Jeremias Gotthelf
Wie Uli der Knecht glücklich wird
Jeremias Gotthelf

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Zweites Kapitel

Ein heiterer Sonntag in einem schönen Baurenhause

Der Sonntag kam am Himmel herauf, hell, klar, wunderschön. Die dunkelgrünen Gräslein hatten mit demantenen Kränzlein ihre Stirnen geschmückt und funkelten und dufteten als süße Bräutlein in Gottes unermeßlichem Tempel. Tausend Finken, tausend Amseln, tausend Lerchen sangen die Hochzeitlieder; weißbärtig, ernst und feierlich, aber mit den Rosen der Jugend auf den gefurchten Wangen, sahen die alten Berge als Zeugen auf die holden Bräutlein nieder, und als Priesterin Gottes erhob sich hoch über alle die goldene Sonne und spendete in funkelnden Strahlen ihren Hochzeitsegen. Der tausendstimmige Gesang und des Landes Herrlichkeit hatten den Bauer früh geweckt, und er wandelte andächtigen Gemütes dem Segen nach, den ihm Gott beschert hatte. Er durchging mit hochgehobenen Beinen und langen Schritten das mächtige Gras, stund am üppigen Kornacker still, an den wohlgeordneten Pflanzplätzen, dem sanft sich wiegenden Flachse, betrachtete die schwellenden Kirschen, die von kleiner Frucht starrenden Bäume mit Kernobst, band hier etwas auf und las dort etwas Schädliches ab und freute sich bei allem nicht nur des Preises, den es einsten gelten, nicht nur des Gewinnes, den er machen werde, sondern des Herren, dessen Güte die Erde voll, dessen Herrlichkeit und Weisheit neu sei jeden Morgen. Und er gedachte: wie alles Kraut und jedes Tier jetzt den Schöpfer preise, so sollte es auch der Mensch tun, und mit dem Munde nicht nur, sondern mit seinem ganzen Wesen, wie der Baum in seiner Pracht, wie der Kornacker in seiner Fülle, so der Mensch in seinem Tun und Lassen. «Gott Lob und Dank!» dachte er, «ich und mein Weib und meine Kinder, wir wollen dem Herren dienen, und er braucht sich unser nicht zu schämen. Wir sind wohl auch arme Sünder und haben nur einen geringen Anfang der Gottseligkeit, aber wir haben doch ein Herz zu ihm und vergessen ihn nie einen ganzen Tag lang und essen nichts, trinken nichts, daß wir ihm nicht danken, und nicht nur mit Worten, sondern von Herzensgrund.»

Aber wenn er des Uli gedachte und wie der liebe Gott ihn so fürstlich ausgestattet mit Gesundheit und Kraft und wie Uli seines Schöpfers so ganz vergesse, so schnöde seine Gaben mißbrauche, so wurde er ganz wehmütig und stund oft und lange still, sinnend, was er ihm wohl sagen solle, daß er wieder werde ein Preis seines Schöpfers. Es war ihm an seiner eigenen Seele viel gelegen, darum an den Seelen Anderer auch, und wie er teilnahm, wenn ein Knecht oder eine Magd am Leibe krank war, so schmerzte es ihn auch, wenn er ihre Seelen in Gefahr sah, und wie er für kranke Diensten den Doktor kommen ließ, so suchte er auch ihre kranken Seelen zu doktern. So was ist nicht immer der Fall. Den meisten Menschen ist an den eigenen Seelen nichts gelegen, darum auch an den Seelen der Andern nicht. Das ist ein Grundübel dieser Zeit.

So verweilete sich der Bauer unvermerkt, und die Mutter hatte schon lange gesagt, sie wollte zum Essen rufen, wenn der Ätti da wäre. Als er zur Küchetüre ein kam mit der freundlichen Frage, ob sie gekochet hätten, und als ihm die freundliche Antwort wurde, man hätte schon lange essen können, wenn er dagewesen wäre, mit wem er sich wohl wieder verdampet hätte, und als er ernsthaft sagte: «Mit dem lieben Gott,» so kam seiner Frau fast das Augenwasser, und sie sah ihn gar sinnig an, während sie den Kaffee einschenkte und die Mägde die Knechte riefen und das Essen auf den Tisch stellten.

