Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Beim Hause stund alles zweg, den Vetter zu empfangen, der etwas schlotternd und mühselig vom Wägeli stieg, während Uli herbeisprang, das Roß abzunehmen. «Reib es mir doch ein wenig ab,» sagte Joggeli, «und gib ihm nicht gleich zu saufen, es hat warm. Ihr füttert doch Dürrs?» fragte er den Johannes, und erst, als er über alles beruhigt war, ging er auf seinen wackeligen Beinen ins Haus. Kaum war er abgesessen, so fragte er: «Ist das ne gsi?» «Ja,» sagte Johannes. «Er düecht mih no wohl junge und gar so lüftig.» «Er ist bald dreißig,» sagte Johannes, «und e Gleytige (Gelenkiger), das ist wahr; aber es ist kommöder so, als wenn er nicht fürers (vorwärts) möcht.» Mit dem ging er in den Keller und holte Wein und Käs, und im Vorbeigehen in der Küche frug ihn die Frau: «Was hat der nach Uli zu fragen, was wott der mit Uli?» «Ich habe jetzt nicht Zeit, es dir zu sagen,» antwortete Johannes, «komm herein, du wirst es dann schon hören.» «Was hats dem Johannes gä?» dachte die Frau, «er ist ganz wunderliche, und so agschnellt hat er mich jetzt lange nie.» Darinnen fing der Vetter wiederum an, sein Leid zu klagen und wie sie arme, beschissene Leute wären, und kaum war Johannes hinaus, um das heutige Tagewerk zu überschauen, so fragte er: «Base, was ist mit Eurem Knecht, dem Uli? Dr Johannes wett mr ne gä für Meisterknecht.» «Das wird öppe nicht sein!» fuhr die Bäurin auf, «dr Uli ist der beste Knecht, den man weit und breit antrifft, wir haben noch nie so einen gehabt.» «So?» sagte der Vetter, «aber wie hat ers denn mit dem Weibervolk? Es hat mir geschienen, er sei gerade so einer, wie sie am schlimmsten seien.» Es wäre gut, sagte die Frau, wenn es keine Schlimmern gäbte; er sei mehr als ein Jahr zNacht nie aus dem Hause gewesen. «So, so,» sagte der Vetter. «Dr Johannes ist da mit einem lustigen Wybli heimgeritten und hats bis zum Haus gebracht, wie ich gesehen; wer ist das gewesen?» «Das ist unsere Nachbäurin, es hauptäntisch bravs Fraueli, und sie ist bsunderbar wohl für mich. Es ist ds einzig Hus, in das ich so jeweilen gehe.» «So, so,» sagte der Vetter, «dr Uli wär Euch denn mit Schein nicht erleidet?» «Wer sagt das?» fragte die Frau; «der Johannes wird doch nicht so dumm sein und den Uli forttun wollen, da wollte ich auch noch ein Wort dazu sagen.» Mit dem kam Johannes wieder herein, redete von Gleichgültigem; die Frau ging hinaus, und der Vetter sagte: «Sag, Vetterma, es düecht mih, dy Frau könn es bsunderbar gut mit Uli und er sei ihr gar wert.» «Ja,» sagte Johannes, «es ist ihr noch Keiner so wert gewesen; über all hat sie mir immer zu klagen gehabt, aber seit manchem Jahr über den kein Wort. Es ist ein ganz anders Dabeisein.» Es schade dann vielleicht nicht, wenn sie auseinanderkämen, sagte Joggeli. Bhüetis, er wolle damit nichts Böses gesagt haben; aber es sei doch nicht allemal gut, wenns dWyber und Knechte zu gut miteinander könnten. Oh, das mache nichts, sagte Johannes, wenn es dabei die Weiber noch besser mit den Männern könnten als mit den Knechten. Und das sei bei ihnen so. Er und seine Frau seien einig, und keins mache eine Partei weder gegen die Kinder noch gegen die Diensten, und seit einiger Zeit seien sie auch mit ihren Diensten einig, und die machen keine Partei gegen sie unter sich, und so befänden sie sich bsunderbar gut dabei. «Ich weiß neue nit,» sagte der Vetter; «wenn sie zu einig sind, so hat sich sonst der Meister zu klagen. Wenn es allen gegangen wäre wie mir, so würde noch Mancher anders reden.» Die Bäurin konnte nicht ins Klare kommen, bis endlich bei Tische das Kapitel wieder auf Uli kam und sie sich überzeugen mußte, daß es Ernst sei mit dem Platz bei Joggeli. Da sagte sie: «Aber Johannes, sinnest auch, was du machst?» «Ich möchte dem Uli nicht vor seinem Glück sein,» antwortete er. «Es ist nicht immer alles Glück, was glänzt,» sagte sie halblaut und ging zur Türe hinaus. Da fing der Vetter an zu treiben, daß man den Uli hineinkommen heiße, er möchte mit ihm reden, und Johannes meinte, das pressiere den Abend noch nicht; morgen wolle er ihm alles zeigen, und dann könne er noch immer machen, was er wolle. Aber der Vetter sagte, er müsse morgen zeitlich fort, wolle die Sache heute noch richtig machen, so könne er vielleicht wieder einmal gut schlafen; und Uli mußte herein.

