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15.
Ruhe

Als Michael am nächsten Morgen aus tiefem Schlaf erwachte, war sein erster Gedanke: ›Fleur ist zurück!‹ Dann erinnerte er sich.

Auf seine an der Tür geflüsterte Frage: »Alles in Ordnung?« erwiderte die Pflegerin mit energischem Kopfnicken.

Trotzdem er sich in erregter Spannung befand, blieb er doch so weit modern, daß er sich sagte: ›Keine Sentimentalität mehr! Geh und nimm in Ruhe dein Frühstück!‹

Im Speisezimmer saß Soames, der das aufgeschlagene Ei verächtlich weggeschoben hatte. Als Michael eintrat, sah er empor und beugte dann das Gesicht tief über seine Tasse. Michael begriff sofort: sie waren ja Hand in Hand gesessen! Er bemerkte auch, daß die Zeitung, die aufgeblättert neben seinem Teller lag, ein Finanzblatt war.

»Steht etwas über die Versammlung drin, Sir? Ihre Rede muß sich ja großartig lesen!«

Mit einem merkwürdigen, gepreßten Laut hielt ihm Soames die Zeitung hin. Die Überschriften lauteten: ›Stürmische Versammlung – Rücktritt zweier Aufsichtsräte – ein Vertrauensvotum.‹ Michael überflog die Zeilen, bis er zu folgendem kam:

›Mr. Forsyte, der in die Affäre verwickelte Aufsichtsrat, erklärte in einer etwas länglichen Rede, daß er nicht die Absicht habe, klein beizugeben. Er mißbilligte die Vorgangsweise der Aktionäre; er sei es nicht gewöhnt, sich Verdächtigungen bieten zu lassen. Er bot seinen Rücktritt an.‹

Michael ließ das Blatt sinken. »Herrgott!« sagte er, »›verwickelt – Verdächtigungen‹! Sie haben es so herumgedreht, als ob – –!«

»Diese Zeitungen!« bemerkte Soames und machte sich wieder an das Frühstücksei.

Michael setzte sich hin und schälte eine Banane. ›Nichts machte ihm so viel Ehre wie sein Tod‹, dachte er; ›armer alter Knabe!‹

»Nun, Sir«, sagte er, »ich war dort, und ich kann nur sagen: Sie und mein Vater waren die einzigen, die mir Achtung eingeflößt haben.«

»Pah!« erklärte Soames und legte seinen Löffel weg.

Michael empfand, daß er allein zu sein wünschte, verschlang die Banane und ging in sein Arbeitszimmer. Während er darauf wartete, zu Fleur gerufen zu werden, klingelte er seinen Vater an.

»Wie fühlen Sie sich nach dem gestrigen Tag, Sir?«

Sir Lawrences ziemlich hohe Stimme erklang zwar schwach, doch deutlich.

»Ärmer und weiser. Wie lautet das Bulletin?«

»Tip-top.«

»Unsere Grüße an beide! Deine Mutter möchte wissen, ob er Haare hat.«

»Hab ihn noch nicht gesehen. Ich bin gerade im Begriff.«

Tatsächlich winkte ihm Annette von der Tür her.

»Du sollst ihr den kleinen Hund bringen, mon cher.«

Auf den Fußspitzen und Ting-a-ling unter dem Arm, trat Michael ein. Der elfte Baronet! Er schien noch nicht sehr viel vorzustellen, wie Fleur so den Kopf über ihn beugte. Und ihr Haar war auch dunkler, ganz gewiß! Er ging auf das Bett zu und berührte es ehrfürchtig.

Fleur erhob den Kopf und ließ ihn das Kind sehen, das heftig an ihrem kleinen Finger lutschte. »Ist es nicht ein Äffchen?« fragte sie mit schwacher Stimme.

Michael nickte. Ganz recht, ein Affe – aber ob's auch ein weißer war – das war die Frage!

»Und wie geht es dir, mein Liebstes?«

»Jetzt ganz gut, aber es war – –« Sie zog den Atem ein, und ihre Augen verdunkelten sich. »Ting, sieh nur!«

Der chinesische Hund, der die Nüstern leise schnuppernd bewegte, stemmte sich unter Michaels Arm zurück. Sein ganzes Benehmen verriet den kundigen Kritiker. ›Junge‹, schien er zu sagen, ›die machen wir in China auch. Endgültiges Urteil vorbehalten!‹

»Was für Augen!« sagte Michael. » Dem brauchen wir nicht zu sagen, daß es der Storch gebracht hat.«

Fleur lachte ganz schwach und leise. »Stell ihn wieder hin, Michael«

Michael stellte ihn hin, und Ting-a-ling ging in seine Ecke.

