Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Der Knoten beginnt sich zu lösen, und als er sich stecken will, zerschlägt ihn ein Mädchen und zwar mit einem buchenen Scheit

Nun ging es wie an allen Orten, wenn die Hausmutter spät heimkömmt, mit Reden und Fragen; doch war noch keine Stunde verflossen, so wars still in der Glungge, nur im Stalle hörte man den Kohli fressen. Der schöne Schlaf hatte sich über die Bewohner gesenkt und seine Gaben gebracht, das Vergessen alles Leids und manch schön Gaukelspiel vor die bewußtlose Seele. Doch auf einem Bette sah man ihn nicht weilen. Es war ein reinlich Bett, auf demselben lag eine stattliche Federdecke und drinnen ein noch stattlicheres Mädchen; zu voll war dessen Seele, des Schlafes Eindrücke aufzunehmen. Was jener Stein unterbrochen, das tauchte wieder auf: liebliche Bilder aller Art schwammen über die Seele, flüchtig eilten die einen vorüber, süß und wonniglich weilten andere lange über dem verklärten Mädchen, das nicht in unruhiger Pein hin und her sich werfend den Schlaf suchte, sondern in seliger Hingebung unbemerkt Stunde um Stunde an sich vorüberrinnen ließ. Als kühle Morgenlüfte durch die Täler strichen, da begann ein süßes, banges Sehnen aufzuwallen, des Mädchens Brust zu schwellen, das Sehnen, Uli Ja zu sagen, das Sehnen, ihm zu sagen, es wolle sein sein für immerdar, das Sehnen, ihn auch sein nennen zu können für immerdar. Je dringender dieses Sehnen ward, desto mehr gattete es sich mit der Bangigkeit, das ersehnte Glück möchte nur ein Traum sein, möchte sich verflüchtigen wie des Traumes Bilder, am Morgen möchte Uli nicht mehr zu finden sein, könnte erzürnt über Vrenelis Benehmen anderes Sinnes geworden sein. Oh, wie ihm jetzt dieses Zagen und Abweisen leid tat, wie es sich nicht begreifen konnte, wie es ihns mehr und mehr drängte, das Verschulden gut zu machen, zu vernehmen, ob Uli noch gleichen Sinnes geblieben sei die Nacht hindurch.

Es litt es nicht mehr im Bette, leise stund es auf, öffnete ein Fensterchen, atmete Morgenluft, zog sich an und begann sein Morgenwerk, leise, daß niemand es höre. Leise öffnete es die Türe, stille war es draußen, kein Knecht rührte sich noch, kein Pferd scharrte nach Futter. Da ging es leise durch den Schopf dem Brunnen zu, dort im kühlen Wasser sich zu waschen nach üblichem Brauch. Am plätschernden Brunnen stund eine Gestalt gebeugt über den Trog und mit Eifer auch ein solches Werk verrichtend. Mit pochendem Herzen erkannte Vreneli seinen Uli, da stund der Ersehnte. Da schwanden Nacht und Nebel, wie Morgenrot ging es ihm auf, und wie ein Herz ziehen könne, das fühlte es jetzt. Doch den unwiderstehlichen Zug noch mädchenhaft zu umschleiern, war ihm seine Schalkheit zur Hand, und mit unhörbarem Tritte an Uli getreten, schlug es rasch beide Hände vor dessen Augen. In gewaltigem Schreck zuckte der starke Mann zusammen, ein halber Schrei entfuhr ihm; dann die Hände vor den Augen fassend, erkannte er mit süßer Wonne der schönen Hände schöne Eigentümerin. «Bist du es?» fragte er. Und Vreneli wußte, wen er meine, und seine Hände sanken tiefer, umschlangen den teuren Mann, und wortlos lehnte es sein Haupt an dessen treue Brust. Da, wie aus dem Brunnen Welle um Welle sprudelte hell und klar, so wogte in Uli das Bewußtsein seines Glückes auf in mächtigen, ungetrübten Wogen. Er zog das teure Mädchen an sich, und wie die Wellen des Brunnens plätscherten und Bläschen warfen in blankem Troge, so flüsterte Uli dem Mädchen seine Freude zu, versuchte ein leises Küssen, und kein Stoß warf ihn diesmal zurück von dem holden Ufer, dem er zugesteuert. «Willst du meins sein?» hörte der Brunnen; «bist du mein?» koste es wieder. Und noch manches hörte der Brunnen, aber er sagte es niemand wieder.

