Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Fünftes Kapitel.

Enthält vielerlei Stoff zur Uebung des Urtheils des Lesers.

Ich glaube, die Bemerkung ist ganz richtig, daß wenige Geheimnisse blos einer Person geoffenbaret werden, gewiß aber würde es fast ein Wunder sein, wenn eine ganze Gemeinde einen solchen Vorfall kennen sollte, ohne daß er weiter bekannt würde.

Es waren wirklich auch erst wenige Tage vergangen, als schon die ganze Umgegend von dem Schulmeister von Klein-Baddington sprach, der seine Frau auf die grausamste Weise geschlagen haben sollte. An manchen Orten sagte man gar, er habe sie erschlagen, in andern erzählte man, er habe ihr die Arme gebrochen, in andern die Beine, kurz es läßt sich kaum eine Verletzung denken, die einem Menschen angethan werden kann, welche die Frau Partridge von ihrem Manne nicht erlitten haben sollte.

Auch die Veranlassung zu diesem Streite wurde verschieden angegeben, denn Einige sagten, Frau Partridge habe ihren Mann im Bette bei der Magd getroffen, während von Andern andere Gründe angegeben wurden. Einige legten sogar die Schuld der Frau zur Last und schrieben die Eifersucht dem Manne zu.

70 Jungfer Wilkins hatte schon längst von diesem Zwiste gehört, da sie aber eine andere, als die wahre Ursache vernommen, für gut befunden, dieselbe zu verschweigen, zumal da man allgemein den Herrn Partridge tadelte und dessen Frau, als sie im Hause Allworthy's gedient, die Jungfer Wilkins beleidiget hatte, die so leicht nicht verzieh.

Die Wilkins, deren Augen Gegenstände in der Ferne sehen und recht wohl auf einige Jahre in die Zukunft hineinblicken konnten, hatte die Wahrscheinlichkeit erschaut, daß der Capitain Blifil einmal ihr Herr werden würde. Da sie auch deutlich bemerkte, daß der Capitain dem kleinen Findlinge im Hause nicht eben gewogen sei, da meinte sie, sie würde ihm einen angenehmen Dienst erweisen, wenn sie Entdeckungen zu machen vermöge, welche die Liebe mindern könnten, die Allworthy für das Kind zu hegen schien und die dem Capitain sichtbar sehr ungelegen war, was derselbe nicht einmal vor Allworthy selbst ganz zu verbergen im Stande war, obgleich seine Frau, die ihre Rolle öffentlich weit besser spielte, ihm häufig ihr Beispiel zur Nachachtung anempfahl, nämlich der Thorheit ihres Bruders nachzusehen, die sie eben so wohl erkenne und eben so sehr bedauere als irgend Jemand.

Als also die Wilkins zufällig auf die rechte Spur jener obigen Geschichte gekommen war, wenn auch lange nachher, so bemühete und beeiferte sie sich, alle Einzelnheiten zu erfahren, und dann berichtete sie dem Capitain, sie habe endlich den wahren Vater des kleinen Bastards ermittelt, dessen sich ihr Herr zum Nachtheile seines guten Namens, wie sie mit Bedauern bemerke, nur zu sehr annehme.

Der Capitain schalt sie wegen des Schlusses dieser ihrer Rede, weil es ihr nicht zukomme, die Handlungen ihres Herrn zu beurtheilen, denn wenn es auch das Ehrgefühl oder der Verstand des Capitains zugegeben hätte, mit der 71 Haushälterin in einen Bund zu treten, so sträubte sich doch sein Stolz dagegen. Es ist auch wirklich nichts so unklug, als mit den Dienern eines Freundes in eine Verschwörung gegen den Herrn derselben sich einzulassen, denn man macht sich dadurch für die spätere Zeit zum Sclaven eben dieser Diener, deren Verrath man stets ausgesetzt ist. Diese Rücksicht verhinderte denn auch wahrscheinlich den Capitain Blifil, deutlicher sich gegen die Wilkins auszusprechen, oder deren Reden über Allworthy zu begünstigen.

Obgleich er aber seine Zufriedenheit mit der Entdeckung gegen die Haushälterin nicht aussprach, so freute er sich doch nichts desto weniger im Innern darüber und nahm sich vor, den möglichst besten Gebrauch davon zu machen.

Er hielt die Sache lange in sich verschlossen, da er hoffte, Allworthy werde von Andern davon hören; die Haushälterin aber sprach, entweder weil des Capitains Benehmen sie beleidigt hatte, oder weil sie fürchtete, die Entdeckung möge ihm mißfällig sein, von der Sache kein Wort wieder.

