Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Die goldnen Sprüche des Pythagoras

1775

                          Zuerst, die Götter sollst anbeten, und verehren,
Wie's dich die Weisesten, und die Gesetze lehren!
Sollst ehren jeden Eid, und brechen keinen nicht,
Den eine Hand beschlägt, den eine Zunge spricht.

Die Helden, welche dich empor gehoben haben
Zu höherer Vernunft, durch ihre Geistesgaben,
Sollst halten ewiger, und grosser Ehren werth;
Wird einst ein Weiser seyn, wer diese Helden ehrt!

Den Geistern, die umher in allen Lüften schweben
Unsichtlich, denen sollst dich so zu sehen geben
Daß sie sich deiner freun; Dem Bösen wenden sie
Die Augen weg, und sehn des Guten Harmonie.

Dein Vater liebte dich, und deine Mutter? Lohne,
Du Sohn, du Tochter, sie mit einer Ehrencrone!

Lieb' alle Menschen, sey nicht eines Lebens Feind;
Den, welcher Tugend übt, den bitte: Sey mein Freund!

Wirf deinen schärfsten Blick auf deines Freundes Thaten
Wilst Thaten thun? laß dir des Freundes Weisheit rathen!

Verliere deinen Freund um keinen kleinen Zwist,
Wenn aber sein Vergehn mehr, als nur Fehler ist,
Wenn seinem Herzen Gift an hellen Tag entschlüpfte;
Reiß dieses Band entzwey, das dich an ihn verknüpfte!

Bey der Nothwendigkeit wohnt nahe bey die Macht;
Das wisse! Nöthig ist: zu haben immer Acht
Auf jede Leidenschaft; Um sie zu überwinden,
Must du, zu rechter Zeit, das rechte Mittel finden.

Des Zorns, der Schwelgerey, der Trägheit schäme dich
In deinem Haus mit dir allein, und öffentlich!

Sieh deinen eignen Werth! Setz deinen hohen Adel
In Weisheit, und in Furcht vor deinem eignen Tadel!

Was redest, und was thust, das sey gerecht, und das
Sey dir schon jung gewohnt, daß ohne Grund und Maaß
Nichts thust! Thu aber bald! das Erste, was wir wissen,
Ist, daß wir Menschen sind, und alle sterben müssen!

All' unser Haab' und Gut in Gebers Händen steht,
Und wie's erworben wird, also verloren geht!

Die Götter geben dir, o Mensch, dein Menschenleben;
Wenn sie der Lasten viel dir auch zu tragen geben,
Trag, was du tragen kannst, und mache dir es leicht;
Geduld hilft jeden fort, der an dem Stabe schleicht!

Meinst: Schicksal habe nicht des Frommen Schmerz vergessen!
Des Uebels Maaß das ward dem Bösen voll gemessen!

Bey allen Dingen sieh, was Gut ist, und was Schlecht,
Erhelle den Begriff von Unrecht und von Recht!
Beyfalle nicht geschwind, tritt langsam in Gedanken,
Und prüfe! Prüfe scharf, und ohne dich zu zanken,
Sag' alle Meinung an; wenn aber ins Gesicht
Dir einer Zänker wird, und Wahrem widerspricht,
Bewafne mit Geduld dein Herz, und ohne feige
Dem rohen Mann zu seyn, sey ruhig, weiche, schweige!

Kein Mensch verführe dich zu einer bösen That!
Thu Nichts, und rede Nichts, als das was Nutzen hat!

Sey dir geheimer Rath bey jedem Unternehmen!
Wirst seltner führohin dich einer Thorheit schämen.

Der ist ein schlechter Mann, der immer seinen Mund
Zum Reden offen hat, und immer ohne Grund!

Der ist ein edler Mann, der seines Thuns sich freuet,
Und Vieles that, und dem von Allem Nichts gereuet!

Fehlt dir's an Wissenschaft von dem, und dem? Sey still!
Und was ein weiser Mann dich lehren kann und will,
Das lerne! Sanfter wird dein Bach des Lebens fliessen,
Wirst Kenner werden, wirst empfinden, wirst geniessen
Das, was Gesundheit dir verstatten mag; gesund
Muß Leib, muß Seele seyn, muß immerhin gesund
Erhalten werden! – Nicht am Horn des Ueberflusses
Sitzt der gesunde Mann, der Maasse des Genusses
Zu halten weiß, sitzt da, bey seinem Wein und Brod;
Trinkt mäßig, ißt sich satt, mehr nicht! und rosenroth
Sind seine Wangen, scharf sein Geistesblick zu sehen
Was Schön, und Nöthig ist, zu seinem Wohlergehen!

Bey deiner Lebensart sey grosse Reinlichkeit
Das erste Grundgesetz; das andre: Was den Neid
Nur irgend reitzen kann, bedachtsam zu vermeiden;
Das dritte: Mäßigung in allen deinen Freuden!

Bist reich, bist redsam? wilst verschwenden Geld und Wort?
Hast deinen Willen, doch bedenke Zeit und Ort!
Und scheue nur die Art des Albernen und Thoren,
Mit Wort und Gelde geht das Schöne leicht verlohren
Und auch das Ehrliche! Bist kein Verschwender? Sey
Zugleich ein grosser Feind der kleinen Filzerey,
Die, bis den letzten Tag des Lebens, zum Erwerben
Auf Erden ist, und nur geboren, reich zu sterben!