Ein eigenes Gefühl durchströmte Beide, das Gefühl, ein teures Kleinod gefunden zu haben, das Verlangen, bei diesem Kleinod zu sein für und für und sonder Unterlaß. Wenn jemand einen lieben Brief erhält, wie oft fährt seine Hand in die Tasche und liest ihn von neuem! Wenn jemand einen Acker gekauft hat, wie oft geht er hin des Tages und beschauet seinen Kauf! Wenn jemand eine liebe Seele gefunden und an sich gebunden nicht nur für diese Zeit, sondern auch für die Ewigkeit, soll es ihn dann nicht hin zu dieser Seele ziehen mit Himmelsgewalt, soll es ihn nicht in ihre Augen, die Tore der Seele, hineinziehen, um das Gefühl lebendig zu erhalten, eins mit einer Seele zu sein in Zeit und Ewigkeit? Dieses Einswerden mit einer Seele von ganzem Herzen, ganzem Gemüte und allen Kräften, in welcher Vereinigung alle Ichsucht untergeht, ist das nicht auch ein Vorläufer des Einswerdens mit Gott, welchem ebenfalls unsere Selbstsucht zum Opfer fallen muß? Und wie der, der eins geworden ist mit dem Vater im Himmel, denselben vor Augen hat, wenn die Sonne scheinet und wenn die Nacht Finsternis bringt in jedes Land und jede Kammer, soll dann dem, der eine Seele gewonnen, nicht auch vergönnt sein, diese Seele zu suchen und wieder zu suchen, so oft die Räume und Geschäfte der Erde sie ihm aus den Augen tragen? Der tiefe Seelenzug in diesen Zeiten wird selten recht verstanden, bringt daher auch selten die rechten Früchte. «Sie machen recht närrisch mit einander,» hört man sagen, «sie machen einem Längizyt.» Das glaube ich gerne, aber warum gönnt man ihnen nicht die ungestörte Freude an einander? Ach Gott, die Welt und die Furcht der Welt vor ihrem eigenen Fleische! Ach Gott, die Welt und ihre Neugierde, die sehen will, wie Zwei zusammen tun, und dann, wenn sie keinen rechten Sinn zu einander haben, sagt: «Die Beiden lob ich mir, die sind recht vernünftig; wenn man es nicht wüßte, man merkte es ihnen gar nicht an, daß sie Brautleute wären.» Ich möchte fast sagen, das sei eine vermaledeite Vernünftigkeit, welche für die Seele und ihr Sehnen keine Empfänglichkeit hat, höchstens für des Leibes Reize, deren Empfänglichkeit man allerdings lieber im Dunkeln zeigt, meistens nur für des Geldes verhängnisvolles Klingen. Vreneli und Uli hätten kaum verstanden, was da geschrieben steht, aber diesen Zug der Seelen empfanden sie. Kaum waren sie getrennt worden, so suchten sie sich wieder, und der Brunnen war die heilige Stätte, wo so oft sie sich suchten und fanden. Noch nie hatte Vreneli so viel Wasser in die Küche gebraucht, Uli noch nie so viel zu waschen oder zu tränken gehabt.

Während beim Brunnen ein junges Glück aufging, hielt ein altes Ehepaar im Stübli seine Zwiegespräche. Joggeli und seine Frau erwachten frühe, und den alten Gliedern die nötige Ruhe gönnend, erachteten sie diese Stunde am schicklichsten, ein vertrautes Wort zu wechseln. Nachdem die Frau an Joggelis unruhigem Drehen dessen Erwachen wahrgenommen, fragte sie: Ob er seither nichts von einem Knechte vernommen, ob gestern keiner dagewesen sei? Weihnacht rücke, so könne das doch nicht gehen. Nun begann Joggeli sein altes Klagelied über Elisis Heirat, an der er nicht schuld sei und die ihm Uli forttreibe. Seit der da sei, trage ihm der Hof jährlich tausend Pfund mehr ein. Wenn doch das Meitschi habe heiraten müssen, so wollte er zuletzt lieber, es hätte Uli genommen als so einen ungefütterten Baumwollenhändler. Er hätte keinen Magen, einen andern Knecht zu suchen; wenn er nur Uli wieder haben könnte, es reute ihn kein Geld.

