten, wann du willst. Aber zürnen mußt mir auch nicht, wenn ich zuweilen lache, singe und springe. Glaub mir, ich habe schon manchmal darüber nachgedacht, wenn eine alte Frau mit mir gekifelt hat, wie ich immer lachen und springen möge und so leichtsinnig sei; aber ich fand mich sicher nie frömmer, als wenn ich so recht fröhlich im Gemüte war, da ists mir oft, ich möchte über alle Berge aus und dem lieben Gott um den Hals fallen oder möchte für jemand sterben, möchte allen Leuten Gutes tun.» «Bhüetis,» sagte Uli, «das Lachen und Lustigsein habe ich gar gerne; aber sieh, dort ist der Kirchturm schon, und da ist mir die Rede der Großmutter in Sinn gekommen und ich habe gedacht: wie man auch nicht lache und spaße, wenn man das Nachtmahl nehmen will, so solle man auf jedem Gange, den man eigentlich zu Gott tut, an Gott denken und ihn bitten, daß er einem dazu verhelfe, zu halten, was man ihm versprechen wolle. Sieh, da fliegen uns Tauben entgegen, eine ganze Schar, und sieh, die zwei weißen darunter, wo dort zusammen fliegen, das ist eine gute Vorbedeutung für Frieden und Eintracht. Es ist mir fast, wie wenn der liebe Gott unseretwegen ein Zeichen getan, daß es gut kommen werde. Meinst du nicht auch?» Und Vreneli drückte Uli die Hand, und in stiller Andacht weilten sie, bis der Stallknecht des Pferdes Zügel nahm und sagte: «Es ist gut frisch diesen Morgen.»

Es war da eins der guten alten Wirtshäuser, in denen die Leute nicht alle Jahre wechseln, sondern eine Generation die andere ablöst. Diese saßen eben an ihrem Kaffee, als die Brautleute hereinkamen, und erkannten alsobald Uli. Nun eine recht freundliche Begrüßung, und sie mußten, sie mochten wollen oder nicht, zu ihnen sitzen und mithalten. Sie sollten doch nicht Umstände machen, hieß es, das sei ja zweg, und an einem so kalten Morgen tue einem nichts wöhler als ein Kacheli warmer Kaffee. Vreneli tat etwas zimperlich: Es sei uverschant für ihns, da zuechezhocke, als ob es da daheim wär. Die Wirtin aber musterte es, bis es saß, gschauete es dann und begann dem Uli zu rühmen, wie er eine hübsche Frau habe; lange Zeit sei keine brävere dagewesen. Es freue sie, daß er seine Sache so gut mache, er hätte sie alle gereut, als er fortgekommen. Es freue einen immer, wenn einer zwegkomme. Nit, sie wolle nicht sagen, es gebe auch Leute, die das nicht leiden mögen, aber deren seien doch nicht recht viel. Ob der Pfarrer wohl auf sei, fragte Uli, er sollte vorher noch zu ihm. Er werde wohl, hieß es, bsunderbar an einem Freitag, wo gewöhnlich Leute kämen. Nit, sie wollten sonst nicht sagen, daß er von den Frühsten sei, er möge das Liegen wohl erleiden; aber er sei afe von den Alten, und da sei es ihm wohl zu gönnen. Aber er hätte einen Winter einen Vikari gehabt, den hätte man vor den achten nie sehen können, und das habe alle Leute geärgert, daß sie so einen faulen Vikari haben müßten. Darauf fragte Uli: Ob es wohl der Brauch sei, daß er ihns gleich mitnehme? Nein, hieß es, selten warte man im Pfarrhaus. Nachher gingen wohl Viele zusammen hin, den Schein zu holen. Was aber so die Scheuen seien oder die, welche glaubten, der Pfarrer hätte Ursache, ihnen etwas zu sagen, die kämen gleich wieder ins Wirtshaus, und nur die Kerleni gingen hin.

