Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Sechstes Kapitel.

Enthält noch einen bessern Grund zu den erwähnten Ansichten und Meinungen.

Man muß also wissen, daß die beiden gelehrten Männer, die in der letzten Zeit eine so große Rolle auf der Bühne dieser Geschichte gespielt haben, gleich nach ihrer Ankunft in Allworthy's Hause so große Vorliebe, der eine für dessen Tugend, der andere für seine Religion gefaßt hatten, daß sie sich so innig als möglich ihm anzuschließen gedachten.

In dieser Absicht hatten sie ihre Augen auf die schöne Wittwe geworfen, die der Leser gewiß nicht vergessen hat, wenn sie auch eine Zeit lang von uns nicht erwähnt worden ist. Madame Blifil war das Ziel, das sie zu erreichen strebten.

Es mag merkwürdig scheinen, daß von vier Personen, die wir in Allworthy's Hause erwähnt haben, drei ihre Augen auf eine Dame warfen, die wegen ihrer Schönheit nie besonders berühmt und überdies bereits ein wenig in das Thal der Jahre abwärts gestiegen war; in der Wirklichkeit haben aber Busenfreunde und genaue Bekannte eine gewisse natürliche Vorliebe für besondere Frauenzimmer in dem Hause eines Freundes, nämlich für seine Großmutter, Mutter, Schwester, Tochter, Tante, Nichte oder Cousine, wenn sie reich sind, und für seine Frau, seine Schwester, Tochter, Nichte, Cousine, Geliebte oder Magd, wenn sie hübsch sind.

Wir wollen indeß unsere Leser nicht zu dem Glauben verleiten, daß Personen von solchem Character wie Thwackum 122 und Square etwas unternommen haben würden, das von einigen strengen Moralisten getadelt worden ist, ehe sie dasselbe genau überlegt und bedacht, ob es sich mit dem Gewissen vertrage oder nicht. Thwackum wurde zu dem Unternehmen durch den Gedanken ermuthiget, daß es nirgends verboten sei, des Nächsten Schwester zu begehren; auch wußte er, daß es eine Regel bei allen Gesetzen sei, daß Expressum facit cessare tacitum, d. h. was nicht verboten, ist erlaubt. Da nun einige Frauen in dem göttlichen Gesetze erwähnt sind, welches uns verbietet, unseres Nächsten Gut zu begehren, die Schwester aber dabei nicht genannt ist, so schloß er daraus, es sei erlaubt, des Nächsten Schwester zu begehren. Was Square betraf, so brachte er sein Wohl recht leicht mit der ewigen Zweckmäßigkeit der Dinge in Uebereinstimmung.

Da nun beide eifrig jede Gelegenheit benutzten, sich der Wittwe zu empfehlen, so bemerkten sie auch recht bald, daß dies sicher geschehe, wenn sie dem Sohne derselben stets den Vorzug vor dem andern Knaben gäben; und da sie meinten, die Freundlichkeit und Liebe, welche Allworthy dem letztern bezeigte, müßte ihr höchst unangenehm sein, so zweifelten sie nicht, daß es ihr sehr wohlgefallen würde, wenn sie jede Gelegenheit benutzten, um ihn herabzusetzen, und daß sie, eben weil sie den Knaben hasse, alle diejenigen lieben müsse, welche demselben irgend einen Schaden zufügten. Thwackum hatte dabei den Vorzug, denn während Square dem Knaben nur in der guten Meinung von ihm schaden konnte, durfte Thwackum ihn sogar züchtigen, und er sah jeden Schlag, den derselbe erhielt, für ein Compliment an, das der Dame gemacht werde, so daß er mit vollem Rechte sagen konnte: »ich züchtige Dich nicht aus Haß, sondern aus Liebe.« Diesen Spruch führte er auch wirklich oft im Munde.

123 Aus diesem Grunde also stimmten die beiden Männer, wie wir oben gesehen haben, in ihrer Meinung über die beiden Knaben überein, und es war dies wohl der einzige Fall, daß sie einerlei Ansicht hatten, denn, ungerechnet die Verschiedenheit ihrer Grundsätze, hatten sie einander schon längst nicht getraut und nicht wenig gehaßt.

Dieser gegenseitige Haß wurde bedeutend durch ihr abwechselndes Glück gesteigert, denn Mad. Blifil wußte viel früher, wohin sie strebten, ehe sie es ahneten oder ehe sie es eigentlich wissen sollte, denn sie gingen äußerst vorsichtig zu Werke, damit sie nicht beleidiget werde und nicht etwa Allworthy von der Sache in Kenntniß setze. Diese ihre Besorgniß war indeß ungegründet, denn sie hatte Vergnügen an der Liebe, von welcher, wie sie sich vornahm, außer ihr Niemand Vortheil haben sollte. Der Vortheil, den sie sich davon versprach, war die Schmeichelei und Artigkeit gegen sie, weshalb sie denn die beiden Bewerber eine lange Zeit abwechselnd gewissermaßen ermuthigte. Sie war zwar eigentlich mehr geneigt, die Grundsätze des Geistlichen zu begünstigen, aber Square's Persönlichkeit sagte ihr mehr zu, da derselbe ein stattlicher Mann war, was sich von dem Nebenbuhler desselben durchaus nicht sagen ließ.

