Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Draußen trafen auf einer weiten Matte die Partien zusammen und ordneten sich zum Spiele, das hundertmal schöner und tausendmal nationaler ist als das fratzenhafte Komödiespielen, das den Leib nicht übt, an dem die Seele nicht wohllebt, das eine leidige Nachahmung ist und Gelegenheiten zum Faulenzen oder Hudeln gibt.

Der günstigste Standpunkt wurde auserlesen, die Sonne für die Abtuenden in den Rücken genommen, der Sparren zum Schlagen des Hurnußes sorgfältig gestellt, wo kein dunkler Hintergrund das Aufsteigen des Hurnußes verbarg, wo er gleich von der Stange weg in freier Luft wahrgenommen werden konnte. Wo dies nicht beachtet wird oder der Tag etwas dunkel ist und der Schläger den Hurnuß rasch und kräftig zwickt, da fliegt er mit solcher Schnelligkeit, daß er nicht wahrgenommen wird, bis er Einem schwer verletzend an den Kopf fliegt oder mit dumpfem Schlage neben Einem zu Boden fällt. Daher haben auch die Vordersten im Ziele die Aufgabe, denselben, sobald sie ihn erblicken, mit Händen und Schaufeln den Hintern zu zeigen, und weithin schallt dann das ängstliche: «Da da, da da, hier hier!»

Lange gings, bis der Sparren oder die Stange aufgerichtet war in ebenrechter Höhe, bis das Ziel ausgesteckt war in ebenrechter Weite und Breite, bis die Regeln des Spieles festgesetzt waren und geloset war, wer anschlagen solle. Jede Partie suchte ihre wirklichen oder vermeintlichen Vorteile, und eine brauchte nur etwas vorzuschlagen, so verweigerte es die andere hartnäckig, etwas Verdächtiges dahinter witternd. Dann zankte man sich, bis die Alten sich dareinlegten, den Einen oder den Andern nebenausriefen, ihm etwas ins Ohr sagten, welches gewöhnlich darauf hinauslief: mit Aufgeben eines Vörtelchens ein anderes zu erlistelen.

Es war schon über zwei Uhr geworden, ehe die Spieler ins Ziel traten, sich verstellten, vom Sparren herauf der Ruf ertönte: «Weit dr ne?», von dort her die Antwort kam: «Gät ume!», ein Schläger rasch hinzutrat, aufzog, den Stecken über den Sparren, ihn hörbar berührend, niedersausen ließ, alle Herzen pochten, alle Mäuler aufgingen, alle Augen in zitternder Spannung zum Hurnuß sahen, ihn suchten in der Luft, ihn nirgends sahen; und während alle die Augen aus dem Kopfe sahen, tönte ein zweiter Schlag, da flog der Hurnuß hoch herein übers Ziel, wurde zu spät entdeckt und machte eins. Der erste Schlag war ein Vexierschlag gewesen.

