Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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An den Leser

          Die große Bibel der Natur
Liegt aufgeschlagen! Leser, lies!
Wenn du nicht viel willst, wenig nur!

Nacht, Nebel, Dunkel, Finsterniß
Ist nicht darin! Ein Rosenblatt,
Ist's gleich so klein, daß ihrer sieben
Nicht groß sind, Gottes Finger hat
Zum Lesen etwas drauf geschrieben!

Und zum Verstehen! Den Verstand,
Hineingelegt in diese Schrift,
Fälscht keines Schreibers schlechte Hand,
Und keines Jesuiten Gift!

Was einst nicht war, was ist gewesen,
Was ist, und seyn wird, kann Prophet,
Apostel, Pabst und Mufti lesen,
Und Mönch, und Derwisch! Alles steht
In dieser Bibel, Leser, lies!

Von Kirchenvätern, und Despoten,
Wird dir dies Lesen nicht verboten,
Und was du liesest, wird gewiß
Dich besser machen, wenn du besser
Zu werden fähig bist, und nur
Die uneröflichsten der Schlößer
Vor's Herz nicht legst, und auf der Spur,
Auf der man den Verstand verliert,
Auf welcher dich an ihrer Schnur,
Die Dummheit in die Hölle führt,
Nicht wandelst.
                            Aller Creatur,
Der ältesten, der alten, und der neuen,
Schrieb sie der Schöpfer der Natur!

Sie liegt vor Priestern und vor Layen,
In jeder, auch der kleinsten Welt,
Die eine Milbe kaum bewohnt,
Im heißen Mars, im kalten Mond,
An festlichen, an allen Tagen,
Vor deinen Augen aufgeschlagen,
Und ist zu lesen, nicht für Geld!
Wenn's nur hineinzusehn gefällt!

Der kleinen und der großen Blätter
Für Erdenwurm, und Erdengötter,
Am Bloksberg, und am Ararat,
Und für die tausend Nationen,
Die auf der kleinen Erde wohnen,
Hat sie, bey tausend Trillionen!
Und oben steht, auf jedem Blatt:
Es ist ein Gott!

 


 


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