Nachdem Vreneli das Mitkommen von der Hand gewiesen und Uli noch befohlen hatte, daß man seinem Meister Bescheid mache, er und seine Frau sollten doch kommen, machte er sich auf. In seiner stattlichen Kleidung und in dem düstern Stübchen erkannte ihn der Pfarrer nicht gleich, hatte dann aber eine rechte Freude. «Ich habe gehört,» sagte derselbe, «du seiest zweg, bekommest ein gutes Lehen, eine gute Frau und habest schön Geld erspart. Das tut mir gar wohl, wenn ich eine Ehe einsegnen kann, von der ich hoffe, daß sie in dem Herren bleibt. Daß du etwas erspart, ist nicht die Hauptsache, aber du hättest es nicht und man hätte dir nicht so viel anvertraut, wenn du nicht brav und fromm wärest, und das ists, was mich eigentlich recht freut. Das Weltliche und das rechte Geistliche sind viel näher bei einander, als die meisten Leute glauben. Sie meinen, um recht wohl zu sein auf der Welt, müsse man das Christentum an den Nagel hängen, und das ist gerade das Gegenteil; daher das beständige Klagen in der Welt, daher betten sich die meisten Menschen so, daß sie liegen wie in Nesseln. Frage dich nur selbst, ob es dir so wohl wäre, wenn du ein Hudel geblieben, verachtet von allen Leuten. Was meinst du wohl, was für einen Hochzeittag hättest du erlebt? Denke dir recht, was du für Eine erhalten und was für Aussichten du gehabt und was die Leute gesagt hätten, wenn sie euch hätten zur Kirche gehen sehen, und stelle dagegen, wie es heute ist, dann ermiß den großen Unterschied. Oder was meinst du, ist das blinde Glück, der Zufall, das sogenannte Gfell schuld daran? Die Leute sagen immer: Ich habe das Gfell nicht, es ist heutzutage nichts mehr zu machen. Was glaubst du, Uli, ist es bloß das Gfell? Hättest du dieses Gfell auch gehabt, wenn du ein Hudel geblieben? Aber eben das ist das Unglück, daß die Leute durch das Gfell glücklich werden wollen und nicht durch ein frommes Leben, bei dem der Segen Gottes ist. Da ists nun ganz recht, daß die, welche nur auf das Gfell warten, vom Gfell betrogen werden, bis sie wieder zur Erkenntnis kommen, daß am Gfell nichts, aber an Gottes Segen alles gelegen sei.»

«Ja, Herr Pfarrer,» sagte Uli, «ich kann Euch nicht sagen, wie wohl es mir ist gegen damals, wo ich einer von den Schlechtern gewesen bin, die auf der Gasse herumgelaufen. Aber es kömmt doch auch etwas auf das Gfell an, denn wäre ich nicht zu so einem guten Meister gekommen, so wäre auch nichts aus mir geworden.» «Uli, Uli,» sagte der Pfarrer, «war das Gfell oder Gottes Fügung?» «Das ist das Gleiche, meine ich», antwortete Uli. «Ja,» sagte der Pfarrer, «es ist das Gleiche, aber gleichgültig ists nicht, wie man sagt, darin liegt eben der Unterschied. Wer vom Gfell redet, denkt nicht an Gott, dankt ihm nicht, sucht seine Gnade nicht, er sucht das Gfell von und in der Welt. Wer von Gottes Fügung redet, denkt an Gott, danket ihm, sucht sein Wohlgefallen, sieht in allem Gottes Leitung; er kennt weder Gfell noch Ungfell, sondern alles ist ihm Gottes gütige Leitung, die ihn zur Seligkeit führen will. Die verschiedene Redensart ist der Ausdruck einer verschiedenen Gesinnung, einer verschiedenen Ansicht des Lebens; darum liegt ein so großer Unterschied in den Worten, und es ist wichtig, welche man braucht. Und meint man es auch gut, so macht es einen, wenn man nur von Gfell redet, leichtsinnig oder mißmutig; redet man aber von Gottes Fügung, so wecken diese Worte schon Gedanken in uns und richten unsere Augen auf Gott.» «Ja, so, Herr Pfarrer, habt Ihr etwas recht,» sagte Uli, «und ich will es mir lassen gesagt sein.» «Du kommst doch mit deiner Braut nach dem Gottesdienst zu mir?» «Gar gerne, wenn Ihr es begehret», sagte Uli, «aber wir versäumen Euch an Eurer Arbeit.» «Es versäumt mich niemand», sagte der Pfarrer, «denn das ist nicht nur mein Amt, sondern auch meine Freude, bei ernsten Anlässen ein ernstes Wort zu Herzen zu reden, wo ich auf einen Boden hoffen darf, der Früchte trägt. Was bei solchen Anlässen der Herr redet, das wird nicht so bald vergessen.»

Unterdessen hatte Vreneli die Finkenschuhe ausgezogen, die rechte Kappe aufgesetzt, und mit eigenen Händen hatte die Wirtin ihm das Kränzchen aufgeheftet. Das sei eins auf die Langenthaler Mode, sagte sie. «Sei es nun eins auf welche Mode es wolle, so steht es dir wohl an», fuhr sie fort. «Aber wenn sie mir daherkommen mit einem Ranzen, der beim Fenster ist, wenn der Kopf erst zur Türe hinein kömmt, und ich soll ihnen dann noch das Kränzchen aufheften, dann kömmt es mir in alle Finger und ich möchte sie lieber bei den Züpfen nehmen und sie verflümert haaren, als ihnen ein Kränzchen aufheften. Es ist eine bluetige Schand, daß eine jede Hure mit einem Kränzchen daherkömmt und damit im Lande herumfährt, und über den Fußsack heraus hängt ihr der Ranzen bis ihrer Mähre aufs Kreuz. Sellige sollten die Kränzchen verboten werden, es ist ja nur das Gespött damit getrieben. Aber es heißt, die Gnädigen Herren frügen dem nicht viel nach und hätten selbst die Ranzen lieber als die Kränzchen. Ich weiß das nicht, ich bin, seit die Östreicher gekommen, nie in Bern gewesen, aber man sagt es so. Ob es ist, weiß ich nicht, frage auch nicht viel darnach, was gehen mich die Herren an! Es ist mir zwider, wenn einer zu uns kömmt. Sie sind so hochmütig, daß sie einem nicht einmal antworten mögen, wenn man ihnen Gottwilchen sagt; und wenn man ihnen die Hand längen will, so mögen sie einem die ihre nicht geben, so ziehen sie nicht einmal die Handschuhe aus und haben noch Furcht, man bschyße die.»