Ich habe darüber nachgedacht und es ziemlich seltsam gefunden, daß die Haushälterin die Neuigkeit der Frau des Capitains nicht mittheilte, da die Weiber doch alle Nachrichten und Vorfälle lieber ihrem eigenen Geschlechte, als dem unsrigen berichten. Diese Schwierigkeit läßt sich meiner Ansicht nach nur auf eine Art lösen, durch die Abneigung nämlich, die jetzt die Dame von der Haushälterin trennte, vielleicht in Folge der Eifersucht der Mad. Blifil darüber, daß die Wilkins zu große Ehrfurcht vor dem Findling zeigte, denn während diese sich bemühete, das kleine Kind zu verderben, um sich den Dank des Capitains zu erwerben, rühmte sie dasselbe täglich mehr in Gegenwart Allworthy's, dessen Liebe jeden Tag mehr und mehr sich steigerte. Dies beleidigte wahrscheinlich die zartfühlende Dame, welche die Haushälterin jetzt sicherlich haßte und derselben so viel als 72 möglich das Leben sauer machte, da sie von ihr nicht ganz aus dem Hause gebracht werden konnte. Dies erbitterte die Wilkins endlich so sehr, daß sie dem kleinen Tom auf jede Art öffentlich liebkosete, um nur die Schwester ihres Herrn zu ärgern.

Der Capitain mußte demnach fürchten, die Geschichte ganz und gar verloren gehen zu sehen, und benutzte endlich eine Gelegenheit, sie selbst anzubringen.

Er sprach eines Tages mit Allworthy über die Liebe und bewies ihm mit großer Gelehrsamkeit, daß dies Wort in der heiligen Schrift nirgends Freigebigkeit bedeute.

»Die christliche Religion,« sagte er, »wurde zu weit edlern Zwecken gegründet, als um eine Lehre einzuschärfen, welche manche heidnische Philosophen lange vorher aufgestellt hatten und die, könnte sie vielleicht auch eine moralische Tugend genannt werden, doch von der erhabenen Denkungsart des Christen weit entfernt sei, die an Reinheit der Engelsvollkommenheit gleich käme und nur durch die Gnade erreicht und empfunden werden könne. Näher,« fuhr er fort, »dürften diejenigen der eigentlichen Bedeutung kommen, die unter jenem Worte eine günstige Meinung von unsern Nächsten und eine milde Beurtheilung ihrer Handlungen verständen, was eine weit höher stehende und umfassendere Tugend sei, als die Austheilung von Almosen, die doch nie Vielen zu Gute kommen könnten, wenn wir nicht unsere eigene Familie benachtheiligen, oder gar in Armuth stürzen wollten, während Liebe in dem andern und richtigern Sinne die ganze Menschheit zu umfassen vermöge.«

Er fuhr fort: »Wenn man bedenke, welche Leute die Jünger gewesen, so würde es absurd sein, anzunehmen, es sei ihnen anempfohlen worden, mildthätig zu sein oder Almosen zu geben. Da sich nun nicht wohl denken lasse, der göttliche Stifter der Religion habe diese Lehre Leuten 73 geprediget, die nicht im Stande gewesen, dieselbe zu üben, so könne man noch weniger glauben, sie werde so von Leuten verstanden, die sie üben könnten, es aber nicht thäten.

»Ob gleich nun aber,« fuhr er fort, »solche wohlthätige Handlungen, wie ich fürchte, wenig Verdienstliches haben, so gestehe ich doch, daß sie einem guten Herzen großes Vergnügen gewähren könnten, würde es nicht durch eine Beobachtung geschwächt, durch die nämlich, daß wir Täuschungen ausgesetzt sind, so daß wir unsere Gunstbezeugungen an Menschen verschwenden können, die sie durchaus nicht verdienen, wie Dir es selbst mit Deiner Freigebigkeit gegen den unwürdigen Partridge ergeht; denn einige solche Beispiele müssen doch die Selbstzufriedenheit gar sehr verringern, die ein guter Mensch sonst im Geben finden würde; ja sie können ihn von allem Geben überhaupt abschrecken, weil er nicht geneigt sein wird, das Laster zu unterstützen und die schlechten Menschen zu begünstigen, – ein sehr schlimmes Vergehen, das sich nicht genügend dadurch entschuldigen läßt, daß wir eine solche Unterstützung und Begünstigung nicht eigentlich beabsichtigten, wir müßten denn in der Wahl der Personen, denen wir Wohlthaten erwiesen, äußerst vorsichtig zu Werke gegangen sein.«

Der Herr Allworthy antwortete darauf: »er könnte sich mit dem Capitain über die Bedeutung griechischer Worte in der Bibel nicht streiten und deshalb auch über den richtigen und wahren Sinn des Wortes nichts sagen, das Liebe übersetzt werde; er sei aber immer der Meinung gewesen, daß es eine Handlung, ein wirkliches Thun bezeichne und daß das Almosengeben wenigstens ein Theil dieser Tugend sei.

