Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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So saß Uli in seinem kalten Stübchen vertieft in die heilige Geschichte, und seine Einbildungskraft stellte ihm das alles so lebendig vor, als wenn er es wirklich vor Augen hätte. Er vergaß, daß er in der Glungge war, und es kam ihm wirklich vor, als sei er im Paradies hinter einem Holderstock und erlebe alles mit. Da wurde plötzlich die Türe aufgerissen und eine rauhe Stimme sagte: «Seh, bist du da, und wieder geistlich!» Uli, obgleich er nicht nervös war, fuhr doch hochauf, als die unerwartete Stimme ihn anrief; er wußte es nicht gleich, war es die des Engels Michael, der ihn dem Adam nachjagen wolle, und erst bei näherem Besinnen merkte er, daß es einer der Knechte war. Sie hätten ihn allenthalben gesucht, sagte dieser, aber nicht gedacht, daß er in diesem kalten Loch sei. Er solle hinüberkommen in die Küherstube. Uli war aufgestanden und fühlte erst jetzt die Kälte, die ihn ganz steif gemacht. Was er dort solle? fragte Uli. Er solle nur kommen, hieß es, er werde es dann schon sehen. In des Kühers großer, warmer Stube war die ganze Dienerschaft versammelt, sogar die zwei Mägde. Einige spielten mit einem Kartenspiel, das so beschmutzt war wie zehnjährige Küherhosen, Andere lagen auf dem Ofen herum. Fluchen und Zotenreißen waren Trumpf. Als Uli kam, brüllte ihm alles entgegen: Er müsse Brönz oder Wein zahlen, was er lieber wolle, das täte jeder neue Meisterknecht. Es komme auf sie an, ob er dableiben könne oder nicht, und sie wollten ihn bald weghaben, wenn er sich nicht nachela well. Uli wußte anfangs gar nicht, was er da machen solle. Das Geld reute ihn, er hatte nicht Lust, gemeine Sache mit ihnen zu machen, fürchtete sich nicht vor ihnen; aber geizig mochte er auch nicht scheinen, und zuletzt dachte er, wenn er hier etwas nachgebe, so könne er vielleicht um so besser beharren auf seinen Forderungen an sie.

Es wurde abgeredet, daß sie nach dem Abendessen ins Wirtshaus wollten, und die Leute, die nicht Zeit hatten, für die Kirche sich anzuziehen, die hatten jetzt Zeit genug, sich anzuziehen für das Wirtshaus; die Leute, welche um Gottes und ihrer armen Seele willen zu faul waren, zu rechter Zeit aufzustehen, die waren jetzt mit Freuden bereit, um einer Maß Wein willen viele Stunden ihres Schlafes zu opfern. Als beim Nachtessen die ganze Sippschaft gsunntiget erschien und die Mägde mit dem Essen pressierten, machte Vreneli große Augen und fragte, was das geben müßte? He, sie wollten alle ins Wirtshaus, hieß es, Uli müsse Wein zahlen. Vreneli war das nicht recht. Es konnte nicht begreifen, warum Uli das tat. Wollte er jetzt auch mit ihnen gemeine Sache machen und war es ihm schon erleidet, ihr Widerpart zu sein, oder hatte er sich betören lassen? Es hätte das für sein Leben gerne gewußt. Es war kurz angebunden beim Nachtessen und trümpfte alles, was ihm nahe kam, verzweifelt ab. Und als Uli, ehe er wegging, es fragte, ob es nicht auch mitkommen wolle, so antwortete es: Es würde sich schämen, mit sellige Fötzle ins Wirtshaus zu gehen, für so was sei es noch lange nicht gut genug. Als Uli schon unter der Türe war, rief es ihm noch nach: «Nimm dich in acht, wenn dr rate cha!»