Ich will nun nicht fortfahren, wie ich angefangen, nicht den Lauf des gesamten Spiels erzählen, wie oft man branzte miteinander über vermeintliche und wirkliche Täuschungen, wie man sich manchmal die Fäuste unter die Nase hielt, wie die Alten Schiedsrichter sein mußten, wie sie mittelten von beiden Seiten und wie die Jungen sich ihnen fügten, freilich oft sperrig; wie die Alten sich nicht enthalten konnten, praktischen Unterricht zu geben, einem Schläger zuzurufen: Er solle bas hingere stah oder bas füre; den Abtuenden: Sie sollen sich besser auseinanderlassen und ihre Schaufeln nit z'gly (zu früh) werfen, das sei nichts wert. Ich will auch nicht weiter beschreiben, wie allmählich ein dichter Kranz von Zuschauern die Spielenden umschlang, wie die alten Mütter mit pochenden Herzen an dem Spiele teilnahmen, wie die Mädchen vor Angst oder Freude zitterten, wenn ihr Liebster ans Schlagen trat oder den Hurnuß abtat, auch nicht, wie die Buben von Erdöpfelkofen und Brönzwyler sich boshaft neckten und endlich jämmerlich prügelten, bis die Mütter und Schwestern sie auseinanderrissen, während die Väter und Brüder es nicht der Mühe wert fanden, einzuschreiten. Das alles will ich nicht erzählen, sondern bloß noch sagen, daß die Erdöpfelkofer es verloren, freilich nur um eins, aber doch verloren. Sie zankten sich zwar tüchtig, ehe sie es glauben wollten, versuchten alle List und alle Vörtel, konnten wirklich einen noch einmal schlagen lassen, nachdem er schon abgetan worden, stüpften einen Hurnuß, der ins Ziel gefallen war, hinaus und hoben ihn erst draußen auf und leugneten es dem alten Brönzwyler, der pfiffig in der Nähe aufpaßte, ab; aber es half alles nichts, sie mußten es endlich verloren geben. Sie waren unwirsch und hielten den Entscheid des Schicksals für durchaus ungerecht, weil sie offenbar die Bessern gewesen, und hie und da einer konnte sich nicht enthalten, einem schuld zu geben, daß er schlecht geschlagen oder im Abtun sich verfehlt. Die Alten verließen brummend den Platz und meinten, sie hätten es schon lange gesagt, es komme so; allbets (ehemals) wäre es anders gegangen, sie seien manchmal dabeigewesen, aber so leid hätten sie sich nie gestellt. Und die Weiber und die Mädchen gingen auch mit schweren Beinen heim und sagten: Das mach ihnen zuletzt noch nichts, wenns Ihrer schon verspielt hätten, wenn es hinecht nur nichts Uwatligs (Ungereimtes) geb, aber sie förchte, die kämen nicht ohne Kläpf auseinander. He nu, was das denn mache, sagte so ein alter Fäger (Schläger); er sei auch manchmal dabeigewesen, wo es Kläpf gegeben habe, und noch ganz andere als heutzutag, und er sei doch immer mit dem Leben davongekommen.

Uli hatte sich brav gestellt, und doch trümpfte ihn ein Baurensohn, der selbst den Hurnuß mehr als einmal liederlich vorbeigelassen, als ob er am Verlust schuld sei. Das und die Aussicht, so mir nichts dir nichts um zwei bis drei Pfund zu kommen, machte ihn ganz böse und ärgerlich; er sagte: Er denk, er komme nicht mit zum Trinken, es sei ihm nicht darum und er müsse daheim füttern, der Meister werde kaum daheim sein; es soll doch einer für ihn zahlen, was es ihm breiche, er wolle es ihm dann wiedergeben. Aber da sagte man ihm, ob man ihn hintersich darauslassen wolle! Er hätte es verspielen helfen, er müsse jetzt auch zahlen helfen und mit den Andern halten, es möge kommen, was da wolle. Das wäre lustig, wenn jetzt ein jeder heim wollte, dem Müetti unter dScheube (Fürtuch) schlüfen. Uli mußte mit, unzufrieden mit sich selbst und der ganzen Welt. Er hatte im Stillen gehofft, einmal wieder recht trinken zu können auf anderer Leute Kosten, nun ging es ihm umgekehrt.

Es war wirklich für die Erdöpfelkofer eine harte Nuß, so gleichsam im Triumph von ihren Siegern aufgeführt zu werden dem auserwählten Wirtshaus zu und in diesem Zuge die fröhlichen Gesichter der Brönzwyler Weiber und Mädchen zu sehen und hören zu müssen: Wie sie es nicht geglaubt hätten, daß es Ihrer so wohl könnten, aber da hätten sie keinen vorbeigelassen, wie hoch einer auch dahergekommen sei und wie schnausig (schnell). Sie mußten es indessen leiden, gebärdeten sich dabei aber so trotzig als möglich, waren auf Spottreden mit Schlagworten bereit, und wenn die Mädchen mit schelmischen Blicken sie neckten, so vergalten sie es ihnen mit schlüpferigen Reden.

