Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Da stand nun Vreneli im Glanz von drei Lichtern noch immer zwischen Uli und der Türe und wußte nicht recht, was für ein Gesicht es vornehmen solle. Endlich machte es gute Miene zum bösen Spiel, kam hervor, grüßte sittig den Pfarrer und dessen Frau und sagte, die Base lasse ihnen guten Abend wünschen, der Vetter auch. Das sagte Vreneli mit der unschuldigsten Miene von der Welt. «Aber,» sagte drinnen der Pfarrer, «warum kommt ihr bei solchem Wetter? Es ist ja für darin umzukommen!» «Es hat sich nicht wohl anders geschickt», sagte Uli, der die Mannespflicht, den Eigenwillen seiner Frau auf seine Schultern zu nehmen, zu fühlen begann, eine Pflicht, die man am Ende notgezwungen üben muß, entweder um nicht unter dem Pantoffel zu scheinen oder die Schwachheiten der Frau nicht auszubringen. «Wir durften nicht länger warten,» fuhr er fort, «da wir den Herrn Pfarrer bitten möchten, die Sache noch da und dort anzuzeigen, damit es auf den nächsten Sonntag verkündet werden könne.» Dafür seien sie wohl spät, sagte der Pfarrer, er wisse nicht, ob die Post vor dem Sonntag käme an beide Orte. Es sei ihm leid, sagte Uli, daran hätten sie nicht gedacht; Vreneli tat, als ob ihns die Sache nichts anginge, und redete recht eifrig mit der Frau Pfarrerin über den Flachs, der so schön geschienen und doch beim Hecheln gar nicht ausgeben wolle.

Als die Formalitäten zu Ende waren, sagte der Pfarrer zu Uli: «Und Ihr werdet Lehenmann in der Glungge? Das freut mich. Ihr seid nicht wie so viele Knechte, denen man kaum ansieht, daß sie Menschen, geschweige daß sie Christen sind, Ihr stellt Euch wie ein Mann dar und tut auch wie ein Christ.» «Ja,» sagte Uli, «warum sollte ich Gottes vergessen? Ich habe ihn nötiger als er mich, und wenn ich ihn vergesse, darf ich dann hoffen, daß er an mich denkt, wenn er seine Gaben und Gnaden austeilt?» «Ja, Uli, das ist schön,» sagte der Pfarrer, «und ich glaube, auch er habe Euch nicht vergessen. Ihr habt ein gutes Lehen, und ich glaube, Ihr bekommt eine gute Frau. Ich rede nicht vom Arbeiten und Haushasten, da wird Vreneli gerühmt, ich weiß es wohl; Arbeiten und Haushasten ist gut, aber doch nur eine Nebensache. Vreneli scheint leichtsinnig und flüchtig, aber ich weiß, es sinnet auch tiefer und hat ein gutes Herz.» Vreneli hatte seine Ohren bei diesem Gespräche, wie eifrig es vom Flachs redete. So wenig es früher dieses merken ließ, so wenig konnte es sich jetzt enthalten, zu sagen: «Aber Herr Pfarrer, Ihr könntet mir auch zu viel zutrauen.» «Nein, Vreneli,» sagte der Pfarrer, «ich sehe in der Unterweisung in gar manches Herz hinein, man weiß es nicht, ich höre gar manches, man glaubt es nicht, und dazu errate ich noch vieles. Bist du nicht auch schuld, daß Ihr bei diesem gräßlichen Wetter hereingekommen? Sieh, ich wünsche von ganzem Herzen, daß dieses der strübste Gang ist, den ihr mit einander während Eurer Ehe geht. Doch was Gott verhängt, weiß niemand, wenn nur alles zur Seligkeit dienet. Aber das kann ich wohl wünschen, daß Ihr keinen so struben Gang mehr tun müßt durch des Einen oder Andern Schuld. Was von Gott kömmt, das läßt sich alles tragen, wenn Zwei in Gott eins sind; aber wenn der Eigensinn oder die Wunderlichkeit oder die Leidenschaft von Mann oder Weib Unglück über eine Ehe bringen, Ärgernis und Elend, und das Unschuldige muß mit aus dem bittern Kelch trinken, muß bei jedem Zuge denken: Daran ist mein Gatte schuld, wenn er nicht wäre oder anders wäre, so wäre das auch nicht, da wird das Leben ein Wermutstrank und der Gang durchs Leben ist noch viel ungestümer als euer heutige Gang. Und wenn man am Ende ist und es gehen einem die Augen auf und man sieht, daß man das Unwetter selbst war auf dem Lebensweg, das einem Gatten die ganze Lebenszeit verfinstert, getrübt hat, daß er unsertwegen einen so schweren Gang hatte, während er bei etwas weniger Eigensinn oder Wunderlichkeit einen recht schönen, heitern hätte haben können: denk, Vreneli, was muß man sich da für ein Gewissen machen!»