Auf dem Hinwege und im Wirtshause wollte jeder Uli der Liebere sein. Einer drängte sich näher als der Andere, Einer rühmte dies an ihm, ein Anderer etwas anderes. Hie und da warf Einer einen Zweifel auf, aber nur, damit die Andern Uli desto höher heben könnten. Der Melcher meinte: Er hätte nicht bald einen gesehen, der sich auf das Vieh besser verstünde, und der Karrer sagte: Im Fahren fürchte er Keinen, aber beim Holzführen hätte er von Uli lernen können. Und wenn der jüngste Knecht sagte, sie wollen sehen, ob er vormähen könne, da wollten sie ihm noch heiß machen, so sagte ein Anderer: Einmal er begehre nicht, mit ihm zu machen, sondern er wolle es im voraus verspielt geben. Und wenn die eine Magd klagte, er sei gar so ein Stolzer und möge sich nicht mit einem abgeben, ihrer Gattig seien ihm nur zu gering, sie wisse aber wohl, wer ihm in die Augen scheine, sagte die andere: Einmal sie hätte nichts über ihn zu klagen, so ein Bhülflige und Manierlige sei ihr noch nicht bald vorgekommen. Die seien ihr dann nadisch nicht die Liebsten, die meinten, sie müßten ihre Finger gleich an allen Orten haben. Und dann sei Uli auch erst acht Tage da und wisse es noch nicht, mit wem er sich könne anlassen und wer es eigentlich gut mit ihm meine. Während sie so rühmten, verschwand eine Maß nach der andern, und Uli konnte gar nicht Einhalt tun. Vom Rühmen ging man in Vorschläge über und sagte ihm, er werde bald sehen, wer es gut mit ihm meine. Er solle doch nicht ein Narr sein und meinen, er wolle dem Meister husen und zu seiner Sache sehen. Gerade das wolle der selbst nicht, und wer es am besten mit ihm meine, den nehme er am meisten auf die Mugge. Wenn man aber mache, wie es einem in Gring komme, und mit ihm aufbegehre, wenn er etwas sage, so fürchte er einen und habe Respekt vor einem. Er sollte doch nicht sich und Andere plagen für nichts und wieder nichts, sein eigen Sohn mache es akkurat nicht besser, und wenn er den Alten bschummeln könne, so lache er sich den Buckel voll. Wenn man einander verstehen wolle, so ließe sich da etwas machen, nur müsse er es nicht machen wie der frühere Meisterknecht: der habe alles für sich wollen und Andern nichts gegönnt, darum sei es ihm auch so gegangen. Wenn er öppe auch Andern etwas gegönnt, er hätte noch lange gut Sach haben können, Joggeli hätte nichts vernommen. So erzählte und brichtete man Uli, daß er ganz sturm wurde und lange nicht wußte: waren das die gleichen Leute, welche die ganze Woche durch ihm alles Mögliche in den Weg gelegt, oder waren es ganz andere? Ein Glück für ihn waren die Vorgänge des Tages; der Wein, das Rühmen, die Gutmeinenheit hätten ihn überwältigt. Nun aber an das Erlebte, an Vrenelis Rat denkend, blieb er vorsichtig, konnte sich aber des Gedankens fast nicht erwehren: die Leute seien doch besser, als er sie gedacht und sie im ersten Augenblick ihm geschienen hätten, und es müßte bös gehen, wenn er mit denen nicht nachkommen sollte.

Endlich wollte der Wirt keinen Wein mehr geben, weil es über die Zeit sei. Da wußte man noch, was für Zeit es sei. Wo man aber nie weiß, was für Zeit es ist, da ist eine Hudelornig, mags nun ein Haus, ein Bureau oder gar ein Oberamt sein. Ach, so ein verhudeltes Oberamt ist doch eine gräßliche Sache. Es schämt sich jeder Mensch, in verhudelten Kleidern zu laufen, und Mancher, der keinen vorrätigen Kreuzer hat, schickt doch sein Kleid zum Schneider zum Plätzen; aber ein Oberamt läßt man verhudeln und läuft in diesem verhudelten Oberamte herum dick und breit und meint noch, wer man sei. Du guter Gott, hat man denn ganz vergessen, daß die Welt alles verachtet, das in Hudeln herumgeht, Hudeln an sich hängen hat? Wenn aber einer nie weiß, was für Zeit es ist, so ist er immer wie sturm im Kopf, legt die Nachtkappe an, wenn er einen Dreiröhrenhut aufsetzen sollte, setzt sich aufs hohe Roß, wenn er kusch machen sollte unter den ersten besten Ofen.