Im Wirtshause glimmte das heimliche Feuer, vom Weine genährt, immer mehr auf. Stichelreden flogen hin und her, und manche Faust hob sich, und manche Flasche wurde zum Wurfe gefaßt; aber noch mittelten die Ältern, setzten die Jüngern und mahnten, ja nicht anzufangen; aber wenn die Andern anfingen, so sollten sie sich wehren vom Teufel und nichts borgen. Aber immer mehr stieg auch den Ältern der Wein zu Haupt. Sie begannen zu erzählen von vergangenen Zeiten, wie sie hier und dort sich geprügelt, daß das Blut durch die Karrgläuse (Wagenspuren) gelaufen sei, wie aus allen Häusern die Leute zusammengelaufen seien, wie wenn man zusammengeläutet hätte, und wie sie allen Meister geworden wären. Die Erdöpfelkofer hielten den Brönzwylern vor, wie oft sie dieselben gejagt, gescheitert, gebodiget hätten. Die Brönzwyler führten anderes an und namentlich den heutigen Tag, und wenn sie es so verspielt hätten, so wollten sie sich nicht so groß machen; es hätten es ja alle Leute sehen können, welche die Leideren seien. Und Einer begann dem Andern vorzuhalten, wie er ihn dort in einen Bach geworfen oder in einer Mistgülle herumgezogen, mit einem Zaunstecken traktiert, daß er am Boden gelegen sei wie ein Kalb. Und der Andere erhob dann die Faust und wollte erfahren, wer heute Meister sei. Und die Älteren, die früher abgewehrt, waren jetzt die Hitzigsten geworden, und hier griff ein Paar zusammen, und dort drückten sich einige alte Mannlein an die Wand, während einige mächtige Männer ruhig hinter den Tischen saßen und mit bewunderungswürdiger Gravität in das Getümmel schauten, nur hie und da einige gewichtige Worte sprachen, als: «Eh eh, ih wett nit; la dä gah, sust wills dr zeige (setze dich, oder ich komme)»; und ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Es waren die Künge (Könige), die man kannte, von denen man wußte, daß wenn die einmal aufstünden, es den Fall Vieler zu bedeuten hätte, denen es aber selten mehr der Mühe sich lohnte, ihre Kraft in die Wagschale zu legen. Ihre Worte unterstützten die Bemühungen des Wirtes, der Ruhe halten wollte, seiner Tische und Stühle, seiner Flaschen und Gläser wegen. Er war ein kräftiger und beliebter Mann, der ohne Furcht mitten unter die Streitenden trat, sie auseinandertat, den Einen hiehin, den Andern dorthin setzte, wenn sie sich wehren wollten, und mit mächtigem Arme den aus der Stube warf, der sich nicht ergeben, nicht ruhig sein wollte.

