Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Das schöne Glas

An die Freunde, die meinen sechzigsten Geburtstag feierten

        Hier am Tische will ich sterben!
Sterbend halt' ich noch dies Glas!
Und empfehl' es meinen Erben,
Als den wichtigsten Verlaß!

Unterm Schlüssel wohl verwahren
Solls der Trinker, ders ererbt.
Daß es nach zehn tausend Jahren
Noch ein Glas ist, unverderbt!

Und wenn Engelchöre kommen,
Die den Trinker sterben sehn,
Werd' es in die Hand genommen,
Und gesagt: das Glas ist schön!

Aus dem Glase zu den Sternen
Aufgeflogen ist mein Geist!
Weise Trunkenheit zu lernen,
Bracht' ichs meinem lieben Kleist!

Bracht' ichs allen meinen Lieben,
Die getreu geblieben sind,
Und sich in den Tod betrüben
Um ein falsches Menschenkind.

Nüchtern könnt' ich nimmer bleiben,
Immer winkte mir das Glas!
Nüchtern wollt' ich Liebe schreiben,
Und, ihr Lieben! ich schrieb Haß!

Nehmts in Acht, ihr meine Lieben;
Seht, es ist ein schönes Glas!
Ihr seid mir getreu geblieben;
Euch vermach' ichs! Wißt ihr was?

Einmal täglich sollt ihrs nehmen,
Bis zum zweiten im April!
Und der Trinker soll sich schämen,
Ders von euch nicht nehmen will.

Einmal täglich sollt ihrs leeren,
Bis zum zweiten im April!
Dem zu Liebe, dem zu Ehren,
Welcher besser werden will!

Aber einst bin ich gestorben;
Und dann hat ein andrer Tag
Größre Rechte sich erworben,
Fest zu sein und Lustgelag!

Und an diesem andern Tage,
Leerts, und liebet euren Freund!
Leerts, und leerts, und jeder sage:
Treu, wie Gleim, war ich ein Freund!

 


 


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