Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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So zankten sie, bis die Meisterfrau aus dem Stübli kam und sagte: Es sei doch afange eine böse Sache. Am Werchtig (an den Werktagen) kämen ihrer Gattig Leut nie dazu, ein Buch zu nehmen. Und wenn man dann am Sonntag eins nehmen wolle und öppe auch tun, wie es dr Brauch sei, so könne man nicht einmal mehr ruhig ein Kapitel lesen. Öppige (ehemals) sei das nicht so gewesen, und die Diensten hätten auch öppe gwüßt, was dr Bruch syg. «Vrzieht, Meisterfrau,» sagte Uli, der den Trumpf wohl begriff. «Der Meister hat mich hinein geheißen, aus mir selber wäre ich nicht gekommen, aber ich kann wieder gehen.» «Bleib nur, Uli,» sagte die Frau, als sie vom Meister hörte, «ich habe dich ja nicht geheißen, zu gehen; aber des Zanks mag ich nicht, und ihr könntet einander ruhig lassen. Wenn ich öppis lesen will, so mag ich das Branzen nebenzuche nit.»

Das Zanken hörte auf; aber es war Uli doch nicht recht wohl da, er war froh, als die Fütterungszeit kam und er hinaus konnte. Dort traf ihn der Meister, der von einem Gange heimkam, und fragte ihn: Wie ihm jetzt der Nachmittag fürgegangen? «Ho so,» sagte Uli, das Lese in der Bibel sei ihm neue no kurzweilig gewesen, er hätte es nicht geglaubt; aber sonst wisse er neue nicht, es hätte ihm doch geschienen, er sollte nicht drinnen sein. Ob ihn jemand hätte hinausgehen heißen, fragte der Meister. Oh, apartig nicht, sagte Uli, aber er hätte es sonst merken können.

Weiter fragte der Meister nicht, aber als er hineinkam, fragte ihn seine Frau: Sie möchte ihn doch fragen, aber er solle nicht höhn werden, was ihm denn eigentlich in Sinn komme, dKnechte heißen in die Stube zu kommen am Sonntagnachmittag? Das sei bei ihnen nie dr Bruch gewesen. Wo man dann eigentlich sein solle, wenn auf jedem Bank so ein Gstabi (von Stab , steif) eim am Weg sei; und wenn e Mönsch zu eim chömm, wo man dann mit ihm ein vertrautes Wort reden wolle, wenn die Stube voll Diensten sei? Im Sommer könne man in die Hinterstube, aber im Winter sei es dort zu kalt und man müsse mit den Leuten in die Vorderstube, wo es auch viel freiner sei von wegen der Sonne, die den ganzen Tag da hineinscheine.

Der Meister hatte ernsthaft der Frau zugehört und sagte dann: «Jetzt, Frau, höre mich auch und werde auch nicht höhn; aber ich will dir sagen, was ich gemacht habe, und während ich da so herumgelaufen bin, habe ich darüber nachgedacht, und die Sache ist mir viel wichtiger vorgekommen, als ich afangs gsinnet.» Nun erzählte er, daß er so ganz zufällig den Uli getroffen und wie und dann habe hineinkommen heißen aus Erbarmen; denn es sei doch wirklich grüselich, wenn so ein Knechtlein nirgends sein solle und wenn er in schlechte Gesellschaft müsse, um nur irgendwo zu sein. Dem habe er so nachgedacht, und die Sache sei ihm je länger je ernsthafter vorgekommen. So könne ja kein Knecht ein Buch nehmen, keiner o öppige einist einen Buchstaben machen; alles, was er in der Schule erlernt habe, vergesse er, und wenn er einmal etwas anfangen wolle oder Kinder bekomme, so könne er kaum das Druckte mehr, vrschwyge de das Gschriebne. So komme ja gar nichts mehr Vernünftiges in seinen Kopf und er vergesse ganz und gar, daß er ein Mensch sei. Und noch eins habe er gedacht. Fast allemal, wenn eins fortgehe, so komme es mit einem großen Kopf heim; sie machen sich die Köpfe gegenseitig so groß wie Ofenhäuser. «Eine jede Frau hat die Freude, auszufrägeln, aufzuweisen, und die boshaftesten können sich dabei so verflümeret gutmeinend stellen, daß es mich schon manchmal gejuckt hat, so einem Giftlöffel eins zum Gring zu geben, daß es es dünke, es fahre zring um dWelt. Da habe ich gedacht: wenn man sie ungezwungen und ungeheißen daheim behalten könnte, so wäre man ds Halb bas, und wenn sie bei dem Daheimbleiben vernünftiger würden und öppe o sinne lernte, was ihr eigener Nutze wäre, so wär man nicht nur ds Halb bas, sondern noch einmal so wohl.»

