Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Vierzehntes Kapitel

Der erste Sonntag am neuen Orte

In der Samstagnacht ging es aus und ein wie in einem Taubenhaus. Als am Sonntagmorgen Uli zur gewohnten Stunde hinunterkam, war es still von Menschen, aber die Pferde scharrten, die Kühe brüllten und kein Melcher, kein Karrer waren da. Uli gab einmal Futter, gab zum zweitenmal, setzte sich endlich selbst ans Melchen, denn es ist nichts schlimmer, als wenn nicht immer zur gleichen Stunde gemolken und gefüttert wird. Mit Schrecken sah er, wie verwahrloset die Euter der Kühe waren, nicht die halben Striche gut; es schien ihm, als wenn der Melcher nicht melchen könne oder sich nicht Zeit nehme, es gut zu machen. Er war bald fertig, als der Melcher fluchend kam und sagte, das hätte nicht so pressiert, die Kühe hätten wohl der Zeit gehabt, zu warten, bis er gekommen, und wenn er ihm mehr unter eine Kuh sitze, so schlage er ihn unter sie, daß er sich seiner Lebenlang daran besinne. Uli sagte, das könnte er machen, wie er wolle, aber es wäre möglich, daß der Melcher eher unter der Kuh wäre als er. Übrigens wolle er, daß zur rechten Zeit gemolken würde und zwar gut, sonst tue er es. Die Kühe mangelten es, daß man gut zu ihnen sehe.

Im Hause verwunderte man sich gar sehr, als diesmal die Milch so früh kam, und Vreneli sagte: Es sei gut, wenn es eine andere Ordnung gebe, es wäre schon lange nötig gewesen. Als es zum Essen rief, war Uli zuerst auf dem Platz; selbst die beiden Jungfrauen erschienen erst später, verstrupft und schliefrig (schlüpferig) anzusehen, die Knechte drehten sich mit unerträglicher Langsamkeit herbei. Vreneli balgete: Es sei ein unerträglich Warten, man könne an einem Sonntag gar nicht mehr fertig werden, um in die Kirche zu gehen. Von den Schlinglen gehe keiner, es wäre auch schade um die Kirche, wenn einer hineinkäme; aber das sei das Verflüchtest, daß ihretwegen auch niemand anders hineinkomme. Uli fragte, wie weit es sei bis zur Kirche, wann man gehen müsse, um zu rechter Zeit zu kommen, und wo syr Gattig säßen darin? «Die werden doch luegen,» sagte Vreneli, «wenn einer aus der Glungge in die Kirche kommt, das ist schon manches Jahr nicht der Brauch gewesen. Der Vetter geht, wenn er Götti sein muß, die Base zweimal im Jahr zum Nachtmahl und übers ander Jahr an dem Bettag, Lisabethli (Elisi sött men ihm säge) allemal, wenn es ein neues seidenes Tschöpli bekommen, ich, wenn ich einmal allen wüst gesagt, daß sie doch zur rechten Zeit zum Essen kämen, und die Andern gar nie, die denken so wenig daran, daß sie eine Seele haben, als unser Ringgi. Es nimmt mich wunder, was einist der liebe Gott aus sellige Trüßle, wenn sie gestorben sind, macht, bsunders mit dem Melcher. Wenn ich ihn wäre, den wollte ich einbeizen hundert oder zweihundert Jahre in ein Bätzifaß und ihn dann erst hervornehmen und luegen, ob er noch stinke; dann wär es erst noch Zeit, zu denken, was man aus ihm machen wolle. Aber, Uli, sie lachen dich aus,» sagte Vreneli, «wenn du gehst, und du hast Verdruß.» «I Gottsname,» sagte Uli, «aber z'Kilche z'gah brauch ich mich doch nicht zu schämen, und wenn ich hier nicht gehen dürfte, so wollte ich lieber fort. Der Lohn wäre mir noch lang zu klein, als daß ich meine Seele darob vergessen sollte.» «Du hast recht,» sagte Vreneli, «geh du nur; ich wollte, ich könnte mit dir. Aber dene Tüfels Trüßle will ich einmal wieder recht wüst sagen, vielleicht kann ich dann den andern Sonntag gehen.» «Warum sagt auch der Meister zu solchen Sachen nichts? Mein Meister, wohl, der hat uns gesagt, ob wir in die Kirche sollten oder nicht.» «Der Vetter», sagte Vreneli, «sagt, es gehe ihn nichts an, was sie mit ihren Seelen anfangen wollten; wenn sie ihm nur brav werchen und nicht stehlen täten, und das sei fast nicht zu erwehren.» «Das glaube ich,» sagte Uli, «das kann er nicht erwehren; wenn da nicht ein Anderer wehrt, so ist Joggeli lang z'mutze (zu kurz) dazu.»

