Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Elftes Kapitel.

Molly Seagrim entkommt mit Mühe. Einige Bemerkungen, um deretwillen wir tief in die Natur eingehen mußten.

Tom Jones hatte diesen Morgen ein Pferd des Herrn Western geritten und da er kein eigenes in dem Stalle des Squire hatte, mußte er zu Fuße nach Hause gehen. Dies that er sehr rasch.

Eben als er an dem Vorthore Allworthy's ankam, traf er den Gerichtsdiener mit Molly, die in das Haus gebracht werden sollte, wo gemeine Leute Achtung und Ehrfurcht vor den Höhern lernen können, da es ihnen den großen Unterschied zeigt, welcher das Vermögen zwischen denen macht, die wegen ihrer Fehltritte gestraft werden, und jenen, die keine Strafe finden. Lernen sie dies in dem Zuchthause nicht, so lernen sie daselbst schwerlich etwas anderes Gutes.

Ein Advokat meint vielleicht, Herr Allworthy habe in diesem Falle seine Autorität etwas überschritten und ich zweifle wirklich auch, ob sein Benehmen streng nach der Regel war. Da indeß seine Absicht wahrhaft redlich war, so muß man ihn in foro conscientiae wohl entschuldigen, da die Justizbehörden, die keine solche Entschuldigung für sich haben, täglich so viele willkührliche Handlungen begehen.

182 Tom hatte von dem Gerichtsdiener kaum gehört, wohin sie sich begäben (er errieth es allerdings schon selbst), als er Molly in seine Arme nahm, sie zärtlich vor Allen küßte und hoch und theuer schwur, er würde den ermorden, der Hand an sie lege. Dann ersuchte er sie, sie möge ihre Thränen trocknen und tröstete sie, da er sie überall begleiten würde, wohin sie auch gehen möge. Endlich wendete er sich an den Gerichtsdiener, der, den Hut in der Hand, zitternd dabei stand, ersuchte ihn in sehr sanfter Stimme, nur auf einen Augenblick mit zu seinem Vater (so nannte er Allworthy immer) zurückzukehren, da das Mädchen gewiß würde entlassen werden, wenn er für sie gesprochen.

Der Gerichtsdiener, der seine Gefangene wahrscheinlich ganz an Tom überlassen haben würde, willigte sogleich in das Verlangen. Sie begaben sich deshalb alle in Allworthy's Haus zurück, wo Tom sogleich den guten Herrn aufsuchte. Sobald derselbe gefunden war, warf sich Tom vor ihm auf die Knie nieder, bat um geduldiges Gehör und gestand, der Vater des Kindes zu sein, mit welchem Molly schwanger gehe. Er bat ihn, Mitleid mit dem armen Mädchen zu haben und zu bedenken, daß, wenn Jemand Schuld habe, sie hauptsächlich auf ihm, Tom, laste.

»Wenn Jemand Schuld hat!« wiederholte Allworthy warm; »bist Du ein so tiefgesunkener Wollüstling, daß Du zweifelst, ob es eine Schuld sei, göttliche und menschliche Gesetze zu übertreten und ein armes Mädchen zu verführen und in das Unglück zu stürzen? Ich gestehe, sie lastet hauptsächlich auf Dir und so schwer, daß Du fürchten solltest, sie werde Dich erdrücken.«

– »Was auch mein Schicksal sein möge, haben Sie Mitleid mit dem armen Mädchen. Ich gestehe es ein, ich habe sie verführt; ob sie aber in das Unglück gestürzt werden soll, hängt von Ihnen ab. Um des Himmels Willen, 183 nehmen Sie Ihren Ausspruch zurück und schicken Sie das Mädchen nicht an einen Ort, der unfehlbar ihr Verderben werden muß.«

Allworthy gebot ihm, einen Diener zu rufen. Tom entgegnete, dies sei nicht nöthig, er habe sie zum Glücke am Thore getroffen und, im Vertrauen auf seine Güte, sogleich zurückgebracht in das Haus, wo sie nun seinen letzten Entschluß erwarteten, der, er bitte nochmals auf seinen Knien, zu Gunsten des Mädchen ausfallen möge, damit sie nach Hause zu ihren Aeltern zurückkehren dürfe und nicht einem noch größern Grade von Schmach und Hohn ausgesetzt werde, als sie ohnehin treffen müsse. »Ich weiß,« sagte er, »daß es zu viel ist; ich weiß, daß ich die übele Ursache davon bin. Ich will versuchen, den Fehler wo möglich wieder gut zu machen und wenn Sie später mir verzeihen wollen, hoffe ich dies zu verdienen.«

Allworthy zögerte eine Zeit lang und sagte endlich: »nun wohl, ich will meinen Haftbefehl zurücknehmen. Du magst den Gerichtsdiener zu mir schicken.« Derselbe wurde sofort gerufen und entlassen wie das Mädchen.

Man wird es wohl glauben, daß Allworthy dem Tom Jones bei dieser Gelegenheit sehr derb den Text las, wir halten es aber nicht für nöthig, seine Ermahnung hier mitzutheilen, da wir schon im ersten Buche getreu berichtet haben, was er zu Jenny Jones sagte. Das meiste davon paßt so gut auf Männer wie auf Mädchen. Diese Vorwürfe machten auch einen so tiefen Eindruck auf den jungen Mann, der kein verhärteter Sünder war, daß er sich in sein Zimmer begab und da den ganzen Abend in traurigen Betrachtungen allein verbrachte.

