Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Siebentes Kapitel

Wie der Meister für den guten Samen einen Ofen heizt

So kam er fast ungeschlagen aus großer Gefahr. Freilich reute ihn das vertane Geld, die verderbte Kleidung, und er konnte den Verlust fast nicht verwinden. Indessen erkannte er auch den großen Gewinn, den er gemacht hatte, daß er nämlich für immer begreifen gelernt, wer es gut und wer es bös mit ihm meine; daß die vom Teufel seien, welche einen auf den breiten Weg locken, und die von Gott, welche an den schmalen Pfad mahnen, der so mühselig ist in seinem Anfang, aber so herrlich in seinem Ausgang. Um dieses Gewinnes willen verschmerzte er den Verlust und verlor den Mut zum Sparen nicht, wurde aber doch erst dann recht froh, als er den Schaden wieder erarbeitet und da fortfahren konnte, wo er bereits gewesen war. Das war ein groß Glück, denn nichts lähmt den Mut mehr und oft für immer, als wenn man wieder von vornen anfangen soll. Rasch will einer einen Berg hinauf, er kugelt wieder hinab; er setzt noch einmal an, es geht ihm wie das erstemal; da schleichen die Meisten lendenlahm weiter und lassen den Berg stehn. Laßt Pferde umsonst einen Wagen anziehen, durch einen ungeschickten Fuhrmann schlecht geleitet, und der Wagen kömmt nicht nach, so werden sie allemal schlechter anziehen und zuletzt es gar nicht mehr versuchen wollen. Gerade so ist es beim Hausen insbesonders, beim Besserwerden, sich Bekehren im allgemeinen: fruchtlose Versuche, Rückfälle sind die gefährlichsten Feinde wirklicher Besserungen.

Uli erhielt sich indessen oben, wenn schon das eigene Fleisch und Blut und manche Gelegenheit ihn hinunterziehen wollten. Am schwersten waren ihm die Winterabende, in welchen es nichts zu rüsten gab, und die Sonntage im Winter; da dünkte es ihn, es ziehe ihn jemand an allen Haaren nach irgend einem Versammlungsort der Jugend, wo man anfänglich scheinbar Unschuldiges treibt, um Nüsse spielt, dann um Branntwein, dann um Geld und endlich noch ausfliegt, um seine Lust weiters zu büßen. Es ist in gar vielen Häusern eine Eigentümlichkeit, welcher man bestimmt viele schlechte Diensten zu verdanken hat. In gar vielen Häusern haben nämlich die männlichen Diensten keine helle oder warme Stube, in welcher sie sich aufhalten können. Sie schlafen in den obern Kammern; diese sind an den meisten Orten finster, an allen kalt, selten eine enthält Stühle, noch weniger Tische: es sind bloße Schlafstätten, in welchen oft im Winter Biecht an das Dackbett sich ansetzt, und wer einen Pfnüsel hat, soll häufig Eiszäpfen unter die Nase kriegen, ungefähr so, wie sie an Strohdächern zu Hunderten hangen. Hier können sie sich im Winter nicht anders aufhalten als im Bette, und schlafen mag man doch nicht immer; von irgend etwas anders Machen ist nicht die Rede, nicht einmal von einem Knopf Annähen oder einem Fürfuß Plätzen für die Notdurft. In der Stube, wo gegessen wird, duldet man sie meistens nicht. Gewöhnlich ist es die Wohnstube der ganzen Haushaltung. Aber die Knechte sollen nicht darin sein. Bis man zum Essen ruft, sollen sie nicht hineinkommen, und wenn abgegessen ist, so sollen sie wieder hinausgehen, sonst macht die Hausfrau saure Augen, und wenn die nichts nützen, so erhält der Meister den Auftrag, dem Knecht zu sagen, sein Tubak stinke gar, oder aber kurzweg: Wenn er gegessen habe, so hätte er nichts mehr in der Stube zu tun, er könne ins Gaden hinauf, dort sei sein Platz. Etwas besser haben es die Mägde; die können doch in der Stube sein, auch an den Abenden, wo nichts zu rüsten ist, sie müssen spinnen. An Sonntagnachmittagen sieht man sie aber an vielen Orten auch nicht ungern wandern, und schon manche Bäurin hat zu der Magd gesagt: Ob sie denn nie von Hause weg wolle; das zu Hause Plättern (Herumsitzen) trage doch hell nichts ab, und es gebe nichts aus einem Meitschi, wenn es nicht von Hause wegkomme. Wo sie jung gewesen sei, da hätte man sie des Sonntags nicht einmal an einem neuen Hälsig (kleines Seil) daheimgehalten, da hätte es müssen öppe usgrüteret sy.