Während Uli mit innerlichen Seufzern die ziemlich hohe Ürte bezahlte, ging Eins nach dem Andern hinaus, nur ein Knecht blieb bei ihm. Draußen war es dunkel, es schneite stark, man sah kaum eine Hand vor den Augen. Sein Begleiter sagte ihm, jetzt wolle er ihn zKilt führen. Ihm seien alle Meitscheni bekannt weit und breit und er wolle sie alle unters Fenster bringen und es sei in der ganzen Gemeinde nicht manches Gaden, in dem er noch nicht gewesen sei. Uli weigerte sich und sagte, er sei noch fremd hier und habe keine Lust, zu erfrieren an unbekannter Mädchen Fenstern; sie wollten machen, daß sie den Andern nachkämen, die vorausgegangen seien. So solle er doch mit ihm nur einen Augenblick da nebenauskommen, nicht fünfzig Schritte vom Wege; es nähmte ihn wunder, ob dort die Tochter einen Kilter hätte oder nicht. Es solle sie nicht fünf Minuten aufhalten. Uli ging. Kaum war er vom Wege ab, in einem dunklen Gäßchen, zwischen schwarzen Gebäuden, so pfiff ein Scheit ihm hart am Kopf vorbei, ein Streich surrete ihm im Nacken, ein anderer auf der Achsel. Rasch griff er ins Dunkel hinein, packte eine Hand mit einem Scheit, riß es aus derselben, tat zwei, drei tüchtige Schläge um sich, daß es klepfte, schmiß mit gewaltiger Kraft einen ihm im Wege stehenden Gegenstand weit in eine Hofstatt hinaus und war verschwunden, wie wenn ihn der Boden verschluckt hätte. Man hörte noch hie und da einen Tätsch, dann: «Nit, nit zDonner, ih bis!», flüsternde Stimmen: «Wo ist er, wo ist er? Ih weiß ne niene meh, es isch, wie wenn ne dr Tüfel gno hätt! Aber chumm hilf mr dr Karrer aufstellen, der hat ein Näggis (wahrscheinlich eins in Nacken) erwütscht. Ich blüte auch wie eine Sau, aber dem Donner wollen wir es noch eintreiben. Wir wollen ihm vorlaufen und dann beim Türli ihm warten; es müeßts dr Tüfel tue, wenn wir ihn dort nicht erwütschen, und dort wollen wir ihn dann salben, bis er zfrieden ist.» Sie liefen, taumelten, warteten beim Türli, aber kein Uli kam. Endlich wurde ihnen angst, er könnte vielleicht bewußtlos niedergefallen sein und nun erfrieren. Sie schlichen sich heim, und der Karrer fluchte in einem fort: E sellige Ketzer hätte er noch nie bekommen, und er wollte, Uli erfriere; aber wenns dann nur nicht auf sie herauskäme, weil sie mit ihm aus dem Wirtshaus gegangen, es sei jetzt gar verflucht kalt i dr Kefi.

