Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Philaidilis

                      Philaidilis, die jüngste
Schülerinn der Grazien,
Achtete sich die geringste
Von den schönen Sterblichen.

Demuth lehrte sie zum Tempel
Ihrer Gottheit täglich gehn,
Allen Tugenden Exempel
War sie wohl so gut, als schön.

Gern sah sie in jene Welten;
Diese Welt war ihr voll Schmerz;
In den Spiegel sah sie selten
Nur so scharf, als in ihr Herz.

Welt! in dir ist kein Vergnügen,
Denkt sie still, und sagt es laut;
Sich und sie will sie besiegen,
Von dem Himmel eine Braut.

Sie beschließt dem Weltgetümmel
Zu entfliehn, in sich hinein,
Um auf Erden und im Himmel
Eine Heilige zu seyn.

Und seitdem, o Himmel! fielen
Ihre Locken ungerollt;
Ihren artigen Gespielen
Ließ sie Schmuck und Flittergold.

Ihren Anzug, ihr Geschmeide
Theilte sie den Armen aus;
Ihre Reden, ihre Freude
War der nahe Klosterschmaus!

Dichter sangen ihr Gesänge,
Dichtern hieß sie Lalage.
Liebesgötter eine Menge
Hüpften um die Grazie,

Seufzten, weinten, klagten, flehten,
Hielten ihre Hände fest;
Ihre Seufzerchen verwehten
Nicht der Nord und nicht der West.

Tief in sich hineingekehret
War umsonst die Schöne schön;
Dichter blieben ungehöret,
Liebesgötter ungesehn.

Fest dem schrecklichen Entschlusse
Nimmt sie nun die neue Tracht,
Und mit einem Liebeskusse
War die Heilige gemacht.

Pater noster gut zu beten
Lernte keine so geschwind;
Schwestern und Gewissensräthen
Folgete das gute Kind.

Und, in ihrer kleinen Zelle,
Vor sich einen Todtenkopf,
Droht ihr dennoch mit der Hölle
Pater Zipf und Pater Zopf.

Immer frömmer sie zu wissen,
Prüfen sie das gute Herz,
Nicht mit Puppen oder Küssen,
Nicht mit Zucker oder Scherz.

Ohne Noth auf ihre Stärke
Vorbereitet kommen sie,
Mit Emphelung guter Werke,
Jener späte, dieser früh.

Einst an einem Sommermorgen,
Desto fleißiger zu seyn
In den frommen Seelensorgen,
Traten sie zugleich hinein.

Hingeworfen auf den Knieen
Liegen Patres, lieget sie;
Ihrer Wangen Rosen blühen
Schöner diesen Morgen früh.

Das Gebet wird angefangen;
Pater Zipf und Pater Zopf
Sehen ihre Rosenwangen
Lieber, als den Todtenkopf.

Plötzlich aber störet Schimmer
Ihr Gebet, sie stürzen auf.
Amor steht in ihrem Zimmer!
Patres machen einen Lauf,

Machen Lerm; die Schwestern kommen;
Alle sehn den Sieger stehn
Auf dem Altar ihrer Frommen;
Aber sie wird nicht gesehn!

Eine schleyerhelle Wolke
Hatte sie der Zell entführt,
Wunderbar dem blöden Volke,
Welches keine Schönheit rührt.

 


 


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