Geh! wo du gehen kannst, die goldne Mittelstraß',
Und alle Dinge miß mit ihrem rechten Maaß'!

Zum Schädlichen laß nie die Sinnen, die Gedanken,
Den Willen, den Geschmack, den Leib, die Füsse wanken!

Halt Seele, halte Leib in gutem Gleichgewicht,
Und etwas nicht zuvor Erwognes thue nicht!

Die Augen schliesse nie zum Schlaf, als bis die Frage
Geschehen ist: was hast an diesem ganzen Tage
Gethan? Hast etwa was vergessen? was versäumt?
Der Schläfer schläft nicht gut, der seine Sünden träumt!

Ist Böses wohl geschehn? Ist Gutes unterblieben?
Die Götter können dich, du selbst kannst dich nicht lieben!
Sag's deinem Herzen, schilt auf jeden bösen Trieb,
Thu dieses Gute heut, das gestern unterblieb!
Hast Gutes wohl gethan, hast Böses wohl vermieden?
Sag's deinem Genius, und sey mit dir zufrieden!
Wollst aber nicht zu früh auf deinen Lorbeern ruhn;
Dein Lebens Vorsatz sey: Viel denken, und viel thun!
Der Unverdroß'ne nur, der raschen Schritt der Jugend
Zum Guten that, gelangt im Alter zu der Tugend
Die göttlich ist – – O Mensch bey ihrer Göttlichkeit,
Bey dem, der ihrer sich als seiner Tochter freut,
Zu ihr gelangen ist nicht leicht, ich schwör', ich schwöre,
Dem Jüngling und dem Mann: daß viel dazu gehöre!

Leg' an die Meisterhand an das vollkommne Werk!
Bitt' aber flehentlich die Götter erst um Stärk',
Erquickung, frohen Muth, und Weisheit, weg zu wenden,
Was dir entgegen steht, es herrlich zu vollenden!

Wird deine Bitte dir gewähret, dann, o dann
Strahlt Licht in deinen Geist, warst Jüngling, wirst ein Mann,
Warst lang' an Seel' und Leib ein Kranker, bist genesen,
Siehst der Unsterblichen Geschäfte, siehst das Wesen
Der Erdenkinder, siehst jedweden Dinges Stand,
Beschaffenheit und Werth, siehst das verborgne Band,
Das sie zusammen hält, siehst deutlich die Natur
Sich selbst in Allem gleich, und überall die Spur,
Auf der sie geht, und wirkt, nach ewigen Gesetzen,
Siehst die Gerechtigkeit, nach welcher die zu schätzen,
Von allen Weisen sind, die etwas tiefer spähn,
Im Zufall keinen Grund, und Gott in Allem sehn!
Siehst was verschlossen war, in Erd und Himmel offen;
Siehst alles heiter, wirst nichts wünschen und nichts hoffen,
Was du nicht hoffen kannst, siehst, daß die Menschen sich
Selbst elend machen, selbst sich leben jämmerlich,
Weil sie, Betrunkene vergänglicher Vergnügen,
Die ewigen nicht sehn, die ihnen nahe liegen.
Ach! wie so wenige, die von der herben Pein
Des kurzen Irrdischen sich wissen zu befreyn!

Die armen Menschen! die so taub, so ganz verblendet
Ihr Leben leben, wie verloren, wie geschändet,
Verworfen, hingerollt, als wie ein schwerer Ball
Vom Berge, welcher eilt zu seinem plumpen Fall.
Sie sehn, sie hören nicht, sie schweifen hin und wieder,
Sie kriechen, steigen hoch, unwissend, stürzen nieder,
Sind Freunde dieses Kriegs, der schädlich böser Art,
Mit ihnen auf die Welt zugleich geboren ward!
Der, von der Wieg' ans Grab, sie überall begleitet,
Sie treibt, und ohne daß sie's merken, sie bestreitet;
Ihm weichen sollten sie, sie sollten ihm entfliehn,
Anstatt, daß sie sich selbst in seine Schlinge ziehn!
O du, der Menschen Gott und Vater dürftest ihnen
Nur zeigen diesen Geist, den bösen, dem sie dienen,
Aufschrecken würden sie, du würdest sie befreyn
Von allem Uebel ganz, sie würden selig seyn;
Gabst aber ihnen ja Verstand und freyen Willen,
Gesetze der Natur zu kränken, zu erfüllen!
Deswegen, in der Wahl des Unrechts, und des Rechts,
Da stehender, du Mensch, bist göttlichen Geschlechts!
Auf, reisse dich empor zu hohen Seelen-Sorgen!
Die heilige Natur, enthüllend, was verborgen,
In ihrem Innersten nur blöden Augen ist,
Läßt desto mehr dich sehn, je williger du bist!
Wirst ihr Vertrauter, wirst ihr Liebling, endlich fallen
In ihrem weiten Reich von allen Dingen, allen
Die Schleyer weg, du siehst mit aufgeklärtem Blick
In ihre Werkstatt, siehst was Unglück ist, und Glück,
Siehst alle Wesenheit der Himmel, und der Erden,
Befreyest deinen Geist von irrdischen Beschwerden,
Ziehst immer mehr ihn ab, von sinnlicher Begier,
Und, hoch von oben her die Weisheit kommt zu dir,
Begleitet dich, du wirst dem Sterblichen entnommen
Ein Bürger in der Stadt der Weisen, und der Frommen.

 


 


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