Sie wisse nicht, wie das gehen solle, sagte die Frau; sie habe mit Uli geredet, allein er habe nichts davon hören wollen, länger hier Knecht zu sein. So hätte mans, sagte Joggeli, die Frauen machten alles, wie sie wollten; sie begehrten alles zu regieren, und wenn etwas krumm gehe, so sollten es die Männer gerade machen. Er hätte vorausgesagt, das käme so, sie könne seinethalb jetzt selbst einen Knecht suchen. Wenn das so gemeint sei, sagte sie, so wolle sie mit allem nichts mehr zu tun haben. Wer am Ende bös hätte, wenn alles schlecht ginge, als sie, die die Haushaltung machen müßte? Das Beste wäre, sie würden das Gut zu Lehen geben; sie wüßte eigentlich nicht, für wen sie bös haben sollte bis ins Grab. Es danke ihr doch zuletzt niemand dafür, sondern je mehr sie zusammengehüselet habe, desto mehr lache man sie aus. Das sei ihm auch recht, sagte Joggeli, er begehre nicht länger zu pflanzen, damit ihr Tochtermann komme, die Sache nehme und das Geld für sich behalte. Aus freien Stücken habe er ihm eine Ehesteuer gegeben, größer als mancher Landvogt sie gebe; es schiene ihm, der könnte zufrieden sein und ihn jetzt ruhig lassen. Wenn sie ihm einen anständigen Lehnsmann wüßte, so wollte er noch heute mit ihm die Sache richtig machen. Sie wüßte keinen bessern als Uli, sagte sie. «Uli?» sagte Joggeli. «Ja, wenn der besser hintersetzt wäre und eine anständige Frau hätte, so wäre mir der der Rechte, aber so kann er kein solches Gut übernehmen.» He, sagte die Mutter, eine bessere Frau als Vreneli wüßte sie nicht, und sie glaube, sie hätten nichts wider einander. Daneben sei Uli auch nicht mittellos, und vielleicht würde Vetter Johannes ihm helfen, wenn man es begehrte; es dünke sie, derselbe habe gar viel auf Uli. «So, so,» sagte Joggeli, «es ist also schon alles richtig!» «Was richtig?» fragte sie. «Glaubst du,» sagte Joggeli, «ich solle nichts merken? Du bist nicht umsonst nach Erdöpfelkofen gefahren so mir nichts dir nichts, daß ich mich fast zu Tode gewundert habe, und hast Vreneli und Uli mitgenommen. Du mußt doch nicht meinen, daß ich so dumm sei und nichts merke, was hinter meinem Rücken abgekartet wird. Aber ich bin auch noch da und es ist nicht bravs von dir, so mich zum Narren zu halten und mit fremden Leuten unter dem Hütli zu spielen gegen mich. Aber warte nur, ich will es dir reisen. Ich will zeigen, wer Meister ist.»

Nun bekam die gute Frau keine Antwort mehr, sie mochte vorbringen, was sie wollte, so daß sie endlich sagte: «He nun dann, so sei meinethalben Meister und arbeite meinethalben den Hof selbst und mache die Haushaltung auch noch dazu, ich aber will nichts mehr damit zu tun haben.» Brummend wälzte sie sich auf die andere Seite, schlief wieder ein und stund am Morgen später als sonst, schweigend und schmollend auf. Lustig tanzte Vreneli im Hause herum, es war, als ob es über Nacht Federn in die Beine bekommen hätte und eine Mundharmonika zwischen die Zähne. Ganz verwundert sah die Base dem Wesen zu und sagte ihm endlich, als sie allein waren: «Ist es dir über Nacht anders gekommen, willst du ihn jetzt?» «O Base,» sagte Vreneli, «wenn Ihr mich zwingen wollt, was will ich dagegen machen als mich zwingen lassen? Und so, wenn Ihrs zwingen wollt, so zwingts; aber ich will nicht schuld daran sein, es mag kommen, wie es will!» «Du bist eine gottlose Dirne, mir den Mann zu verspotten,» sagte die Base. «Aber das Lachen wird dir schon vergehen, wenn du hörst, daß Joggeli nichts vom Lehen hören will. Er ist bös darüber, daß alles hinter seinem Rücken abgekartet wurde, und sagt jetzt, er sei Meister, er wolle es uns reisen.» Aber das Lachen verging Vreneli nicht, sondern es lachte nur: Der Vetter wolle auch gezwungen sein, wie es zum Heiraten. Am besten käme man zurecht mit ihm, wenn man nichts mehr von der Sache sage und sich stelle, man wolle fort. Es mache ihm jetzt schon angst, was er um Weihnacht anfangen wolle, zu einem andern Knecht könne er sich nicht entschließen. Wenn er in acht Tagen noch nicht selbst mit der Sache komme, so wolle es den Tischmacher kommen lassen und ihm ein Trögli zu machen befehlen, wie Mägde zu tun pflegen, wenn sie zügeln wollen. Helfe dieses nicht, so müsse man ihm sagen, Uli komme zum Johannes, man habe neuis gemerkt; dann fange er von selbst von der Sache an und sage: «So zwängets, wenn ihrs zwängen wollt, aber ich will an nichts schuld sein, es mag gehen, wie es will.» «Du bist eine Tüfels Hex», sagte die Base; «ich glaube, du wärest imstande, ein ganzes Chorgericht zum Narren zu halten. Das wäre mir nie in den Sinn gekommen, und sind wir doch jetzt bald vierzig Jahre bei einander.»