Es begann zu läuten, und laut begann Vrenelis Herz zu klopfen, es schwamm ihm ordentlich vor den Augen. Die Wirtin brachte ihm Hoffmannstropfen, rieb ihm mit etwas die Schläfe und sagte: «Du mußt das nicht so schwer nehmen, Meitschi, wir müssen alle da durch. Aber geht jetzt in Gottes Namen, der Herr wartet an einem Freitag nicht lange, er ist gar e Ängstlige.»

Uli faßte sein Vreneli bei der Hand und wanderte mit ihm der Kirche zu; feierlich tönten die feierlichen Klänge im Herzen wieder, denn der Siegrist läutete ordentlich die Glocken, daß sie an beiden Orten anschlugen, und nicht wie wenn sie lahm wären, nur bald an diesem, bald an jenem Orte. Wie sie auf den Kirchhof kamen, schaufelte eben der Totenmann an einem Grabe, und stille wars um ihn: kein Schaf, keine Ziege kam und verrichtete ihre Notdurft in des Menschen letzte Ruhestätte, denn da war der Kirchhof kein Weideplatz für ungeistliche Tiere. Es ergriff Vreneli plötzlich eine unwiderstehliche Wehmut. Der ehrwürdige Anblick der Gräber, das Schaufeln eines Grabes weckten düstere Gedanken. «Das bedeutet nichts Gutes,» flüsterte es, «einem von uns schaufelt man sein Grab.» Vor der Kirche stunden Gevatterleute, eine Gotte mit einem Kinde auf dem Arme. «Das bedeutet einem von uns eine Kindbett», flüsterte Uli, um Vreneli zu trösten. «Ja, daß ich in einer solchen sterbe,» antwortete es, «daß ich aus meinem Glück weg muß ins kalte Grab.» «Denk doch,» sagte Uli, «daß der liebe Gott ja alles macht und daß wir nicht abergläubisch, sondern gläubig sein sollen. Daß einmal unser Grab geschaufelt werden wird, ist gewiß, aber daß das Grabgraben Sterben bedeute denen, die dazukommen, habe ich noch nie gehört. Denke doch, wie Viele ein Grab graben sehen; wenn es die alle nachzöge, denk auch, wie groß der Sterbet sein müßte.» «Ach, verzeih mir,» sagte Vreneli, «aber je wichtiger ein Gang ist, um so ängstlicher wird die arme Seele und möchte gar zu gerne wissen, wie es zu Ende geht, und nimmt daher jede Bewegung als ein Zeichen auf, ein gutes oder ein böses; weißt du, was du von den Tauben sagtest, als wir ins Dorf fuhren?» Da drückte Uli seiner Braut die Hand und sagte ihr: «Du hast recht; laß du uns unser Vertrauen auf Gott stellen und nicht kummern. Was er uns tun, nehmen oder geben wird, das ist wohl getan.»

Sie traten in die Kirche, leise, zagend, teilten sich zur Linken und zur Rechten, sahen ein Kindlein aufnehmen in den Bund des Herrn, dachten, wie schön es doch sei, so ein zart und hinfällig Kind der besondern Obhut seines Heilands mit Leib und Seele anempfehlen zu dürfen, und wie eine große Last es von der Eltern Brust wälzen müsse, wenn sie in der Taufe das Bewußtsein erhielten, der Herr wolle mit ihnen sein und mit seinem Geiste sie das Kind nähren lassen, wie die Mutter es sättige mit ihrer Milch. Sie beteten recht andächtig mit und dachten, wie ernsthaft sie es nehmen wollten, wenn sie als Taufzeugen es geloben müßten, darauf zu achten, daß das Kind dem Herrn zugeführt werde. Das gewöhnliche Wochengebet verhallte ihnen in der Wichtigkeit des ernsten Augenblicks, der näher und näher kam. Als der Pfarrer hinter dem Taufsteine hervortrat, als Uli Vreneli geholt hatte und Beide ans Bänkchen traten, sanken Beide auf die Knie, der Zeremonie weit vorgreifend, hielten die Hände inbrünstig verschlungen, und von ganzer Seele, ganzem Gemüte und allen Kräften beteten und gelobten sie, was die Worte sie hießen, ja noch viel mehr, was aus treuen Herzen sprudelte. Und als sie aufstunden, fühlten sie sich so recht fest und wohlgemut; es war einem jeden, als hätte es einen großen Schatz gewonnen fürs ganze Leben, der ihns glücklich machen müsse, den ihm niemand entreißen, niemand abgewinnen könne, mit dem es vereint bleiben müsse in alle Ewigkeit.


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