Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Es ging geraume Zeit, ehe er wußte, was er machte und was er machen wollte. Fast bewußtlos hatte er gesehen, wie ds Elisi den Menschen empfing und ins Stöckli führte. Dann ballte er die Fäuste und sagte: «Dem Donner will ich es recht sagen, der muß wissen, was für eine er hat, und dann will ich fort, keine Stunde bleibe ich länger da.» Wie er so in einem Satz vom Garten auf die Terrasse springen will, wird er festgehalten am Hemdärmel, daß er fast in zwei Stücke zerriß. Zornig aufziehend, dem unerwarteten Halter eins zu versetzen, sah er Vreneli neben sich unerschrocken stehn und ihn festhalten. Er schlug nun nicht, aber schnellte ein zorniges: «La mih gah!» «Nein, ich lasse dich nicht gehen,» sagte Vreneli; «lueg mich nur an, wie du willst, aber gehn sollst mir nicht. Du daurest mich, Uli, es macht dirs wüst, aber eben deswegen mußt du jetzt der Witzigere sein. Bleib da und tue dergleichen, als gehe dich alles nichts an, das macht es am täubsten. Tust du wüst, so lachen sie dich aus, und das täte ich ihnen an deinem Platz nicht zu Gefallen.» Uli wollte lange dieses nicht begreifen und klagte bitter, wie wüst Elisi ihms gemacht. «Sei du froh,» sagte Vreneli, «ich habe nichts sagen mögen; aber danke Gott auf den Knieen, daß es so gegangen ist. Wenn du Elisi kenntest wie ich, so nähmtest du es nicht, und wenn die ganze Welt sein wäre.» «Das mag jetzt sein, wie es will,» sagte Uli, «so will ich hier fort auf der Stelle; meinethalb kann der neue Tochtermann ihnen den Hof arbeiten.» «Das wäre noch dümmer,» sagte Vreneli, «dann erst würden die Leute zentum lachen und brüllen, wie es dir ergangen. Die einen würden sagen, sie hätten dich fortgejagt, die andern, du seiest zum Narren gehalten worden, du hättest dir eingebildet, du seiest schon Glunggenbauer, und machten dir Gäbeli. Stelle dich, als gehe dich alles nichts an, als lächere dich die Sache noch, so werden die Leute nicht wissen, woran sie sind, dich nicht nur in Ruhe lassen, sondern noch sagen: Da sieht man jetzt, Uli ist nicht so dumm, wie man geglaubt hat, er hat sie zum Narren gehalten und nicht sie ihn.» «Du bist eine Dolders Hex,» sagte Uli, «aber der Tüfel soll mich nehmen, wenn ich länger da Knecht bleibe» – «als du gedinget hast,» setzte Vreneli hinzu. «Zu Weihnacht kannst du meinethalb gehen, vielleicht gehe ich auch. Aber jetzt gehe nicht. Tue es mir und der Mutter nicht zuleid. Was macht doch das dem Elisi, wenn du gehst? Im Gegenteil, es ist ihm noch das Rechte. Die ganze Bürde fällt auf die Base und mich; der Vetter nimmt sich ja der Sache nur an, um zu branzen. Was vermögen wir uns Beide, daß es so gegangen? Aber zähl darauf, du wärest unglücklich geworden, und der Herr wird es auch, zähl darauf. Vielleicht aber betrügt Eins das Andere. Gehe jetzt in Stall, sieh zum Mutzschwanz, gib ihm Haber, mach, wie wenns dir ganz anständig ginge, und zähle auf mich, du wirst sehen, es kömmt am besten so. Man kömmt am besten durch die Welt, wenn man oft die Welt nicht merken läßt, wie es eim ist.» «Du magst etwas recht haben,» sagte der in der langen Zwiesprache etwas abgekühlte Uli, «aber wenn man nicht zuweilen ausdonnern könnte, es würde einem zuletzt versprengen. Es gehörte sich, daß man einer solchen Täsche auch einmal die Sache sagte.» «Das kannst du eben am besten, wenn du hier bleibst, da wird es sich dir wohl einmal viel besser schicken als heute. Und wenn du hättest müssen den Weg gehen, wo ich, so wüßtest du, daß man mit dem Ausdonnern wenig gewinnt. Ausdonnern heißt nicht klug sein wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben. Die Not hat es mich gelehrt. Aber gehe jetzt, ich werde dem Herrn kücheln und brägeln müssen, und ich tue es ihm von Herzen gern.»