Vreneli war ganz rot geworden, das Wasser trat ihm in die Augen, und die Frau Pfarrerin sagte: «Aber Mannli, du machst ja dem Meitschi ganz angst, kommst so ernsthaft, daß es mir selbst den Rücken auf geht, und du weißt doch nicht, ob die Sache so ist, wie du meinst.» «Ich kann mich irren,» antwortete der Pfarrer, «aber ein ernstes Wort gehört zu diesem ernsten Gange. Ihr werdet Euch Euer Lebtag erinnern an das gräßliche Wetter und das mühselige Gehen, da kömmt dann auch die freundliche Mahnung Euch in Sinn, auch wenn Vreneli diesmal nicht schuld war, daß jedes sich hüten solle, daß das Andere nicht durch seine Schuld beschwert werde, leiden müsse, daß wir daseien, einander das Leben zu erleichtern und zu versüßen und nicht zu verbittern und mühselig zu machen. Paulus sagt, die Ehe sei ein Geheimnis; er hat recht, aber die Liebe, die er im dreizehnten Kapitel im ersten Brief an die Korinther beschreibt, ist der Schlüssel dazu. Habe ich dir unrecht getan, Vreneli, so zürne mir nicht; du sollst wissen, daß ich es doch gut mit dir meine.»

Da begannen die Wasser aus den Augen zu rollen, und Vreneli bot dem Pfarrer die Hand und sagte: «Ihr habt mehr als recht, ich bin schuld daran, bin ein wüst und wunderlich Meitschi gewesen. Was Ihr mir gesagt, will ich nicht vergessen, es soll mir eine Warnung sein für mein Lebtag. Ich habe es nicht bös gemeint, habe nicht daran gedacht, daß es so kommen werde; es ist mir zuwider gewesen, zu kommen, und da habe ich alles hervorgesucht, um es zu verschieben. Aber es soll mir eine Warnung sein!» «Nun, nun,» sagte der Pfarrer, «gräme dich nicht. Es ist allerdings ein schwerer Gang, zum Pfarrer, das Hochzeit anzugeben. Ich begreife, daß es einem Mädchen bange werden muß dabei, und daß man das Schwere so weit von sich wegschiebt als möglich, ist menschlich, und es tun das noch viel andere Leute als nur junge Meitscheni. Es ist eben die schwerste Lebensaufgabe, das Schwere auf sich zu nehmen, vor dem Schwersten nicht zu zagen und zu zittern. Das meiste Unglück der Menschen besteht eigentlich nur darin, daß sie sich mit Händen und Füßen gegen das Kreuz, das sie tragen sollen und tragen müssen, stemmen und wehren. Es ist ganz recht, wenns den jungen Leuten eng ums Herz wird, wenn sie zum Pfarrer gehen, ist dieser Gang doch der entscheidende für ihr ganzes Lebensglück; darum rede ich gewöhnlich ein ernstes Wort dazu, denn dieses Wort wird viel weniger vergessen als hunderte, die ich in der Kirche sage. Wie heute geben die Umstände sie mir in den Mund, und wenn der Herr so mächtig auf den Flügeln des Sturmes daherfährt, so müssen die Worte ernsthaft werden. Und wie das äußere Leben ein Bild des geistigen Lebens ist, so ward mir Euer Gang daher zum Bilde mancher, mancher Ehe, zum warnenden Worte, vor solcher Ehe und den Ursachen dazu Euch zu hüten. Es muß auch niemand wunder nehmen und auch dich nicht, liebe Frau, die du jetzt vielleicht zum erstenmal bei der Abnahme einer solchen Angabe gewesen und zum erstenmal einen solchen Zuspruch gehört hast, daß ich so ernsthaft werde. Es ist fürchterlich, welcher Leichtsinn einreißt und wie schauderhaft unwürdig so Viele ihre Ehe angeben. Ein Freund hat mir geschrieben, daß ihm letzthin an einem Samstag zwei Paare zur Hochzeitangabe gekommen