Uli war ganz voll Gwunder, was er im Stübli solle, und stellte sich an der Türe auf. Der Vetter füllte sein Glas, brachte es Uli und sagte: «Tue Bscheid und chumm hock, ich möchte neuis mit dir reden.» Nun begann er, wie Johannes ihm Uli als Meisterknecht angeboten habe, wie er einen mangle, wie er einen schönen Lohn gebe und bei Zufriedenheit noch mehr nicht scheuen wolle. «Und wenn es dich gelüstet, zu kommen, so fordere Lohn; wir wollen es gleich miteinander richtig machen.» Uli war ganz verstummet. Endlich sagte er, es sei ihm hier nicht erleidet, er begehre gar nicht fort. Wenn der Meister meine, es sei sein Glück, so wolle er probieren, aber ungern. «Du kannst probieren,» sagte Johannes, «und wenn ihr nicht für enandere seid, so nehm ich dich wieder jede Stund.» «Und nun, was forderst du für Lohn?» «Der Meister soll für mich heischen,» sagte Uli. «Was düecht Euch: sechzig Kronen, zwei Paar Schuhe, vier Hemder und dann noch Trinkgelder?» sagte Johannes. Ihm sei es recht, sagte Uli, wie es der Meister mache. Es sei wohl viel, sagte der Vetter, und so für den Anfang hätte man es mit etwas Wenigerem auch machen können, indessen wolle er nicht märten. Nur mit den Trinkgeldern könne er nicht viel versprechen; für die Rosse nehme sie der Karrer, für die Kühe der Melcher, und sonst gebe es nicht viel. «He nun,» sagte Johannes, «so gebt Ihr am Neujahr noch einen schönen Kram, wenn Ihr zufrieden seid.» Das werde sich schon machen, sagte Joggeli; da hätte er fürs erste zwanzig Batzen Haftpfennig, und dann solle er ihm zur rechten Zeit kommen, um anzustehen. Somit gab er Geld und Hand, und die Sache war abgetan, ehe Johannes und Uli es sich versahen und ehe die Bäurin ein Wort dazu sagen konnte. Er hätte gedacht, er wolle es heute noch richtig machen, sagte Joggeli, es hätte sonst vielleicht nichts mehr daraus werden können; man wisse nie, was es über Nacht gebe.

Und Joggeli, der alte Fuchs, hatte verdammt recht. Die Frau schwieg jetzt, sie fühlte, jetzt könne sie nicht mehr reden. Aber sobald Johannes neben ihr hinterem Umhang lag, so begann sie mit der Frage: «Aber sag mir auch, was sinnest du? Ich hätte nie geglaubt, daß du ein solcher Löhl wärest. Einen solchen Verdruß hast du mir nicht gemacht, seit wir verheiratet sind. Du bist viel fort, und wie soll es gehen, wenn Uli nicht mehr da ist? Der alte Verdruß kommt wieder an mich. Dem alte, wunderliche Narr, der niemand trauet und meint, alle Leute seien schlecht, den besten Knecht anzubieten! Man sollte dich my Seel vogten. Ich glaube, du bist voll gewesen, wo du das gemacht hast. Sag mir nur, was hast du auch gesinnet?» Aber Johannes, dem der Handel selbst übers Herz gekommen, wußte nicht viel zu sagen, seine Gründe schienen ihm selbst nicht mehr stichhaltig. Er wisse es selbsten nicht, seufzte er. Er habe geglaubt, dem Uli sein Glück zu machen. Knecht könne der auch nicht immer bleiben, und um etwas anzufangen, müsse er Geld haben, und einen größern Lohn zu geben, vermöge er nicht. Aber die Frau tat ihm alles durch und wollte von Glück nichts wissen, das Uli mache, daß sie ihm einen größern Lohn hätten geben sollen oder daß sie einen größern nicht vermöchten; kurz sie war zu einem eigentlichen Redhaus geworden und ließ Johannes in selber Nacht wenig schlafen. Auch Uli schlief nicht, er war auch halb reuig; nur der Vetter schnarchte behaglich, daß man meinte, es sprenge Laden an der Diele auf und Schindeln vom Dache.