Es gibt hie und da auch Dienstenstuben, aber da bemächtigen sich meist die Mägde derselben und entblöden sich nicht, die Knechte unter irgend einem Vorwand wegzujagen: bald wollen sie die Hühneraugen abhauen, bald sich anders anlegen usw., und die Knechte müssen weichen. Einige Abweichungen von dieser Regel gibt es: wo die Meisterleute nicht aufpassen und die Diensten unter sich leben können, wie sie wollen, und die Knechte gerade die Liebhaber der Mägde sind, da wird die Toilette ziemlich ungeniert gemacht. Nun stelle man sich vor, was aus einem Knechte werden muß, der jahrelang keinen Platz hat, etwas zu schreiben oder zu lesen, der während einem ganzen Jahre vielleicht nicht ein Halbdutzend Male dazukömmt, etwas im Kalender nachzuschlagen, der hinausverwiesen ist in den Stall zum Vieh oder hinauf ins finstere Gaden, der noch dazu ausgelacht wird, wenn er statt in den Stall einmal in die Kinderlehre wollte. Man denke vernünftig nach, ob natürlicherweise diese Menschen nicht mehr oder weniger zum Vieh herabsinken müssen, denn Menschen, welche zu keiner geistigen Speise mehr kommen, müssen auf feinere oder gröbere Weise dem Tiere ähnlich werden. Die, welche noch einen besseren Trieb in sich fühlen und nicht ein völlig Tier werden wollen, die verlassen Stall und Gaden und suchen andere Menschen auf – Gesellschaft. Diese Gesellschaft besteht aber eben aus Leuten zumeist, welche kein Heim haben, keine Triftig (Platz zu ruhigem Sein) daheim, deren Seele zu etwas Höherem weder gespeiset noch getränket wird. Hie und da wird ein harmlos Kurzweil getrieben, an vielen Orten aber reizen schon die Gespräche die gröbste Sinnlichkeit, Getränke tun es nicht weniger, und man mag kaum die Nacht mit ihren dunkeln Schatten erwarten, um die mühsam gezügelte Begierde ganz loszulassen. Es würde ganz bestimmt selbst die, welche den Sonntag nicht als einen Tag des Herrn betrachten, schaudern an Leib und Seele, wenn man ihnen vor ihrem Angesicht all das Treiben an den Wintersonntagnachmittagen und -abenden könnte aufgehen lassen. Und ein bedeutender Teil dieser Unsitte rührt davon her, daß die dienende Klasse in ihren unbeschäftigten Stunden keinen heitern Platz an einem Tische, keinen warmen Platz an oder auf einem warmen Ofen hat. Es klagen so viele sonst vernünftige Leute über die Schlechtigkeit der Dienstboten und wie sie kein Gefühl, keinen Verstand und ich weiß nicht, was alles, nicht hätten, und diese weisen ihren Diensten oft einen Wohnort an, den man nicht einmal unter die hoffärtigen Hundeställe rechnen könnte. Und wenn man ihnen die Bemerkung macht, daß wer wie das Vieh wohne, doch wohl nicht viel besser als das Vieh sein könne, so sagen sie, sie könnten sich nicht anders einrichten, die Hauszinse seien gar teuer und das Holz auch nicht wohlfeil. Ich habe nichts dawider; aber dann müssen sie auch mit den Diensten vorlieb nehmen, wie sie in Hundsställen und in Löchern werden.

Dieser Übelstand ist aber nicht nur auf dem Lande zu Hause, sondern je länger je mehr auch in den Städten. Man mag kein Stübchen mehr für Mägde mieten, ja man baut große Häuser, wo man nur wirkliche und eigentliche Hundeställe für Dienstboten anbringt und keine Stube für Menschen. Aber wie alles sich vergiltet, so auch dieses, und es gibt Häuser, welche gerade wegen dieser Unsitte nie rechte Dienstboten haben können, sie nie haben werden, solange sie das nicht ändern. Man glaube mir nur: einen großen Segen würde manchem Hause eine Stube bringen, wo der arme Knecht, der eine ganze Woche am Wetter gewesen, wenigstens am Sonntag Licht und Wärme, einen freien Platz am Tisch, ein vernünftig Buch, ganz besonders die Bibel und allfällig auch ein Schreibzeug finden würde. Man bedenke: die Diensten sind keine Hunde; je vornehmer man sich gegen sie beträgt, um so gemeiner werden sie, und wenn unser Betragen gegen sie nicht mönschelet, so mönschelen sie auch nicht mehr.