Uli machte sich zweg, trotz dem Gespött der Andern, nahm ein Psalmenbuch in die Kuttentäsche und wanderte der Kirche zu. Die Andern lachten ihm nach und sagten: Er wolle zu Üfligen den neuen Meisterknecht zeigen; er werde meinen, die Leute werden auf die Bänke hinaufsteigen, um ihn zu sehen. Aber Solche hätte man schon manchen gesehen und noch Brävere. Vielleicht meine er gar, der Pfarrer ziehe ihn an in der Predig, aber sellig Flause wollten sie ihm schon vertreiben. Vreneli war, vielleicht zufällig, vielleicht nicht, unter der Türe gestanden und hatte ihm nachgesehen und sagte den Andern: Es wäre eher möglich, daß der Pfarrer sie anzöge und von Hurenbuben, Faulhüngen und Lugibuben redete, darum dürften sie nicht in die Kirche gehen. Dann werden sie denken, solche Fötzel an Leib und Seele gehörten nicht in die Kirche. «Säg ume,» sagte einer, «es uverschants Mul hescht; aber gäll, der gfiel dr, du redst sonst nicht so; du bist nicht besser als die Andern, sonst wärst du auch zKilche gange. Du wirst denken, wenn er nur einmal mit dir zKilche chömm, so heygs de für dyr Lebtig.» «Das geht dich nichts an; einmal mit dir begehre ich nicht zKilche, lieber mit einem Schinderhund», sagte Vreneli und verschwand. Wildes Gelächter scholl ihm nach.

Uli fand bald Begleiter auf seinem Wege und ein Geständ um das Schulhaus, wo die Predigt abgehalten wurde. Das werde der neue Meisterknecht in der Glungge sein, sagte hier einer, dort einer. Es nehme sie wunder, wie lange er es mache. Meisterknecht möchten sie da nicht sein. Alle Andern hätten es gut, der müsse für alle ausfressen. Könne er es wohl mit den Diensten und mache auch, was sie, so passe ihm Joggeli auf wie ein Häftlimacher, bis er ihn fortschicken könne. Wolle einer Ordnung halten und das Land werchen lassen, wie öppe der Brauch sei, so hocken ihm die Diensten auf, und Joggeli werde zuletzt noch gar schalus und meine, er wolle regieren, und statt ihn zu unterstützen, kujiniere er ihn, bis er fortlaufe. Hintendrein sei er dann reuig und laufe ihnen nach, aber kaum habe er sie wieder, so fange das alte Spiel von neuem an. Das sei der wunderlichste Joggi, den es auf der Erde gebe, und dJoggeni seien doch füra (meistens) etwas wunderlich, es wohne dem Namen an.