Aus tiefem Schweigen heraus frug der Bauer: «Wer geht zKilche?» Die Frau sagte, sie habe es im Sinne und deswegen schon züpfet, damit sie zu rechter Zeit hinkommen möge, und in ihre Stimme fielen mehrere Kinderstimmen: «Mutter, ich will mit!» Zwei Knechte aber und zwei Mägde blieben stumm. Auf die Frage, ob denn Keines gehen wolle, fehlte es dem Einen an den Schuhen, dem Andern an den Strümpfen. In Keinem war der Trieb, zu gehen, aber Ausreden dagegen in Menge. Da sagte der Bauer: So könne das nicht mehr gehen; das komme ihm doch streng vor, daß sie zu jedem Geläuf Zeit hätten, aber nie zum Kilchengehen. Am Morgen sei Keins vom Hause wegzubringen, und am Nachmittag sei es, wie wenn man sie mit Kanonen davon wegschösse, und bis am späten Abend sei Keins mehr zu sehen. Das sei ihm eine schlechte Sache, wenn man nur Sinn hätte für alles Narrenwerk, aber keinen für seine arme Seele. Und er wolle ihnen geradeheraus sagen, daß kein Meister einem Dienst trauen könne, der Gott aus dem Sinn geschlagen habe und Gott untreu geworden sei. Wenn ein Mensch Gott untreu sei, ob man dann erwarten könne, daß er Menschen treu sein werde? So wolle er es aber nicht, und heute hätten sie gar keinen Grund, daheim zu bleiben, nur um ums Haus herumzustopfen. Zudem habe er Sachen zu verrichten. Er müßte vierzig Pfund Salz haben; das könnten die beiden Mägde holen und einander ablösen. Hans Joggi (der andere Knecht) solle in die Mühle und fragen, wann man Spreuer haben könne; er wollte lieber nicht allemal auf Bern fahren, und der Müller gäbe seine eigenen Spreuer ihm selber und nicht andern Leuten.

«Aber Vater,» sagte die Mutter, «wer kochet dann zMittag, wenn du alles fortjagst?» «He,» sagte der Vater, «ds Annebäbeli (sein zwölfjähriges Mädchen) kann dazu sehen, es muß sich auch gewöhnen, daß man ihm etwas überläßt, und hat noch Freude daran. Uli muß mit mir daheim bleiben; ich weiß nicht, was es mit dem Kleb geben kann, er fängt an einzufallen und hat vorhin so trätschet; ein Kalb ist manchmal ungesinnet da, und dann geht es bös, wenn niemand dabei ist.» Zu den Worten schaute er die Mutter gar ernsthaft an. Da fiel dieser ein, daß der Vater mit Uli allein sein wolle, um mit ihm zu reden, und daß er deswegen alles fortschicke, damit die gwundrigen Jungfern nicht ihre spitzigen Ohren an Orten hätten, wo sie nicht sollten. Und sie musterte alsobald die beiden Mägde, die gar langsam herumdrehten und es sichtbar an den Tag legten, wie zuwider es ihnen sei, in die Kirche zu gehen und sich jetzt schon zu waschen und zu strählen, aus Furcht, nachmittags sehe man ihnen beides nur noch halb an und die schön glatt und rot geriebene Haut sei wieder gelb und schlumpelig geworden. Und zweimal eigentliche Toilette zu machen, ist bei Baurenmägden doch noch nicht Brauch, Gottlob; sie sehen höchstens im Spiegel nach, so oft es sich schickt, wie das Ding noch hält und ob das Trädeli vorn an der Stirne noch schön kruslet sei. Dem Knecht war es auch nicht recht: Er hätte noch nicht bartet, sagte er, und sein Messer haue nichts; er hätte gedacht, diesen Sonntag überzuspringen und es dann während der Woche schleifen zu lassen. Allein der Meister sagte, er könne diesmal seine Rustig (Rüstzeug) nehmen und hier in der Stube barten, er selbst könne es nachher machen. Diese Befehle waren unwiderruflich, aber ihnen zu folgen, ging hart. Die Mutter mußte zehnmal mahnen. Bald wußte eine den Waschlumpen nicht, die Andere hatte einen ihrer Sonntagstrümpfe vernistet, und als sie den endlich fand zwischen dem Strohsack und der Bettstatt, sah sie zu ihrem Schrecken, daß sie ihren bessern Lumpen (Nastuch) nicht hätte, und der war nirgends zu finden. Sie hätte fast Mut gehabt, dem Bauer zu trotzen und nicht zur Kirche zu gehen; allein die Andere, mit der sie zufällig heute einig war, warnte sie und versprach ihr, den ihren ihr zu leihen, wenn etwa Not an Mann kommen sollte, da man in der Kirche nicht wohl weder in die Finger noch in das Fürtuch die Nase stecken dürfe.

