Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Vierzehntes Kapitel.

Die Ankunft des Wundarztes. Seine Operationen und ein langes Gespräch zwischen Sophien und ihrem Kammermädchen.

Als sie in dem Hause Western's ankam, sank Sophie, die mit großer Anstrengung bis dahin gewankt war, auf ihren Stuhl, wurde aber durch Anwendung von Hirschhorn und Wasser verhindert, in Ohnmacht zu fallen und hatte sich ziemlich wieder erholt, als der Wundarzt ankam, nach dem für Jones geschickt worden war. Western, der diese Symptome an seiner Tochter dem Falle derselben zuschrieb, rieth ihr aus Vorsorge, sich eine Ader öffnen zu lassen. In dieser Meinung wurde er von dem Wundarzte 195 unterstützt, der so viele Gründe für das Aderlassen angab und so viele Fälle anführte, in denen Personen aus Vernachlässigung eines Aderlasses gestorben sein sollten, daß der Squire endlich darauf bestand, seiner Tochter müsse eine Ader geöffnet werden.

Sophie fügte sich dem Befehle ihres Vaters, obgleich ganz gegen ihre Neigung, denn sie fürchtete wohl weniger Gefahr von dem Schrecke als ihr Vater oder der Chirurg. Sie streckte also ihren schönen Arm aus und der Chirurg begann die Vorbereitungen zu seiner Arbeit.

Während die Diener emsig Materialien herbeischafften, begann der Chirurg, welcher die Abneigung Sophiens ihrer Furcht vor der Operation zuschrieb, sie durch die Versicherung zu beruhigen, daß nicht die geringste Gefahr dabei sei, denn es könne bei dem Aderlaß nur durch gräßliche Unwissenheit von Pfuschern ein Unfall herbeigeführt werden, was bei ihm, wie er deutlich zu verstehen gab, nicht zu fürchten sei. Sophie erklärte, sie fürchtete sich durchaus nicht und setzte hinzu: »ich werde Ihnen sogar verzeihen, wenn Sie mir eine Schlagader öffnen.« – »Das willst Du?« rief Western; »ich thu's nicht. Wenn er Dir im Geringsten ein Leid thut, Gott verdamm' mich! so zapfe ich ihm sein Herzblut ab.« Der Chirurg willigte ein, ihr unter diesen Bedingungen eine Ader zu öffnen und schritt sodann zu seiner Operation, die er so geschickt und so schnell verrichtete, wie er versprochen hatte. Er nahm ihr auch nur wenig Blut, denn er sagte, es sei besser, öfters zur Ader zu lassen, als viel Blut auf einmal wegzunehmen.

Sophie entfernte sich, als ihr Arm verbunden war, denn bei dem Verbande Tom Jones' mochte sie nicht zugegen sein, was sich eigentlich wohl auch nicht schickte. Ein Grund, den sie gegen das Aderlassen hatte (ob sie ihn gleich nicht aussprach), war die Verzögerung der Einrichtung 196 des gebrochenen Armes. Western nahm, so lange es sich um Sophien handelte, nur auf diese Rücksicht und Jones saß da, »wie die Geduld auf einem Denkmale, im Schmerz lächelnd,« und dachte, als er Sophiens Blut spritzen sah, kaum an das, was ihm zugestoßen war.

Der Chirurg befahl nun, seinen Patienten bis auf das Hemd auszuziehen, entblößte sodann den Arm ganz und fing an, denselben so zu ziehen und zu untersuchen, daß Jones vor Schmerz einige Male das Gesicht verzog, worüber sich der Chirurg wunderte, der sagte: »was haben Sie? Ich kann Ihnen doch unmöglich weh thun.« Dann hielt er den Arm ausgestreckt und begann eine gelehrte lange Vorlesung über Anatomie, worin er einfache und doppelte Brüche sehr genau behandelte, auch die verschiedenen Arten angab, wie Jones den Arm hätte brechen können und bemerkte, welche besser und welche schlimmer als der vorliegende Fall gewesen sein würden.

Als die Rede geendiget war, welche die Zuhörer, ob sie gleich die Aufmerksamkeit und Bewunderung derselben erregte, nicht sehr erbauete, da sie keine Sylbe davon verstanden, ging er an sein Geschäft, das er schneller beendigte, als man nach dem Anfange hätte erwarten sollen.

Jones wurde dann in ein Bett gebracht, das er in dem Hause Western's annehmen mußte, und zum Genusse von Hafergrütze verurtheilt.

In der Gesellschaft, welche dem Verbinden beigewohnt, hatte sich auch Jungfer Honour befunden, die nach Beendigung der Operation zu dem Fräulein beschieden und gefragt wurde, wie sich der junge Herr befinde. Sie begann sogleich eine ungeheuere Lobeserhebung seines hochherzigen Benehmens, wie sie es nannte, das »an einem so hübschen Manne ganz bezaubernd gewesen.« Dann rühmte sie noch wärmer die Schönheit seiner Person, zählte manche 197 besondere Punkte auf und schloß mit der Weiße seiner Haut.