»Ich darf nicht sprechen«, sagte Fleur, »aber ich möcht es schrecklich gern – als wär ich monatelang stumm gewesen.«

›Genau so, wie ich mir's vorgestellt habe‹, dachte Michael, ›sie ist irgendwo weggewesen, irgendwo weit weg, ganz weit weg.‹

»Es war, als hätte man mich niedergehalten, Michael. Als wär ich monatelang nicht ich selbst gewesen.«

Michael sagte leise: »Jawohl! Die ganze Sache ist tatsächlich altmodisch! Hat er Haare? Meine Mutter möchte es wissen.«

Fleur enthüllte den Kopf des elften Baronet, der mit dunklem Flaum bedeckt war.

»So wie meine Großmutter, aber es wird heller werden. Seine Augen werden grau sein. O Michael, die Paten? Alison natürlich – aber welche Männer?«

Michael überlegte ein wenig, ehe er erwiderte: »Gestern empfing ich einen Brief von Wilfrid. Möchtest du ihn? Er ist noch immer dort, aber ich könnte für ihn in der Kirche den Schwamm halten.«

»Ist er wieder vernünftig?«

»Das schreibt er.«

Er konnte den Ausdruck ihrer Augen nicht lesen, doch ihre Lippen verrieten ein leises Schmollen.

»Ja«, entgegnete sie, »und ich glaube, ein Pate ist genug, nicht wahr? Meiner hat mir nie etwas geschenkt.«

»Mir hat der eine eine Bibel geschenkt und der andere hat mir den Kopf gewaschen. Also Wilfrid.« Und er beugte sich über sie.

In ihrem Blick schien eine leise, ironische Entschuldigung zu liegen. Er küßte sie aufs Haar und wandte sich rasch ab.

Soames stand an der Tür und wartete, bis die Reihe an ihn käme.

»Nur noch eine Minute, Sir«, sagte die Pflegerin.

Soames schritt auf das Bett zu und stand da, seine Tochter betrachtend.

»Lieber Papa!« hörte Michael sie flüstern.

Soames berührte nur ihre Hand, nickte, als wollte er sagen: ›Ich bin mit dem Kind zufrieden‹, und als er zurückkam, sah Michael in einem Spiegel, wie seine Lippen bebten.

Wieder unten im Erdgeschoß, konnte er kaum den Wunsch unterdrücken zu singen. Aber das ging doch nicht. Er betrat das chinesische Zimmer und starrte auf den sonnbestrahlten Platz hinaus. Mein Gott! Es war doch schön zu leben! Man konnte sagen, was man wollte, aber es ging doch nichts darüber! Sie konnten über das Leben die Nase rümpfen und hochmütig darauf hinabsehen; sie konnten die Zukunft rühmen oder die Vergangenheit – er hielt sich an die Gegenwart!

›Ich werd den weißen Affen wieder aufhängen‹, dachte er. ›In Zukunft soll mich das Biest nicht verstimmen!‹

Er ging zu dem kleinen Verschlag unter der Treppe und zog das Bild unter vier Paar Vorhängen heraus, die durch Packpapier und Mottenpulver geschützt waren. In dem Zwielicht hielt er es vor sich hin. Die Augen des Tieres! Alles lag in diesen Augen!

»Tut nichts, alter Freund!« sagte er, »du wirst wieder aufgehängt!« Und er trug das Bild in das chinesische Zimmer.

Soames war dort.

»Ich häng ihn wieder auf, Sir.«

Soames nickte.

»Möchten Sie ihn halten, während ich den Draht in den Haken hänge?«

Soames hielt das Bild empor.

Michael stieg wieder auf den kupfernen Fußboden hinunter und trat zurück.

»Fertig, Sir!«

Soames stellte sich neben ihn. Seite an Seite betrachteten sie den weißen Affen.

Endlich sagte Michael: »Er wird nicht eher glücklich sein, bis er es bekommt. Nur daß er nicht weiß, was dieses Es ist.«


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