seien, beide Bräute hochschwanger und alle Viere voll Branntwein, so daß sie kaum reden, kaum gehen konnten. Wären wir in einem christlichen Staate und nicht in einer Agentenwirtschaft, so würde man solche Tiere zurückweisen, bis sie in einem menschlichen Zustande wären. Täte man es jetzt, so riskierte man Anschicksmänner, Rechtsverwahrungen, Zitationen, und die Richter würden mühselig in der Gerichtssatzung oder im Personenrecht einen Paragraphen suchen, der sich auf diesen Fall beziehen ließe, und würden ganz sicher gegen den Pfarrer auch einen finden. Vom eigentlichen Regieren löscht der Begriff immer mehr aus, wie auch das Licht immer düsterer brennt, je mehr Rauch und Staub um dasselbe gemacht wird. Aber was muß das für Ehen geben, wo die Leute in solchem Zustande den wichtigen Gang tun, und was für ein Bild ihres zukünftigen Zustandes wird da dem Pfarrer auf die Zunge gelegt! Und doch darf er es vielleicht nicht einmal aussprechen diesen trunkenen Leuten, besonders wenn sie etwa Bürger einer Stadt oder sogenannte Fötzelherren sind. Bei solchen läuft er Gefahr, daß sie ihm wüst sagen, ihn in eine Zeitung tun oder gar verklagen. So wie es bei solchen Erscheinungen einem recht eigentliche Stiche ins Herz gibt, so tut es einem auch wohl, wenn man Zwei zur Ehe schreiten sieht, von denen man weiß, daß Gott bei ihnen ist und daß sie trachten werden, ihre Leiber und ihr Haus zu einem Tempel zu machen, darin Gott wohnen mag. Nicht nur muß der Pfarrer über jede solche Ehe sich freuen, ich weiß, es ist Freude darüber im Himmel. Wenn nun zwei Solche zu einem kommen, wo man sich freuen kann über sie, da darf man ein ernsthaft Wort zu ihnen reden; man weiß, sie nehmen es einem nicht übel, sondern es fällt auf gutes Erdreich, wo es dreißig-, sechzig-, hundertfältige Früchte bringt.»

«Ja, Herr Pfarrer,» sagte Vreneli, «ich werde es nie vergessen, was Ihr gesagt, und Uli soll es Euch zu danken haben. Oh, ich habe noch manches Wort von der Unterweisung her, das ich nie vergessen werde. Und wenn es mich schon manchmal dünkt, ich hätte alles vergessen, so steigt bei diesem Anlaß oder einem andern ein Wort aus der Unterweisung in mir auf, fast als ob mir jemand den Finger aufhöbe und sagte: Eh, eh!» Es gehe ihm auch so, sagte Uli, doch jetzt mehr als früher. Es sei eine Zeit gewesen, wo er wenig an die Unterweisung gesinnet habe. Es komme viel darauf an, was man im Kopf habe, je nachdem komme einem etwas in Sinn. Er hätte es nicht geglaubt, wenn er es nicht selbst erfahren hätte.

Da kam die Magd mit den Tellern herein, um Tisch zu decken. Vreneli merkte es und stund zum Abschied auf, obgleich die Frau Pfarrerin sagte: Man solle nicht pressieren, oder sie sollten mithalten. Aber Vreneli sagte, sie müßten gehen, die Base meine sonst, sie seien umgekommen, dankte recht innig dem Pfarrer noch einmal für sein Wort und bat ihn, zu versprechen, daß er auch zu ihnen komme, wenn sie schon nur Lehenleute seien. Ein Kaffee vermöchten sie doch immer, wenn sie vorlieb nehmen wollten. Es lache ihm allemal das Herz im Leibe, wenn es ihn nur von weitem sehe. Glück und Segen wünschend zum heiligen Ehestand, zündete ihnen mit hochgehaltenem Lichte der Pfarrer selbst hinaus und gab ihnen einen guten Abend mit für die Base und für den Vetter auch.