Ob Mad. Blifil die Süßigkeiten des Ehestandes zum Ueberdruß genossen hatte, oder ob die Bitterkeiten ihr denselben verleidet hatten, oder welcher andere Grund sie bestimmte, will ich nicht untersuchen; so viel ist aber gewiß, daß sie von einer zweiten Verheirathung nichts hören mochte. Dennoch sprach sie zuletzt mit Square so vertraut, daß die böse Welt Dinge von ihr zu flüstern anfing, denen ich sowohl der Dame wegen, als weil sie sich mit der Richtschnur des Rechten und der Zweckmäßigkeit der Dinge nicht vertrugen, keinen Glauben schenken will, weswegen ich mich auch bei denselben weiter nicht aufhalte. Der Pfarrer, so 124 viel ist gewiß, ließ in seinen Bemühungen nicht nach, ohne seinem Ziele einen Schritt näher zu kommen.

Er hatte aber auch einen großen Fehler begangen, den Square früher bemerkte als er. Mad. Blifil war (wie der Leser vielleicht schon errathen haben wird) mit dem Benehmen ihres Mannes nicht durchaus zufrieden gewesen, ja, wenn wir aufrichtig sein sollen, sie haßte ihn förmlich, bis sein Tod ihm ihre Liebe einigermaßen wieder gewann. Man wird sich deshalb auch nicht gar sehr wundern, wenn sie für das Pfand seiner Liebe nicht eben die heftigste Liebe fühlte. Ja sie fühlte so wenig Liebe zu dem Kinde, daß sie dasselbe, als es noch klein war, sehr selten sah und sich um dasselbe kaum kümmerte; deshalb willigte sie auch nach geringem Widerstreben in alle Gunstbezeigungen, mit welchen Allworthy den Findling überschüttete, den der gute Mann seinen eigenen Sohn nannte und in allen Stücken mit dem jungen Blifil völlig gleich behandelte. Diese Zustimmung der Mad. Blifil galt bei den Nachbarn und in der Familie für einen Beweis ihrer Nachgiebigkeit gegen die Launen ihres Bruders und alle meinten, wie Thwackum und Square ebenfalls, sie hasse eigentlich den Findling; ja je freundlicher sie sich gegen denselben zeigte, um desto mehr sollte sie ihn, der Meinung der Leute nach, hassen und an seinem Verderben arbeiten; denn da sie glaubten, es liege in ihrem Interesse, den fremden Knaben zu hassen, so wurde es ihr schwer, sie zu überzeugen, daß dem nicht so sei.

Thwackum wurde in seiner Ansicht um so mehr bestärkt, da sie ihn mehr als einmal schlau dahin gebracht hatte, Tom Jones zu züchtigen, wenn Allworthy, der sich meist gegen körperliche Züchtigung aussprach, nicht im Hause war, während sie in Bezug auf ihren eigenen Sohn niemals solche Befehle gegeben hatte. Dieser Umstand hatte auch Square verleitet. Ob sie nun gleich sicherlich ihren 125 eigenen Sohn haßte – und sie dürfte, wie schrecklich dies auch zu sein scheint, nicht die einzige Mutter der Art sein – so schien sie doch auch, trotz aller ihrer äußerlichen Freundlichkeit, im Herzen die Gunst sehr ungern zu sehen, die Allworthy dem Findlinge zeigte. Sie beschwerte sich darüber häufig hinter dem Rücken ihres Bruders und tadelte ihn scharf darum, sowohl gegen Thwackum als gegen Square, ja sie sprach sich gegen Allworthy selbst darüber aus, wenn sich beide einmal ein wenig veruneiniget hatten.

Als jedoch Tom heranwuchs und Beweise von dem kühnen muthigen Sinne gab, der die Männer immer den Frauen in so hohem Grade empfiehlt, nahm die Abneigung, die sie gegen ihn als Kind geäußert hatte, allmälig ab und endlich zeigte sie offenbar eine weit stärkere Vorliebe gegen ihn als gegen ihren eigenen Sohn, daß Niemand sich darüber irren konnte. Sie wünschte so sehr, ihn öfters zu sehen und fand so großes Vergnügen an seiner Gesellschaft, daß, ehe er achtzehn Jahre zählte, er ein Nebenbuhler Square's und Thwackum's geworden war und, was noch schlimmer, die ganze Gegend so laut von ihrer Vorliebe für Tom zu reden anfing, als sie vorher von ihrer Neigung zu Square gesprochen hatte, weshalb der Philosoph den unversöhnlichsten Haß gegen unsern armen Helden faßte.


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