»Was das Verdienstliche betreffe, so stimme er gern mit dem Capitain überein, denn wie könnte es ein Verdienst sein, blos sich einer Pflicht zu entledigen, die es, das 74 Wort Liebe möge eine Bedeutung haben, welche es wolle, dem ganzen Inhalte des neuen Testamentes nach doch sei. Wie er sie für eine unabweisliche Pflicht halte, die sowohl durch das christliche Gesetz, als durch die Natur selbst geboten werde, so sei sie auch so angenehm, daß, könne man von irgend einer Pflicht sagen, sie trage ihren eigenen Lohn in sich, es diese sei.

»Die Wahrheit zu gestehen,« sagte er, »einen Grad der Mildthätigkeit (der Liebe würde ich gesagt haben) giebt es, der doch etwas Verdienstliches zu haben scheint, der nämlich, in welchem wir aus Wohlwollen und christlicher Liebe einem Andern das geben, was wir eigentlich selbst brauchen, und, um die Noth eines Andern zu lindern, einen Theil derselben über uns nehmen, indem wir das Nothwendigste selbst hingeben. Dies ist, denke ich, wohl verdienstlich; unsere Nebenmenschen aber blos von unserm Ueberflusse zu unterstützen, mildthätig zu sein mehr auf Kosten unserer Kasse als unserer selbst; lieber einige Familien aus Noth und Elend zu retten, als ein seltenes Gemälde in unserm Hause aufzuhängen oder irgend eine andere lächerliche Eitelkeit zu befriedigen; – dies heißt blos Christen, ja blos Menschen sein. Ich gehe sogar noch weiter und sage, wer dies thut, ist eigentlich einigermaßen ein Epikuräer, denn was könnte der größte Epikuräer eifriger wünschen, als mit vielen Zungen, statt mit einer einzigen zu essen? Und dies kann man doch wohl von dem sagen, welcher weiß, daß Viele ihr Brod ihm verdanken.

»Die Besorgniß, seine Gaben an solche zu verschwenden, die sich später als unwürdig erweisen könnten, weil dies häufig der Fall gewesen ist, darf sicherlich einen guten Menschen vom Wohlthun nicht abschrecken. Wie ich glaube, können es wenige oder viele Beispiele von Undankbarkeit nicht rechtfertigen, daß ein Mann sein Herz gegen das Leiden 75 seiner Mitmenschen verhärtet; auch bin ich der Meinung, daß dies auf ein wahrhaft wohlmeinendes Gemüth eine solche Wirkung nicht haben wird. Nur die Ueberzeugung von allgemeiner Schlechtigkeit vermag die Wohlthätigkeit eines guten Menschen zu hindern, und diese Ueberzeugung muß ihn, denke ich, entweder zum Atheismus oder zum Enthusiasmus führen. Von wenigen schlechten Menschen auf allgemeine Verdorbenheit zu schließen, ist ungerecht und auch gewiß nie von einem Menschen geschehen, der bei einem Blicke in sein eigenes Herz da eine sichere Ausnahme von der allgemeinen Regel fand.« Dann schloß er mit der Frage, wer jener Partridge sei, der ein unwürdiger Mensch sein sollte.

»Ich meine,« entgegnete der Capitain, »Partridge, den Barbier, den Schulmeister oder was er sonst ist, Partridge, den Vater des kleinen Kindes, das Du in Deinem Bette fandest.«

Allworthy drückte große Verwunderung über diese Sache aus und der Capitain äußerte sein Erstaunen darüber, daß Allworthy nichts davon wisse; ihm sei es, sagte er, über einen Monat bekannt und endlich fiel es ihm ein, daß die Wilkins ihm die Sache erzählt habe.

Die Haushälterin wurde sogleich beschieden und als sie bestätigte, was der Capitain gesagt hatte, von Allworthy, auf des Capitains Rath, nach Klein-Baddington geschickt, damit sie sich nach der Wahrheit des Vorfalles erkundige; denn der Capitain äußerte große Abneigung gegen alles übereilte Verfahren in Criminalsachen und meinte, er wolle durchaus nicht, daß Allworthy irgend einen Entschluß zum Nachtheile des Kindes oder des Vaters fasse, bevor er sich nicht von der Schuld des letztern überzeugt habe. Er selbst habe sich durch die Aussage eines Nachbars von Partridge überzeugt, wolle aber nicht verlangen, daß Allworthy auf ein solches Zeugniß sich verlasse.


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