Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Lied des Hirten

1772

        Ich bin ein Hirt, und will es bleiben;
Was bessers könnt' ich doch nicht seyn.
Die Wissenschaft, das Vieh zu treiben,
Und seines Lebens sich zu freun,

Hat vor der Wissenschaft, zu kriegen,
Viel Vortheil! Denn mein stilles Feld,
Mein leises Gehen, mein Vergnügen,
Und meine Ruhe hat kein Held!

Ein Held muß auf der Wache stehen!
Kein Wolf ist mehr auf meiner Flur;
Seitdem kann ich spatzieren gehen;
Wer Vieh treibt, der spatzieret nur;

Seitdem blick' ich zu jener Ferne
Des blauen Himmels ruhig auf!
Bewundre, zähle seine Sterne;
Der GOtt der Hirten geht darauf,

Und blickt herab auf seine Hirten,
Und sieht auch mich: so denk' ich dann,
Und stimme dann dem GOtt der Hirten
Ein armes stilles Loblied an!

Und denke dann: Wenn er es höret,
Dann blickt er gnädig niederwärts!
Und hört er's nicht; ey nu! so nähret
Mit guter Andacht sich mein Herz!

Sing' ihn, mein Herz! Du GOtt der Hirten,
Vortreflich bist du! Du bist groß!
Erhaben bist du, GOtt der Hirten,
Für einen Himmlischen zu groß,

Der tief in dir, und deinen Werken
Voll heiliger Betrachtung still
Dich bittet, seinen Blick zu stärken,
Und immer tiefer sehen will;

Und tiefer sieht, und nicht ergründet,
Wie groß du bist; auch ich, auch ich,
Den noch sein GOtt an Erde bindet,
O du, mein GOtt! ich sehe dich;

Ich sehe dich! – In deinen Sternen,
Du GOtt der Sterne, seh' ich dich!
In deiner Tiefen stillen Fernen,
Auf deinen Wolken, seh' ich dich!

Ich sehe dich! – Auf deiner Erde,
Du GOtt der Hirten, seh' ich dich!
Ich sehe dich bey meiner Heerde,
Bey meinem Lämmchen seh' ich dich!

Auf diesen Blumen, die es mähet,
Vernehm' ich deinen stillen Gang!
Den Gang, den deine GOttheit gehet,
Den geh' ich fröhlich mit Gesang;

Und will mit Lobgesang ihn gehen,
So lang' ein Odem in mir ist,
Und dich in deinen Werken sehen,
Und zeugen, wie so groß du bist!

Auf allen meinen Hirten-Gängen
Allgegenwärtig, Großer, mir,
Seh' ich dich, gnädig den Gesängen
Des Himmels dort, der Erde hier,

Uns allen deinen Segen geben,
Du, dieses Lebens guter Hirt,
Und glaube, daß aus diesem Leben
Ein ewig Leben keimen wird.

 


 


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