Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Von nachträglichen Verlegenheiten, welche statt des Friedens aus der Verlobung kommen

Als er endlich fort war und die Leute wieder zur eigentlichen Besinnung kamen, fanden sie sich schweren Herzens, Elisi ausgenommen. Was wird Uli machen, was wird Johannes sagen, wie wird alles gehen? rüttelte die Leute gewaltig aus ihrem ruhigen Leben auf. Zu ihrer großen Verwunderung sagte Uli nichts und tat so kaltblütig, als ob ihn das nichts anginge, und wenn seine Mitdiensten ihn aufziehen wollten, so schmunzelte er, daß die Leute nicht wußten, woran sie mit ihm waren. Ja mehr und mehr konnte er es auch von ganzem Herzen tun, denn jetzt, da die Sache vorbei war, war es ihm, als ob er, aus schwerem, dummem Traum erwacht, viel leichter geworden sei. Das Geld, das Gut hatte ihn wie mit einem Blendwerk umstrickt, er mußte die Sache nun von dieser Seite ansehen und übersah Elisis Persönlichkeit mehr und mehr. Jetzt, da ihm diese wieder ins grelle Licht trat, jetzt ging er mehr und mehr dem Standpunkt zu, auf welchem er Gott danken mußte, dieser Gefahr entronnen zu sein. Mehr und mehr begriff er, wie unglücklich ein Mann bei allem Gelde sein müsse mit einem solchen Ding zur Frau. Jetzt erst begann er seinen alten Meister zu fassen, und er dachte manchmal, wenn er nur bald zu ihm käme, daß er ihm sein Mißtrauen abbitten könnte. Indessen stund es in ihm fest, den Dienst aufzusagen, da wollte er nicht mehr bleiben; er wartete nur eine Gelegenheit ab, es zu tun. Wo ein solcher Halunk Tochtermann sei, da sei seines Bleibens nicht, dachte er, und daß der Baumwollenhändler ein Halunk sei, das sagte ihm immer deutlicher sein eigenes Bewußtsein, so wie ihm die Gründe immer klarer wurden, warum er selbst Elisi eigentlich gewollt. Er mußte sich sagen, daß wenn er nur die Hälfte des Zehntens gehabt, welchen der Schminggel vorspiegle, er an Elisi nie gedacht hätte.

Nicht so kaltblütig benahmen sich Johannes und seine Frau. Elisi wollte hin, es ihnen anzukündigen und seine Uhr zu zeigen, allein weder der Vater noch die Mutter wollten mit, und alleine durfte Elisi es doch nicht wagen. Man schrieb. Wie aus einer Kanone kam das Ehepaar dahergefahren mit Schnauben und Tosen. Gepläret, geflucht wurde an selbem Tag in der Glunggen wie vielleicht seit hundert Jahren nie. Es war kein Schimpfname, den Johannes dem Bräutigam nicht gab, kein Laster, das er nicht haben sollte, kein Fluch, mit dem er ihn nicht belegte, und Trinette fügte noch unter Schluchzen und Schnüpfen bei, was Johannes vergaß. Ds Elisi sparte auch sein Maul nicht, wäre aber von dem Bruder geprügelt worden, wenn die Mutter nicht gewehrt. «Da hast dus jetzt,» sagte Joggeli, «da siehst dus, wies geht; da kann ich die Suppe ausessen helfen, die ihr eingebrockt.» Johannes übergab sich unzählige Male dem Teufel, wenn er je wieder einen Fuß in die Glungge setze, wenn sie einem solchen Donners verfluchten Saufötzel ihre Tochter geben würden. Jetzt suchte er Uli wieder auf und fluchte auch bei ihm sich aus. Er verfluchte sich hunderttausendmal, daß wenn der Donners Plätter doch einen Mann hätte haben müssen, er hunderttausendmal lieber Uli zum Schwager gehabt. Natürlich, ledig wäre ihm das Mönsch am liebsten gewesen, sagte er, was brauche es das Geld zu vermannen! «Aber wie die Schelmen haben sie an dir gehandelt. Gäll, wärest du zu mir gekommen! Aber du kommst noch, bei den verfluchten Donnern bleibst du nicht!» Uli gab wenig und ausweichenden Bescheid und war froh, als Johannes mit Schnauben und Tosen von dannen gefahren war. Der arme Teufel hatte von dem Tage nichts, als daß seine Frau ihn um eine solche Uhr und Kette plagte, bis sie dieselbe hatte.