Diese Erzählung hatte eine Wirkung auf Sophiens Gesicht, welche der Beobachtung des klugen Kammermädchens nicht entgangen sein würde, hätte sie die Gebieterin einmal angesehen; da aber ein Spiegel, der ihr recht bequem gegenüber hing, ihr Gelegenheit gab, jene Züge zu betrachten, die ihr vor allen am meisten gefielen, so wendete sie während der ganzen Erzählung ihre Augen von diesem liebenswürdigen Gegenstande auch nicht einmal ab.

Jungfer Honour war so ganz in den Gegenstand, der ihre Zunge in Bewegung setzte und in den Gegenstand vor ihr so vertieft, daß ihre Gebieterin Zeit fand, sich zu beherrschen. Als dies geschehen war, lächelte sie ihr Mädchen an und sagte, sie sei gewiß in den jungen Herrn verliebt. »Ich verliebt, Fräulein?« antwortete sie, »auf mein Wort, Fräulein, ich versichere Sie, Fräulein, bei meiner Seele, Fräulein, ich bin es nicht.« – »Nun ich sehe, wenn Du es auch wärest, keinen Grund, warum Du Dich dessen schämen solltest; denn er ist gewiß ein hübscher Herr.« – »Ja, Fräulein,« antwortete das Mädchen, »das ist er, der schönste Mann, den ich in meinem Leben gesehen habe. Ja, das ist er, und wie das Fräulein sagen, ich wüßte nicht, warum ich mich schämen sollte in ihn verliebt zu sein, ob er gleich vornehmer ist als ich. Vornehme Leute sind aber auch nur Fleisch und Bein wie wir Dienstleute. Herr Jones war, ob ihn gleich Herr Allworthy zu einem Herrn gemacht hat, von Geburt noch nicht einmal so viel als ich, denn ob ich gleich arm bin, so bin ich doch ehrlicher Leute Kind und mein Vater und meine Mutter waren verheirathet, was mehr ist, als was manche Leute sagen können, so hoch sie auch die Nase tragen. Wenn gleich seine Haut so weiß und gewiß die weißeste ist, die jemals 198 gesehen wurde, so bin ich doch auch eine Christin und Niemand kann sagen, ich sei von schlechter Herkunft. Mein Großvater war ein Pfarrer. Er würde gewiß unwirrsch geworden sein, hätte ihm Jemand gesagt, Jemand aus seiner Familie solle nehmen, was Molly Seagrim schon gehabt.«

Vielleicht ließ Sophie ihr Mädchen so schwatzen, weil es ihr an Muth gebrach, ihr Stillschweigen zu gebieten, was gewiß, wie der Leser sich denken kann, keine leichte Aufgabe war, denn es waren Stellen in der Rede, die der Dame nicht eben angenehm sein konnten. Jetzt unterbrach sie dieselbe aber, da der Strom der Worte unerschöpflich zu sein schien. »Ich wundere mich« sagte sie, »daß Du so von einem Freunde meines Vaters zu sprechen wagst. Den Namen jenes Mädchens sprichst Du vor mir nie wieder aus und was die Geburt des jungen Herrn betrifft, so mögen die, welche nicht mehr zu seinem Nachtheile kennen, auch darüber schweigen, wie ich Dir für die Zukunst befehle.«

»Es thut mir leid, daß ich das Fräulein beleidiget habe,« antwortete das Mädchen. »Ich hasse die Molly Seagrim so sehr, wie Sie, und was das Uebelreden von Herrn Jones betrifft, so kann ich alle Leute im Hause zu Zeugen anrufen, daß ich stets seine Partie genommen habe, wenn von unehelichen Kindern die Rede gewesen ist; denn wer von Euch möchte kein solches sein wollen, sage ich zu dem Bedienten, wenn er zu einem Herrn gemacht werden könnte? Er ist ein sehr feiner Herr, sage ich, und er hat eine der weißesten Hände von der Welt; er ist einer der gutmüthigsten und sanftesten Männer von der Welt, sage ich, und alle Dienstleute und Nachbarn in der Runde lieben ihn, sage ich. Ich könnte dem gnädigen Fräulein auch etwas sagen, aber ich fürchte, Sie zu beleidigen.« – »Was könntest Du mir sagen, Honour?« fragte Sophie. – »Er dachte sich gewiß nichts dabei, Fräulein, und deshalb möchte 199 ich Sie nicht beleidigen.« – »Ich will es wissen,« wiederholte Sophie. – »Nun, gnädiges Fräulein, er kam vorige Woche einmal in das Zimmer, als ich bei der Arbeit saß und da lag Ihr Muff auf dem Stuhle und er steckte die Hand hinein, wahrhaftig, in denselben Muff, den Sie mir gestern schenkten. Herr Jones, sagte ich, Sie werden den Muff des Fräuleins ausweiten und verderben; aber er behielt doch seine Hände drinn und küßte ihn, wahrhaftig, ich sah in meinem ganzen Leben keinen solchen Kuß, wie er ihm gab.« – »Er wußte wahrscheinlich nicht, daß er mir gehörte,« antwortete Sophie. – »Das Fräulein werden gleich hören. Er küßte den Muff wieder und wieder und sagte, es sei der schönste Muff von der Welt. Sie haben ihn ja hundert Mal gesehen, Herr Jones, sagte ich. Ja, Mamsell Honour, sagte er, aber wer kann etwas Schönes in Beisein Ihrer Gebieterin sehen als sie selbst..– Das ist noch nicht alles. Aber ich hoffe, das Fräulein werden es nicht übel nehmen, denn er dachte sich gewiß nichts dabei. Eines Tages, als das gnädige Fräulein vor dem Herrn auf der Harfe spielten, saß Herr Jones in dem Nebenzimmer und sah recht melancholisch aus. Nun, Herr Jones, was fehlt Ihnen? fragte ich. Woran denken sie? – An was soll ich denken, sagte er, indem er wie aus einem Traume auffuhr, wenn der Engel, Ihre Gebieterin, spielt? Dann nahm er mich an der Hand und sagte: ach, Mamsell Honour, sagte er, wie glücklich wird der Mann sein . . . und dann seufzete er. Wahrhaftig, sein Athem ist so würzig, wie der Duft eines Blumenstraußes. Er dachte sich aber gewiß nichts Böses dabei und ich hoffe deshalb auch, das gnädige Fräulein werden nichts davon erwähnen, denn er gab mir eine Krone, damit ich nichts sage und ich mußte auf ein Buch schwören; die Bibel war es aber wohl nicht.«