«Eh Johannes,» sagte die Frau, «schnup doch, du kömmst ja ganz vom Atem und machst es akkurat wie üse Predikant, der redet auch, es ist am Halbe zviel. Es ist mir zuwider, einen neuen Brauch anzufangen, und wo sollen wir sein? Sollen wir keinen rühigen Ecken haben, wo wir für uns sein sollen, wo uns nicht immer so ein Gstabi am Weg ist, wenn man auch etwa ein vertraulich Wort miteinander reden möchte, wozu man durch die ganze Woche keine Zeit hat?» Der Johannes meinte, sie hätten immer das Stübli, oder man könnte am Sonntag die Hinterstube heizen, es trage es eim wohl ab, wenn man die Diensten nicht in der Wohnstube haben möchte. «Was würden die Leute sagen, wenn wir so etwas Neues anfangen wollten?» sagte die Frau. «Du Tröpfli,» sagte Johannes, «merkst du noch nicht, daß die Leute immer zu reden haben, du magst alte oder neue Sachen machen? Den Leuten entrinnt man nie, man mag es machen, wie man will; aber man kömmt am ungebissensten davon, wenn man es mit ihnen gerade macht wie mit den Hunden, ihre Ehre vorbehalten: diese beißen die am meisten, welche sich am meisten vor ihnen fürchten.»

«Aber Johannes, denkest du denn nicht an deine Kinder? Die werden immer bei den Diensten sein wollen, und du weißt ja, was sie da für wüste Sachen lernen. Es ist gerade, verzeih mir Gott meine Sünde, als ob der Tüfel sie stüpfe, ihnen das Wüsteste zu sagen.» «Aber Frau,» sagte Johannes, «du verhütest es nicht, daß die Kinder nicht bei ihnen sind, und finden dieselben die Diensten nicht in der Stube, so laufen sie zu ihnen in den Stall, du kannst nicht immer daran denken. Gerade jetzt habe ich zwei bei Uli gefunden. Nun werden sie ihnen in der Stube unter unsern Ohren gewiß weniger wüste Sachen brichten als draußen im Stall. Und wenn sie etwas Vernünftiges vernehmen in der Stube, so ist es mir weit lieber, daß die Kinder bei ihnen seien, als draußen auf der Gasse, woher sie dir ja gewöhnlich heimkommen, als hätte man sie durch Dornhäge gezogen und in Güllen herumgetröhlt.»

Die Frau hatte noch manches einzuwenden, doch gab sie am Ende nach, und Johannes führte den neuen Brauch ein, daß seine Knechte an Sonntagen und nach dem Feierabend Triftig hatten an einem warmen, hellen Orte. Herd warf es freilich allemal auf, wenn an Abenden hie und da zwei Lichter notwendig wurden. Es wollte der Bäurin fast vor den Atem kommen, wenn der Johannes die zweite Lampe anzündete, damit ein Knecht im Kalender lesen könnte. Müssen doch an vielen Orten Knechte ohne Licht ins Bett, und jetzt gab ihnen Johannes eins nur so für die Gwundernase! Es düechte sie, das hätte afe sy Seel ke Gattig.

Indessen sie gewöhnte sich daran, und es ging je länger je besser und zu ihrer eigentlichen Freude.

Die Diensten gewöhnten sich daran, daß immer ein Platz für sie da sei und am Sonntag bald in der Wohnstube, bald in der Hinterstube, wie es sich schickte. Dort konnte einer auf dem Ofen liegen oder am Tische sitzen, wie er wollte, aber meistens geschah das Letztere. Eins las, eins machte Buchstaben, zwei Andere versuchten etwas zu rechnen; die Einen halfen den Andern, und wenn niemand mehr aus und an wußte, so ward man rätig, den Meister zu fragen, und wenn der zum Beispiel ein vorkommend Wort nicht zu erklären wußte, so mußte ein Kind am folgenden Tag den Schulmeister fragen, der aber auch nicht einen Kopf hatte, in dem alles stand, was Andere nicht wußten. An allem diesem nahmen die Kinder teil und hatten eine unbändige Freude, wenn sie die großen Knechte etwas brichten konnten und wenn es hieß: «Dr Johannesli ist afe e Gschickte, dr Schumeister cha ne wäger bald nüt meh lehre.» Aber sie hatten nicht nur Freude. Selbst die Bäurin mußte sagen: Es düech se, sie hätten noch keinen Winter so viel gelernt als in diesem, und man hätte so wenig mit ihnen zu tun und wüßte doch immer, wo sie wären.