Joggeli hatte noch andere Erkundigungen eingezogen, sie waren ungünstig, ausweichend, oberflächlich gut. Er sei ein Windbeutel, dem nicht zu trauen sei, zeige viel Geld und habe keins, wenn man von ihm wolle, sagten die Einen; man wisse nichts Genaues über ihn, er scheine Geschäfte zu machen, aber man sei nicht in direktem Verkehr, die Zweiten; er sei ein artiger, gewandter junger Mann, der seinen Weg machen werde und, so viel man merke, Vermögen besitze, die Dritten. Je näher das Ende des Termins kam, desto schwerer ward das Herz den Alten, besonders der guten Mutter, der Joggeli alles aufbürdete. Sie wären lieber zurückgegangen, ja die Alte hätte Elisi fast lieber dem Uli gegeben; allein so oft davon die Rede war, tat Elisi wie eine Besessene, verdrehte die Glieder, bekam Schaum vor den Mund, daß sie sich vor dem fallenden Weh fürchteten. Als der Termin aus war, an einem Tage, an welchem es regnete und windete, daß man nicht leicht einen Hund zur Türe ausgelassen hätte, kam der Baumwollenhändler wieder angefahren. Trübselig wie sein Herbeifahren war sein Empfang. Es zeigte sich kein Knecht, das Roß abzunehmen, Elisi blieb wegen dem Luft zehn Schritte von ihm am Schermen stehen, keine Jungfrau kam mit einem Regenschirm, die Alten zeigten sich nicht. Es ging noch ärger, als wo Uli anlangte als neuer Meisterknecht.

Es ging lange, bis er unter Dach war, naß und fröstelnd, lange, bis er sein Gesicht in die üblichen freundlichen Falten gelegt, und noch länger, bis die Alten kamen, aber auch frostig, so daß alle waren, Elisi ausgenommen, wie wenn sie bei zwanzig Grad Kälte in einem ungeheizten Zimmer einander amüsieren sollten. Nach langen Vor- und Einreden fragte endlich der Baumwollenhändler: Ob er jetzt wohl den Ring, den er mitgebracht, der Jungfer Elise als seiner lieben Braut an den Finger stecken dürfte. Die Alten machten beträchtliche Gesichter. Eins sah das Andere an, endlich sagte Joggeli: Er wisse neue nit, sie hätten allerlei vernommen, und der Sohn sei sich neue gar nicht zufrieden. Das Letztere sei ihm ganz begreiflich, sagte der Händler; aber wenn er die Ehre hätte, ihren Herrn Sohn persönlich zu kennen, so würde er garantieren, daß derselbe nichts gegen ihn hätte als eben, daß er seine Jungfer Schwester heiraten möchte und somit an seinem künftigen Erbe ihm zu schaden scheine. Ebenso begreiflich sei ihm das Andere. Er hätte schon lange viele Neider gehabt, und jetzt seien noch viel mehr derselben entstanden, die ihm sein Glück mißgönnten und ihn von Jungfer Elise zu trennen suchten. Nun erzählte er lange Geschichten, was man ihm von ihnen erzählt und wie man ihn abspenstig zu machen gesucht, ihm vorgestellt, wie er betrogen, unglücklich werden werde. Aber er kenne die Leute zu gut, kenne nicht umsonst den Weg von Moskau bis Lissabon, daß er ihn mit verbundenen Augen finden könnte; er wüßte, was die Leute seien und könnten. Sie könnten sich nun denken, wenn man über sie, so ehrbare, honette Leute, die ein so geregeltes Leben auf ihrem Gute führten, solche Dinge erzählen könne, so müßte man sicher von ihm, dem lebhaften jungen Mann, noch viel leichter etwas zu ersinnen wissen. Es seien nie Zwei zusammengekommen, daß den Leuten die Mäuler nicht voneinandergegangen.

Er wisse neue nicht, sagte Joggeli, aber es düeche ihn, es wäre wohl am besten, wenn man sich nicht pressierte und noch so ein Jahr wartete; während der Zeit lernte man sich besser kennen, und Beide seien noch jung, sie veralteten nicht. In zwei oder drei Jahren könnten sie perfekt gleich heiraten wie jetzt und wären Beide um so viel witziger geworden. Man habe ja Beispiele, daß Leute zwanzig Jahre miteinander versprochen gewesen wären, und es heiße, die seien gerade am glücklichsten gewesen, und er glaube es, da habe man der Zeit gehabt, einander dLün (die Launen) abzluegen. Wenn man so zsämefüßlige dareinspringe, so fehle es eim gar gerne. Da fing ds Elisi zu heulen und zu schreien an, und als man endlich vernahm, was es sagte, so waren es gräßliche Protestationen gegen solche Verzögerung. Sie wollten es metzgen, schrie es, damit der Kerli zFrevligen desto mehr hätte; aber so wahr ein Gott im Himmel sei, sollte es sie gereuen, es wisse schon, was es mache usw.