Bis ein schöneres Roth als Zinnober gefunden wird, 200 sage ich von der Farbe Sophiens bei dieser Gelegenheit nichts . . . – »Honour,« sagte sie, »ich – wenn Du dies nicht wieder gegen mich erwähnen willst – noch gegen sonst Jemanden – will ich Dich nicht verrathen, d. h. Dir nicht zürnen, aber vor Deiner Zunge fürchte ich mich. Warum gestattest Du ihr so viel Freiheit?« – »Lieber wollte ich mir die Zunge ausreißen, gnädiges Fräulein, als Sie beleidigen. Ich werde kein Wort wieder erwähnen, wenn es das Fräulein nicht befehlen.« – »Ich verlange, daß Du nichts wieder davon erwähnst,« sagte Sophie, »denn es könnte meinem Vater zu Ohren kommen und er würde mit dem Herrn Jones zürnen, ob ich gleich wirklich auch glaube, daß er sich nichts dabei dachte. Ich würde selbst zürnen, wenn ich glaubte . . .« – »Gewiß, Fräulein, er dachte sich nichts dabei. Es war mir, als spreche er wie Jemand, der nicht recht bei Sinnen ist; er sagte, wenn mir recht ist, selbst, er sei nicht recht bei Sinnen. Das glaube ich auch, sagte ich. Ja, sagte er, Honour. – Aber ich bitte das gnädige Fräulein um Verzeihung; ich könnte meine Zunge herausreißen, wenn ich Sie beleidige.« – »Sprich nur weiter,« sagte Sophie, »Du kannst alles sagen, was Du mir noch nicht erzählt hast.« – »Ja, Honour, sagte er (das war später, als er mir die Krone gab), ich bin weder ein solcher Narr, noch ein solcher Bube, um sie anders anzusehen, als eine Göttin; als solche werde ich sie immer anbeten und verehren, so lange ich athme. Das war alles, gnädiges Fräulein, so viel ich mich erinnere. Ich war selbst böse auf ihn, bis ich sah, daß er nichts Uebeles dabei beabsichtigte.« – »Ich glaube, Honour, daß Du mich wirklich liebst. Ich war übellaunig gestern, als ich Dir den Dienst aufkündigte; wenn Du bei mir bleiben willst, so habe ich nichts dagegen.« – »Ich werde nie wünschen, das gnädige Fräulein zu verlassen,« antwortete 201 Jungfer Honour. »Ich habe mir fast die Augen ausgeweint, als Sie mir den Dienst aufsagten. Es würde sehr undankbar von mir sein, wenn ich wünschte, das gnädige Fräulein zu verlassen; wo sollte ich wieder einen so guten Dienst finden? Ich möchte bei Ihnen leben und sterben, denn wie der arme Herr Jones sagte, glücklich der Mann . . .«

Hier unterbrach die Tischglocke ein Gespräch, das solchen Einfluß auf Sophien gehabt hatte, daß sie dem Aderlaß vielleicht mehr verdankte, als sie wahrscheinlich glaubte. Was ihren damaligen Gemüthszustand betrifft, so werde ich einer Regel des Horaz folgen und ihn nicht zu beschreiben versuchen, weil ich nicht hoffen kann, daß mir es gelingt. Die meisten meiner Leser werden sich denselben leicht vorstellen können und die wenigen, die dies nicht vermögen, würden eine Beschreibung, wenn sie auch noch so gut gelungen, doch nicht für natürlich halten.

 

Ende des ersten Theiles.


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