Am Morgen erschraken sie heftig, als Ulis Stimme wie gewohnt aufrief. «Dä Dolder lebt scheints noch!» sagte der Karrer zum Melcher. «Wie Tüfel ist der heimgekommen?» Aber niemand konnte Bescheid geben. Sie fragten Uli, wie er heimgekommen, sie hätten ihm lange gewartet, doch umsonst; er werde zu Kilt gewesen sein. Darauf erzählte Ulis Begleiter, wie es ihnen im Gäßchen ergangen, und klagte Uli an, daß er ihn im Stich gelassen und davongelaufen sei, ohne sich darum zu bekümmern, ob er zu Tod geschlagen würde. Uli antwortete nicht viel, als daß jeder zu sich selbst sehen müsse. Er hätte übrigens nicht gewußt, wie ihm helfen, da er ihn gleich nicht mehr gesehen. Die Andern taten gar unbefangen und wünschten nur, daß sie dabeigewesen, denen hätten sie es zeigen wollen. Uli nahm das hin, ohne nach ihren Beulen zu fragen, ohne einläßlich über die Art seiner Heimkunft zu antworten. Vreneli, welches auf die Heimkehr der Abwesenden bange gewartet, hatte Uli zuerst und alleine heimkommen hören und schlief darauf ein. Am Morgen sah es einige blaue Beulen, und im Vorbeigehen sagte ihm Uli: «Du sollst Dank haben, du hast recht gehabt.» Aber mehr zu sagen schickte es sich nicht. Es wurde natürlich darüber gwunderig, und endlich gelang es ihm, von der einen Magd, die sich etwas auf Ulis Seite neigte, zu vernehmen, wie die Abrede gewesen, Uli recht tüchtig zu prügeln, nachdem man seinen Wein getrunken und mit Rühmen ihn recht zutraulich gemacht. Man habe das schon im Dorfe versucht, damit man die Schuld auf die Dorfbuben werfen könnte. Aber sie wisse nicht recht, wie es gegangen, und niemand könne rechten Bricht geben. Es seien ein paar Streiche gewechselt worden, dem Karrer sei es gschmucht geworden, der Herdknecht sei unter einen Wagen gefahren wie aus einer Kanone, der Melcher habe ein Loch in den Kopf erhalten, daß das Blut herausgefahren sei wie aus einer Brunnröhre, aber keinen Uli hätte man mehr gemerkt, so daß sie fast glauben, sie hätten einander selbst geschlagen. Sie hätten ihm noch gepaßt beim Türli, aber kein Uli sei gekommen, dagegen habe er sie heute geweckt; sie könnten gar nicht wissen, wie das gekommen, da auch die Mägde, die auf der Straße geblieben, von Uli gar nichts gemerkt. Heute beim Betten habe sie Blut auf Ulis Hauptkissen gesehen, so daß sie glaube, er müsse doch dabeigewesen sein. Aber wie es zugegangen, könne sie nicht sagen, und wenn man ihr den Gring abschreiße. Und niemand kam darüber. Auch Vreneli hätte es nie erfahren, wenn Uli es ihm später nicht selbst erzählt, wie er, nachdem er einige ausgewischt, unter das schwarze Dach eines Ofenhauses gestanden, weil er zu alt dazu gewesen, eine Schlägerei auf Tod und Leben fortzusetzen. Da, ganz an ihnen an, hätte er ihre Reden vernommen, ihre Stimmen gekannt und sei unvermerkt, aber schnell ihnen, die noch mit dem Karrer zu tun gehabt, vorausgekommen und heim, ehe sie daran gedacht. Es hätte ihn freilich gejuckt, selbst beim Türli zu lußen (aufzulauern); allein am Ende habe er gedacht, es könnte ein Unglück geben und am wöhlsten sei er daheim im Bett. Das habe ihm wieder die Augen aufgetan, was man den Leuten trauen könne und wie er hier zweg sei. Er solle nur nicht gerade erschrecken, sondern sich niemere nüt achten und seine Sache recht machen, so werde das schon gut kommen, sagte Vreneli. Dann aber sagte es auch der Mutter, was gegangen und wie die Diensten den Meisterknecht verfolgeten, und man müsse doch ein wenig zu ihm luegen, sonst laufe er ungsinnet fort. Er scheine ein braver Bursche und nehme sich der Sache an, man kriege vielleicht nicht bald wieder so einen. «Wir wollen sehen,» sagte die Mutter, «wir wollen öppe machen, was wir können; wenn nur der Ätti nicht so ein Wunderlicher wäre, dem ist bim Schieß Keiner recht.»


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