Während die hier so verhandelten und Uli endlich gehorchte wider Willen, fand eine andere Verhandlung statt im Stöckli. Dorthin hatte die Mutter Käse und Wein und weißes Brot gebracht, nachdem sie Vreneli umsonst gerufen. Dann war sie zurückgeeilt zu Joggeli, hatte ihm gesagt, wer da sei, und nun sollte er die Sonntagskutte anziehen, ein Halstuch umlegen und hinüberkommen. Aber Joggeli wollte nicht. Dem Schminggel laufe er nicht nach, er begehre ihn nicht zu sehen, er wolle nichts von ihm und hätte nichts mit ihm, man solle ihn ruhig lassen; er könne wieder gehen, wo er hergekommen. So könne er doch nicht tun, sagte die Mutter, gerade wie wenn er nicht halb witzig wäre. Mit ihm reden müsse er, und er solle sich in acht nehmen, was er mache. Sie wolle nichts gesagt haben, sich in gar nichts mischen, aber sie wolle dann auch nicht schuld sein, wenn das Meitschi z'lätz tue. Er wisse wohl, wie es sei. Und wenn es etwas Unwatlichs machen würde, so müßte man sich ein Gewissen machen in Zeit und Ewigkeit. Das begehre sie nicht, sie begehre ruhig zu sterben. Damit ging sie hinaus, und hart schlug hinter ihr die Türe zu.

Joggeli brummelte fast eine Stunde lang mit sich und über die Weiber, die an nichts schuld sein und doch alles regieren wollten. Unterdessen schenkte Elisi dem Baumwollenhändler ein, sagte, so streng es konnte: «Näht doch, näht doch, trinkit!» Endlich längte Joggeli nach dem Halstuch, band es um und sagte, eine andere Kutte ziehe er nicht an, seine sei für so einen Schminggel gut genug; dann nahm er den Stock, trätschete zwischen Haus und Stöckli einigen Bäumen nach. Drinnen sah ihn der Baumwollenhändler und fragte: Ob das der Vater sei? Als Elisi Ja sagte, sagte er: So wolle er hinaus, ihn zu grüßen. Joggeli wollte eine halbe Wendung links machen, allein er entrann nicht mehr. Er sei so frei, sagte der Baumwollenhändler, und komme, zu sehen, wie seiner Frau Gemahlin und seiner Jungfer Tochter ihre Kur im Gurnigel zugeschlagen; dort hätte er die Ehre gehabt, ihre Bekanntschaft zu machen, und die glücklichsten Tage seines Lebens verlebt. Joggeli sagte: «He ja, es wird so sein! Ihr werdet krank gewesen sein, daß Ihr ins Bad habt müssen?» Nein, eigentlich nicht, sagte der Baumwollenhändler, aber er hätte Ruhe nötig gehabt. Nun erzählte er von seinem großen Geschäft und seinen weiten Reisen und wie er mit Extrapost Tag und Nacht von Petersburg gekommen usw., daß dem Joggeli der Verstand fast stillstund und der Respekt sich einstellte. Reden kann der, dachte er, wie druckt, und wenn nur das Halbe wahr ist, so ist das ein ganzer Bursch. Gezogenes Werch gab dem Händler Anlaß, zu fragen: Ob er wohl den Hanfsamen selbst ziehe? Als Joggeli Nein sagte, verbreitete er sich über die Orte, wo man ihn am besten kaufe: von Basel, von Freiburg im Breisgau, redete von den Pflanzungen aller Art, die man dort sehe, was für Samen dort gewonnen werden und wie viel sie dem Land eintrügen und wie viel auch hier damit zu machen wäre, wenn man nur die Sache verstehen wollte und nicht zu fast am Alten hinge. Er garantiere: auf einem großen Gut könnte man leicht zwei- bis dreitausend Pfund aus allerlei Sämereien lösen, wenn man nur wollte. Dr Tüfel, dachte Joggeli, wenn nur das Halbe wahr ist, so wäre das der wert, und sein Respekt nahm zu. Als die Mutter im Vorbeigehen fragen konnte: «Nun, wie gefällt er dir?», sagte er, so für einen Herrn sei er noch nicht der Dümmste; er wisse doch noch, daß die Kühe Hörner hätten und die Pferde keine und wo Bartlome Most hole.