Dem guten Mann floß von der Stirne heiß der Schweiß: wenn er hier auseinandergetan, so klebten dort Andere zusammen; aber er gab nicht nach, sondern rief immer mächtiger: Hier sei er Meister und hier dulde er keinen Streit; wer für ds Teufels Gwalt Schläge haben wolle, der solle hinaus, dort hätten sie Platz genug, und dort könnten sie einander seinethalb dGringe abschryße. Die recht Streitbrünstigen ließen sich das gesagt sein. Es verschwand einer nach dem andern; einer wollte dem andern auflauern, und ehe er recht draußen war, hagelten Streiche auf ihn ein wie von unsichtbaren Händen; er konnte kaum seinen Kopf sichern und mit Dreinschlagen den Feind sich vom Leibe halten. Wie man es draußen so tätschen und klepfen hörte, so nahm es die drinnen immer mehr wunder, wie es draußen ginge, sie stürzten hinaus und hingen sich auch in den großen, immer blutiger werdenden Knäuel, auf den mild lächelnd die heitern Sterne schienen, aber nicht hell genug leuchteten, daß der Freund vor Freundes Schlag sich wehren, der Feind den Feind erkennen konnte. Es ging wüst draußen, und hie und da kam einer herein, mit Blut überströmt, sagte, es werde ihm fast gschmucht und man solle ihm Wasser geben. Der Wirt, der Wasser holen wollte, kam auch blutend, mit zerschlagener Flasche und sagte den Küngen, die noch immer am Tische saßen, es wäre doch afe Zeit, daß sie hinausgingen und sähen, was es gebe; es dünke ihn, es gehe afe wüst genug. Die Mannen tranken aus, klopften ihre Pfeifen aus, erhoben langsam ihre Riesenglieder und schritten langsam hinaus; sie wären schneller gegangen, wenn man sie gerufen hätte, draußen einem Pferde die Fliegen zu wehren. Draußen stellten sie sich, betrachteten gemächlich das Gewühl der auf dem Boden Liegenden, der in Masse Kämpfenden, und endlich sagte einer: Es dunke ihn, es sollte jetzt genug sein, sie sollten jetzt aufhören, sonst wolle man es ihnen teilen, aber dann unsauber. «La gseh, guetets jetz de?» rief ein anderer, als der Streit fortdauerte, nahm den Nächsten und schmiß ihn rücklings in einen Haufen hinein, daß er durch denselben fuhr wie eine Kanonenkugel und jenseits in einem Zaune hängen blieb. Die andern griffen auch zu, und es war merkwürdig zu sehen, wie die wildesten Schläger im Arme eines der Künge zappelten wie Fische in der Hand einer Köchin, und in kurzer Zeit war der Platz von Streitenden leer, nur noch hie und da, in immer zunehmender Ferne, hörte man Schläge fallen, Flüche schallen. Nun wurden die Verwundeten aufgehoben, ausgewaschen und suchten sich im Geleite der Künge den Weg nach Hause. Nur zwei von Brönzwyler wollten nicht fort, sondern blieben, wie man zu sagen pflegt, in der Leistung liegen und begehrten einen Doktor, das heißt sie blieben auf Kosten ihrer Schläger liegen so lange als möglich oder bis der Handel ausgemacht, die Entschädnis ausgemittelt war. Das wollte zwar den Küngen nicht gefallen, sie sagten: Zu ihren Zeiten hätte man sich wegen solchen Flöhbicken nicht umgesehen, es sei nichts mehr mit den Leuten. Aber die Bursche ließen sich nicht abwendig machen; es waren halt nicht die reichsten und es war ihnen nur um das Stück Geld zu tun.

Uli war gereizten Gemütes zum Weine gekommen und hatte viel getrunken. Er dachte, wenn er doch mitzahlen müsse, so wolle er wenigstens machen, daß er redlich seinen Teil bekäme. Er war auch im Streit gewesen, aber nur so im allgemeinen, weil gerade kein besonderer Haß gegen irgend einen Brönzwylerer in ihm war. Er teilte tüchtige Schläge aus hie und da, aber mißhandelte niemand insbesonders; er erhielt einige räße (gesalzene) Kläpfe, blutete, und sein Sonntagsstaat hing ihm zerrissen am Leibe. Als die alten Fäger dem Streit ein Ende machten, so hatten die Erdöpfelkofer die Oberhand, auch waren die beiden in der Leistung Liegenden Brönzwylerer. Die Ersten schrieben sich daher den nächtlichen Sieg zu, trösteten sich deswegen über die Niederlage beim Hurnußen und verführten beim Heimgehen einen Mordsspektakel, und manches unschuldige Bäumchen und manch noch unschuldigeres Fenster mußten ihren Sieges- und andern Rausch büßen. Die Helden von Waterloo oder Morgarten konnten nicht bäumeliger (stolzierender) heimgekommen sein als sie. Am Morgen verging Einigen der Jubel. Als Uli erwachte, der zerschlagene Kopf ihn brannte, ein Arm sich fast nicht wollte bewegen lassen, seine zerfetzten Sonntagskleider ihm in die Augen und die mächtige Ürti ihm ins Gedächtnis fielen, da hätte er fast weinen mögen. Jetzt sei alles aus, dachte er, Hausen lohne sich nicht der Mühe. Er habe doch recht, ein arm Knechtlein komme zu nichts, und wenn er ein einzig Mal übertrappe, so sei er fertig, es möge ihm auch gar nichts erleiden. Er hatte allen Mut verloren, gab nicht nur niemand ein gutes Wort, sondern ging umher wie eine geladene Kanone, vor der jedermann floh, weil man fürchtete, sie könnte jeden Augenblick losgehen.


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