Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Viertes Kapitel

Wie eine schlechte Dirne einem braven Meister die Ohren des Knechtes auftut

Des Ulis Antwort schnitt der Kleb ab, der seine Nöten deutlicher kündete. Es gab nun Arbeit, das Gespräch konnte nicht mehr fortgesetzt werden. Es ging alles gut, und endlich war ein schönes, brandschwarzes Kälbchen da mit einem weißen Stern, wie Beide noch nie eins gesehen und das abzubrechen erkannt wurde. Uli war bei dem Geschäft noch einmal so tätig und aufmerksam gewesen als sonst, und das Kälbchen behandelte er ganz sanft, fast zärtlich, und betrachtete es mit einer eigentlichen Zuneigung.

Als sie fertig waren mit dem Kleb und derselbe seine Zwiebelnsuppe hatte, dämmerte der Morgen herauf und ließ keine Zeit zur Fortsetzung ihres Gesprächs.

Die anbrechenden Werktage nahmen sie mit ihren Arbeiten hart in Anspruch, auch war der Meister in Gemeindsgeschäften abwesend, so daß sie nicht miteinander weiters redeten. Aber es schien von Beiden angenommen, daß Uli bleibe, und wenn der Meister heimkam, konnte die Frau nicht genug rühmen, wie Uli sich zu der Sache gehalten und wie sie nicht gebraucht hätte, ihn etwas zu heißen; es sei ihm alles von selbst in den Sinn gekommen, und wenn sie daran gedacht habe, so sei es schon gemacht gewesen. Das freute natürlich den Meister gar wohl und machte, daß er dem Uli immer bessere Worte gab, ihm immer mehr Zutrauen zeigte. Es ist nichts verdrießlicher für einen Meister, als wenn er abends müde oder schläfrig heimkommt und er findet alles im Ungreis und sein Weib voll Klagens, sieht nicht die halbe Arbeit getan, die hätte abgefertigt werden sollen, vieles verpfuscht und schlecht gemacht, daß es besser wäre, es wäre gar nichts getan worden, und muß über das aus die halbe Nacht sein Weib jammern hören, wie die Diensten sich gegen ihns unbärdig eingestellt, unverschämten Bescheid gegeben und jedes gemacht habe, was ihm gefallen, und wie es ihr erleidet sei, so dabeizusein, und wenn er ein andermal fortgehe, so laufe sie auch fort. Es ist gräßlich für einen Mann, der fort muß (und das muß der Mann), wenn ihm auf dem Heimwege, sobald er sein Haus von weitem sieht, die schweren Seufzer kommen: «Was hat es wohl aber gegeben? Was muß ich sehen, was muß ich hören?» und er so fast nicht zum Hause herzu darf, wenn er mit Liebe und Freude heimkommen möchte und mit Donner und Blitz einziehen muß in sein aufrührerisch gewordenes Reich.

Bei Uli war etwas Neues erwacht und in die Glieder gefahren, ohne daß er es selbst noch recht wußte. Er mußte der Rede des Meisters je länger je mehr nachsinnen, und es dünkte ihn immer mehr, der Meister hätte doch etwas recht. Es tat ihm wohl, zu denken, er sei nicht dazu erschaffen, ein arm, verachtet Bürschli zu bleiben, sondern er könnte noch ein Mann werden. Er sah ein, daß man dieses nicht mit Wüsttun werde und daß, je mehr man wüst tue, man um so mehr Boden verliere unter den Füßen. Es dünkte ihn gar seltsam, was der Meister gesagt von der Gewohnheit und dem guten Namen, die man neben dem Lohn sich erarbeiten könne und so auch immer mehr für sich verdiene, je treuer man einem Meister sei, und wie man nicht besser für sich selber sehen könne, als wenn man recht treu zu des Meisters Sache luege.

Er konnte je länger je weniger ableugnen, daß es also sei. Es kamen ihm immer mehr Beispiele in den Sinn von schlechten Diensten, die unglücklich geworden, arm geblieben, und hinwiederum wie er andere von ihren alten Meisterleuten habe rühmen hören, wie sie einen guten Knecht, eine gute Magd gehabt und die jetzt recht wohl zweg und gut im Stande seien.