Der Baumwollenhändler wußte, was er zu rühmen hatte. Das schöne Tischzeug bot ihm viel Stoff; dann kam er vom geräucherten Fleisch auf Hamburg, von der Hamme auf die westfälischen Schinken, vom Bratis auf die Kälber in St. Urban und was die Bandweber in Baselland für Kalbfleisch essen, und endlich brachte ihn der gute Wein aus der weißen Flasche auf den Wein überhaupt. Hier legte er so viele Kenntnisse an Tag, wußte so viel Sorten zu nennen, die verschiedenen Unterscheidungszeichen anzugeben, daß Joggeli dachte: Gegen den ist Johannes nur ein Löhl. Wenn der den Neuenburger kennt und den Weltschen, so ists allen Handel. Er sei doch schon an mancher Kindbett gewesen, aber so einen Kurzweiligen habe er selten angetroffen, die Zeit gehe einem um, man wisse nicht wie, und brauche man doch nicht viel dazu zu sagen. Die Mutter vergaß fast das Nöten ob all dem Reden, und Elisi, das nicht begriff, was der Herr wollte, wurde ganz böse, daß er immer mit dem Vater redete und sich nicht mit ihm abgab. Es plärete fast und sagte der Mutter draußen: Es glaube, es wolle nichts mehr von dem, er sei so unhöflich und unmanierlich wie der gröbste Knecht und hätte während dem ganzen Essen nichts mit ihm geredet. «Du dumms Elisi,» sagte die Mutter, «du bist doch immer der gleiche Tätsch! Merkst du nicht, daß er beim Vater in Hulden kommen muß, wenn er Ja sagen soll? Du weißt ja, wie er wüst getan.» «Was geht ihn der Vater an?» sagte ds Elisi. «Er will mich heiraten, und wegen dem Vater kann er mir den Kummer überlassen; dem wollte ich es reisen, wenn er etwas darwider haben wollte.» «Schweig doch,» sagte die Mutter, «es dünkt mich, es möge eins herkommen, woher es wolle, so sei es witziger als du, und doch hat man ein erschrecklich Geld an dich gewandt und bist noch im Weltschland gewesen. Aber wo die Gaben nicht sind, was will man?» «Und dann,» fuhr ds Elisi fort, «hat er immer das Vreneli angesehen, wenn es etwas brachte; er ist ein Wüster, ich habe es ihm angesehen. Das Vreneli soll nicht mehr hinüberkommen, du kannst bringen, was wir noch mangeln.» «Du wirst noch etwas anderes erfahren, Elisi», sagte die Mutter. «Das wirst du Keinem wehren können, daß er nicht die Andern auch ansieht; froh kannst sein, wenn es nur dabei bleibt.» Es wolle dann beim Donner luegen, sagte ds Elisi.

Unterdessen hatten drinnen die wichtigen Verhandlungen begonnen. Der Baumwollenhändler hatte den ersten Augenblick ergriffen, als er mit Joggeli alleine war, die Bewerbung zu eröffnen, noch schöner und wohlgestellter als bei der Mutter. Von Ehesteuer sagte er kein Wort, kein Wort von Trossel, hingegen zog er eine Brieftasche hervor voll Papier und sagte Joggeli, da könne er einen Begriff von seinem Geschäft erhalten und seinem Vermögen. Diese Brieftasche enthielt eine Menge Wechsel aller Art, von denen Joggeli wenig anders begriff als die Summen und dann die für bar Vermögen nahm, so daß er wie die Mutter nicht begreifen konnte, warum so ein grusam Geschickter, grusam Reicher und grusam Schöner an Elisi sich mache. Es habe halt, dachte er, ein jeder Mensch seinen Gaue (goût). Die Einen wollten ihre Weiber bleich, die Andern rot, die Einen fett, die Andern mager, die Einen hoffärtig, die Andern tätig, die Einen narrochtig, die Andern witzig. Der werde nun gerade so eins wollen, wie ds Elisi sei, das werde sein Gaue sein, darüber müsse man sich nicht verwundern. So dachte Joggeli während der schönen Rede des Bewerbers. Aber sein mißtrauisch Gemüt war damit noch lange nicht befriedigt; er fragte noch eine Menge Dinge, machte viele Einwendungen, suchte über Bekannte, Verwandte ihn auszuforschen, um allfällige Erkundigungen einziehen zu können, und brachte am Ende selbst die Rede auf die Ehesteuer. Er bitte sich aus, sagte der Herr, daß davon einstweilen keine Rede sei, er sei darin gar nicht wie Andere gesinnet und hätte es eigentlich auch nicht nötig. Er