Am andern Morgen war alles wie verstört, aber dessen achtete Joggeli sich wenig; er machte, daß er fortkam, gab Uli noch einen Walliserbatzen Trinkgeld und fuhr vergnügt von dannen.

Uli hätte den Handel gerne aufgegeben, und auch die Frau Meisterin war der Meinung. Was frage man dem Vetter nach; man hätte ja sein Lebtag nichts von ihm gehabt und werde nichts von ihm haben, und er wohne ja sieben Stunden dadänne (von ihnen weg), man sehe ihn vielleicht in seinem Leben nicht mehr. Uli sagte, wenn er im neuen Dienst noch alleine wäre, so würde es ihm noch minder machen; aber daß er da drei, vier Knechte regieren solle, noch Jungfrauen dazu und Tauner die Menge, das gruse ihm. Er wisse wohl, wie er es mit denen bekomme. Sage er zu allem nichts, so sei er nur ihr Schuhwisch, und der wolle er nicht sein; wolle er regieren, so gäbe es Händel, er hätte lauter Streit und wisse nicht, wie dann der Meister ihn unterstütze. Es wäre wohl am besten, er schicke das Haftgeld zurück zu rechter Zeit. Aber Johannes war nicht dieser Meinung. Es wäre schlecht, einen fremden Menschen so anzuführen, geschweige dann einen Vetter. Es komme nichts von ungefähr, und man wisse nicht, wofür das gut sei. Gewöhnlich seien die Sachen, wo einem im Anfang am meisten zuwider seien, später einem die vorteilhaftesten. Jetzt müsse man der Sache ihren Lauf lassen, es werde öppe beidseitig gut gehen. Wenn Uli nur im Anfang recht süferli tue und suche, Boden zu bekommen, so werde sich alles machen. Hans, ihr zweiter Knecht, sei gut angeleitet und hätte vielen guten Willen; es wäre möglich, daß man mit ihm auch nicht schlecht fahren werde. Jedenfalls sei die Sache jetzt so, lasse sich nicht ändern; es wäre daher am besten, wenn man sich hineinschicken würde und so wenig als möglich davon redete.

So verstrich die Zeit, und Weihnachten nahte. Schneider, Näherinnen, Schuhmacher wechselten ab auf der Stör, und wenn man es auch nicht sagte, so war es doch größtenteils Ulis wegen, dessen Kleider man alle in den besten Stand setzen ließ, fast wie einem Sohn, der in die Fremde will. Bald hatte die Meisterin noch einen Resten Tuch, den sie nicht zu brauchen wußte, zu einem Hemde, oder der Meister eine Kutte, die ihm zu enge war, oder ein Gilet, das ihm der Schneider verpfuscht hatte. Eines Abends sagte der Meister: «Uli, du mußt noch einen Heimatschein holen beim Pfarrer; gehe morgen, damit man Zeit hat, ihn ausfertigen zu lassen.» «Meister, das ist mir zwider,» sagte Uli. «Nit, der Pfarrer ist mir lieb und ich habe viel auf ihm, seine Predigten haben mir wohl getan, und ich habe bei ihm einsehen gelernt, daß wenn man ein Mensch sein will, man unserm Heiland nachfolgen müsse. Aber ich bin gar ein wüster und ungeschickter Bube gewesen in der Unterweisung, er hat viel mit mir müssen balgen, und daher habe ich ihn seither immer geflohen und kein einzig Wort mit ihm geredet. Das habe ich nun ungern, ich darf mich nicht vor ihm zeigen; denn wenn ich gehe, so wird er glauben, ich sei noch immer der wüste Bub wie früher, und mir einen Abputzer geben vom Tüfel. Du könntest mir ihn nehmen, Meister; du kommst wohl öppe zum Pfarrer.» «Nein,» sagte der Meister, «es ist anständig, daß du selbst gehst, und wenn er dir schon noch eine Ermahnung gibt, so schadet die dir allweg nichts.»