Draußen hatte der Schneesturm aufgehört, zerrissene Wolken jagten durch den Himmel, einzelne Sterne flimmerten in den lichten Zwischenräumen, in ein weißes Schneegewand war die Erde gehüllt. Stillschweigend wanderten sie durch das Dorf, wo die Bewohner hinter ihren kleinen runden Scheiben um düstere Lampen saßen, die Spinnräder lustig schnurrten, lang ausgestreckt das Bein von manchem Hans Joggi um den Ofen blampete. Hie und da bellte ein Ringgi sie an, sonst nahm sie niemand wahr, überflüssig war ihre Vorsicht, schweigend und leise durchs Dorf zu eilen. Zum Schweigen trugen auch ihre vollen Herzen bei, in denen gar manches ernst und heiter sich wälzte, während rasche Wolken vorübertrieben, zwischen denen heiterere Sterne funkelten in immer größerer Menge, bis die letzte Wolke entschwunden war, in heiterem Blau Stern an Stern sich reihte, in heiterer Pracht ein funkelnder Himmel sie überstrahlte, die düstern Lämplein zurückblieben unter des Dorfes düstern Dächern. Da umfaßte schweigend Vreneli seinen Uli, blickte hell und strahlend ihm ins Auge, strahlende Augen hoben sich auf zum strahlenden Himmel. Die verschwiegenen Sternlein hörten heilige Gelübde, horchten lautlos den heiligen Gedanken, welche leise und wonnereich die Herzen der seligen Brautleute füllten, die still und leise ihren Heimweg gingen, den ihnen Gottes eigene Hand mit des Himmels Blüten, mit reinem, unbeflecktem Schnee bestreut hatte.

Näher und näher rückte der verhängnisvolle Hochzeittag. Schon waren des Vetters ins Stöckli gezügelt; die Base ließ das Haus von oben bis unten fegen und ribeln, wie sehr auch Vreneli wehrte, daß in dieser kühlen Jahreszeit solche Arbeit nicht viel abtrage, aber ungesund sei. Sie wolle das Haus nicht übergeben wie einen Schweinstall, sagte sie, und die Leute sollten ihr nicht nach ihrem Tode nachreden, wie sie ihr Haus übergeben. Aber man sinne nicht, daß wenn so viel draußen zu tun sei und man so viel Land habe, man im Hause nicht machen könne, was man wolle, und nicht alle Freitage fegen wie die Herrenfrauen. Der Tischmacher hatte seine Arbeit gebracht, Schneider, Näherin waren endlich unter Schweiß und Angst zu Ende getrieben worden, aber der Schuhmacher wollte nicht rücken, der kam nicht und kam immer nicht, der hatte seine Freude daran, warten zu lassen, sein Wahlspruch war: Ihr wartet wohl, bis ich komme. Vreneli verredete sich, der habe ihm die letzten Schuhe gemacht, und sollte es fürder barfuß laufen, und es hielt sein Gelübde.

Wie an einem Samstag vor einem heiligen Sonntag, der fast unwiderstehlich feierliche Gefühle den Herzen aufdringt, fast wie am Vorabend seiner Admission war es ihm am Tage vor der Hochzeit zumute. Sinnig und ernst waltete es im Hause, vielleicht hatte es noch nie so wenig geredet als an diesem Tage. Es war ihm manchmal, als ob es weinen sollte, und doch hatte es ein freundlich Lächeln für alle, die ihm begegneten. Es versank zuweilen in ein Sinnen, wo es sich, Ort und Zeit, alles, alles vergaß; es wußte nichts von sich selbst, wußte nichts von seinem Sinnen. Wenn dann jemand es anredete, so fuhr es auf wie aus tiefem Schlafe, es war ihm, als ob es erst jetzt wieder Ohren und Augen bekäme, als ob es aus einer andern Welt wieder auf Erden fiele.


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