Jeder wußte von Joggeli ein Müsterli zu erzählen, was er gemacht und wie es ihm dieser und jener gereiset, und alle ermahnten ihn, er solle sich da nicht plagen, sondern für sich sehen; wenn er es verstehe, so sei da etwas zu machen. Uli wurde ganz sturm darob und konnte seine Gedanken gar nicht bei der Predigt behalten. Alles, was er schon gesehen, bestätigte ihm das Gesagte; dasselbe kam ihm immer ärger, greller vor, das Unangenehme wuchs handgreiflich vor seinen Augen bis zur Unerträglichkeit. Er werde wohl nicht mehr oft in die Kirche gehen, dachte er, da halte er es nicht lange aus. Als er heimging, finster und trübselig, schien die Sonne so freundlich, und es glitzerte der Schnee so rein und weiß, und traulich hüpften und flogen die Gilberiche vor ihm her, daß ihm ganz heimelig zumute wurde, daß es ihm ward, als sei er wieder am alten Ort und Johannes gehe neben ihm und rede zu ihm. Und da ward ihm, als hörte er ihn sagen: «Weißt du noch von den zwei Stimmen, die einen begleiten im Leben, einer aufweisenden und einer mahnenden, und weißt du, wie die aufweisende, schmeichelnde Stimme vom Versucher kömmt, der Schlange im Paradiese, und wie sie einem den Kopf groß machen, ableiten will vom rechten Pfade und hinterher auslachet, wenn sie einen in Unglück und Schande gebracht, wie man die von sich weisen und sagen muß: Weiche von mir, Satanas! Wie sollte ich ein so großes Übel tun und wider den Herrn, meinen Gott, sündigen!» So glaubte Uli den Johannes reden zu hören; und da gedachte er, was die Menschen, die gekommen waren, an Gottes Wort sich aufzuerbauen, zu ihm gesagt, wie sie ihn aufgewiesen, den Kopf groß gemacht. Da erkannte er, was das für Stimmen seien, was sie für eine Bedeutung hätten und wie er vor ihnen die Ohren verschließen müsse. Aber es fing ihm fast an zu grusen vor den Leuten, die zusammenkommen, das Wort Gottes zu hören, Gott zu dienen, wie sie sagen, und die, statt Gott zu dienen, dem Satan dienen, statt sich zu erbauen, Andere niederziehen wollen in den Abgrund der Sünde. Es sei doch fürchterlich, dachte er, wenn den Leuten die Kirchenwege zu Höllenwegen würden, und es sei doch fürchterlich, ein Herz zu besitzen, das einem das Wort Gottes in Gift verkehre und dem Satan angehöre, während man mit dem Leibe Gott zu dienen vermeine. Da richtete er sich wieder auf und ward wohlgemut, daß er wieder wußte, woran er sei, und den rechten Weg wieder unter den Füßen fühlte. Doch schämte er sich fast, daß er beinahe und so leicht verführt worden, und er dachte, daß der Mensch fast sei wie ein Rohr, das der Wind hin- und herbewege, und wie notwendig es sei, zu wachen und zu beten, damit man nicht in Versuchung falle. Nun begriff er, was aus den Menschen werden müsse, die nicht wachen, nicht beten, und es kam ihm fast verwunderlich vor, daß nicht noch größere Ruchlosigkeit sei unter den Menschen.

Beim Mittagessen konnte er ohne Zorn die Spöttereien ertragen: Er solle sich schicken, er werde wohl noch in die Kinderlehre gehen und Fragen aufsagen wollen. Er solle doch für sie alle beten; es käme ihnen jetzt kommod, daß sie einen Geistlichen unter sich hätten, der könne es für sie alle machen. Aber fluchen werden sie nüsti doch dürfen? Uli hätte es nie geglaubt, daß an einem Orte die Gottlosigkeit auf einem solchen Punkte stünde, daß sie so frech sich zeigen und die offen verfolgen dürfe, welche Gott dienen wollten. Uli wußte darum nicht, daß alle, die etwas Apartiges wollen, Glaubensfreiheit, Gewissensfreiheit wollen, bis sie in dieser Duldsamkeit zur Macht erwachsen und dann despotisch und gewaltsam Zwang und Tyrannei des Gewissens und des Glaubens einführen. Und merkwürdigerweise ist gerade die Gottlosigkeit am unduldsamsten, sobald sie das Recht erstritten hat, mit Frechheit offen sich zeigen zu dürfen. Sie will keine Gottesverehrung mehr dulden und verfolgt jede mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, legt euch Glaubens- und Gewissensfreiheit so aus, daß niemand mehr einen Glauben haben, niemand ein Gewissen zeigen solle. Wer fühlt nicht diese zur Macht strebende Gottlosigkeit und den Zwang, den sie bereits auszuüben beginnt?