wolle nicht sagen, daß er das Geld nicht auch lieb habe; aber der Mann sei dafür da, die Frau zu erhalten. Sollte es später in ihrem guten Willen liegen, ihm etwas zu geben, so werde er es mit Dank annehmen, sonst sei er mit Nichts auch zufrieden, die Jungfer Elise sei ihm alles. Es werden sich später viele Gelegenheiten geben, einander nützlich zu sein, wenn er das Glück hätte, in ihre Familie zu treten. Ihren Flachs, ihr Kirschenwasser sollten sie künftig ganz anders verkaufen als jetzt, aus dem letztern löse er in Frankfurt wenigstens vier Pfund aus der Maß. Auch mit dem Korn lasse sich viel machen, wenn man es verstehe. Dann gebe es sehr oft Gelegenheit zu schönen Spekulationen, wenn man bares Geld zur Verfügung habe. Nun geschehe es, daß auch der reichste Kaufmann oft zu solchen Nebengeschäften nicht Geld habe; wenn er dann in solchen Augenblicken vorsprechen dürfte um Vorschuß, so könne er leicht fünf und sechs Prozente offerieren und doch noch zehn bis fünfzehn Prozente gewinnen. Das gefiel Joggeli nicht übel. Der, dachte er, sei doch ein kurioser Held, mit dem ließe sich noch handeln, noch besser als mit einem Bauer. Doch wollte er seine Einwilligung noch nicht geben, sondern forderte vierzehn Tage Bedenkzeit. Man müsse mit dem Sohn reden, sagte er, und hie und da nachfragen; wenn er ihm schon traue, so sei das doch so der Brauch. Zudem wüßte er nicht, ob ds Elisi nicht besser täte, ledig zu bleiben; es sei neue kränklich und möge wenig erleiden. «Was wolltest du davon wissen?» sagte ds Elisi, «du weißt viel, was ich erleiden mag oder nicht. Aber wenn immer alles auf einem ist, so muß eim allbets einist öppis fehle.» Der Herr fiel rasch ein und beteuerte, wie die Jungfer Elise ihm gerade recht sei, drückte ihre Hände, beteuerte, wie die Bedenkzeit ihm gerade recht sei. Ja freilich, sie könnten über ihn fragen, wo sie wollten, so müßten sie alles Gute vernehmen, wenn die Leute nicht verleumdeten, was freilich oft geschehe, besonders wenn man viele Neider hätte. Unterdessen solle man ihm doch erlauben, der Jungfer Elise einstweilen ein Andenken zu geben, und somit zog er ein Kästchen hervor, eine prächtige Uhr mit Kette daraus und hängte die mit zärtlichen Gebärden der Jungfer Elise um und bat sich ehrerbietig die Erlaubnis aus, der Uhr noch ein Küßchen beifügen zu können. Jetzt war ds Elisi wieder zufrieden mit ihm, freute sich wie ein Kind über sein Geschenk, lief ins Haus, es dem Vreneli, den Jungfrauen zu zeigen, und dann wieder zu dem Geliebten, ihn zu fragen, wie man sie öffne und wo man sie aufziehe, ihm erzählend, wie des Bruders Frau Augen machen werde, wenn sie dieselbe sehe. Elisi wollte jetzt gegen die Bedenkzeit sich auflehnen, der Geliebte aber bat recht dringend, den Eltern nachzugeben. Unterdessen könne er seine Papiere in Ordnung bringen, daß die Verkündigung alsobald erfolgen könne. Man müsse die gute Jahreszeit profitieren, um noch eine rechte Hochzeitreise zu machen, wohin es seine Elise gelüste. Nun erst begann Elisis Jubel, und dann plärete es wieder über den Aufschub, es hätte die Reise gleich jetzt antreten mögen.

So verrann der Tag. Der Glückliche rüstete sich zum Aufbruch und wollte mit Pomp dahinfahren. Dem Vreneli wollte er einen Zehnbätzler in die Hand drücken, es wandte sich rasch weg und sagte, es nehme kein Geld. Vor der Küche traf er auf die, die sein Roß zäumten, denen Uli zu Hülfe kommen mußte, weil es den Kopf gar hoch hielt. Da drückte er unversehens Uli auch einen Zehnbätzler in die Hand. Wie der sah, was er hatte und wer es gab, ließ er es, ohne ein Wort zu reden, fallen, wie wenn es ihn gebrannt hätte, machte den Zaum zurecht und tat, als wenn der Herr und sein Geld gar nicht da wären. Derselbe las den Zehnbätzler wieder auf und dachte bei sich: Das sind mir puckte Leute, denen will ich es eintreiben.


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