Allworthy fühlte sich durch dieses Vergehen Tom's ziemlich verletzt, denn, was auch Western sagte, der würdige Mann hatte nie solche Vergnügungen bei Frauen gesucht 184 und beurtheilte das Laster der Unenthaltsamkeit bei andern sehr streng. Wir haben Grund zu glauben, daß an dem, was Western behauptete, nichts Wahres war, besonders da er den Schauplatz dieser Ausschweifungen auf die Universität verlegte, die Allworthy nie besucht hatte. Der gute Squire verfiel überhaupt sehr leicht in den Fehler der Aufschneiderei.

Wie sehr nun aber auch Allworthy dieses oder jedes andere Laster verabscheuete, so ließ er sich doch nicht so sehr verblenden, daß er an der schuldigen Person nicht auch jede Tugend eben so deutlich erkannt hätte, als sei kein Laster damit verbunden. Während er also über die Ausschweifung Tom's zürnte, gefiel ihm dessen Ehrenhaftigkeit und Selbstanklage nicht minder. Er fing an, dieselbe Meinung von dem jungen Manne zu fassen, die, wie wir hoffen, unsere Leser bereits von demselben hegen. Und wenn er die Fehler mit den guten Eigenschaften abwog, schienen die letztern doch das Uebergewicht zu haben.

Es nützte also nichts, daß Thwackum, dem Blifil die Geschichte sogleich erzählte, allem seinen Grolle gegen den armen Tom Luft machte. Allworthy hörte die Schmähungen geduldig an und antwortete sodann gelassen: Junge Männer von Tom's Temperamente verfielen meist in dieses Laster, er glaube aber, der junge Tom habe sich das, was er ihm bei dieser Gelegenheit gesagt, ernstlich zu Herzen genommen, und hoffe, daß er nie wieder in dieser Art sündigen würde. Die Tage der Züchtigung waren vorüber und der Lehrer konnte also seiner Galle auf keine andere Weise als durch seinen Mund Luft machen.

Square dagegen war minder heftig, aber um so schlauer, und da er den Tom vielleicht noch mehr haßte als Thwackum, so bemühete er sich mit Erfolg, ihm in dem Herzen Allworthy's größern Schaden zu thun.

185 Der Leser muß sich der kleinen Vorfälle mit dem Rebhuhne, dem Pferde, der Bibel erinnern, die in dem zweiten Buche erzählt worden sind und durch welche Jones in der Liebe Allworthy's mehr gewonnen als verloren hatte. Dasselbe müßte ihm wohl bei jeder andern Person auch geschehen sein, die eine Idee von Freundschaft, Edelsinn und Großherzigkeit hatte, d. h. in dem eigenen Herzen Keime der Gutmüthigkeit besaß.

Square kannte den wahren Eindruck recht wohl, den jene Beispiele von Gutherzigkeit auf den trefflichen Allworthy gemacht hatten, denn der Philosoph wußte recht gar wohl, was Tugend ist, ob er dieselbe gleich immer zu verfolgen schien. In Thwackum's Sinn, ich will nicht untersuchen, aus welchem Grunde, kamen niemals solche Gedanken; er erblickte Jones in schlechtem Lichte und glaubte, Allworthy sehe ihn ebenfalls in einem solchen, sei aber aus Stolz und Eigensinn zu dem Entschlusse gebracht worden, den Knaben, den er einst geliebt hatte, nicht aufzugeben, weil er, wenn er dies thue, stillschweigend anerkennen müsse, daß seine frühere Meinung von demselben eine falsche gewesen.

Square benutzte also die Gelegenheit, Jones an dem empfindlichsten Theile zu verwunden, indem er alle jene frühern Vorfälle übel auslegte »Es thut mir leid, Herr,« sagte er, »daß ich gestehen muß, eben so wie Sie selbst getäuscht worden zu sein. Mir gefiel, ich bekenne es, das, was ich der Freundschaft zuschrieb, obgleich dieselbe etwas zu groß war und alles Uebermaß falsch und fehlerhaft ist; in diesem Falle rechnete ich es der Jugend zu Gute. Ich ahnete durchaus nicht, daß die Verheimlichung der Wahrheit, die nach unserer Meinung aus Freundschaft erfolgte, nur ein Opfer war, das einem schändlichen Verlangen gebracht wurde. Sie erkennen jetzt deutlich, welchen Grund 186 dieser anscheinende Edelmuth des jungen Mannes gegen die Familie des Jägers hatte. Er unterstützte den Vater, um die Tochter zu verführen und rettete die Familie vom Verhungern, um ein Glied derselben in Schande und Unglück zu bringen. Das ist Freundschaft! Das ist Edelmuth! Ich habe mir vorgenommen, von diesem Augenblicke an der Schwäche der menschlichen Natur nie wieder nachzugeben oder etwas für Tugend zu halten, was nicht genau zu dem Richtmaße des Rechtes paßt.«

Das gute Herz Allworthy's hatte diese Gedanken verhindert, in ihm selbst aufzusteigen; sie klangen aber zu plausibel, als daß sie übereilt und durchaus hätten verworfen werden können, als sie ihm ein Anderer vorlegte. Was Square sagte, machte einen tiefen Eindruck auf ihn und das Mißbehagen, das es in ihm erzeugte, wurde auch Andern sichtbar, obgleich der gute Mann dies nicht anerkennen wollte, sondern eine unbedeutende Antwort und dem Gespräche absichtlich eine andere Wendung gab. Es war vielleicht ein Glück für den armen Tom, daß solche Andeutungen nicht ausgesprochen worden waren, ehe er Verzeihung erhalten hatte, denn sie machten sicherlich in dem Herzen Allworthy's den ersten übeln Eindruck in Bezug auf Jones.


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