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3.
Nachmittag einer Dryade‹

Fleur verhüllte noch immer unter einem anmutigen Äußern das meiste von dem, das Michael ›den elften Baronet‹ nannte, der in etwa zwei Monaten erwartet wurde. Sie schien sich in Körper und Geist dem ruhigen und beständigen Wachstum des Erben anzupassen. Michael wußte, daß sie von Anfang an, den Instruktionen ihrer Mutter folgend, das Geschlecht des Kindes beeinflußt hatte, indem sie jeden Abend vor dem Schlafengehen und jeden Morgen nach dem Erwachen die Worte wiederholte: ›Tag für Tag wird er in jeder Hinsicht immer männlicher.‹ So beeinflußte sie das Unterbewußte, das, wie jeder jetzt sagte, den Gang der Ereignisse kontrollierte; und sie enthielt sich der Worte: ›Ich will einen Jungen‹, denn dies rief, wie jeder sagte, eine Reaktion hervor und schuf die Möglichkeit, daß es ein Mädchen werde. Michael bemerkte, daß sie sich mehr und mehr ihrer Mutter zuwandte, als hätte der körperliche Prozeß das Französische oder mehr Naturalistische in ihr ganz in den Vordergrund gedrängt. Sie war häufig in Mapledurham, wobei sie Soames' Auto benützte, und ihre Mutter war oft in South Square. Die Anwesenheit der hübschen Annette, die so gern schwarze Spitzen trug, war Michael sehr angenehm, der niemals vergaß, daß sie in jenen Tagen, als seine Sache eine verlorene war, für ihn Partei ergriffen hatte. Obgleich er sich immer noch erst auf der Schwelle von Fleurs Herzen fühlte und ganz darauf vorbereitet war, dem elften Baronet gegenüber die zweite Geige zu spielen, so war ihm doch unendlich viel leichter zu Mute, seit Wilfrid fort war. Und er beobachtete mit einer Art amüsierter Bewunderung, wie sie ihre ganzen sammelnden Kräfte auf ein Objekt konzentrierte, das keiner Epoche angehörte, auf einen Prozeß, der nicht antiquiert war.

Von Aubrey Greene persönlich geführt, verließ die Expedition zur Besichtigung der Ausstellung in der Dumetrius-Galerie den South Square nach einem zeitigen Lunch.

»Deine Dryade kam heute morgen zu mir, Aubrey«, sagte Michael im Wagen. »Ich soll dich bitten, daß du es bestreitest, wenn zufällig ihr Gatte hereingeschneit käme, um dich zu beschuldigen, daß du seine Frau gemalt hättest. Es scheint, daß er eine Reproduktion des Bildes gesehen hat.«

»Hm!« murmelte der Maler. »Soll ich, Fleur?«

»Natürlich. Das mußt du, Aubrey.«

Aubrey Greenes Lächeln glitt von ihr zu Michael.

»Na, wie heißt er denn?«

»Bicket.«

Aubrey Greene blickte ins Weite und murmelte langsam:

»Ein zorniger Gatte und Brite
Schrie: ›Umdrehn! Du kriegst ein paar Tritte!
  Nackt malst du mein Weib
  Wie sie lebt und leibt:
Das nennst du am End gute Sitte?!‹«

»Aber Aubrey!«

»Hör auf!« sagte Michael. »Ich spreche ganz im Ernst. Sie ist ein sehr mutiger, kleiner Kerl. Sie hat das Geld verdient, das sie beide brauchen, und ist dabei anständig geblieben.«

»So weit ich in Betracht komme, bestimmt.«

»Na, das will ich meinen.«

»Warum, Fleur?«

»Du bist doch kein Verführer, Aubrey!«

»Tatsache ist, daß sie immerhin mein ästhetisches Gefühl erregt hat.«

»Das würde sie vor manchem Ästheten nicht schützen«, murmelte Michael.

»Auch kommt sie aus der Vorstadt.«

»Das ist wirklich ein Grund. Also wenn Bicket hereinschneit, wirst du doch die Sache abstreiten, nicht wahr?«

Aubrey Greene legte die Hand aufs Herz. »Und da sind wir auch schon angekommen!«

Aus Rücksicht auf den elften Baronet hatte Michael eine Stunde gewählt, wo die eigentlichen Gönner Aubrey Greenes noch beim Lunch saßen. Nur ein junger Mann mit einem Struwwelkopf und drei blaßgrüne Mädchen wanderten einsam zwischen den Bildern. Der Maler führte Fleur und Michael sofort vor sein Meisterwerk; und während einiger Minuten standen sie in einer ganz schicklichen Erstarrung da. Gleich in Lobeshymnen auszubrechen, würde nicht angehen; erst zu spät den Mund aufzutun, würde genau so taktlos sein. Zuviel Komplimente machen würde auf die Nerven gehen; einfach kühl zu murmeln: ›Sehr nett – wirklich sehr nett!‹ würde vielleicht Hoffnungen zunichte machen. Einfach grob heraus zu sagen: ›Na, weißt du, lieber Freund, offen gestanden gefällt es mir absolut nicht!‹ würde ihn giften.