Nachdem der Baumwollenhändler diesen Ausbruch hatte wirken lassen, besänftigte er Elisi mit zärtlichen Reden und wandte sich dann in rührsamer Ausdrucksweise an die Eltern. Ob sie das Herz hätten, ihr Kind so unglücklich zu machen und ihn dazu; sie könnten ja sehen, wie sie aneinander hingen. Und warum unglücklich machen ihr eigenes Kind? Wegen neidischen, unbegründeten Äußerungen, die bei jeder Heirat üblich seien? Warum? Weil ein Bruder, der, wie es scheine, viel nötig habe, nicht gerne mit seiner Schwester teilen wolle? Nein, so hart, so unbarmherzig, so steinernen Herzens könnten sie sicher nicht sein! Nein, er wisse, sie seien gute, liebe Leute und glaubten an Gott und an eine Seligkeit, und darum bitte er noch einmal bei seiner und ihrer Seligkeit um die Hand der teuren Jungfer Elise, damit sie miteinander die Pfade der Tugend und der Moral wandern könnten, bis sie Gott einst zu einem seligen Leben hinaufnehme in seinen Himmel, wo sie einander alle wiederfinden und alle in alle Ewigkeit miteinander glücklich sein könnten. Der guten Mutter liefen die Tränen wieder über die roten Backen, und Joggeli sagte: «In Gottsname, wenn ihrs zwingen wollt, so zwingts; aber ich will nicht schuld sein, es mag gehen, wie es will.» «In Gottsname,» sagte die Mutter, «es hat so sollen sein, und wenn etwas sein soll, da kann man lange wehren. Aber seht jetzt selbst, daß ihr glücklich werdet. Wenn ihr es nicht werdet, so vermögen wir uns dessen nicht.» «Oh,» sagte der Baumwollenhändler, «was das Glück anbelangt, so habt keinen Kummer, wer wollte mit der teuren Elise nicht glücklich sein! Ich garantiere, wir wollen nie klagen. Das habe ich doch gedacht, daß Ihre guten Herzen nicht zwei Leute unglücklich machen werden. Kommt, Elise, laßt uns den teuren Eltern danken für unser Glück, danken, daß sie uns mehr geglaubt als bösen Leuten.» Bei der Hand faßte er Elisi und zog sie zu den Eltern und fiel darauf der Mutter um den Hals und küßte sie. Ihrer Lebelang hätte es ihr niemand so unerchannt gemacht, sagte sie später. Dann fiel er dem Joggeli um den Hals, daß der den Husten bekam fast zum Ersticken. Ds Elisi hätte eigentlich auch um den Hals fallen sollen, aber es hatte eben ein Stück Züpfen in der Hand, die wäre ihm brosmet. Es fand daher vernünftiger, ruhig zu bleiben und seine Züpfe zu essen. Als aber der Baumwollenhändler mit den Eltern fertig war, riß er in seinem männlichen Ungestüm die Tochter an seine hochschlagende Brust, achtete sich aber der Züpfe zu wenig; die kam ins Gedränge, so daß Elisi schreien mußte: «Herr Jeses, my Züpfe, Ihr vrdrücket mr se ganz; wartet doch, bis ih se weggleit ha!»

Der Baumwollenhändler tat sehr glücklich, konnte nicht aufhören, von Einem zum Andern zu gehen, die Hände zu drücken und zu sagen, er könne Gott im Himmel nicht genug danken für sein Glück; es sei der schönste Tag seines Lebens, und der müsse würdig gefeiert sein. Darauf ging er hinaus zu seiner Chaise. Es möge nun gehen, wie es wolle, sagte die Mutter mit einem Seufzer, jedenfalls habe er ein gutes Herz und Religion. Das sei aber die Hauptsache, was man mehr wolle? Er kam zurück mit Flaschen und sagte: Sie hätten letzthin von Wein geredet; er habe gedacht, er wolle ihnen einige Muster mitbringen, sie müßten auch wissen, was Wein sei. Da er das Glück haben sollte, seine liebe Elise zu erhalten, so zieme es sich nicht, an einem solchen Tag gemeinen Wein zu trinken. Solchen Wein trinke man nicht alle Tage; ihnen aber könnte er ihn liefern um einen Spott, wenn er schon nicht Weinhändler sei. Aber wenn man viel in der Welt herumkomme und die Augen mitten im Kopf habe, so wisse man bald, wo man die besten Sachen am wohlfeilsten bekommen könne. So habe er gerade die schönsten Geschäfte gemacht. Auch hatte er ein prächtiges Stück Seidenzeug mitgebracht von aschgrauer Farbe, wie Elisi noch keines gesehen und Trinette keins hatte. Solches, sagte er, würden sie in Bern und Zürich umsonst suchen. Ein guter Freund hätte es direkt von Lyon gebracht und aus Freundschaft es ihm abgelassen. Nun waren alle glücklich, und bei dem guten Wein und schönen Seidenzeug wurde man nach und nach recht gemütlich und heimelig miteinander, daß die Mutter dachte, es wäre doch lätz gegangen, wenn man ihm das Elisi nicht gegeben hätte.


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