Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Der Vermittler.

              Doris weigerte mir lange
Ihren ersten Kuß. – Im Garten
Sah' sie Turteltauben küssen,
Und blieb spröde. – »Liebste Doris,
Willst du mich nicht einmal küssen?«

»Nein!« Sie blieb mir immer spröde! –
Schatten, West und Nachtigallen
Pries ich ihr als Spielgesellen;
Aber die vergnügte Schöne
Ließ sich nicht zum Spiele reizen,
Ob sich gleich die Lust zum Spielen
Röthend auf den Wangen zeigte! –
Endlich scherzte sie und sagte:
Daß ich mir mit Rosenknospen
Ihren Kuß erwerben sollte,
Wenn ich sie damit von weitem
In der Laube treffen könnte.

Niemals hab' ich mehr gezielet,
Als ich mit den Knospen zielte;
Aber Doris, die Geliebte,
Weigerte den Preis der Wette,
Und versprach bei jedem Treffen
Alle Schulden mir zu zahlen,
Wenn noch Eine Knospe träfe!

Da traf ihren weißen Busen
Eine schwere Rosenknospe.
Plötzlich öffnete die Knospe
Das Gefäß der Wohlgerüche,
Und – Ihr Mädchen, welch ein Wunder! –
Amor kam herausgesprungen:
Kleine anmuthsvolle Locken
Fielen von der zarten Scheitel;
Von den küssenswerthen Lippen
Träufelten die Küsse sichtbar,
Und ein Trupp verliebter Geister
War geschäftig, sie zu sammeln.

Mit vergnügten Wollustmienen
Lächelte der Götterknabe;
Schwebend flog er, wie ein Engel,
Zwischen mir und meinem Mädchen,
Welches voller Furcht und Schrecken
Hastig aus der Laub' entflohen.
Amor aber rief ihr freundlich:
»Kleines Närrchen, bist du blöde?
Bleib' nur, meinem Pfeil und Bogen
Wirst du, Mädchen, nicht entrinnen!

Plötzlich nahm er seinen Bogen,
Spannt' ihn; Doris ging im Garten
Furchtsam, blöde niedersehend.
Aber Amor flog ihr näher
Und befahl mir, daß sie's hörte:
»Liebling, pflücke Rosenknospen!
Laß mich sehn, ob deine Knospen
Wohl so gut, wie meine Pfeile,
Herzen treffen; laß doch sehen!«

Als ich aber Rosenknospen
Mir nun wieder pflücken wollte,
Fand ich – Freunde! – statt der vielen
Ueberall nur Eine Knospe!
Diese nahm ich, statt der vielen,
Und indem mich Amor winkte,
Und indem sie Amor küßte,
Ließ ich schnell die Knospe fliegen.

Kaum war sie der Hand entflogen,
Als der Wurf mich schon gereute;
Denn sie sank in Amors Arme,
Und ich dachte, meine Knospe
Hätte sie so stark getroffen,
Daß sie hurtig sterben würde,
Denn sie seufzte: »Welche Wunde!«

Amor aber lachte fröhlich,
Wies mit seinem kleinen Finger
Knosp' und Pfeil' und Wund' am Busen:
»Siehst du«, sprach er, »deine Knospe
Mußte diesen Pfeil verstecken,
Denn du solltest diese Lose,
Die mich oft, wie dich, verspottet,
Für die Spötterei bestrafen.
Küsse sie, nun wird sie küssen!«

O wie oft, wie süß, wie zärtlich,
Küßte mich die kleine Spröde,
Als sie Amors Vorwurf hörte!
Neuerfüllte Freudenthränen
Flossen von den schönen Wangen.

»Sammelt«, sprach der Gott der Liebe,
»Sammelt ihr, getreue Sylphen,
Diese Thränen, denn sie sollen
Mir die schönsten Küsse feuchten,
Daß sie frisch und reizend bleiben!«

Brüderlich vertraut und freundlich
Sprach mit uns der Gott der Liebe.
Könnt' ihn doch mein Pinsel malen,
Daß ihn alle Schönen sähen!
Könnt' ich doch die Sylphen alle,
Die auf Pfeil' und Bogen lachten,
Die um Kinn und Wangen schwärmten,
Mit der Göttersprache malen!
Könnt' ich doch den blöden Schönen
Die Erscheinung sichtbar machen!

Doch sie werden dem Erzähler
Meiner lieben Doris glauben;
Ja, sie werden Alles glauben,
Wenn sie künftig sehen werden,
Daß die Rosen nie verwelken,
Die auf ihrem Busen blühen!

Seiner Heimlichkeiten viele
Hat uns Amor da entdecket,
Eh' er schnell, vor unsern Augen,
Wieder in die Knospe flohe!

Drei Minuten nach dem Wunder
Blühten beide Wunderrosen,
In der schönsten Rosenblüthe,
Auf dem Busen meiner Doris!

 


 


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