Nur eines konnte er nicht begreifen: wie er, Uli, je zu Geld, zu Vermögen kommen sollte; das dünkte ihn rein unmöglich. Er hatte dreißig Kronen, also fünfundsiebzig Pfund, bar, zwei Hemden und ein Paar Schuhe zu Lohn. Nun hatte er noch fast vier Kronen Schulden, bereits viel eingezogen. Er hatte es bisher nicht machen können mit seinem Einkommen, nun sollte er Schulden zahlen, vorschlagen, das kam ihm unmöglich vor. Dem natürlichen Gang der Dinge nach war er darauf gefaßt, seine Schuld jährlich größer zu machen. Von den dreißig Kronen brauchte er doch wenigstens zehn für Kleider und konnte dabei noch nicht hoffärtig sein; für Strümpfe, Schuhe, Hemden, deren er nur drei gute und vier böse hatte, Waschen usw. gingen doch wenigstens auch acht Kronen darauf; alle Wochen ein Päcklein Tubak (und er brauchte meistens mehr), war wieder zwei Kronen: es blieben noch zehn Kronen. Nun waren fünfzig Samstagsnächte, fünfzig Sonntagsnachmittage, von denen noch sechs extra Tanzsonntage, Märkte, es wußte kein Mensch wieviel, war eine Musterung, vielleicht gar noch eine Garnison, die zufällig sich ergebenden Gelegenheiten zum Hudeln nicht einmal gerechnet, wie Niedersingeten, An- und Aussaufeten, Schießeten, Kegelten und das wieder einreißende Tschämeln, Abendsitze, die gefährlichste aller Unsitten, Springeten usw. Der Verfassungsabend, der in eine der ärgsten Schweinereien ausartet, wo fünfzigjährige Weibsstücke am Boden sich wälzen auf die unflätigste Weise, war damals noch nicht im Schwange. Rechnete er nun fürs Ordinäre alle Wochen nur zwei Batzen für Brönz oder Wein, so machte das wieder vier Kronen. Übersprang er drei Tanzsonntage, so brauchte er doch, wenn er mit dem Geiger abschaffen mußte, ein Mädchen haben und, wie es der Brauch war, voll heimgehen wollte, wenigstens eine Krone und manchmal einen Fünfunddreißiger für jeden der drei übrigen Sonntage. Jetzt hatte er für Märkte, Musterungen und die übrigen Hudeleien nur noch drei Kronen. Mit dem, dachte er, sei es doch wirklich nicht menschenmöglich, auszukommen. Schon zwei Märte und die Musterung brauchten mehr als das, für das Andere hatte er also gar nichts. Er rechnete immer von neuem, probierte an den Kleidern, an den andern Ausgaben abzuschränzen; aber das Ding ging nicht. Er mußte doch gekleidet sein, mußte waschen lassen, barfuß konnte er auch nicht laufen. So brachte er, er mochte rechnen wie er wollte, immer die traurige Wahrheit heraus, daß er, statt vorzuschlagen, zu wenig hätte.

Als er einst so in seine trostlose Rechnung vertieft war beim Grasen und immer von vornen anfing und hintenaus immer zu wenig hatte und eben bei sich feststellte, es müß dem Meister nicht recht im Gring sein, so ein Bauer wisse nicht, was ein Knechtlein alles brauche; ein Bauer brauche nichts waschen zu lassen, nehme Schuhmacher und Schneider auf die Stör und hätte am Ende vom Jahr alle Schöpplein vergessen, welche er getrunken, weil er sie seinem Geld nicht anmerke; wie er so verstaunet stund, tönte es hinter ihm: «Bist am Grase?» Wie von einer Schlange gebissen, fuhr Uli auf, und Anne Lisi stund neben ihm. «Ich habe geglaubt,» sagte Anne Lisi, «du seiest krank, daß du nicht zu mir gekommen bist. Ich sah allenthalben auf dich und konnte dich doch nirgends erblicken. Da konnte ich es nicht mehr erleiden vor Längizyti, es hat mir fry das Essen gestellt. Ich habe schon gestern dort hinter dem Hag auf dich passet, aber du bist nie allein gewesen. Es dünkt mich, es hätte mir schon gewohlet, daß ich dich nur sehen kann. Aber Uli, mi Uli, warum bist jetzt mehr als vierzehn Tage nicht zu mir gekommen? Das ist doch nichts gemacht von dir. Ich bin manche Nacht durch immer mit dem Kopf auf dem Ellbogen gewesen; es het mih düecht, du müßtest kommen. Warum bist du nicht gekommen?» So angedonnert war Uli in seinem ganzen Leben nicht gewesen. Er kannte Anne Lisi, hatte ein böses Gewissen gegen ihns und durfte ihm nicht sagen, daß er nie mehr zu kommen gedenke. Zu diesem war er fest entschlossen, es war ihm zu angst gewesen, und jetzt kam ihm die Angst in verdoppeltem Maße wieder. Er muckelte etwas von einem kranken Roß, dem er hätte abwarten müssen, von einer Kuh, zuletzt sogar von Gliedersucht. Anne Lisi trat nicht lange in die Vergangenheit ein, sondern sagte: Es könne da nicht recht mit ihm reden, es hätte ihm bsunderbar viel zu sagen; er solle in dieser Nacht zu ihm kommen, es könne es unmöglich länger ohne ihn ausstehen. Uli wollte das nicht versprechen: Der Meister sei fort mit Roß und Wägeli; er müsse warten, bis er heimkomme, sagte er, und dann müsse er noch füttern, und dann werde es kaum mehr der wert sein. «Was ist mit dir?» sagte Anne Lisi; «wenn dir neuis daran gelegen wäre, es würde sich dir öppe wohl schicken. Das sind nur Ausreden, es hat dich jemand aufgewiesen, dr Gring groß gmacht. Oh, ich weiß schon, Kuderjoggelis Annebäbi hat dich aufgestüpft. Aber wart es nur, dem rote Donner will ich die Läuse runtermachen, daß es mich nicht vergessen soll. Aber wie magst du dich auch mit einem solchen Strupf, das nicht größer ist als ein dreitägigs Kalb, abgeben? Das ist nicht bravs von dir. Schäme dich, du wüeste Hung du! Ich will dirs bim Dolder zeige! Aber gell, du kömmst diese Nacht? Bis mir ds Hergetts und komm nicht!»