Aber auch die Diensten schienen anders zu werden. Es gab viel weniger Verdruß mit ihnen, viel weniger Streit unter ihnen. Sie hatten etwas, das ihre Gedanken beschäftigte, und mußten nicht, um etwas zu denken, ihren bösen Gelüsten, ihrem Neid gegen den Meister, den Aufweisungen ablosen und sie immer wiederkauen. Es rührte sich etwas Besseres in ihnen, und sie begriffen immer mehr, daß es doch eigentlich ein Unterschied sei zwischen einem Mooskalb und einem vernünftigen Menschen. Wie beim gesund werdenden Menschen der Hunger kömmt und, solange kein Hunger da ist, immer noch der Tod seine Krallen zweg hat, so kam bei ihnen auch der Appetit nach Gottes Wort, und sie gingen gerne in eine Predigt, ja sogar hie und da in eine Kinderlehre und wußten dann nicht nur zu sagen, was verlesen und verkündet worden, sondern auch, wo der Herr den Text gehabt, und bald dies, bald das, was ihnen in der Predigt aufgefallen. Daran knüpften sich dann über Tisch Gespräche und zwar recht ernsthafte, und wenn einer etwas spotten wollte, so wurde er zurechtgewiesen. Sie wurden dabei sich immer mehr bewußt, daß es doch etwas Hohes und Bedeutendes sei, ein Christ zu sein, und daß ein christlicher Knecht doch viel besser daran sei als ein heidnischer König, der nicht recht wisse, warum er auf der Welt sei, während der christliche Knecht doch wisse, daß er da sei, um ein Kind Gottes zu werden und das Himmelreich erblich zu erwerben.

Die Nachmittage gingen vorbei wie im Fluge, und allemal, wenn es viere schlug, wollte es niemand glauben: Das könne unmöglich sein, sagten sie, man hätte ja erst gegessen. Die Bäurin sagte selbst, sie hätte das nicht geglaubt und hätte selber recht kurze Zyti dabei. Ja es kam sie mehr als einmal an, daß sie im halben Tag ein Kaffee machte über den ganzen Tisch weg und nicht einmal daran dachte, was die Leute sagen werden, daß sie am Sonntag im halben Tag ein Kaffee mache für Knechte und Mägde.

Etwas Unerwartetes hätte die ganze Geschichte beinahe verkehrt und zerstört. Man sieht im Winter da, wo die Sonne warm und viel scheinet, die Fliegen sich hinziehn und da an der Sonne ihr Leben genießen; gerade so ists an Sonntagen, wo ein warmer Ofen für Diensten frei ist, mit den Diensten. Es ist recht traurig zu sehen, wie sie sich fast unwillkürlich herzulassen wie die Fliegen an die Sonne und sich wärmen und im Gefühl der Wärme auftauen und ihres Lebens sich freuen. Freilich ist dann dieses Auftauen oft ein schmutziges, und die Freude gibt sich auf eine wüste Art kund.

Es ging nicht lange, so merkte hie und da einer, daß am Sonntag beim Bodenbauer eine warme Stube sei. Wo nun das Gelüsten treibt, macht ein Knechtlein nicht lange Komplimente. «Seh komm,» sagt er zu seinem Kameraden, «wir wollen da hinein, sie werden uns notti nit fresse, er ist öppe kei Herr nit und mi wird öppe wohl i si Stube dörfe. Er het zwo vrfluecht brav Jumpfere, die werde wohl öppe o dinne sy.» Mit diesem Sinne drang nun der Eine den Andern hinein und wollten nun drinnen Flausen machen, den Narren treiben, Karlishof haben. Es kamen nicht nur Knechte, sondern diesen nach zogen auch Jumpfern, und diesen war es auch nicht um etwas Vernünftiges, sondern nur um die Knechtlein zu tun. Das gab nun ein Zök (Einandernachziehen), ein wüst, unsauber Wesen in Reden und Gebärden, in Liedern und Werken, daß der Bodenbauer Holla machen mußte, so unangenehm es ihm war. Denn es wird wohl einem Landmann nichts unanständiger sein, als wenn er fremde Diensten zurechtweisen, ja überhaupt, wenn er sich geradeaus einen Tadel, eine Zurechtweisung erlauben muß, die man ihm übel nehmen, übel auslegen, nachtragen könnte. Aber es mußte geschehen. Er sagte daher einmal: Er wolle niemand verbieten, in sein Haus zu kommen, allein dasselbe sei kein Haus für Kilbi zu halten; wer nur wüst tun wolle, solle an ein ander Ort hingehen, und des Zöks begehre er nichts. Man könne ja bald nicht einmal stehen in der Stube, und es stinke von Tubak, daß es eim fast erstecke. Es gutete nun. Freilich räsonierten einige kreuzerige Knechtlein, und einige viererige Jungfräulein rümpften die Nase, aber was frug dem der Bodenbauer nach!


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