Schließlich zwickte Michael Fleur sanft, und sie sagte: »Es ist wirklich »entzückend, Aubrey, und so ähnlich – wenigstens –«

»So weit man es beurteilen kann. Aber wirklich, lieber Junge, du hast sie getroffen, wie sie leibt und lebt. Ich fürchte, auch Bicket wird diesen Eindruck haben.«

»Zum Teufel! Wie findet Ihr die Abtönung der Farben?«

»Prachtvoll, besonders den Fleischton; glaubst du nicht auch, Fleur?«

»Ja, nur den Schatten da an der Seite hätte ich mir ein wenig tiefer gewünscht.«

»Glaubst du?« murmelte der Maler, »vielleicht.«

»Du hast den Geist erfaßt«, sagte Michael. »Aber ich werd dir was sagen, lieber Freund, jetzt hast du was zu erwarten – das Bild hat nämlich eine Idee. Ich weiß nicht, wie dich die Kritiker hernehmen werden.«

Aubrey Greene lächelte. »In dieser Beziehung hat sie einen schlechten Einfluß auf mich geübt. Sie hat mich verführt. Eine Idee zu bekommen, ist fatal.«

»Ich, für meine Person, kann dem nicht zustimmen; du, Fleur?«

»Natürlich nicht, man darf es nur nicht aussprechen.«

»Hohe Zeit, daß wir's täten, anstatt in Verehrung zu ersterben vor dem Café C'rillon. Weißt du, das Haar ist gut getroffen und auch die Zehen – sie biegen sich ordentlich, wenn man sie anschaut.«

»Man atmet ordentlich auf, daß einmal die Beine nicht als klecksige Vierecke gemalt sind. Die Asphodelen erinnern mich beinahe an die Blumen bei Leonardos ›Madonna in den Felsen‹, Aubrey.«

»Das ganze ist ein wenig in der Art Leonardos, lieber Freund. Das mußt du noch überwinden.«

»Aubrey, mein Vater hat es gesehn. Ich glaube, er hat angebissen. Etwas, das du über unsern weißen Affen gesagt hast, erinnerst du dich, hat Eindruck auf ihn gemacht.«

Aubrey Greene warf die Hände in die Höhe. »Ah! Der weiße Affe – den gemalt zu haben! Die Frucht essen und die Schalen wegschmeißen und in den Augen die Frage: ›Wozu dies alles?‹«

»Eine Moral!« sagte Michael. »Hüte dich, alter Freund! Also, unser Taxameter wartet, das läuft ins Geld; wir wollen Aubrey seinem Gewissen überlassen.«

Als sie wieder im Taxi saßen, ergriff er ihren Arm.

»Der arme kleine Teufel, der Bicket! Nimm an, daß ich dich zufällig so wiedersehen würde, wie er seine Frau finden wird!«

»Ich würde nicht halb so hübsch aussehn.«

»O doch, viel hübscher; obgleich sie recht hübsch ist, das muß ich schon zugeben.«

»Warum soll dann Bicket etwas dagegen haben in dieser emanzipierten Zeit?«

»Warum? Du lieber Gott, mein Herz! Du glaubst doch nicht, daß Bicket – –! Ich meine, wir emanzipierten Menschen bilden uns nachgerade ein, daß wir die Welt repräsentieren; na, das tun wir natürlich nicht, wir sind nur eine häßliche, lärmende Minorität. Wir reden, als ob alle alten Werte und Vorurteile überwunden wären; aber sie sind ebensowenig verschwunden wie die eintönigen Reihen von Villen und kleinen grauen Häuser in der Vorstadt.«

»Warum regst du dich so auf, Michael?«

»Ja, weißt du, Liebling, mir ist die Haltung unserer Gesellschaft schon recht zuwider. Wenn an der Emanzipation etwas Wahres wäre, dann ginge es noch an; aber es ist nichts Wahres dran. Es ist nicht einmal zehn Prozent Unterschied zwischen heute und der Zeit vor dreißig Jahren.«

»Wie kannst du denn das wissen? Du warst doch damals noch nicht auf der Welt.«

»Nein, aber ich lese die Zeitungen und spreche mit dem gemeinen Volk und studiere die Gesichter der Leute. Unsere Clique glaubt, daß sie das Tischtuch ist, aber sie ist nur die Bordüre. Weißt du, daß nur hundertfünfzigtausend Leute in diesem Land jemals eine Beethoven-Symphonie gehört haben? Und wie viele, glaubst du, halten den alten Beethoven für antiquiert? Fünftausend vielleicht von zweiundvierzig Millionen. Wie reimt sich das mit Emanzipation?«

Er schwieg, da er sah, daß sie die Augen gesenkt hielt.

»Ich habe gerade darüber nachgedacht, Michael, daß ich die Vorhänge in meinem Schlafzimmer gerne gegen blaue vertauschen möchte. Gestern hab ich bei Harton gerade die rechte Nuance gesehn. Man sagt, daß Blau eine beruhigende Wirkung auf die Seele ausübt – meine Vorhänge sind wirklich zu grell.«

Der elfte Baronet!

»Alles, was dir Freude macht, Liebling! Laß die Decke blau malen, wenn es hilft.«

»Ach nein, aber ich glaube, ich werd einen andern Teppich anschaffen. Harton hat so ein entzückendes Kobaltblau.«

»Dann kauf es. Möchtest du jetzt hinfahren? Ich kann mit der Untergrundbahn ins Bureau zurück.«

»Ja, ich glaube, das wird das beste sein, sonst kauft es mir noch jemand weg.«

Michael streckte den Kopf zum Fenster hinaus. »Zu Harton, bitte!« Und seinen Hut wieder aufsetzend, sah er sie an. Emanzipiert!


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