Uli sagte: Es hätts schon gehört, er könne nicht. «Was, du willst nicht? Du wirst doch nit öppe welle wüest tue wie die andere Schyßhüng? Du wirst doch nicht wollen vergessen, was du mir gesagt hast?» Er wisse nichts Apartigs, das er ihm gesagt habe, sagte Uli. «Was, du dolderschießige Grännihung, du weißt nicht mehr, was du mir gesagt hast? Hast du nicht gesagt, daß du, wenn du eine zKilche führen wollest, mich zKilche führen wollest?» Er wisse nichts mehr davon, sagte Uli, das sei ihm etwas Neues. «So, du besinnst dich nicht mehr daran, du verfluchte Lumpenhung, was du bist! Soll ich dir dBsinnig mache umezcho? Aber es ist mir sich nicht der wert deinetwegen! Einen solchen Zyberligränni finde ich hinter jedem Zaunstecken, und wenn ich einen haben muß, so will ich nicht einen solchen Fötzel, der nie drei Kreuzer beieinander hat und der Meisterfrau alli Wäschlumpe stiehlt, um seine Sonntagskutte zu plätzen. Nei, beim Dolder, eine so leidi More bin ich denn nadisch nicht, daß ich mich bei keinem Bräveren und Reicheren weiß z'kündte als bei einem solchen verrebleten Baurenknechtli. Zu dir käme ich zuletzt, wenn ich einen haben müßte; häb nit öppe Kummer, ich well dih! Sellig wett ih zehn an jeden Finger kriegen, ich müßt nicht eine Sellige sein, wie ich bin. Aber wart ume, ds Kuderjoggis Annebäbi, dem will ich sagen, was es für eine ist, und ich will nicht lebig dadänne cho, wenn ich dem nicht sein Maul auftue, daß man es zu Merligen für ein Tennstor brauchen könnte. Das verflucht Mönsch, dich so gegen mich aufzureisen! Aber du kannst es noch machen, wie du willst; kömmst du hinecht (in dieser Nacht), wohl und gut, so will ich dirs vergessen und dir auftun! Kommst du aber nicht, so lueg de, was geht, und ich will keine gesunde Stund mehr haben, wenn ich dir noch einmal auftue! Jawolle, so wüst zu tun und so dr Gring z'machen!»

Uli wohlete es bedenklich, und er ward ganz trotzig und sagte: Seinetwegen brauch es hinecht nicht auf dem Ellbogen zu schlafen, er bleibe lieber daheim, als daß er Andern ihre Suppe ausessen wolle, und mit einer Selligen wolle er sich nicht mehr bschyßen. Es solle jetzt seiner Wege gehn und ihn ruhig lassen, er hätte genug von ihm. Da fing Anne Lisi aufs neue an wüst zu tun: bald sagte es ihm alle Schande, dann heulte es über die Schlechtigkeit des Mannenvolks, dann rühmte es sein gutes Herz, das so schändlich angeführt werde seiner Güte wegen und weil es so einem Schyßhung getraut habe. Dann flattierte es dem Uli wieder auf das zärtlichste und sagte: Es sei ihm noch Keiner so lieb gewesen von denen, die es an sein Herz gelassen; es hätte sich für ihn können lassen lebig schinden, und es dünke ihns, es well ihm ds Herz zerschryßen. Aber Uli blieb unbeweglich, und als er genug hatte, fuhr er mit seiner Grasbähre nach Hause und ließ Anne Lisi im Klee stehen. Aber bei sich setzte er hoch ein, dasmal sei er entronnen, und das wolle er sich als Warnung dienen lassen und so müß ihm Keine mehr kommen aus einem Haselhag hervor.

Und seiner gesprengten Fesseln sich freuend, ließ er ein Jodeln ertönen, daß seine Kühe in den Bahren fuhren, die Pferde in die Zügel schossen, die Katze ab dem Ofen sprang, der Hund aus seinem Stalle kroch und die Jungfrau sagte: «Was kömmt wohl den Uli an, den Göhl, daß er so abläßt? Man hat ihn fry lang nicht gehört.»


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