Die Bäurin war schon lange fertig, hatte ihrem Johannes «Bhüet dih Gott!» gesagt und «Machs nit z'ruch!», dem Annebäbeli anbefohlen, nicht zu viel Holz anzulegen, das Fleisch sei von einer jungen Kuh und der Pfarrer mache zuweilen wohl lang, besonders wenn zu taufen sei, und stund mit zweien Kindern, von denen das eine, ein Bube, das Psalmenbuch trug, vor dem Hause, und immer waren die Mägde noch nicht da: der einen wollte sich das Mänteli nicht recht schicken, und die andere ribsete noch an einem Schuh, der halt nicht glänzender werden wollte, als es seine Art war. «Meieli (Mareili),» sagte die Bäurin, «geh und sage ihnen, ich gehe voran, und sie sollten nachkommen und machen, daß sie in der Kirche seien, ehe es verläutet habe, und nicht so hintendrein in die Kirche schießen wie aus einer Büchse.» Und sie wandelte stattlich voraus, den hübschen Buben an der einen Hand, das hübsche Mädchen an der andern; in des Buben Kappe ein Pfingstnägeli, um dessen Hals ein rotseidenes Halstuch; das Mädchen unter einem schönen Schaubhütli, ein schönes Meieli im Corset, während in der Mutter stattlichem Brustlatz ein schöner Rosmarinstengel sich wiegte und in ihrem Gesichte wohl erlaubte Mutterfreude.

Eine Viertelstunde nachher schossen den gleichen Weg zwei Mädchen mit Gesichtern wie angelaufene Krebse. Plötzlich stand das größere still und fragte: «Hast du das Salzsäckli?» «Nein,» sagte das andere, «ich habe gedacht, du hättest es.» «Das verfluchte Salzsäckli!» sagte das erste, «ich wollte, der Meister müßte es unküchelt fresse. Du mußt gehn und es holen. Aber lauf, was du magst, sonst balget die Meisterfrau, wenn wir so hintendrein kommen.» Es ging hier auch wie allenthalben in der Welt, die Meisterjungfere hatte es vergessen, die untergebene Magd mußte die Mühe haben, es zu holen, und das ist eben in der ganzen Welt so: wenn der Obere etwas Dummes macht, so soll der Untergebene daran schuld sein oder es wieder gut machen.

Unterdessen war der Meister mit Barten fertig geworden, hatte im Stall sich umgesehen, stund im Schopf, eine Pfeife stopfend und Sinns, auf das Bänkli vor dem Stalle sich zu setzen und hier dem Uli, der noch im Stall war, ans Herz zu greifen. Während er so dastund und stopfte und über das Kapitel sann, sah er ein Wägeli von der Straße ablenken, ein stattlich Roß davor mit schön beschlagenem Geschirr, Leute darauf, große und kleine. Bald erkannte er seine Schwester, die mit seinem Schwager kam und drei Kindern, eines noch an der Brust. Mit herzlichem Gottwillche trat er ihnen entgegen, konnte sich aber nicht enthalten, zu denken, es sei doch ds Tütschels Sach, daß seine Frau heute hätte zKilche gehen müssen. Nachdem mit Mühe das Weib den schweren Weg vom hohen Wägeli auf den Boden gefunden, die Kinder ebenfalls, wurde gefragt: Wo er seine Alte habe? Es sei alles zKilche, sagte er, aber sie sollten nur hineinkommen, sie werde bald wieder da sein. Er führte sie zum Hause; doch brachte es der Schwager nicht übers Herz, dem Uli, der das Roß abgenommen hatte, nicht in den Stall nachzugehen, zu sehen, wo er das Roß hinstelle, wie er es abschirre und anbinde, und zu hören, wie Uli es rühme. Das Letztere tat Uli auch. Es war ihm offenbar ein Stein vom Herzen gefallen, denn er hatte des Meisters Absicht wohl gemerket, und daß diese jetzt vereitelt war, machte ihn freundlicher, als er die ganze Woche gewesen. Drinnen hatte der Bauer seinem Meitschi befohlen, ein Kaffee zu machen. Er selbst ging in den Keller, nahm Nidle ab, hieb Käse ab und brachte alles nebst einem tüchtigen Laib Brot herauf und stellte es dem Mädchen zur Verfügung, das sich gar emsig rührte und für ein ganzes Königreich diese Gelegenheit, der Mutter und der Gotte zu zeigen, was es schon verrichten könne, nicht gegeben hätte. Bald war in der Tat die Sache zweg, und die Gotte ermangelte nicht, das Annebäbeli zu rühmen, wie gleitig es sei und wie guten Kaffee es gemacht habe. Einmal ihr Lisabethli wäre das nicht imstande gewesen und sei doch siebenundzwanzig Wochen älter.


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