Uli mochte wollen oder nicht, er mußte selbst gehen. Aber es wurde ihm recht schwer, als er gegen das Pfarrhaus kam; das Herz klopfte ihm, als er hineingeheißen wurde, und als drinnen der Pfarrer fragte: «Was wotsch, was wär dir lieb?», da fand er das einfache Wort «einen Heimatschein» fast nicht und brachte es mit Mühe heraus. Der Pfarrer schlug große Bücher auf, frug: «Du heißest Ulrich Merk, dein Vater hat Christian geheißen, deine Mutter Madle Schmöck, dein Götti ist der Vrenechbur gsi.» Das wunderte den Uli gar fast, wie der Pfarrer das alles so wissen könne und daß er ihn noch gekannt hätte; seit der Unterweisung sei er doch fast einen Schuh größer geworden. Dann fragte ihn der Pfarrer wieder: «Du gehst in die Glungge, in die Gemeinde Üflige. He nun, es soll mich freuen, wenn es dein Glück ist,» sagte der Pfarrer. «Es hat mich schon lange gefreut, daß du dich so brav aufgeführt hast; es freut mich allemal, wenn ich einen auf einem bessern Weg sehe. Wo du in die Unterweisung gekommen bist, hätte ich das nicht von dir erwartet. Aber es ist dem lieben Gott gar viel möglich, woran der Mensch nicht denkt. Vergiß aber in der Glungge nicht, daß dort der gleiche Gott ist, der hier sein Auge auf dir gehabt hat, und daß es dir nur so lange wohl geht, als er dir hilft und du ihm treu bist. Vergiß nie, daß er alles gseht und alles ghört, wenn es schon dein Meister nicht sieht und nicht hört. Jetzt wirst du über viel gesetzt, es wird auch viel von dir gefordert werden. Jetzt hast du Gott nötiger als nie, und denke immer, was du sagst, wenn du betest: Führe mich nicht in Versuchung! Denke daran, was der Heiland gesagt hat: Wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtungen fallet! Es wird mich immer freuen, wenn ich gute Nachricht von dir habe, und wenn du hieher zDorf kömmst, so komm auch zu mir und gib mir Bricht, wie es dir geht, es wird mich recht wohl freuen.»

Uli ging ganz gerührt und verwundert fort und mochte nicht warten, bis er dem Meister sagen konnte: «Denk, dr Pfarrer hat mich noch gekannt und es ist ihm alles bekannt gewesen. Er hat gewußt, daß ich mich geändert, daß ich in die Glungge komme, und wie es dort ist, hat mir geschienen, wisse er auch. Wie ist das auch möglich, er hat doch nie mit mir geredet und ist die längste Zeit nicht bei dir gewesen?» «Jä,» sagte der Meister, «das ist der Name, von dem ich dir gesagt habe. Der gute Name kommt weit und der böse noch weiter, und es ist kein Mensch so gering, es wird von ihm brichtet. Und so ein Pfarrer soll auf diese Namen mehr oder weniger acht haben, damit, wenn die Gelegenheit kommt, er weiß, wie er mit den Leuten reden soll. So ein unerwarteter Zuspruch bei Gelegenheit tut manchmal recht gute Wirkung; es schadet niemere nüt, wenn man weiß, daß auf einen gesehen wird.» «Ja, das muß ich sagen,» sagte Uli, «der Zuspruch hat mich gefreut, und ich wollte nicht, daß ich nicht selbst gegangen wäre. Er hat mir da ein paar wichtige Worte gesagt, die ich nicht vergessen will.»

Der Meister hatte sich entschlossen, Uli selbst auf seinen neuen Platz zu führen; er solle mit dem Züglen nicht Kosten haben, sagte er, und dann könne er ihm vielleicht einen oder den andern Rat geben, wenn er die Gelegenheit selbst angesehen. Uli ließ seinen Lohn fast ganz zurück und hatte nun in der Kasse ordentlich über hundertfünfzig Kronen. Einen Trog hatte er machen lassen mit einem guten Schloß, damit ihm nicht jeder über seine Sachen könne.

Neujahr kam, da wurde auch gneujahret nach allgemeinem Gebrauch. Wein und Fleisch war genug auf dem Tisch, sonst ging es recht lustig zu. Jetzt saß man beisammen, aß und trank und wollte lustig sein. Da sagte Uli: «Hocken ih ächt zum letztenmal da?», und das Augenwasser schoß ihm über die Backen ab, und er stund auf und ging hinaus. Und allen kam das Augenwasser und stellte ihnen das Essen, und sie redeten lange nichts, bis endlich die Frau sagte: «Johannes, du mußt doch use und ga luege, wo Uli bleibt; er soll hineinkommen. Es ist jetzt so, und ich bin nicht schuld daran; aber mir wey die letzti Stund doch noch binenangere sy.»


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