Dieser Übelstand drückte auch Uli. Er wollte die Sonntagnachmittage daheim zubringen, aber was sollte er machen? Sie wurden ihm so lang wie des Samihanse Taunern im Buchiberg die Vormittage, wenn er dieselben mit dem Frühstück des Morgens um fünf Uhr angehen läßt, durch keinen Imbiß sie unterbricht und erst nachmittags um zwei Uhr mit dem Mittagessen sie schließt (Wir wollen wetten, das ist der Einzige an der ganzen Bucheggberg-Sonnseite, bei dem es so halb und halb pariserlet).

Einst traf der Meister Uli an, wie er unter dem Dachtrauf stund und das eine Bein schon außer demselben hatte und doch nicht ganz darüberauskam. Nachdem er ihm lange zugesehen, fragte er ihn endlich: «Was Schießigs hast du? Bist du da angeklebt, daß du nicht fortkömmst?» «Nein, Meister,» sagte Uli, «aber es reißt mich fast voneinander; etwas reißt mich hinaus und ein Anderes hinein, und Keines mag das Andere recht, und so bin ich übel daran und fast wie gebannt; ich wollte, es würde mir jemand entweder hinaus, oder hineinhelfen; es friert mich bereits, daß ich meine Füße gar nicht mehr fühle.» Der Meister lachte und fragte: Was er da Wunderlichs habe, das ihn so hierher und dorther ziehe, er solle ihm es brichten.

«He, Meister, ich habe grausam Langeweile und weiß gar nicht, was machen, und da habe ich gedacht, ich wolle etwas zur Gesellschaft. Aber ich weiß nur an ein Ort hin und weiß, wie es da geht; wie ich davonkomme, das aber weiß ich nicht; da dachte ich, es sei besser, daheim zu bleiben. Aber was soll ich daheim machen? Ins Bett mag ich nicht, im Stall ist es mir auch erleidet, und ums Haus herum geht der Bysluft, daß es einem fast die Knöpfe ab den Kleidern nimmt, so daß es mich wegtreibt und gar nicht daheim dulden will. Meister, was soll ich machen?»

«Du bist ein dummer Bursche,» sagte der Meister. «Kannst du nicht in die Stube? Dort ist der Ofen warm, geht der Bysluft nicht, und wenn du schon einmal ein Kapitel lesen würdest, so würde es dir gar nichts schaden.»

«Jä, ich weiß es neue nit mit der Stube,» sagte Uli, «obs denn allen recht ist, wenn ich da drinnen hocke; ich habe es neue einist welle probiere, und da hat es mich gedünkt, als wäre ich allen Leuten im Wege.»

«He, das wäre mir gspässig,» sagte der Meister; «wenn es mir recht ist, wenn du da drinnen bist, so wirds den Andern wohl auch recht sein müssen.»

«Ich weiß's neue nit,» sagte Uli. Indessen kam er doch vom Bysluft weg und dem Meister nach in die Stube. Doch gebärdete er sich, wie wenn er zVisite wäre, und wußte nicht recht, wo er absitzen solle. Er setzte sich endlich an die untere Ecke des Tisches, und der Meister gab ihm die Bibel, welche in der obern Ecke des Tisches stand, und zeigte ihm noch andere Bücher auf dem Buffert und sagte ihm: Wenn er in der nicht mehr möge, so soll er da nehmen, was ihm gefalle. Angeklebt an Tisch und Bank begann Uli zu lesen, aber den beiden Jungfrauen war er da im Wege. Die eine wollte da, wo er die Bibel hatte, gerade das Kacheli mit Wasser stellen, welches sie zum Strählen brauchte, und als er weiterrutschte, so wollte die zweite gerade da, wo er jetzt war, ein Mänteli fieggen (plätten), und als er noch weiterging, war er mit den Beinen im Wege, und sie klagten, daß sie nicht sauft zueche und dänne könnten. Da begann er doch auch aufzubegehren: Daß er so gut das Recht hätte, da zu sein, als sie; der Meister habe ihn ja selbst geheißen hineinkommen, und es dunke ihn, dBible sollte so gut Wyti (Platz) auf dem Tische haben als so ein ausgegriffener Hemlideckel. Die Mägde sagten aber: Was frügen sie dem Meister nach! Es sei, so lange sie hier seien, nie der Brauch gewesen, daß ihnen die Knechte hier am Tische den Platz verschlügen. Das wär ihnen afangs lustig, wenn der Meister alle Tag einen neuen Brauch einführen wollte und sie die Kühdreckhosen einen ganzen Tag in der Nase haben sollten; es sei genug, wenn sie ihnen alle Essen verstänkten. Das gehe den Meister nichts an, da habe er nichts zu befehlen. Uli sagte, er dächte, der Meister hätte so viel zu befehlen hier als so eine halbbatzige Jumpfer, und er wisse, daß seine Hosen nicht so stänken als andere, welche sie ganze Nächte in der Nase gehabt.


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