Und richtig: wie Vreneli, das dem Uli eingeschärft hatte, es anzusehen, wie wenn er lauter taub wäre, gesagt hatte, ging es. Der Tischmacher brauchte nicht zu kommen. Lange vor Verlauf der acht Tage fing Joggeli mit seiner Alten zu zanken an: Wie sie alles hinter seinem Rücken mache, zu allen Leuten Vertrauen habe und nur zu ihm keines; er möchte doch endlich wissen, was sie jetzt mit dem Uli ausgemacht habe. Es wäre Zeit, daß er auch etwas davon wüßte. Da sagte sie, sie habe nichts mit ihm ausgemacht und nichts angefangen, das sei seine Sache, sie mische sich nicht darein. Er habe ja gesagt, er sei Meister. Da begehrte Joggeli noch mehr auf, daß seine Frau ihn so im Stich lasse und sich gar nicht darum bekümmere, wie es gehe; es sei doch ihre Sache so gut als seine und er wüßte nicht, warum immer alles an ihn kommen solle. Er wollte, sie solle gehen und mit Uli reden, und wenn er schon eine andere Frau nähme als ds Vreni, so sei es ihm gleich; das sehe ihn seit einiger Zeit so unverschämt und spöttisch an, daß es ihn schon manchmal gelüstet habe, ihm die Hand ins Maul zu geben. Aber seine Frau wollte nicht, nach Vrenelis Instruktionen; das sei Mannssache, behauptete sie. Da sagte er, wenn sie nicht gehen wolle, so schreibe er dem Tochtermann, er solle ihm einen Knecht oder einen Lehenmann senden, der werde ihm das schon machen. Da ließ die Alte das Herz fallen und übernahm den Auftrag. Als sie mit demselben zu Vreneli kam, sagte dieses: «O du gute Mutter, hast du dich zwingen lassen! Aber Mutter, Mutter, wie konntest du glauben, daß es Joggeli Ernst sei, vom Tochtermann einen Knecht oder einen Lehenmann zu nehmen! Hättest du nur noch einmal herzhaft Nein gesagt, so hätte er gesagt: He nun, wenn du mir nichts zu Gefallen tun willst, so will ich mit Uli reden, aber ds Vreni, die Täsche, begehre ich nicht, und es mag herauskommen, wie es will, so bin ich nicht schuld daran, mir wäre es nie in Sinn gekommen. Schicke ihm aber Uli hinein, er soll und muß doch mit ihm zuerst z'grechtem davon reden.»

So geschah es auch.

Die Weitläufigkeiten der ganzen Unterhandlung zu beschreiben, wäre für manchen Lehenmann belehrend, allein für diesmal aus guten Gründen nur Folgendes. Joggeli war die ganze Sache mehr als recht, und doch machte er Umstände und Vorbehälte, an denen die ganze Sache hätte scheitern müssen, wenn er fest darauf bestanden hätte; aber so wie er erfinderisch war im Ersinnen, so war er wieder schwach im Nachgeben, sobald man ihn zu fassen wußte, und das verstund der Vetter Johannes, der als Mittelsmann und Bürge recht gefällig sich finden ließ. Und wenn alle an waren, so wußte Vreneli noch den besten Rat und fand den Ausweg. Joggeli sagte aber oft: Er könne nicht begreifen, warum Uli so eine nähme mit einem blutten Füdle und einem Maul wie eine Schlange. Wenn er so ein Bursch wäre und ein solches Lehen in den Händen hätte, er wollte viel tausend Pfund erwyben. So eine Gexnase würde er nicht mit dem Rücken ansehen, und dreißig Kronen wollte er ihm das Lehen wohlfeiler geben, wenn das Ketzer Meitschi ihm wegkäme; das würde dem lieben Gott Blau für Weiß machen, wenn sie je zusammenkämen, was er aber nicht glaube.


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