Nach dem Essen ging Uli in sein Stübchen herauf, das kalt und dunkel war. Er nahm die Bibel hervor, die er im Trögli verschlossen hatte; es war eine sehr schöne, die ihm seine Meisterfrau zum Andenken geschenkt, mit grobem, weitem Druck und stattlichem Einbande. Da schlug er gleich das erste Kapitel auf, las die Schöpfungsgeschichte und staunte ob den Wundern, die Gottes Hand geschaffen, und dachte, wie weislich alles sich gestaltet und wie unendlich der Raum sein möge, den Gottes Allmacht mit Sternenheeren bevölkert. Er freute sich ob der Herrlichkeit des Paradieses und dachte sich in dieses wunderherrliche Tal, über das ein ungestörter Friede sich gelagert hatte, das noch keine Leidenschaft gesehen, keine Störung erfahren. Er mußte es sich denken in herrlichem Sonnenschein wie ein himmlischer Sonntag, der in aller seiner Heiligkeit sich ausgebreitet wie ein unsichtbarer, aber alles verklärender Teppich über diesen schönen Garten. Vor seine Augen stellte sich wie ein himmelanstrebender dunkler Tannenbaum an silbernem Gewässer der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Goldene Früchte sah er strahlen in dunklem Laube, er sah die bunte Schlange schimmern in den dunklen Ästen, sah sie spielen mit der goldenen Frucht und naschen davon mit lustfunkelnden Augen. Und wie zwei Lichter strahlten diese Augen weithin in die Ferne; zwei andere Augen begegneten ihnen, und er sah flüchtigen Schrittes die junge Mutter des alten Menschengeschlechtes nahen dem verhängnisvollen Baume. Und in zierlichen Ringen funkelte die Schlange so herrlich in dunklem Laube und naschte so zierlich von der prangenden Frucht und ringelte sich noch funkelnder hinaus auf des Baumes Äste, wiegte sich in süßem Behagen, und hinauf mit glänzenden Augen sah die junge Mutter. Die Schlange prangte so üppig, die Frucht duftete so süß, in ihrer jungen Brust schwoll das Gelüsten auf. Da wiegte die Schlange näher und näher sich, wälzte spielend die schönsten der Früchte zu des Weibes Füßen und lockte in süßen Tönen die neu geborne Lust zum fröhlichen Genuß. Schmeichelnd pries sie des Weibes Wohlgestalt und herrlich Wesen und schalt bitter des Allvaters Mißgunst, der ihr diesen Genuß verpönt, damit sie nicht an Herrlichkeit würden wie er. Er sah, wie die giftigsüßen Worte schwellten die Lust, wie sie höher und höher wuchs, wie die schmeichelnde Stimme verdrängte des Allvaters gebietend Wort; er sah, wie Eva naschte in neugieriger Schüchternheit, wie sie eilte, mit Adam die Sünde zu teilen, wie einer düstern, geheimnisvollen Wolke gleich ein düsteres Etwas über das Tal sich senkte, es verhüllte. Wüst und dürre breitete der Erdboden vor ihm sich aus, und im Schweiße ihres Angesichtes sah er die ersten Eltern verdüstert und verstört den ersten Acker bauen, sie, die ersten Opfer der verlockenden Stimme, die vom Vater die Geschöpfe locket und ihnen Elend gibt zum Lohn.


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